Urteil des LSG Bayern vom 22.09.2005

LSG Bayern: ärztliche behandlung, fibromyalgie, krankenkasse, arzneimittel, universität, versorgung, vergleich, label, gutachter, hersteller

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.09.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 184/01
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 167/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung für eine Therapie des Fibromyalgie-Syndroms mit Immunglobulinen.
Die 1958 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin (von Beruf Erzieherin) leidet unter anderem nach den
Angaben des Universitätsklinikum W. (Schmerzambulanz) vom 31.01.2005 an einem Fibromyalgie-Syndrom
vermutlich als Folge einer bakteriellen Darminfektion.
Sie befand sich nach einer erfolglosen vorausgegangenen Behandlung an anderen Krankenhäusern in Therapie der
Schmerzambulanz vom 17.04.2000 bis 04.04.2002. Der stellvertretende Leiter der Einrichtung beantragte mit
Schreiben vom 10.01.2001 bei der Beklagten die Kostenerstattung für polyvalente Immunglobuline zur "Behandlung
des postinfektiösen Fibromyalgie-Syndroms". Es handle sich um eine hochwirksame, aber experimentelle Therapie im
Rahmen eines individuellen Heilversuches; die Behandlung solle mit 30 g polyvalenten Immunglobulinen zum
Klinikpreis von circa 39,00 DM pro Gramm durchgeführt werden. Bei positivem Behandlungsergebnis werde diese
Therapie in Intervallen von ein bis zwei Monaten fortgesetzt, bis ein stabiler Dauerzustand erreicht sei, oder bei
fehlender additiver Wirkung die Therapie abgebrochen werde.
Der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK, Gutachter Dr. A.) kam
im sozialmedizinischen Gutachten vom 12.02.2001 zusammenfassend zu dem Ergebnis, bei der Behandlung von
Schmerzsyndromen mit Immunglobulinen handle es sich nicht um eine wissenschaftlich-medizinisch allgemein
anerkannte Behandlungsmethode, sondern um ein experimentelles Therapieverfahren. Die erforderlichen statistisch
abgesicherte Wirksamkeitsnachweise seien bislang nicht erbracht worden.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.02.2001 mit dieser Begründung den Antrag auf Kostenübernahme
ab.
Auf den Widerspruch der Klägerin vom 08.03.2001 hörte die Beklagte ein weiteres Mal den MDK, der im
sozialmedizinischen Gutachten vom 08.05.2001 (Gutachter Dr. A.) eine Kostenübernahme für die Therapie nicht
empfahl, da bislang keine Untersuchungen/klinischen Prüfungen durchgeführt worden seien, die eine Bewertung der
Wirksamkeit ermöglichen würden.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2001 den Widerspruch zurück. Neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen dürften nur erbracht
werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien Empfehlungen abgegeben haben,
insbesondere über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode, sowie
deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkasse
erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen
Therapierichtung. Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkasse auf Behandlungsmethoden, die sich erst im
Stadium der Forschung oder Erprobung befinden und noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechen, lasse das Gesetz auch bei schweren und tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich
nicht zu.
Die Klägerin hat mit der Klage vom 17.08.2001 beim Sozialgericht Regensburg (SG) geltend gemacht, die bei ihr
angewandte Therapie mit Immunglobulinen habe erstmals zu einer deutlichen Besserung und nach 13 Monaten zu
einem nahezu vollständigen Verschwinden der gesamten Schmerzsymptomatik geführt. Es seien die Präparate
Beriglobin und Intraglobin eingesetzt worden, die zugelassene Arzneimittel sind. Die gesamte Therapie der
Fibromyalgie habe, wie häufig in der Schmerztherapie, experimentellen Charakter. Die Bestätigung der
Therapieentscheidung erfolge nicht über naturwissenschaftliche Nachweise, sondern evidenzbasiert ausschließlich
vom Ergebnis her in der Weise, dass sich die Schmerzzustände der Patienten verbessern oder ganz verschwinden.
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung vom 11.03.2002 die Ansicht vertreten, für die streitige Therapie bestehe
keine Zulassung; überdies seien die Ärzte und auch die Klinik für Anästhesiologie der Universität W. nicht
zugelassen.
