Urteil des LSG Bayern vom 09.10.2006

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Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 09.10.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 AS 447/06
Bayerisches Landessozialgericht L 7 B 616/06 AS PKH
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juli 2006 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte aufgelaufene Stromkosten des Beschwerdeführers (Bf) als
Darlehen zu übernehmen hat.
Seit 01.01.2005 bezieht der 1950 geborene Bf, der mit seiner Ehefrau in Bedarfsgemeinschaft lebt, Arbeitslosengeld II
(Alg II). Am 10.05.2006 beantragte er bei der Beschwerdegegnerin (Bg) telefonisch die Übernahme von Stromkosten
bzw. die Gewährung eines entsprechenden Darlehens, weil ihm am Nachmittag der Strom gesperrt worden sei. Der Bf
hatte letztmals am 20.04. 2005 eine monatliche Abschlagszahlung in Höhe von 230 EUR geleistet. Die
Stromversorgung wurde am 21.06.2006 wieder freigeschaltet, nachdem der Bf zugesagt hatte, einen Betrag von 100
EUR an den Stromversorger zu zahlen. Bis zur Stromabschaltung hatten die offenen Kosten 2.254,98 EUR betragen.
Am 16.05.2006 teilte der Energieversorger der Beklagten mit, dass er die Stromlieferung auch bei einer nur
siebzigprozentigen Zahlung (d.h. 1.579 EUR) wieder aufgenommen hätte. Eine Sperrung der Stromversorgung wäre
vermeidbar gewesen, wenn der Bf im Vorfeld Angebote für Teilzahlungen oder Ratenabwicklung gemacht hätte.
Mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte der Bf vor dem Sozialgericht Augsburg (SG) geltend
gemacht, seine Ehefrau sei wegen einer Diabeteserkrankung auf gekühlte Lebensmittel bzw. gekühlte Insulin-
Injektionen angewiesen. Nach einer von der Beklagten eingeholten Auskunft einer Apotheke, muss nicht die gesamte
Menge des verordneten Insulins abgeholt werden. Es bestehe die Möglichkeit, nur die jeweils benötigte Menge
abzuholen. Eine Kühlung sei nur erforderlich, wenn das Insulin für längere Zeit auf Vorrat gelagert werde.
Mit Bescheid vom 18.05.2006 lehnte die Beklagte die Übernahme der rückständigen Stromkosten mit der Begründung
ab, der Bf ha-be, obwohl er laufend Alg II erhalten habe, die Stromkosten nicht bezahlt. Er habe lediglich am
20.04.2005 230 EUR bezahlt. Es ergebe sich die Prognose, dass auch künftig die Stromkosten nicht gezahlt würden.
Der Widerspruch, mit dem der Bf geltend machte, die Beklagte habe zur Frage der Kühlung des Insulins nicht ihre
Amtsärztin gehört, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.06.2006).
Mit seiner am 06.06.2006 zum SG erhobenen Klage machte der Bf wiederum geltend, seine Ehefrau müsse das von
ihr benötigte Insulin kühlen. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, die mit Beschluss
vom 28.07.2006 abgelehnt wurde, weil es an der hinreichenden Erfolgsaussicht fehle. Das SG hat die Klage mit
Gerichtsbescheid vom 28.07.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, nach § 22 Abs. 5
Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) könnten Schulden übernommen werden. Der Leistungsträger habe dabei
eine Ermessensentscheidung zu treffen. Es müsse der Verlust der Unterkunft drohen oder aktuell eine vergleichbare
Notlage bestehen. Gerechtfertigt sei die Übernahme von Schulden dann, wenn der Hilfebedürftige dadurch wieder in
die Lage versetzt werde, seinen Bedarf künftig aus eigenen Mitteln zu decken. Dem Bf drohe aber keine
Wohnungslosigkeit, weil er zum 01.07.2006 eine andere Wohnung angemietet habe. Wenn der Umzug in den Bereich
eines anderen Energieversorgers erfolge, könnten aus den aufgelaufenen Schulden aus Stromlieferungen auch keine
aktuellen Stromversorgungsprobleme in der neuen Wohnung entstehen. Bezüglich der Höhe der Schulden für den
Strom sei der Hinweis der Beklagten zutreffend, dass sie auch aus dem Bewohnen eines unangemessen großen
Hauses resultierten. Es handele sich um eine Ermessensleistung, bei der die gerichtliche Überprüfbarkeit
eingeschränkt sei. Die Ermessenserwägungen der Beklagten seien sachgerecht. Ein Ermessensfehlgebrauch liege
nicht vor.
