Urteil des LSG Bayern vom 18.09.2003

LSG Bayern: abkommen über soziale sicherheit, eintritt des versicherungsfalles, rentenanspruch, erwerbsfähigkeit, heimat, näherin, nichterfüllung, ausländer, unterbrechung, erhaltung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.09.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 RJ 1346/01 A
Bayerisches Landessozialgericht L 14 RJ 572/02
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14. Juni 2002 wird zurückgewiesen mit der
Maßgabe, dass die Klage gegen den Bescheid vom 16. August 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 11. Juli 2003 abzuweisen ist. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die 1947 geborene Klägerin, eine Slowenin, hat keinen Beruf erlernt und war in der Bundesrepublik Deutschland von
November 1967 bis Juli 1983 als Näherin versicherungspflichtig beschäftigt. In ihrer Heimat sind keine
Versicherungszeiten zurückgelegt.
Am 01.06.2000 stellte sie in Slowenien den Rentenantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 13.11.2000 ablehnte,
da aktenkundig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Mit ihrem Widerspruch benannte die
Klägerin Ärzte aus der Zeit ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik, weil der Versicherungsfall schon vor
Antragstellung eingetreten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück;
denn es fehle die Beschwer, wenn im Ablehnungsbescheid - wie geschehen - die Prüfung des Eintritts des
Versicherungsfalles zu einem früheren Zeitpunkt zugesagt worden sei.
Mit Schreiben vom 27.04.2001 verlangte die Klägerin, die ergangenen Bescheide zu überprüfen und erneut über ihren
Rentenantrag zu entscheiden. Nach Auswertung umfangreicher, von der Klägerin überlassener medizinischer
Unterlagen durch Dr.D. vom Medizinalreferat der Beklagten erließ die Beklagte gemäß § 44 des Zehnten Buches des
Sozialgesetzbuches den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid vom 16.08.2001: Da die Klägerin nach den
ärztlichen Feststellungen unter Beachtung des Gesundheitszustandes noch mindestens sechs Stunden täglich unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne, bestehe kein Anspruch auf
Rente.
Auf die gegen den Widerspruchsbescheid vom 08.03.2001 gerichtete, im November 2001 bei der Beklagten
eingereichte Klage ignorierte das Sozialgericht den Hinweis der Beklagten, die Klage sei unzulässig, und trat sofort in
die Beweisaufnahme ein. Es beauftragte die Sozialmedizinerin Dr.T. mit der Untersuchung und Begutachtung. Im
Gutachten vom 13.06.2002 kam diese in Auswertung und Mitberücksichtigung zahlreicher Zusatzbefunde des
Klinikums Landshut und unter Berücksichtigung der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und internistischem
Gebiet zur Leistungsbeurteilung, dass die Klägerin zwar nicht mehr als Näherin einsetzbar sei, leichte Arbeiten aus
wechselnder Ausgangslage überwiegend im Sitzen, in geschlossenen, wohl temperierten Räumen ohne Anforderungen
an die nervliche Belastbarkeit noch vollschichtig verrichten könne. Die Umstellungsfähigkeit sei alters- und
ausbildungsentsprechend.
Die in der mündlichen Verhandlung auf Aufhebung des Bescheides vom 13.11.2000 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.02. 2001 und des Bescheides vom 16.08.2001 gerichtete Klage wies das
Sozialgericht mit Urteil vom 14.06.2002 ab. Unter ausführlicher Darstellung des deutschen Rentenrechts in den bis
Dezember 2000 geltenden Fassungen und des ab 01.01.2001 geltenden Rechts der teilweisen bzw. vollen
Erwerbsminderung habe die ungelernte Klägerin keinen Rentenanspruch, da sie noch vollschichtig leichte Arbeiten mit
gewissen sachlichen Einschränkungen verrichten könne.