In der mündlichen Verhandlung am 14.03.2002 hat der Klägerbevollmächtigte eine Rechnung vom 18.12.2001 über
den Behandlungszeitraum vom 25.10.2001 bis 23.11.2001 für Medikamente in Höhe von 2.320,00 DM vorgelegt. An
der mündlichen Verhandlung hat auch der Leiter der Schmerzambulanz der Universität W. (Prof. Dr. S.)
teilgenommen, der offensichtlich auf einen "off-label-use" der Immunglobuline hingewiesen hat.
Das SG hat mit Urteil vom gleichen Tage die Klage abgewiesen und die Sprungrevision vorbehaltlich der Zustimmung
der Beklagten zugelassen. Arzneimittel würden stets anwendungsbezogen zugelassen, für einen Einsatz außerhalb
der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete fehle einem solchen Präparat die Verkehrsfähigkeit, d.h. es
dürfe für andere Indikationen nicht in den Handel gelangen oder verkauft werden. Eine Leistungspflicht der
Krankenkasse bestehe bei dem hier vorliegenden "off-label-use" nicht, weil für das neue Anwendungsgebiet weder
Wirksamkeit noch etwaige Risiken des Arzneimittels in dem nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen
Zulassungsverfahren geprüft worden seien.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19.08.2002; sie macht, wie im Klageverfahren, geltend, die
Therapie habe insgesamt experimentellen Charakter gehabt. Obgleich sie keine Standardtherapie zur Behandlung
chronischer Schmerzzustände gewesen sei, habe sie sich im Rahmen des Anwendungsgebietes gehalten, für
welches Intraglobulin zugelassen sei. Die Medikamente seien innerhalb der zugelassen Anwendungsweise
(Immunglobulinenmangel) verabreicht worden, auch wenn die Bekämpfung des zu niedrigen Immunglobulinenspiegels
im Behandlungskonzept der Universität W. nicht das entscheidende Motiv für die Indikationsstellung gewesen sei. Die
Wirksamkeit der Therapie mit Immunglobulinen in der Schmerztherapie sei durch eine Vielzahl wissenschaftlicher
Studien nachgewiesen, unter anderem durch eine Dissertation an der Universität W. aus dem Jahr 2000. Aber auch
bei einem zulassungsüberschreitenden Einsatz der Medikamente sei die Beklagte zur Leistung verpflichtet; es habe
sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine schwere, ihre Lebensverhältnisse auf Dauer gravierend beeinflussende
Krankheit gehandelt, andere Therapien (kausale Behandlungsalternative) seien nicht gegeben oder von der Beklagten
benannt worden. Die streitige Immunglobulintherapie werde von der Universität W. seit mindestens 1988 in großem
Umfang angewendet; insofern handle es sich nicht um eine neue Behandlungsmethode.
Der von der Beklagten nochmals gehörte MDK (Gutachter Dr. D.) hat daraufhin im Gutachten vom 12.01.2005
ausgeführt, die Schmerztherapie hätte mit zugelassenen Arzneimitteln innerhalb des von der Zulassung erfassten
Anwendungsbereichs durchgeführt werden können (z.B. Cortison). Nach dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse habe weder im Jahr 2000 noch heute die begründete Aussicht bestanden, dass mit Immunglobulinen ein
Behandlungserfolg der Schmerzsymptomatik beziehungsweise der Fibromyalgie erzielt werden könne. Kein Hersteller
von Immunglobulinen habe eine Erweiterung der Zulassung auf die Indikation Schmerztherapie oder Fibromyalgie
beantragt.
Der Senat hat hat eine Auskunft des P.-Instituts (Bundesamt für Sera und Impfstoffe) über die Anwendungsbereiche
der eingesetzten Immunglobuline und einen Befundbericht des Universitätsklinikum W. (Schmerzambulanz) eingeholt
sowie eine ergänzende Stellungnahme der Beklagten. Sie weist darauf hin, dass die streitgegenständlichen
Arzneimittel (Beriglobin, Intraglobin) nicht für die Therapie des bei der Klägerin diagnostizierten
Fibromyalgiesyndromes zugelassen sind. Es liege auch keine Ausnahmesituation vor, etwa in der Form einer
Versorgungslücke. Die Erkrankung der Klägerin sei in ausreichendem Maße durch andere Medikamente behandelbar.
Für den zulassungsüberschreitenden Einsatz dieser Medikamente müssten unter anderem Forschungsergebnisse
vorliegen, die erwarten lassen, dass die Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könnten. Im
vorliegenden Fall würden jedoch hinreichend gesicherter Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer Behandlung mit
Beriglobin und Intraglobin fehlen.
