Urteil des LSG Bayern vom 20.03.2001

LSG Bayern: psychisches leiden, landwirtschaft, mühle, vergewaltigung, erwerbstätigkeit, haushalt, behandlung, anfang, enkelin, befragung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.03.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 12 V 21/95
Bayerisches Landessozialgericht L 15 V 76/97
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.07.1997 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem Bundesversorgungsgesetz
(BVG) bzw. um die teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.05.1989, mit dem der Beklagte u.a. die
anerkannten Schädigungsfolgen (SF) mit einer MdE um 40 v.H. bewertet hatte.
Die am ...1928 geborene Klägerin übersiedelte am 17.04.1988 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland; noch von
Polen aus beantragte sie mit Schreiben vom 14.04.1988 Versorgung wegen einer Nervenpsychose, die sie aufgrund
einer Vergewaltigung durch russische Soldaten am 27.03.1945 und des Miterlebenmüssens des Todes ihres Vaters,
der vor ihren eigenen Augen erschossen wurde, erlitten habe.
Die Klägerin wurde als Tochter eines ehemaligen Mühlenbesitzers geboren. Ausweislich ihrer Angaben im
Rentenverfahren der Landesversicherungsanstalt (LVA) Niederbayern-Oberpfalz besuchte sie eine siebenklassige
Volksschule und im Anschluss daran von 1941 bis 1943 eine Kochschule/Hauswirtschaftsschule; von 1943 bis 1962
half sie ihren Eltern im Haushalt, in der Mühle und in der Landwirtschaft. Im Dezember 1945 heiratete sie; sie gebar
drei Söhne; 1962 wurde ihr die Landwirtschaft übergeben; bis zu ihrer Übersiedlung war sie selbständige Landwirtin
und leistete von 1977 bis 1982 Beiträge zur Rentenversicherung, die nach den Feststellungen der LVA in einem
Landwirtschaftsabgabebuch vermerkt sind.
Anlässlich der vom Beklagten veranlassten nervenärztlichen Untersuchung und Begutachtung durch Dr.W ... am
05.01.1989 gab sie u.a. an, vor der Vergewaltigung noch Jungfrau gewesen zu sein; sie habe immer nach ihrem Papa
gerufen, der schließlich aus seinem Versteck gekommen sei; die Russen hätten ihm einen Spaten gegeben und ihn
aufgefordert, sein Grab zu schaufeln; in der Zwischenzeit sei sie von mehreren Russen, die ihr zuvor mit dem Messer
gedroht und sie entsprechend verletzt hätten, vergewaltigt worden; in einem Nachbarort habe sie sich dann drei
Wochen lang auf dem Dachboden versteckt; sie sei von der Familie versorgt worden, habe Fieber bekommen und von
Anfang an furchtbare Angst vor Männern gehabt; das ganze Erlebnis sei für sie ein großer Schock gewesen, die Leute
in dem Haus hätten ihr Medikamente besorgt, sie habe sich nicht getraut, zum Arzt zu gehen; erst ein bis zwei
Monate später, als der Krieg zu Ende war, sei sie zum Hausarzt gegangen und hätte Beruhigungsmittel erhalten, die
sie ständig bis 1995, als sie das erste Mal in Deutschland zum Nervenarzt gegangen sei, eingenommen habe; sie
habe verschiedene Medikamente zur Beruhigung, gegen Ängste und Depressionen (Tropfen, Tabletten und auch
Spritzen) erhalten; diese Behandlung habe sie bis zur Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland bekommen,
danach sei sie beim Nervenarzt Dr.R ... in Regensburg in Behandlung gewesen, von ihm bekomme sie seitdem bis
heute folgende Medikamente: Fluanxol depot 1 ml i.m. 4-wchtl., Stangyl 100 mg früh 1/2, abends 1, Neurocil-Tropfen
zur Nacht 20. Dr.W ... ging davon aus, eine psychische Erkrankung der Klägerin vor dem 27.03.1945 habe
wahrscheinlich nicht vorgelegen; aufgrund der Vergewaltigung mit den weiteren Umständen sei es bei ihr zu einer
nachhaltigen Erschütterung des Persönlichkeitsgefüges im Sinn einer hochgradigen abnormen Erlebnisreaktion, die
sich inzwischen zu einem chronifizierten depressiv gefärbten Angstsyndrom entwickelt habe, gekommen. Ab Antrag
bejahte er psychoreaktive Störungen als SF nach dem BVG mit einer MdE um 40 v.H. anzuerkennen. Ein besonderes
berufliches Betroffensein verneinte er, weil die Klägerin keinen erlernten Beruf hätte, immer in ihrer eigenen
Landwirtschaft gearbeitet hätte und mit diesen SF in jedem anderen Beruf beeinträchtigt gewesen wäre.
