Urteil des LSG Bayern vom 27.10.2008

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.10.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 6 AL 254/08
Bayerisches Landessozialgericht L 10 B 715/08 AL PKH
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes vom 18.07.2008 im Verfahren S 6 AL 254/08 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Die Klägerin begehrt im Verfahren vor dem Sozialgericht
Nürnberg (SG) die Gewährung einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme.
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten erstmals im Jahr 1998 Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, die mit
Bescheid vom 10.02.2004 eingestellt wurden, nachdem die Klägerin ab dem 01.10.2003 eine selbständige Tätigkeit
aufgenommen hatte. Nach Bestandskraft dieses Bescheides meldete sich die Klägerin im April 2004 bei der
Beklagten und begehrte - unter Hinweis auf die Aufgabe der selbständigen Tätigkeit - erneut Leistungen der
beruflichen Rehabilitation.
In der Folgezeit beabsichtigte sie, einen Lehrgang zur Betriebswirtin für Sozialwesen bzw. zur
Krankenhausbetriebswirtin zu absolvieren. Mit Schreiben vom 15.05.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass
eine Weiterbildung zur Krankenhausbetriebswirtin nicht möglich sei, weil insoweit eine vorhergehende Beratung noch
nicht stattgefunden habe. Nach Anfrage des Bevollmächtigten der Klägerin teilte die Beklagte diesem mit Schreiben
vom 18.08.2006 mit, dass es sich bei dem Hinweis vom 15.05.2006 nicht um eine ablehnende Entscheidung in Bezug
auf eine konkrete Weiterbildungsmaßnahme gehandelt habe, und dass die Klägerin zur weiteren Klärung der
beruflichen Rehabilitation zu einem Gespräch eingeladen werde.
Mit Bescheid vom 11.05.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie das Rehabilitationsverfahren als
abgeschlossen ansehe, weil die Klägerin zum 01.05.2007 ein neues Beschäftigungsverhältnis - bei der Fa. F.
International - aufgenommen habe, von dem man ausgehe, dass dieser Arbeitsplatz gesundheitlich geeignet sei.
Soweit zu einem späteren Zeitpunkt erneut Leistungen zur Teilhabe erforderlich sein sollten, sei ein neuer Antrag zu
stellen. Der Eingang eines Widerspruches in Bezug auf diesen Bescheid findet sich nicht in den Akten.
Der Bevollmächtigte der Klägerin rügte mit Schriftsatz vom 28.02.2008, dass die Klägerin - entgegen der Ankündigung
im Schreiben vom 18.08.2006 - noch immer nicht zu einem Gespräch hinsichtlich des weiteren
Rehabilitationsverlaufes eingeladen worden sei. Hierauf erwiderte die Beklagte (Schreiben vom 14.03.2008), dass
nach verschiedenen Gesprächen (Ende 2006/ Anfang 2007) das Rehabilitationsverfahren - nach Aufnahme einer
Beschäftigung durch die Klägerin - mit bestandskräftigen Bescheid vom 11.05.2007 abgeschlossen worden sei, und
man habe die Klägerin bereits am 03.03.2008 telefonisch auf die Notwendigkeit eines erneuten Antrages hingewiesen;
die an die Klägerin übersandten Antragsunterlagen sollten zügig zurückgesandt werden, da auch die
Leistungsträgerschaft des Rentenversicherungsträgers in Betracht zu ziehen sei.
Im Schriftsatz vom 28.03.2008 mahnte der Bevollmächtigte der Klägerin - mit der Ankündigung einer
Untätigkeitsklage - eine eiligste Bearbeitung der Angelegenheit an, weil die Klägerin zum nächst möglichen Termin -
im April 2008 - die Maßnahme beginnen wolle.
Mit Schreiben vom 05.04.2008 übersandte die Klägerin der Beklagten die Unterlagen in Bezug auf den erneuten
Rehabilitationsantrag. Nach dem Vermerk auf dem Antragsformular wurden die Antragsunterlagen der Klägerin am
03.03.2008 ausgehändigt und gingen am 14.04.2008 bei der Beklagten ein.
Mit weiterem Schreiben vom 07.04.2008 machte der Bevollmächtigte der Klägerin geltend, dass bereits mit Schreiben
vom 31.05.2007 die Klägerin persönlich Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.05.2007 eingelegt habe.