Prof. Dr. S. (Leiter der Schmerzambulanz) führt in der Stellungnahme vom 15.08.2005 aus, dass dem
Fibromyalgiesyndrom noch nicht der Status einer durch Ätiologie und Pathogenese definierten Krankheitsentität
zukommt. Die mit wissenschaftlichen Labormethoden nachweisbaren Störungen des Immunsystems bilden bei den
untersuchten Patienten zwar ein ähnliches Muster, so dass mit den Methoden der Statistik eine typische
Konstellation eines Immunmangelzustandes bei den meisten Patienten nachweisbar ist, dieses Muster hat jedoch in
sich wesentliche Varianten. Erst Laboranalysen lassen Gruppen von Patienten mit Fibromyalgiesyndrom diagnostisch
charakterisieren und legen die Grundlage für zukünftige Therapiestudien an diagnostischen definierten
Patientengruppen. Zukünftig bedeute in diesem Zusammenhang, dass die der Diagnostik zu Grunde liegenden
Labormethoden im Gegensatz zu dem erwähnten Gammaglobulinmangel noch einer Transformation vom
wissenschaftlichen in den klinischen Standard bedürfen. Bei der Klägerin sei keine Schmerztherapie mit
Immunglobulin durchgeführt worden, sondern mit Immunglobulinen ein Mangel an Gammaglobulinen behoben
(Nebendiagnose) und eine allgemeine, variable Immunmangelkrankheit (Hauptdiagnose) behandelt worden. Diese
beiden Indikationen seien innerhalb der Zulassung der angewandten Immunglobulinpräparate.
Der variable Immundefekt sei nur als Verdachtsdiagnose festgestellt worden. Die speziellen Varianten der
Immundefekterkrankung, die als Fibromyalgiesyndrom oder komplexe Gesundheitsstörung mit anderweitig
klassifizierten chronischen Schmerzen klinisch in Erscheinung treten, seien bislang nur im Rahmen
wissenschaftlicher Studien und nicht mit den Methoden des klinischen Routinelabors nachweisbar. Die
Immunmangelzustände bestünden entweder als sekundäre Defekte (z.B. nach Infektion) oder primär durch eine
genetische Disposition. Beide Formen gemeinsam sei eine erhöhte Neigung zu Infektionen und deren erschwerte
Heilung bis hin zur Chronifizierung. Bei der Klägerin seien Antikörper gegen Yersinien nachgewiesen worden, einem
Erreger von Darminfektionen mit bekannten rheumatologischen Folgekomplikationen. Derartige Antikörpernachweise
seien auch ein typisches Merkmal von Patienten mit komplexen Gesundheitsstörungen mit chronischen Schmerzen.
Voraussetzung für kontrollierten randomisierte Studien über die Wirksamkeit einer Therapiemethode sei das Vorliegen
einer Diagnose im engeren Sinne. Eine komplexe Gesundheitsstörung mit variablem Symptomenmuster und
generalisiertem Schmerzmuster, wie sie beim Fibromyalgiesyndrom vorliegt, erfülle diese Voraussetzungen nicht.
Daher existieren für dieses Syndrom auch keine Zulassungen nach dem Arzneimittelgesetz, obwohl seit kurzem zwei
andere Präparate für diese Indikation zugelassen sind. Erst die Aufschlüsselung der variablen Ursachen für solche
komplexe Gesundheitsstörungen wie dem Fibromyalgiesyndrom werde zu differenzierbaren Diagnosen führen, die
dann definierte Eingangskriterien für erfolgversprechende Studien liefern könnten. Für das Fibromyalgiesyndrom werde
es daher nie Zulassungen für kausale Therapieansätze geben (auch nicht für Immunglobuline), da dessen
Kausalfaktoren zu heterogen sind; das gleiche gelte für die Schmerztherapie. Nur für Symptomtherapien komplexer
Gesundheitsstörungen wie dem Fibromyalgiesyndrom mag es noch wissenschaftliche Spielräume geben, die eines
Tages wirksamere, unspezifische Therapiemethoden generieren lassen, deren Wirkungsnachweis ohne
Differenzierung von ursächlichen Gesichtspunkten möglich sein wird.