Mit Bescheid vom 11.05.1989 erkannte der Beklagte bei der Klägerin als SF ein "traumatisch bedingtes chronifiziertes
depressiv gefärbtes Angstsyndrom" mit einer MdE um 40 v.H. an.
Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch vom 11.06.1989 begründete die Klägerin damit, immer "Schrecken" zu
haben und besorgt zu sein, eine Ohnmacht, Brechreiz mit Brechen, Nervenschock oder Schwindel zu erleiden; in den
Augen sehe sie Fünklein, habe sie Sand; sie schlafe schlecht, fange oft zu weinen an; sie habe "Schrecken" vor
Menschen und gehe nirgends alleine hin; durch ihr Deutschtum habe sie schwer bezahlen müssen.
Die hierzu gehörte Nervenärztin Dr.K ... stellte in ihrer Stellungnahme vom 22.08.1989 fest, dem Widerspruch seien
keine Aspekte zu entnehmen, welche eine noch höhere MdE bedingten; trotz des schon vor längerer Zeit gestellten
Antrages sei von Amts wegen nicht versucht worden, Unterlagen über die Behandlung in Polen beizuziehen.
Bezüglich des Attestes des Nervenarztes Dr.R ... wie auch des psychischen Befundes Dr.W ... merkte sie an, es
müsse die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Klägerin vor kurzem erst aus Polen umgesiedelt sei und eine
derartige Umsiedelung gerade bei Persönlichkeitstrukturen wie bei der Klägerin zu einer erheblichen psychischen
Problematik führe, einschließlich Entwurzelungsdepression; selbst wenn man von den Angaben der Klägerin und der
beigebrachten Zeugen bezüglich der Erlebnisse von 1945 ausgehe, so sei andererseits aus den Schilderungen der
Klägerin keine darauf zurückführende psychische Alteration ersichtlich, welche eine MdE von 40 v.H. bedingen würde;
im Gegensatz zu den meisten Frauen, welche nach einer Vergewaltigung (und zwar erst recht nach den von der
Klägerin und den Zeugen angegebenen Umständen) zumindest für einige Zeit sexuelle Kontakte zu Männern
vermieden, habe die Klägerin ein dreiviertel Jahr später geheiratet, was gegen eine stärkere psycho-sexuelle
Traumatisierung spreche; sie habe eine Familie mit drei Kindern gegründet und in der Landwirtschft gearbeitet; die
Angaben, sie sei die ganzen Jahrzehnte wegen ihrer Angstzustände nirgends hingegangen, nicht einmal zu ihrem
Sohn, der im eigenen Haus wohnte, und auch nicht auf die Straße ohne Begleitung zumindest eines Enkelkindes,
seien nicht ganz nachvollziehbar und entsprächen der schädigungsfolgenunabhängigen psychischen Struktur der
Klägerin, ähnlich wie die jetzt angegebenen psychosomatischen Beschwerden; so klagte jetzt die massiv
übergewichtige Klägerin u.a. über "Erbrechen mit Brechreiz" als Folge der Kriegserlebnisse; eine noch höhere MdE als
40 v.H., wie sie angesichts der Situation "wohlwollend" von Dr.W ... gesehen wurde, sei nicht begründbar; schon die
bisherige MdE erscheine sehr hoch angesichts der ansonsten in solchen Fällen angesetzten MdE, z.B. auch für einen
Persönlichkeitswandel bei langjährigen KZ-Insassen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.1989 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (Az.: S 9 V 137/89) nahm die Klägerin ihre Klage
nach dem Hinweis auf offensichtlich fehlende Erfolgsaussicht zurück.