Mit dem Rechtsmittel der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Auf den Hinweis des Senats, dass neben dem fehlenden Eintritt des Versicherungsfalles auch die besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weist die Klägerin darauf hin, dass in ihrem Fall das seit
1999 in Kraft getretene deutsch-slowenische Abkommen über Soziale Sicherheit zu beachten sei. Auch die weitere
Mitteilung des Senats, das Abkommen könne vorliegend nicht zur Anwendung kommen, da keinerlei
Versicherungszeit in der Heimat zurückgelegt sei, ließ die Klägerin auf ihrem Rentenbegehren beharren, zumal nach
slowenischer Praxis ein Kollegium von drei Ärzten über die Invalidität zu befinden habe.
Im Verlauf des Berufungsverfahrens gab der Senat der Beklagten Gelegenheit, das Widerspruchsverfahren gegen den
Ablehnungsbescheid vom 16.08.2001 nachzuholen (zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 11.07.2003).
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14.06.2001 und den Bescheid der
Beklagten vom 16.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2003 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antrag zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Rentenakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Zur
Ergänzung des Tatbestandes wird wegen der Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Klägerin,
hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 f. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist
zulässig, sachlich aber unbegründet. Der in offener Frist gegen den Bescheid vom 16.08.2001 in Gestalt des - im
Berufungsverfahren- gerichteten Klage war der Erfolg zu versagen. Denn zu Recht haben im Ergebnis die Beklagte
und das Sozialgericht einen Rentenanspruch der Klägerin, wenn auch mit unterschiedlicher, aber jeweils zutreffender
Begründung, verneint.
Nach den vom Sozialgericht in verständiger Form und inhaltlich vollständig dargelegten Bestimmungen über
Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - in den bis Dezember 2000 geltenden Fassungen und der
gesetzlichen Neufassung ab 01.01. 2001 - hat Anspruch auf Rente die Versicherte, bei der der Versicherungsfall (der
Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit - a.F. -, teilweiser oder voller Erwerbsminderung) eingetreten ist und die die
besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Vorliegend kann nach Auffassung des Senats weder
das eine noch das andere festgestellt werden, obgleich beide Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein müssen und
schon das Fehlen einer Voraussetzung einem Rentenanspruch entgegensteht.
Zwar erfüllt die Klägerin die Mindestwartezeit von 60 Kalendermonaten als Minimalvoraussetzung für einen
Rentenanspruch. Ihr Begehren scheitert aber schon am Nichtvorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
für eine Rente. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz hat der deutsche Rentengesetzgeber die Gewährung von Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab 01.01.1984 verschärft. Dem lag die Überlegung zu Grunde, dass
gesundheitlich bedingte Renten nur mehr gewährt werden dürfen, wenn der Versicherte zeitnah aus dem Erwerbsleben
wegen Krankheit oder anderer Gebrechen ausscheidet. Insoweit hat der Gesetzgeber einen zeitlichen Rahmen
vorgegeben, als derartige Rentenleistungen nur mehr derjenige Versicherte erhalten darf, der innerhalb der letzten fünf
Jahre vor Eintritt des Leistungsfalles (also des Versicherungsfalles der verminderten Erwerbsfähigkeit) mindestens
drei Jahre lang versicherungspflichtig gearbeitet hat und somit mindestens 36 Monate lang Pflichtbeiträge in der
Rentenversicherung entrichtet hat. Diese Gesetzesänderung ist vom höchsten deutschen Gericht, dem
Bundesverfassungsgericht, für verfassungskonform erklärt worden mit der Maßgabe, dass ab 01.01.1984 die
Rentenanwartschaft auch mit freiwilligen Beiträgen ohne jede Unterbrechung aufrechterhalten werden kann. Diese
gesetzlichen Anforderungen gelten für jeden Versicherten, gleich ob es sich um einen deutschen Staatsangehörigen
handelt oder um einen Ausländer, der in der Bundesre- publik Deutschland Rentenversicherungszeiten zurückgelegt
hat.