Die Behandlung sei also zur kausalen Therapie eines durch Laboranalysen nachgewiesen und symptomatischen
Antikörpermangels (Nebendiagnose) durchgeführt worden, außerdem, weil eine andere Symptombehandlung nicht zu
einer Besserung des Leidens geführt habe und schließlich, weil sich die Möglichkeit anbot, durch Gabe von
Antikörpern den Gesamtzustand der Klägerin zu verbessern. Schließlich habe eine existenzielle Notlage bestanden,
da Patienten mit der Diagnose Fibromyalgiesyndrom eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 35% anerkannt werde.
Bei komplexen Gesundheitsstörungen unbekannter Ätiologie werde bei der legitimen Forderung nach randomisierten
kontrollierten Studien für neue Behandlungsmethoden übersehen, dass auch diese Studien einer Grundlage bedürfen,
nämlich Kriterien, nach denen solche Gesundheitsstörungen nach ätiologischen Gesichtspunkten in annähernd
homogene Entitäten gruppiert werden können. Dies sei bei den meisten chronischen Schmerzsyndromen, so auch
beim Fibromyalgiesyndrom, noch nicht realisiert. Der Einsatz der Immunglobuline für die Therapie sei in analoger
Logik und Konsequenz erfolgt, denn auch die behandelnden Ärzte seien nicht sicher gewesen, ob der Mangel an
Antikörpern mit dem Krankheitsbild kausal verknüpft gewesen sei oder die fehlgesteuerte Immunantwort auf die
zurückliegende Yersinieninfektion und die Barrierestörung der Darmschleimhaut genau den Immundefekt
gekennzeichnet habe, der durch Immunglobuline behandelbar ist.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.03.2002 sowie den Bescheid
der Beklagten vom 13.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2001 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 1.186,20 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig.
Die Berufung ist unbegründet. Streitig ist nach den mit Schreiben vom 12.09.2005 vorgelegten Rechnungen nur noch
die Kostenerstattung für Flebogamma (1.186,20 EUR) im Behandlungszeitraum vom 26.10.2001 bis 23.11.2001. Die
Klägerin hat gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Therapie des
Fibromyalgiesyndroms mit diesem Mittel. Grundlage für die geltend gemachte Kostenerstattung ist § 13 Abs. 3
Sozialgesetzbuch V (SGB V). Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig
erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die
Leistung notwendig war.
Eine unaufschiebare Leistung liegt nicht vor und die Beklagte hat die Kostenübernahme für die Behandlung mit
Immunglobulinen auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Es hat hier ein Sachleistungsanspruch auf Krankenbehandlung
des Fibromyalgie-Syndroms mit den streitigen Immunglobulinen nicht bestanden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 SGB V).
Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst danach sowohl die ärztliche Behandlung, als auch die Versorgung mit
Arzneimitteln (§ 31 SGB V). Für beide Leistungsarten gelten die in §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V genannten
allgemeinen Grundsätze. Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Das
Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V beschränkt den Leistungsanspruch der Versicherten und auch die
Leistungsverpflichtung der Kassen insbesondere auf die zweckmäßigen und wirtschaftlichen Leistungen. Die
Krankenkassen sind nicht zur Kostenübernahme von Leistungen verpflichtet, die diesem Qualitätsstandard nicht
entsprechen. Der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse schließt Leistungen aus, die mit
wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden erbracht werden. Neue Verfahren oder experimentelle Therapien lösen
keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus (Kassler Kommentar-Peters, § 2 SGB V, Rdnr. 3 m.w.N.).
Die Klinik für Anästhesiologie der Universität W. hat als Poliklinik gemäß § 117 SGB V eine Institutssermächtigung
u.a. zur ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten (Arzterzeichnis der Kassenärztlichen Vereinigung
Bayerns, Bezirksstelle Unterfranken, Oktober 2001, S. 448) und war damit selbst zur Teilnahme an der
vertragsärztlichen Versorgung berechtigt. Die angewandte Therapie war jedoch sowohl als ärztliche Behandlung, als
auch als Arzneimitteltherapie vom Behandlungsanspruch der Klägerin nicht umfasst.
Eine neuartige ärztliche Behandlung, auch unter Verwendung von Rezepturarzneimitteln, unterliegt dem
Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V, wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode in der
vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über
die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkasse erbrachten Methoden
- nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftliche Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Hierbei kommt es
nach der Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung an (BSG vom 28.03.2000 SozR 3-2500 § 135 Nr.