Am 15.04.2008 leitete die Beklagte den am 14.04.2008 schriftlich eingegangenen Rehabilitationsantrag - unter Hinweis
auf § 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - an den nach ihrer Auffassung zuständigen
Rentenversicherungsträger (Bund) weiter.
Nachdem der Eingang eines Schreibens vom 31.05.2007 in den Akten der Beklagte nicht zu verzeichnen war, fasste
diese das Schreiben vom 07.04.2008 als Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.05.2007 auf und wies diesen
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2008 wegen Verfristung als unzulässig zurück.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 21.05.2008 Klage (S 6 AL 254/08) zum Sozialgericht
Nürnberg (SG) erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung des Rechtsanwaltes M. aus
B-Stadt beantragt. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.05.2007 sei am Tage des Schreibens (31.05.2007)
oder am Folgetag zur Post gegeben worden. Auch werde bestritten, dass der Bescheid am 11.05.2007 an diesem Tag
zur Post gegeben worden sei. Zuletzt sei der Widerspruch, auch wenn er nach Ablauf der Widerspruchsfrist
eingegangen sein sollte, als Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu verstehen, über den die
Beklagte zu entscheiden habe.
Das SG hat mit Beschluss vom 18.07.2008 die Bewilligung von PKH abgelehnt. Nach Lage der Beklagtenakten sei
ein Widerspruch der Klägerin vom 31.05.2007 gegen den Aufhebungsbescheid vom 11.05.2007 nicht ersichtlich, so
dass der am 08.04.2008 eingegangene Widerspruch - nach summarischer Prüfung - zu Recht als unzulässig
angesehen worden sei.
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 08.08.2008 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht
eingelegt. Eine Erfolgsaussicht habe das SG nicht verneinen dürfen, denn der Beklagten war zumindest aufzugeben
im Rahmen des Widerspruches über die Frage der Wiedereinsetzung zu entscheiden oder den Antrag im Rahmen des
§ 44 SGB X zu überprüfen. Es sei daher zumindest für den Antrag auf "Feststellung, dass der Bescheid vom
11.05.2007 rechtswidrig war und die Beklagte über einen Antrag nach § 44 SGB X neu entscheiden muss bzw.
Wiedereinsetzung zu gewähren hat" PKH zu gewähren. Im Übrigen werde erneut bestritten, dass der Widerspruch
vom 31.05.2007 bei der Beklagten nicht eingegangen sei.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagte, des Beigeladenen sowie
die gerichtlichen Akten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägerin ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein Abhilfeverfahren war nicht mehr erforderlich, nachdem § 174 SGG mit Wirkung ab 01.04.2008 ohne
Übergangsvorschrift ersatzlos entfallen ist (Art 1 Nr.30, Art 5 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes
und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 - BGBl. I S 444). In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als
nicht begründet.
Nach § 73a Absatz 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz) i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO (Zivilprozessordnung) erhält PKH eine
Partei (im sozialgerichtlichen Verfahren: Beteiligter), die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht zwar nicht überspannt werden.
Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG
vom 17.02.98 - B 13 RJ 83/97 R). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller/ Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rn.7) ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht
den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für
zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH-
Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Allerdings müssen dabei letzte Zweifel an der
rechtlichen Beurteilung nicht ausgeschlossen werden. (Düring in Jansen Kommentar zum SGG, 1. Auflage 2003, §
73a Rn.7)
Unabhängig davon, ob die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH vorliegen,
ist die Beschwerde zurückzuweisen, weil eine hinreichende Erfolgsaussicht fehlt.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass im Verfahren vor dem SG allein die Frage zu klären sein wird, ob der Bescheid
vom 11.05.2007 fristgemäß mit Widerspruch angefochten worden ist. Insofern ist auch die Frage der
Wiedereinsetzung zu klären, d.h. ob der Widerspruch vom 31.05.2007 (gegen den Bescheid vom 11.05.2007) ohne
Verschulden der Klägerin erst am 08.04.2008 (mit dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 07.04.2008) bei der
Beklagten eingegangen ist.
Nach den vorliegenden Unterlagen der Beklagten ist das Schreiben der Klägerin vom 31.05.2007 nicht zeitnah zum
Datum seiner Erstellung bei der Beklagten eingegangen, sondern ist erst mit dem Schreiben des Bevollmächtigten am
08.04.2008 an die Beklagte übersandt worden.
