Urteil des LSG Bayern vom 25.02.1999

LSG Bayern: kaufmännischer angestellter, firma, bekanntgabe, vertretung, verwaltungsakt, sperre, form, datum, sicherheit, absendung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.02.1999 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 8 AL 31/97
Bayerisches Landessozialgericht L 8 B 308/98 AL PKH
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 22. September 1998
aufgehoben. Dem Kläger wird für das sozialgerichtliche Verfahren ab Antragstellung Prozeßkostenhilfe bewilligt und
Rechtsanwalt ..., Kötzting, beigeordnet.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) ein Rechtsstreit über das Ruhen der Leistung
wegen des Eintritts einer Sperrzeit von zwölf Wochen streitig.
Der am ...1947 geborene Kläger und Beschwerdeführer (Bf.), dessen seit dem 16.08.1994 bestehendes
Arbeitsverhältnis als kaufmännischer Angestellter bei der Firma ... -Spedition seitens des Arbeitgebers wegen
"Unterschlagung von Bareinnahmen" am 04.06.1996 zum 30.06.1996 gekündigt wurde, beantragte am 27.06.1996
Arbeitslosengeld (Alg), das ihm die Beklagte ab 23.09.1996 (Bescheidverfügung vom 21.10.1996) für 579 Tage
bewilligte.
Mit einem weiteren Bescheid, der in der Aktendurchschrift den Datumsstempel vom 28.10.1996 trägt, stellte die
Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit für die Zeit vom 01.07.1996 bis 22.09.1996 (zwölf Wochen) fest. Unter
Bezugnahme auf den Bewilligungsbescheid wurde darin u.a. mitgeteilt, daß während dieser Zeit der Anspruch auf Alg
ruhe, und der Bf. infolgedessen Leistungen erst nach Ablauf der Sperrzeit erhalte. Die Sperrzeit mindere seinen
Anspruch auf Alg um 169 Tage.
Mit einem am 25.10.1996 beim Arbeitsamt Schwandorf eingegangenen Schreiben (Fax) legte der Bf. gegen einen
Bescheid vom 16.10.1996, der eine wöchentliche Anrechnung von 10,00 DM auf den Alg-Anspruch betraf, Einspruch
ein. Darin wandte er sich auch gegen die "aufgrund falscher Behauptungen seitens der Firma ..." verhängte Sperre
von drei Monaten und verlangte die Nachzahlung des Alg für die Monate Juli bis September.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.1996 wies die Beklagte den Widerspruch "gegen den Bescheid vom
23.10.1996" als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Bf. am 17.01.1997 Klage zum SG. Mit Schriftsatz vom
13.02.1997 beantragte er die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ...
Mit Bescheid vom 22.09.1998 lehnte das SG den Antrag ab; eine hinreichende Erfolgsaussicht sei nicht gegeben.
Das als Widerspruch herangezogene Schreiben vom 24.10.1996 datiere aus der Zeit vor Erlaß des mit der Klage
angefochtenen Bescheides vom 28.10.1996. Das Widerspruchsschreiben beziehe sich ausdrücklich lediglich auf den
Bescheid vom 16.10.1996. Wegen des Fehlens eines Widerspruchs erweise sich der Bescheid vom 28.10.1996 nach
der derzeitigen Sach- und Rechtslage als bereits rechtsverbindlich.
Gegen den am 02.10.1998 zugestellten Beschluss legte der Bf. am 02.11.1998 Beschwerde ein, der das SG nicht
abhalf.
II.
Die Beschwerde des Bf. ist gemäß § 172 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Das Rechtsmittel ist form- und
fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG). Es erweist sich auch als begründet.
Nach § 73 a SGG gelten für die Prozeßkostenhilfe in der Sozialgerichtsbarkeit die Vorschriften der Zivilprozeßordnung
(§§ 114 ff. ZPO) entsprechend. Danach setzt die Gewährung von Prozeßkostenhilfe voraus, daß der Antragsteller
bedürftig ist, der Prozeß hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint (§
114 ZPO). Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht der Anspruch auf Prozeßkostenhilfe lediglich in der endgültig oder
vorläufig kostenfreien Beiordnung eines Rechtsanwalts, nachdem das Verfahren selbst nach § 183 SGG grundsätzlich
kostenfrei ist. Die Beiordnung eines Anwalts kommt im gerichtlichen Verfahren, in dem eine Vertretung durch
Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben ist, was mit Ausnahme des Revisionsverfahrens im sozialgerichtlichen Verfahren
der Fall ist (§§ 73, 166 SGG), nur dann in Betracht, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich
erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs.2 Satz 1 ZPO).
Im Gegensatz zur Auffassung des SG kann bei der im Rahmen der Prozeßkostenhilfe gebotenen prognostischen und
überschlägigen Betrachtungsweise eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden.