14). Danach kann das Verbot des § 135 Abs. 1 SGB V auch in Fällen eines Systemmangels nur überwunden werden,
wenn zum Behandlungszeitpunkt ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis vorlag, so dass eine positive
Entscheidung durch den Bundesausschuss veranlasst gewesen wäre. Der erst zu einem späteren Zeitpunkt erbrachte
Wirksamkeitsnachweis kann das Verbot auch erst zu diesem Zeitpunkt entfallen lassen.
In den hier einschlägigen BUB-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ist die Behandlung
der Fibromyalgie mit Immunglobulinen nicht empfohlen worden, so dass der Leistungsausschluss des § 135 Abs. 1
SGB V eingreift. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt § 135 Abs. 1 SGB V die
Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange aus, bis diese vom
zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als zweckmäßig anerkannt sind (z.B. BSG vom
16.09.1997 SozR 3-2500 § 135 Nr. 4; BSG vom 28.03.2000, a.a.O). Der Senat geht hier von einer neuen Behandlung
aus, weil auch nach den Angaben der Ärzte der Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesiologie der Universität W.
die streitige Therapie als experimentell bezeichnet wird. Auch wenn sie dort seit mehreren Jahren eingesetzt wird,
ergibt sich aus den genannten Gutachten des MDK, dass die Therapie noch nicht zum allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse gehört.
Soweit die streitige Therapie sich nicht in der Gabe von Arzneimitteln erschöpft hat,also dem Behandlungskonzept der
Verwendung von Immunglobulinen zur Therapie der Fibromyalgie der Stellenwert einer neuartigen
Behandlungsmethode beigelegt wird (BSG vom 19.10.2004 SGb 2004, 746), ist die Beklagte auch nicht unter dem
Gesichtspunkt eines individuellen Heilversuches zur Kostenübernahme verpflichtet. Eine Erweiterung der
Leistungspflicht der Krankenkassen auf Behandlungsmethoden, die sich erst im Stadium der Forschung oder
Erprobung befinden und nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, lässt
das Gesetz auch bei schweren und vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht zu. Dem
Einwand, in solchen Fällen müsse ein individueller Heilversuch zulasten der Krankenversicherung auch mit noch nicht
ausreichend gesicherten Therapieverfahren möglich sein, kann in dieser allgemeinen Form nicht Rechnung getragen
werden (BSG vom 28.03.2000, a.a.O; BSG vom 23.05.2000 USK 2000-156).
Die Beklagte ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 31 Abs. 1 SGB V zur Kostenübernahme der Therapie mit
Immunglobulinen verpflichtet. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Dieser
Anspruch eines Versicherten unterliegt, wie der Anspruch auf Krankenbehandlung allgemein, den o.g.
Einschränkungen aus § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die
sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Bei Vorliegen der
arzneimittelrechtlichen Zulassung, die hier bei den eingesetzten Medikamenten besteht, kann generell davon
ausgegangen werden, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen
Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt sind. Die arzneimittelrechtliche Zulassung
lässt aber Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des geprüfen Medikaments nur zu, soweit ihre
rechtliche Bedeutung reicht. Diese beschränkt sich auf die gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 6 Arzneimittelgesetz (AMG) vom
Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete. Die Anwendungsbezogenheit ist der
Arzneimittelzulassung immanent, weil das Arzneimittel definitionsgemäß dazu bestimmt ist, durch Anwendung am
oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden zu heilen, zu
lindern, zu verhüten oder zu erkennen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG). Wegen der Beschränkung auf die vom
Hersteller genannten Anwendungsgebiete sagt die Zulassung nichts darüber aus, ob das betreffende Arzneimittel
auch bei anderen Indikationen verträglich und angemessen wirksam ist (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 AMG). Bei einer
Erweiterung der Anwendungsgebiete müssen deshalb der Nutzen und das Risikopotenzial des Arzneimittels von
Grund auf neu bewertet werden. Entsprechend sieht das Arzneimittelrecht in der Einbeziehung neuer Indikationen eine
so gravierende Änderung des Zulassungstatus, dass es sich nicht - wie bei Veränderung der Dosierung, der Art oder
Dauer der Anwendung oder anderen geringeren Modifikationen - mit einer bloßen Anzeigepflicht und gegebenenfalls
einem Zustimmungserfordernis (§ 29 Abs. 1, Abs. 2a AMG) zufrieden gibt, sondern eine vollständige Neuzulassung
verlangt (BSG vom 19.03.2002, SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).