Ein späterer Verschimmerungsantrag der Klägerin verfiel ebenfalls der Ablehnung; in dem anschließenden
Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (Az.: S 3 V 9/94), das mit Klagerücknahme endete, gab die
Klägerin selbst zu Protokoll, eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse sei bei ihr nicht gegeben.
Gleichzeitig beantrage sie die Überprüfung des Bescheides vom 11.05.1989 gemäß § 44 des Zehnten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB X) von Anfang an. Diesen Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom
02.12.1994 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch am 09.03.1995 zurück.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg stellte der von Amts wegen gehörte Sachverständige R ... in
seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 17.06.1997 fest, die kriegsbedingten Gesundheitsstörungen
seien zutreffend festgestellt, die Bewertung mit einer MdE um 40 v.H. sei sicher ausreichend, jedoch als sehr
wohlwollend einzuschätzen.
Mit Schreiben vom 14.07.1997 entgegnete die Klägerin, sie habe nie in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis
gestanden, sondern bis zur Verstaatlichung 1953 zusammen mit ihrem Mann eine Mühle betrieben; daneben hätten
sei ein paar Tiere gehalten (Hühner, Kühe und Schweine), angebaut worden sei lediglich für den Eigenbedarf; die MdE
sei gemäß § 30 Abs.2 BVG zu erhöhen, da sie aufgrund der bei ihr vorliegenden SF nie in der Lage gewesen wäre,
einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen; die Frage, welchen Beruf sie mit ihrer Ausbildung ergriffen hätte,
sei in ihrem Falle zweitrangig, da sie in jeder beruflichen Tätigkeit besonders beruflich betroffen gewesen wäre,
nachdem sie selbst bei der Bewältigung des Haushaltes und der Betreuung sowie der Erziehung der Kinder auf die
tatkräftige Unterstützung ihrer Angehörigen, insbesondere ihres Mannes, angewiesen gewesen sei.
Mit Urteil vom 24.07.1997 wies das Sozialgericht die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, eine
ursprüngliche Unrichtigkeit des angefochtenen Bescheides vom 11.05.1989 sei unter keinem Gesichtspunkt zu
begründen, die Voraussetzungen für eine MdE-Erhöhung nach § 30 Abs.2 BVG lägen nicht vor.
Ihre Berufung vom 16.09.1997 zum Bayer. Landessozialgericht begründete die Klägerin im Wesentlichen mit ihrer und
vor allem ihres Ehemannes "unerschütterlichen Überzeugung", die MdE sei viel zu niedrig; aufgrund ihrer SF sei sie
nicht in der Lage gewesen, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, ihre schweren Gesundheitsstörungen
seien nicht ausreichend bzw. falsch bewertet; sie beantragte die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und benannte als Sachverständigen Dr.P ... Dieser stellte in seinem nervenärztlichen
Gutachten vom 02.12.1998 eine endoreaktive Depression fest, die die Klägerin gehindert hätte, einer regelmäßigen
Erwerbstätigkeit nachzugehen; anderweitige Faktoren wie Durchblutungsstörungen (cerebrovaskuläre Insuffizienz)
oder Involution spielten keine ursächliche Rolle; die schädigungsbedingte psychische Erkrankung der Klägerin sei
nicht lediglich als psychoreaktive Depression einzustufen, sondern als depressive Erkrankung vom Ausprägungsgrad
einer endogenen Psychose von chronischer Verlaufsform mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, für die
eine MdE von 80 v.H. angezeigt sei.