Dem SG ist zuzugeben, daß ein Widerspruch unzulässig ist, wenn ein Verwaltungsakt noch nicht vorliegt, und ein
"vorsorglicher" Widerspruch, der bereits vor Erlaß oder Bekanntgabe des Verwaltungsaktes eingelegt wird, auch dann
unzulässig bleibt, wenn der Verwaltungsakt nach Einlegung des Widerspruchs ergeht (vgl. Schlegel in Henning, SGG,
Rdnr.7 zu § 83; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, Rdnr.3 zu § 83; jeweils mit Rechtsprechungshinweisen). Denn ein
Rechtsbehelf setzt eine Beschwer voraus, die im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsbehelfes vorliegen muß
(BVerwG vom 31.08.1966, BVerwGE 25, 20).
Ob im vorliegenden Fall der Widerspruch ohne eine solche Beschwer eingelegt wurde, kann ohne nähere Ermittlungen
jedoch nicht angenommen werden. Dabei unterliegt es keinem ernsthaften Zweifel, daß der Bf. sich gegen eine
Sperrzeit und ein Ruhen des Anspruchs für die Zeit der Monate "Juli bis September" wendet und er eine
Negativentscheidung der Beklagten überprüft haben wollte. Der Annahme des SG, hierbei sei lediglich eine "Bitte"
hinsichtlich zukünftiger Entscheidungen ausgedrückt worden, kann angesichts des klaren Wortlautes nicht gefolgt
werden.
Es steht zunächst nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, welches Datum der Sperrzeitbescheid, wie er dem Bf.
zuging, tatsächlich trägt. Im Widerspruchsbescheid wird ein Bescheid vom 23.10.1996 genannt und laut Klageantrag
wird ebenfalls ein Bescheid vom 23.10.1996 angefochten. Die Aktendurchschrift weist zwar den Stempelaufdruck "28.
Okt. 1996" auf, schließt aber nicht völlig aus, daß ein früherer Stempelaufdruck überdruckt wurde. Nach
Aktendurchschrift erfolgte die Absendung des Sperrzeitbescheides zwar am 28.10.1996. Dies schließt eine frühere
Bekanntgabe im Sinne des § 37 SGB X nicht aus. Für eine frühere Bekanntgabe spricht, daß der Bf. in seinem
Widerspruch von der "verhängten Sperre" spricht.
Weiterhin bedarf es der Klärung, ob in dem Bewilligungsbescheid, der am 21.10.1996 verfügt und am 22.10.1996
geprüft wurde, eine teilweise Ablehnung der Leistung für die Sperrzeit vom 01.07.1996 bis 22.09.1996 liegt. Davon
wäre jedenfalls dann auszugehen, wenn dieser Bescheid nicht erkennbar sich eine Entscheidung über die Ruhenszeit
einer möglichen Sperrzeit vorbehalten hätte. Die Bescheidverfügung jedenfalls geht von einer eingetretenen Sperrzeit
aus. Gegebenenfalls müßte eine Beschwer zum Zeitpunkt des Widerspruchs angenommen werden.
Unabhängig davon stellt sich zudem die Rechtsfrage, ob wegen der im angefochtenen Widerspruchsbescheid
erfolgten Sachentscheidung die Grundsätze anzuwenden sind, wie sie bei einer von der Behörde verkannten Form-
und Fristverletzung eines Widerspruchs angenommen werden, wonach ein materielles Prüfungsrecht im Klagewege
bejaht wird (vgl. Schlegel in Henninger, a.a.O., Rdnr.21 zu § 84; Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr.7 zu § 84).
In der Sache selbst wurde vom Bf. eingewandt, eine Absprache über einen Vorschuß getroffen und diesen Betrag
genehmigterweise entnommen zu haben. Zur Klärung dieses Einwandes erscheint die Einvernahme des Zeugen ...
zwingend, zumal die Auskunft der Firma ... nicht von diesem unterzeichnet wurde. Eine ausreichende Erfolgsaussicht
kann daher auch insoweit nicht verneint werden.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Sinne des § 121 Abs.2 Satz 1 ZPO erscheint im Hinblick auf die schwierige
Sach- und Rechtslage und im Hinblick auf eine erforderlich erscheinende Beweiserhebung auch erforderlich.
Der Kläger ist auch bedürftig im Sinne des § 114 Satz 2 ZPO, wie sich aus seiner Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt.
Auf die Beschwerde war deshalb der Beschluss des SG aufzuheben und dem Kläger unter Beiordnung des von ihm
gewünschten Rechtsanwaltes Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
Dieser Beschluss ist nicht mit einem weiteren Rechtsmittel anfechtbar (§ 177 SGG).