Die Verwendung der streitigen Immunglobuline zur Behandlung der Fibromyalgie der Klägerin hat deren
Anwendungsgebiet überschritten, auf das sich die Zulassung der Präparate erstreckt hat. Nach Auskunft des P.-
Instituts ist das Präparat Beriglobin zugelassen für die Substitutionstherapie bei Erwachsenen und Kindern mit
primärem Antikörpermangelsyndrom, die Substitutionstherapie bei Myelom oder chronischer lympathischer Leukämie,
die Hepatitis-A-Prophylaxe und die Therapie der radiogenen Mukositis. Die Zulassung für das Präparat Intraglobin
erstreckt sich gleichfalls auf die Substitutionstherapie bei primären Immunmangelsyndromen, Myelom oder chronisch-
lymphatischer Leukämie, Kindern mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen sowie auf die
Immunmodulation bei chronischer idiopathischer thrombozytopenischer Purpura (ITP) bei Kindern oder Erwachsenen
mit hohem Blutungsrisiko oder vor chirurgischen Eingriffen zur Korrektur der Thrombozytenzahl, Kawasaki-Syndrom
und allogener Knochenmarktransplantation. Bei beiden Präparaten ist die Behandlung der Fibromyalgie nicht genannt.
Wie der MDK im Gutachten vom 12.01.2005 in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, sind weitere Indikationen,
insbesondere die hier diskutierte Gabe von Immunglobulinen zur Schmerztherapie bisher nicht Gegenstand der
Zulassung von Immunglobulinen gewesen. Eine Erweiterung der Zulassung wurde nach Auskunft des P.-Instituts
nicht beantragt und nach Angaben des MDK auch nicht bei einer anderen Behörde.
Damit muss der Senat von einem sog. "off-label-use" ausgehen. In diesem Fall kommt nur ausnahmsweise, d.h. unter
restriktiven Voraussetzungen, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Kostenübernahme durch die
Krankenkasse in Betracht (BSG vom 19.03.2002, a.a.O.; BSG vom 30.09.1999 SozR 3-2500 § 24 Nr. 11). Es muss
eine schwere Krankheit vorliegen, bei der es keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem Medikament ein
Behandlungserfolg erzielt werden kann. Diese Voraussetzungen sind insgesamt nicht erfüllt. Wie der MDK wiederholt
im Gutachten vom 12.01.2005 ausgeführt hat, hätte bei der Klägerin auch eine Schmerztherapie mit zugelassenen
Arzneimitteln innerhalb des von der Zulassung erfassten Anwendungsbereichs durchgeführt werden können. Neben
nicht steroidalen Antiphlogistika, wären auch schwach wirksame bis mittelstark wirksame Analgetika sowie stark
wirksame Analgetika in Frage gekommen. Es hätte auch Cortison eingesetzt werden können. Neben der Gabe von
Analgetika und Cortison wäre auch eine Therapie mit Psychopharmaka, eine Psychotherapie/Verhaltenstherapie
sowie ein multimodaler Therapieansatz möglich gewesen. Zwar sind diese Therapien nicht kausal, sondern nur
symptomatisch, da die Ursache des Fibromyalgie-Syndroms und der damit verbundenen Schmerzen bisher unbekannt
sind. Aber es liegt insoweit eine andere Behandlungsmöglichkeit im Sinne der Linderung von Beschwerden (§ 27 Abs.
1 Satz 1 SGB V) vor. Ebenso ist der Senat aufgrund dieses Gutachtens des MDK und der früheren Gutachten davon
überzeugt, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse weder im Jahr 2001 noch heute die begründete
Aussicht bestanden hat, dass mit Immunglobulinen ein Behandlungserfolg der Schmerzsymptomatik
beziehungsweise der Fibromyalgie erzielt werden kann. Für Therapieentscheidungen, gerade bei nicht
lebensbedrohlichen Erkrankungen, wird üblicherweise das Vorliegen von klinischen Studien, möglichst prospektiven,
randomisierten und im Vergleich mit einer Kontrollgruppe (Plazebo, Standardtherapie) gefordert. Derartige Daten liegen
hinsichtlich der Therapie von chronischen Schmerzsyndromen, insbesondere der Fibromyalgie, mit Immunglobulinen
bisher nicht vor. Obwohl nach Angaben der Ärzte der Schmerzambulanz Studien vorhanden sind, genügen sie, wie
der MDK ausgeführt hat, offensichtlich nicht den genannten Standards einer evidenzbasierten Medizin. Der MDK
widerspricht hier zu Recht der Auffassung des Klägerbevollmächtigten, der praktische Auswirkungen im Einzelfall für
ausreichend hält. Um zu zeigen, dass sich Schmerzzustände durch eine Therapie beseitigen lassen, ist eine Kontrolle
gegen Plazebo erforderlich, deren Vorliegen auch nicht vom Klägerbevollmächtigten behauptet wird.