In diesem Zusammenhang kann sich die Beklagte zwar nicht auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 SGB X berufen,
weil sich auf dem Bescheidentwurf in der Akte kein Postabgangsvermerk befindet. Jedoch muss die Klägerin den
tatsächlichen Zugang des Bescheides vom 11.05.2007 im Zeitraum vor oder am 31.05.2007 gegen sich gelten lassen,
weil sie selbst - mit dem Vorbringen, sie habe am 31.05.2007 Widerspruch gegen diese Entscheidung erhoben -
inzident einräumt, den Bescheid vor diesem Zeitpunkt erhalten zu haben. Insofern bestehen keine Zweifel in Bezug
auf den Zeitpunkt, zu dem der Bescheid der Beklagten der Klägerin spätestens zugegangen ist, so dass ausgehend
von diesem Zeitpunkt, dem 31.05.2007, die Widerspruchsfrist spätestens am 30.06.2007 abgelaufen war.
Im Weiteren genügt es jedoch nicht, dass die Klägerin bestreitet, der Widerspruch vom 31.05.2007 sei bei der
Beklagten nicht eingegangen. Sie verkennt hierbei, dass sie den Nachweis zu führen hat, der Widerspruch sei vor
Ablauf des 30.06.2007 der Beklagten zugegangen. Hierfür hat die Klägerin jedoch keinen Beweis angeboten, so dass
derzeit keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, der Widerspruch könnte fristgerecht erhoben sein.
Das SG wird insoweit zwar auch zu prüfen haben, ob Gründe für eine Wiedereinsetzung vorliegen. Dies dürfte bei
summarischer Prüfung jedoch daran scheitern, dass der Klägerin bereits am 03.03.2008 telefonisch mitgeteilt worden
war, dass das bisherige Rehabilitationsverfahren abgeschlossen und ein neuer Antrag erforderlich sei. In der Folgezeit
wurde auch der Bevollmächtigte der Klägerin über diesen Sachverhalt mit Schreiben vom 14.03.2008 informiert.
Gleichwohl wurde erst am 08.04.2008 (Schriftsatz vom 07.04.2008) gegenüber der Beklagten geltend gemacht, dass
ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.05.2007 erhoben worden sei. Allein aus diesem Vorbringen kann ein
Antrag auf Wiedereinsetzung hergeleitet werden, denn vorhergehend war nicht ersichtlich, dass die Klägerin die
Fortführung des bisherigen Rehabilitationsverfahrens wünschen würde. Der Antrag vom 08.04.2008 wahrt jedoch die
Monatsfrist des § 67 Abs 2 Satz 1 SGG nicht, denn die Klägerin hatte spätestens am 03.03.2008 Kenntnis davon,
dass ihr Widerspruch bei der Beklagten nicht eingegangen ist.
Zuletzt kann die Klägerin auch PKH nicht beanspruchen, weil die Beklagte zu verpflichten wäre, die Angelegenheit
nach § 44 SGB X zu überprüfen.
Dieses Anliegen ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG, denn die Beklagte hat mit ihrem
Widerspruchsbescheid vom 21.04.2008 allein in Bezug auf die Unzulässigkeit des Widerspruches gegen den
Bescheid vom 11.05.2007 eine Entscheidung getroffen. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom
11.05.2007 wurde weder im Tenor noch in den Gründen dieses Bescheides thematisiert. Dies erscheint auch
konsequent, denn hinsichtlich einer Überprüfung nach § 44 SGB X hatte die Beklagte noch keine
Ausgangsentscheidung getroffen. Sollte die Klägerin insoweit die Auffassung vertreten, dass neben dem neuen
Antragsverfahren auch im Rahmen des ursprünglichen Rehabilitationsverfahrens eine Entscheidung zu treffen sei,
steht es ihr frei, ein Verfahren nach § 88 SGG in Gang zu bringen, solange keine Entscheidung in Bezug auf den
Überprüfungsantrag ergangen ist. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang anlässlich der Beschwerde erstmals
geltend macht, es sei festzustellen, dass der Bescheid vom 11.05.2007 rechtswidrig war und die Beklagte über einen
Antrag nach § 44 SGB X neu entscheiden müsse, ist darauf hinzuweisen, dass diese Anträge erstinstanzlich bisher
nicht gestellt sind und die Beklagte sich auf eine derartige Klageänderung (§ 99 SGG) auch nicht eingelassen hat, so
dass schon die Zulässigkeit einer Klageänderung nicht ersichtlich ist, und auch insoweit PKH - mangels hinreichender
Erfolgsaussichten - nicht zu beanspruchen ist.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG, und ergeht kostenfrei.