Dieser Einschätzung und Beurteilung widersprach die Nervenärztin/Psychotherapeutin Be ... in ihrer
versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.02.1999 im Hinblick auf den persönlichen und beruflichen Werdegang
der Klägerin; die von dem Sachverständigen Dr.P ... angenommene MdE um 80 v.H. könne nicht überzeugen; aus
dem von ihm erhobenen psychischen Befund sei zwar eine Verschlimmerung zu früheren Befunden ersichtlich, die
Begründung dieser Verschlimmerung mit den Kriegserlebnissen müsse jedoch hinterfragt werden; angesichts des
jetzigen Alters und des Risikoprofils der Klägerin sei die vom behandelnden Nervenarzt Dr.L ... diagnostizierte
zerebrovaskuläre Insuffizienz als möglicher schädigungsfolgenunabhängiger Nachschaden genauer zu überprüfen;
Risikofaktoren für Hirndurchblutungsstörungen seien schon 1989 in einem hausärztlichen Attest aufgeführt, nämlich
ein Bluthochdruck, eine pathologische Glukosebelastung und eine starke Adipositas; in einer Stellungnahme vom
Februar 1993 werde ein Kopfschmerzsyndrom im Rahmen des Bluthochdruckes festgestellt; im Hinblick auf die MdE
von 80 v.H. werde auf die "Anhaltspunkte" verwiesen, wo eine solche Einstufung für floride Psychosen oder affektive
Psychosen mit mehr als zwei Phasen pro Jahr von mehrwöchiger Dauer vorgesehen sei.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens erhoben die Klägerin und vor allem ihr Ehemann Einwände gegen weitere ärztliche
Untersuchungen, boten Zeugen zum Tatgeschehen an und wiesen auf die Notwendigkeit einer Haushaltshilfe z.B. im
Schreiben vom 17.04. 2000 hin, die Dr.L ... im nervenärztlichen Attest vom 07.05. 1998 bescheinigte; Eingaben an
den Deutschen Bundestag und Bayerischen Landtag hatten keinen Erfolg.
Die nach Zustimmung der Klägerin von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr.Z ... stellte aufgrund ihrer
persönlichen Beobachtung, Untersuchung und Befragung der Klägerin in Anwesenheit ihres Ehemannes und ihrer 22-
jährigen Enkelin Sylvia in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 22.05.2000 fest, bei der freundlichen und
kooperativen Klägerin sei diagnostisch auf nervenärztlichem Gebiet von beginnenden Altersabbauprozessen
auszugehen; die psychische Gesamtsituation sei kompliziert worden durch langjährige Einnahme hochpotenter
Psychopharmaka, Beeinträchtigung durch die physiologische Involution, eine ethnologische Entwurzelung und die
Konfrontation mit einer konfliktreichen Ehe (latentes Gewaltpontential des Ehemannes); sämtliche Faktoren hätten
sich destruktiv auf die Persönlichkeit auswirken können, da diese sich aufgrund einer schweren Gewalterfahrung im
März 1945 gezeigt habe, im besonderen vulnerabel und empfindsam gezeigt habe. Aufgrund der in der Summe stärker
behindernden Störungen sei aus nervenärztlicher Sicht von einer Gesamt-MdE von 40 v.H. auszugehen; eine präzise
Differenzierung, welchem der oben genannten Faktoren welcher Grad zuzuordnen wäre, sei wissenschaftlich nicht
möglich; in Bezug auf die diagnostischen Feststellungen im Bescheid vom 11.05.1989 (traumatisch bedingtes
chronifiziertes depressiv gefärbtes Angstsyndrom) sei aus nervenärztlicher Sicht aufgrund der Erkenntnisse im
aktuellen Gutachten eine Differenzierung vorzunehmen; grundsätzlich liege ein chronifiziertes psychisches Leiden mit
depressiver und ängstlicher Symptomatik vor, einer der ursächlichen Faktoren könnte in dem Trauma vom März 1945
gesehen werden; weitere, internistische Zusatzuntersuchungen bzw. die Durchführung einer cranialen
Computertomographie seien aus nervenärztlicher Sicht für die Beurteilung der sozialrechtlich relevanten Frage nicht
erforderlich.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 24.07.1997 und des Bescheides vom
02.12.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.03.1995 zu verurteilen, den
Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 11.05.1989/20.09.1989 zurückzunehmen und der Klägerin Versorgung nach
einer MdE von 80 v.H. zu gewähren.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.07.1997 zurückzuweisen.