Ebenso wie bei einer neuen Behandlungsmethode gilt für eine Arzneimitteltherapie, dass das geltende Recht die
Kostenübernahme für einen individuellen Heilversuch mit nicht ausreichend erprobten und in ihrer Wirksamkeit nicht
gesicherter Behandlungsmethoden, selbst bei schweren Krankheiten, grundsätzlich nicht zulässt (BSG vom
23.05.2000 SozR 3-2500 § 135 Nr. 14).
Die gutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. S. führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Sie belegt vielmehr, dass
die Therapie des Fibromyalgie-Syndroms mit Immunglobulinen sich noch im Stadium wissenschaftlicher Studien
befindet und einen experimentellen Charakter hat. Es handelt sich somit noch nicht um eine zweckmäßige, dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügende Therapie, die den durch §§ 2 Abs. 2, 12
Abs. 1 SGB V vorausgesetzten Erfordernissen für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung genügt.
Es ist nach der ärztliche Stellungnahme noch ungewiss, welches, von anderen Krankheitsbildern abgrenzbares
Erscheinungsbild das Fibromyalgie-Syndrom hat. Die ärztliche Stellungnahme räumt in diesem Zusammenhang ein,
dass das FibromyalgieSyndrom noch nicht den Status eines durch Ätiologie und Pathogenese definierten
Krankheitsbegriffs hat. Es handelt sich offensichtlich um ein komplexes Erscheinungsbild, das in verschiedenen
Formen auftritt. Durch Laboranalysen lassen sich Gruppen von Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom diagnostisch
charakterisieren und erst damit wird die Grundlage für zukünftige Therapiestudien gelegt. Diese Laboruntersuchungen
bedürfen bei einem variablen Immunmangelzustand noch der Umsetzung vom wissenschaftlichen in den klinischen
Standard.
Die ärztliche Stellungnahme belegt gleichfalls, dass es derzeit auch noch keine kausale Therapie für das
Fibromyalgiesyndrom gibt, da dessen kausale Faktoren zu heterogen sind. Eine komplexe Gesundheitsstörung mit
variablem Symptomenmuster und generalisiertem Schmerzmuster, wie sie beim Fibromyalgiesyndrom auftritt, erfüllt
daher nicht die Voraussetzung für kontrollierte randomisierte Studien über die Wirksamkeit der Therapiemethode. Erst
die Aufschlüsselung der variablen Ursachen für solche komplexe Gesundheitsstörungen wie dem Fibromyalgie-
Syndrom wird zu differenzierbaren Diagnosen führen, die dann definierte Eingangskriterien für Studien liefern können.
Nach der ärztlichen Stellungnahme kann es für die symptomatische Behandlung des Fibromyalgiesyndroms
wissenschaftliche Spielräume geben, die eines Tages wirksamere unspezifische Therapiemethoden entwickeln
lassen, deren Wirkungsnachweis ohne Differenzierung von ursächlichen Gesichtspunkten möglich sein wird.
Der Einsatz der Immunglobuline war zur Behandlung der Nebendiagnose (Antikörpermangel) nicht zweckmäßig und
die Beklagte war hierfür auch unter diesem Gesichtspunkt nicht leistungspflichtig. Hierbei ist zu beachten, dass die
Behandlung von vornherein auf das Fibromyalgie-Syndrom ausgerichtet und dass das Ziel der Therapie nicht die
Beseitigung eines Mangels an Gammaglobulinen war. Die Beklagte hat zudem nach nochmaliger Rücksprache mit
dem MDK mitgeteilt, dass für eine Behandlung des Immunglobulinmangels die Behandlungsbedürftigkeit gefehlt hat.
Der Immunglobulinmangel selbst ist danach auch kein Symptom des Fibromyalgie-Syndroms.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).