Da die Klägerin ihren letzten Pflichtbeitrag im Juli 1983 entrichtet hat, hätte der rentenauslösende Versicherungsfall
spätestens im Juli 1985 eingetreten sein müssen. Dies hat die Beklagte unter Auswertung der Aktenlage erkannt und
in Würdigung der Sach- und Rechtslage wegen Fehlens der rechtlichen Voraussetzungen (Nichterfüllung der
dargestellten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) einen Rentenanspruch (schon mit -
nichtstreitgegenständlichem - Bescheid vom 13.11.2000) verneint. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte
Möglichkeit der Erhaltung der Rentenanwartschaft durch Entrichtung freiwilliger Beiträge ist für die Klägerin wenig
hilfreich, da insoweit eine lückenlose Belegung für jeden Monat ab 01.01.1984 entrichteter Beiträge verlangt wird,
deren Lücke bei einer Rentenantragstellung im Jahre 2000 nicht mehr zulässig geschlossen werden kann. Darüber
hinaus fehlt jeder Anhalt für sonstige Anwartschaftserhaltungszeiten. Der von der Klägerin - wohl - in diesem
Zusammenhang geäußerte Hinweis auf das seit 1999 in Kraft getretene deutsch-slowenische Abkommen über Soziale
Sicherheit ist vorliegend ohne Belang, da vordergründig nur in der Heimat bereits bezogene Rentenzeiten
anwartschaftserhaltend Berücksichtigung finden könnten. Der Klägerin ist aber bewusst, dass sie in ihrer Heimat
keine Beiträge entrichtet hat und somit keinen Rentenanspruch erwerben konnte.
Bei der Klägerin ist darüber hinaus der Versicherungsfall noch nicht einmal nach Rentenantrag eingetreten. Nach dem
gründlichen und umfassende Zusatzbefunde berücksichtigenden Gutachten der Sozialmedizinerin Dr.T. ist noch im
Jahre 2002 ein Leistungsvermögen vorhanden, das nicht einmal auf teilweise Erwerbsminderung (unter sechs Stunden
täglich) abgesunken ist. Nach den auch den Senat überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen ist die
Klägerin immer noch in der Lage, unter Beachtung gewisser sachlicher Einschränkungen vollschichtig (acht Stunden
täglich) leichte Arbeiten zu verrichten. Zwar mag die Klägerin bei Beachtung der notwendigen sachlichen
Einschränkungen nicht mehr in ihrer früheren Tätigkeit als Näherin einsatzfähig sein; doch hierauf kommt es nicht an.
Denn die Klägerin ist ohne Berufsausbildung als ungelernte Versicherte zu qualifizieren und damit breit auf alle
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Der in ihrer Heimat üblichen Form der Überprüfung des
Gesundheitszustandes durch einen ärztlichen Dreier-Ausschuss - wie von der Klägerin moniert - bedarf es nach den
Grundsätzen des deutschen Rentenversicherungsrechts nicht. Es ist nach diesen Grundsätzen ausreichend, wenn
den geäußerten Beschwerden - wie geschehen - durch umfassende klinische Zusatzbefunde - EKG,
Belastungsergometrie bis 100 Watt, Echokardiografie, Lungenfunktionsprüfung, Ultraschalluntersuchung des
Pankreas, der Leber, der Galle, der Milz, der Nieren usw., Kontrolle sämtlicher Laborparameter, Röntgen des Thorax,
der Halswirbelsäule, der Lendenwirbelsäule, des Beckens mit axialer Hüfte, beider Kniegelenke und beider Hände -
nachgegangen wird und eine im Rentenrecht erfahrene und kompetente Sachverständige eine schlüssige und
nachvollziehbare Leistungsbeurteilung abgegeben hat.
Da der Klägerin nach keiner Betrachtungsweise ein Rentenanspruch zusteht, verbleibt ihr wie einem deutschen
Versicherten bei gleichem Versicherungsverlauf nur die Möglichkeit, die Regelaltersrente einer 65-jährigen
Versicherten abzuwarten.
Nach alldem war die Berufung mit der im Tenor korrigierten Maßgabe zurückzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus
§ 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind ersichtlich.