Beigezogen worden sind die Beschädigtenversorgungsakten der Klägerin und ihre Schwerbehindertenakten beim
Versorgungsamt Regensburg, Az.: 16/03/133874 bzw. 16/42/873240, die Akten des Sozialgerichts Regensburg, Az.:
S 9 V 137/89, S 3 V 9/94, S 12 V 21/95 und S 12 V 7/97 sowie die Rentenakten der LVA Niederbayern-Oberpfalz.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren der Versorgungsverwaltung und des Sozialgerichts wird gemäß
§ 202 SGG und § 543 der Zivilprozessordnung auf den Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom
24.07.1997 und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die
Schriftsätze der Beteiligten nach § 136 Abs.2 SGG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143 ff., 151 SGG) ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des
Sozialgerichts Regensburg vom 24.07.1997 und der ihm zugrunde liegende Bescheid des Beklagten vom 02.12.1994
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.03.1995 sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen
Anspruch gemäß § 44 SGB X auf (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 11.05.1989 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 20.09.1989, mit denen ihre anerkannten SF mit einer MdE um 40 v.H. bewertet wurden.
Insbesondere sind keine neuen Tatsachen oder konkreten Anhaltspunkte behauptet oder erwiesen, welche die
Erteilung eines neuen, die Klägerin begünstigenden Bescheides rechtfertigen könnten; die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Rente nach einer höheren MdE als 40 v.H.
Die Überprüfung des seelischen Leidens der Klägerin, für das als SF ein "traumatisch bedingtes chronifiziertes
depressiv gefärbtes Angstsyndrom" mit einer MdE um 40 v.H. mit Bescheid vom 11.05.1989 anerkannt wurde, ergibt,
dass bei Erlass dieses Bescheides weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist (§ 44 Abs.1 SGB X). Die Klägerin hat deshalb keinen Anspruch darauf, dass
diese Verwaltungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird; ebenso scheidet eine
Rücknahme für die Zukunft aus. Weder wurde das seelische Leiden der Klägerin vom Beklagten zu niedrig bewertet,
noch ist es wahrscheinlich, dass eine Verschlimmerung durch das schädigende Ereignis bzw. die anerkannten
Schädigungsfolgen verursacht worden ist. Die Klägerin ist auch nicht nach § 30 Abs.2 BVG besonders beruflich
betroffen.
So stellt sowohl der vom Sozialgericht gehörte Sachverständige R ... in seinem neurologisch-psychiatrischen
Gutachten vom 10.06.1997 als auch die im Berufungsverfahren von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr.Z ... in
ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 22.05.2000 übereinstimmend fest, die kriegsbedingten Gesundheitsstörungen
(Folgen der Vergewaltigung) seien vom Beklagten im Wesentlichen zutreffend festgestellt und ihre Bewertung mit
einer MdE um 40 v.H. ausreichend, eher als wohlwollend einzuschätzen. Zwar sagt Letzteres ausdrücklich lediglich
der Sachverständige R ..., jedoch geht die Sachverständige Dr.Z ... insgesamt aus nervenärztlicher Sicht von einer
Gesamt-MdE um 40 v.H. aus, wobei sie gleichzeitig darauf hinweist, dass eine präzise Differenzierung, welchem
Faktor (etwa Abbauprozess, Einnahme Psychopharmaka, Beeinträchtigung durch die physiologische Involution, durch
eine ethnologische Entwurzelung und durch die Konfrontation in einer konfliktreichen Ehe mit latentem
Gewaltpontential des Ehemannes) welcher Grad zuzuordnen wäre, wissenschaftlich nicht mehr möglich sei. Diese
Differenzierung von möglichen Ursachen - eine Wahrscheinlichkeit im versorgungsrechtlichen Sinne lässt sich
offensichtlich nicht begründen - lässt sich dem Gutachten des Dr.P ... (§ 109 SGG) vom 02.12.1998 dagegen nicht
entnehmen, so dass sich die Klägerin auf die dort für angemessen angesehene MdE von 80 v.H. nicht berufen kann.