Der Bf hat gegen den Beschluss am 06.08.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Zur
Begründung macht er im Wesentlichen geltend, die Ermessenserwägungen seien sehr einseitig.
II.
Die zulässige Beschwerde ist sachlich nicht begründet, weil das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht
abgelehnt hat; denn bei summarischer Prüfung bestehen für das Begehren des Bf keine hinreichenden
Erfolgsaussichten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114
Zivilprozessordnung (ZPO) u.a. voraus, dass für die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten
bestehen. Es bestehen aber erhebliche Zweifel, dass dem Bf ein Anspruch auf die Bewilligung eines Darlehens zur
Tilgung der aufgelaufenen Stromkosten zusteht. Nach § 23 Abs. 5 SGB II (in der seit 01.04.2006 gültigen Fassung)
können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer
vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist
und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.
Zutreffend hat das SG im Gerichtsbescheid ausgeführt, dass der Beklagten bei der Entscheidung, ob sie ein Darlehen
bewilligt, ein Ermessen zusteht. Wie sich aus Blatt C 519 der Beklagtenakte ergibt, hat sie das Für und Wider einer
Darlehensbewilligung eingehend abgewogen. Als Grund für eine Bewilligung sah sie lediglich die Lebenseinschränkung
und die Kühlung des Insulins an. Gegen die Darlehensgewährung sprachen nach ihrer Ansicht u.a. folgende
Gründe:
monatelang keinen Strom gezahlt, keine Ratenzahlung vereinbart, keine Kleinkinder im Haushalt, Höhe der
aufgelaufenen Schulden, Insulinvorrat kann in Apotheke gekühlt werden, Unterkunft ohnehin durch Räumungsklage
gefährdet, Stromkosten weit überhöht, da unangemessene Unterkunft.
Die Gerichte sind bezüglich der Überprüfung von Ermessensent-scheidungen eines Leistungsträgers gemäß § 54 Abs.
2 Satz 2 SGG darauf beschränkt zu kontrollieren, ob dieser (1.) seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung
nachgekommen ist (Ermessens-nichtgebrauch), er (2.) mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens überschritten hat, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt hat
(Ermessensüberschreitung), oder (3.) von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch). - Bei der Überprüfung darf das Gericht
nicht eigene Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen des Leistungsträgers setzen. Die Prüfung hat sich auf
die Frage zu beschränken, ob die dargelegten Ermessenserwägungen den Rahmen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2
Satz 2 SGG überschreiten.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei summarischer Überprü-fung nicht davon auszugehen, dass die Beklagte
im dargestellten Sinne ermessensfehlerhaft gehandelt hat. Der Bf macht zwar gel-tend, die Ermessenserwägungen
der Beklagten seien sehr einsei-tig, worin diese Einseitigkeit besteht, hat er jedoch nicht dargestellt. Dass das Insulin
nicht gekühlt werden musste, ist nach der von der Beklagten eingeholten Auskunft einer Apotheke schlüssig und
bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Ob der Kläger das Darlehen in absehbarer Zeit zurückzahlen kann, ist
zumindest fraglich; denn der Kläger hat 2004 zwei Autos gekauft, für die er Darlehen aufgenommen hat, die er
monatlich bis zum Jahr 2010 mit 326,25 EUR und 290,92 EUR tilgen muss.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit einem weiteren Rechtsmittel anfechtbar.