So stellt Dr.P ... fest, es treffe zu, dass die Klägerin aufgrund der Schädigungsfolgen nie in der Lage war bzw. ist,
einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen; durch die Symptomatik sei eine erhebliche soziale
Anpassungsschwierigkeit verursacht; sie sei immer auf Unterstützung durch eine Begleitperson angewiesen gewesen,
eine selbständige Haushaltsführung sei ihr nicht möglich. Diese Feststellungen sind objektiv nicht belegt und beruhen
offensichtlich auf den Angaben des Ehemannes der Klägerin; sie stehen auch mit den Angaben der Klägerin
gegenüber der Sachverständigen Dr.Z ... nicht in Einklang. So fällt zunächst auf, dass ausweislich einer
"Bescheinigung über den Gesundheitszustand" der Klägerin, die vom Gemeindeamt in Gorzyce anlässlich des
Antrages der Klägerin auf Feststellung einer Invalidität am 16.02.1983 erstellt wurde, die Klägerin bis dato noch nicht
an einer entsprechenden seelischen Krankheit litt. Bei ihr wurde als "Haupterkrankung (Behinderung)" lediglich eine
"Hypertonia art." sowie als "koexistente Erkrankungen (Behinderungen): Obesitas, Cholelithiasis, Spondylosis
deformans columae vert. St. post fracturam melleoli lateralis sin" festgestellt.
Irgendwelche psychischen Störungen, die sich auf die Haushaltsführung in Polen zur damaligen Zeit auswirkten bzw.
die von Dr.P ... angeführten sozialen Anpassungsschwierigkeiten begründen könnten, lassen sich dieser
Bescheinigung nicht entnehmen.
Dem Gutachten des Dr.P ... wird darüber hinaus insoweit die Grundlage entzogen, als die persönliche Beobachtung,
Untersuchung und Befragung der Klägerin in Anwesenheit ihres Ehemannes und der 22-jährigen Enkelin Sylvia in
deren Wohnung in Regensburg, ein völlig anderes Bild der Klägerin ergibt. So bestätigt die Klägerin selbst, erst seit
drei Jahren den Haushalt nicht mehr zu machen; sie wische lediglich nur noch Staub und öffne Dosen; bei ihr müsse
alles picobello sein, sie hätte selber den Haushalt gemacht. Im Übrigen erklärte auch ihr Ehemann, als die Kinder
klein gewesen seien, sei die Klägerin noch hinausgegangen, aber nicht weit; als Marjan geboren wurde, sei sie ganz
glücklich gewesen, danach sei es ihr besser gegangen, sie konnte mit den Kindern sprechen, hätte sich gut um sie
gekümmert. Darüber hinaus gab die Klägerin an, sie interessiere sich für ihre Kinder und Enkelkinder, hätte immer
sehr wenig Ferngesehen, früher Zeitung gelesen und gern gekocht; seit ca. zwei Jahren koche sie nicht mehr, in den
letzten fünf Jahren hätten sie nur noch eine Büchse mittags aufgemacht. Im Übrigen zeigte sich die Klägerin
gegenüber der Sachverständigen Dr.Z ... kaum misstrauisch, antriebsgehemmt, im sozialen Kontakt freundlich
zugewandt und war zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht aggressiv und nicht suizidal; sie fühle sich zufrieden, wenn
die Kinder kämen, sie kämen oft. Von dem Rentenverfahren, das von ihrem Ehemann offensichtlich betrieben wird,
wusste sie nichts, auch nicht vom Sozialgerichtsverfahren.
Angesichts dieser von der Sachverständigen Dr.Z ... durchgeführten Erhebungen und Feststellungen erscheinen die
früheren Schilderungen, insbesondere seitens des Ehemannes, über die zurückgezogene und schreckhafte Art der
Klägerin zu leben, zumindest widersprüchlich. Die Anerkennung der SF "traumatisch bedingtes chronifiziertes
depressiv gefärbtes Angstsyndrom" im Bescheid vom 11.05.1989 und deren Bewertung mit einer MdE um 40 v.H.
erscheinen allerdings auch nach Auffassung des Senates angemessen, wenn man zugunsten der Klägerin davon
ausgeht, dass bei ihr seit April 1988 "stärker behindernde seelische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der
Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit" vorliegen (vgl. S.60 letzter Absatz der "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", 1996). Eine Bewertung
mit einer MdE von 50 v.H. würde bereits "schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen
sozialen Anpassungsschwierigkeiten" (vgl. Anhaltspunkte S.61) voraussetzen, die nach den Feststellungen der
Sachverständigen Dr.Z ... nicht vorliegen. Dieser Grenzbereich hat sich auch seit den "Anhaltspunkten 1983", die
zum Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der SF galten, nicht geändert, so dass sich die Klägerin auch nicht auf für
sie günstigere Kriterien beziehen kann. Eine MdE von 80 v.H. ließ sich damit 1988 nicht begründen, sie liegt derzeit
nicht vor. Im Übrigen spricht der Lebensweg der Klägerin, die geheiratet, drei Kinder bekommen und beruflich bis 1983
selbständig tätig war, ebenfalls gegen mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten. Jedenfalls bestätigt auch die
Sachverständige Dr.Z ... ab dem 01.04.1988 eine Gesamt-MdE aus nervenärztlicher Sicht von 40 v.H., wobei für die
Chronifizierung des aktuell bei der Klägerin festzustellenden psychopathologischen Leidens überwiegend
schädigungsunabhängige Faktoren veranwortlich seien. Eine wesentliche Verschlechterung dieses Leidens aufgrund
der anerkannten SF bzw. aufgrund des schädigenden Vorgangs lässt sich bei dieser Sach- und Rechtslage nicht
begründen.
Der Beklagte hat eine Erhöhung der MdE der Klägerin nach § 30 Abs.2 BVG (besonders berufliches Betroffensein)
ebenfalls von Anfang an zu Recht abgelehnt).
Weder ist die Klägerin durch die Art der Schädigungsfolgen in ihrem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen
Beruf noch in ihrem nachweisbar angestrebtem oder in einem Beruf besonders betroffen, den sie nach Eintritt der
Schädigung ausgeübt hat. Aufgrund ihrer Schulausbildung (siebenklassige Volksschule, danach drei Jahre
Kochschule/Hauswirtschaftsschule) und ihres beruflichen Werdeganges (Mitarbeit in Haushalt, Mühle und
Landwirtschaft der Eltern, der sich 1962 nach Übergabe der Landwirtschaft eine Tätigkeit als selbständige Landwirtin
anschloss), kann zu ihren Gunsten bestenfalls vom Beruf einer Köchin bzw. selbständigen Landwirtin ausgegangen
werden. Insoweit weist die Sachverständige Dr.Z ... darauf hin, dass die Klägerin "wenn", dann durch die
Schädigungsfolgen in sämtlichen Betätigungsbereichen (Hausfrau, Mutter, Kleinbäuerin, abhängige Erwerbstätigkeit
als Packererin oder Reinemachefrau in einer Mühle) gleichermaßen betroffen gewesen sei; das Gewaltereignis vom
März 1945 hätte sie dabei aus nervenärztlicher Sicht mehr in ihrer Beziehungsfähigkeit (d.h. ihrer Funktion als
Hausfrau, Mutter und Ehefrau) beeinträchtigt als im Rahmen einer Tätigkeit, die wenig bis kaum Beziehungsaufnahme
erfordert. Daraus ergibt sich, dass von einem besonderen beruflichen Betroffensein der Klägerin nicht gesprochen
werden kann. Als Tochter eines Mühlenbesitzers hat sie Zeit ihres Lebens im eigenen Haus mit eigener kleiner
Landwirtschaft gelebt und (mit)gearbeitet sowie darüber hinaus in der Zeit von 1977 bis 1982 ausweislich der
beigezogenen Rentenakten Beiträge zur Rentenversicherung in Polen geleistet (s. Landwirtschaftsabgabebuch).
Obwohl sie nach ihren und ihres Mannes Angaben offensichtlich hervorragend kochen konnte, hat sie eine abhängige
Beschäftigung als Köchin weder angestrebt, noch war eine solche von der Familie jemals beabsichtigt. Dass sie
möglicherweise die landwirtschaftlichen Arbeiten und die Arbeiten in der Mühle nicht immer allein bewältigen konnte,
sondern auf die Mithilfe der Familienangehörigen angewiesen war, erklärt sich zum einen aus ihrer Mutterschaft (drei
Kinder), zum anderen daraus, dass es sich um einen typischen Familienbetrieb handelte, der auf die Mithilfe aller
Familienmitglieder angewiesen war; diesen Tätigkeiten und diesem Berufsbild fühlte sich die Klägerin offensichtlich ihr
Leben lang verbunden, besonders beruflich betroffen war sie dabei nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).