Urteil des LSG Bayern vom 15.01.2007

LSG Bayern: zumutbare arbeit, aufschiebende wirkung, hausarzt, interessenabwägung, vollzug, verwaltungsakt, akte, verweigerung, ersetzung, erfüllung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 15.01.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 13 AS 390/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 7 B 948/06 AS ER
Unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Landshut vom 13. November 2006 wird die aufschiebende
Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 27. Oktober 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. November 2006 angeordnet. Die Beschwerdegegenerin hat dem Beschwerdeführer
die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1960 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) bezieht seit 01.01.2005 von der Antragsgegnerin und
Beschwerdegegnerin (Bg.) Arbeitslosengeld (Alg) II. Zuletzt wurde ihm die Leistung mit Bescheid vom 28.08.2006 für
die Zeit vom 01.10.2006 bis 31.03.2007 bewilligt.
Mit Bescheid vom 27.10.2006 teilte die Bg. mit, das Alg II werde für die Zeit vom 01.11.2006 bis 31.01.2007 um 30 %
der Regelleistung, maximal 104,00 EUR monatlich, abgesenkt und die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung
insoweit aufgehoben. Er habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die in der am 10.07.2006 abgeschlossenen
Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht erfüllt, indem er einen bei der Firma B. vereinbarten
Vorstellungstermin am 22.07.2006 nicht wahrgenommen habe. Seinen Vortrag, wegen plötzlicher Arbeitsunfähigkeit
den Termin nicht wahrgenommen zu haben, habe er nicht durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegt.
Hiergegen hat der Bf. Widerspruch eingelegt und angegeben, er habe den Hausarzt am Freitag nicht mehr erreichen
können; eine am folgenden Montag ausgestellte rückwirkende Krankschreibung hätte "auch nichts gebracht". Sein
Hausarzt befinde sich in E., in L. habe er keinen speziellen Hausarzt.
Am 02.11.2006 hat der Bf. beim Sozialgericht Landshut (SG) beantragt, der Bg. im Wege der einstweiligen Anordnung
aufzuerlegen, ihm vorläufig die Leistungen in voller Höhe zu bewilligen. Er habe keinen "fremden" Arzt aufsuchen
wollen, da dieser nichts über den Krankheitsverlauf wisse. Außerdem bezweifle er, dass er bei einem ansässigen Arzt
schnellstmöglich einen Termin bekommen hätte.
Mit Beschluss vom 13.11.2006 hat das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Im Rahmen der
gebotenen Interessenabwägung seien die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs einzubeziehen. Sei der
Verfahrensausgang als offen zu bezeichnen, seien auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu
berücksichtigen, so dass, namentlich bei den die Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach
dem SGB II und dem SGB XII, insoweit eine Güter- und Folgeabwägung vorzunehmen sei. Die gebotene
Interessenabwägung führe hier zur Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Es bestünden weder
durchgreifende rechtliche Bedenken gegen den Bescheid vom 27.10.2006, noch könne im Rahmen der
Folgeabwägung erkannt werden, dass der Bf. von der Absenkung der Leistungen in existenzieller Weise betroffen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Bf., der sich insbesondere gegen die Annahme wendet, er
sei Inhaber eines Kfz.
Die Bg. hat nach Erlass des Beschlusses vom 13.11.2006 mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2006 den
Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch sachlich begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung nach § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen vor.
Im Rahmen der vom SG grundsätzlich zutreffend dargestellten Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die
Absenkung der Regelleistung einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, unabhängig davon, ob ihr eine
existenzgefährdende Wirkung zukommt. Der sofortige Vollzug dieser Absenkung ist jedenfalls nur gerechtfertigt, wenn
der vorliegende Akteninhalt keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides zulässt. Solche Zweifel sind hier
aber gegeben und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren auszuräumen.
Fraglich ist nämlich, ob dem von der Bg. dem Bf. zur Last gelegten Verhalten, nämlich den Vorstellungstermin am
22.07.2006 nicht wahrzunehmen und auch keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bezüglich der angeblichen
Erkrankung vorzulegen, die nach § 31 Abs.1 Satz 1 SGB II erforderliche Belehrung über die Rechtsfolgen
vorausgegangen ist. Die Bg. stützt sich auf die durch Verwaltungsakt bekanntgegebenen Regelungen der dem Bf.
vorgeschlagenen Eingliederungsvereinbarung und die hierin enthaltene Rechtsfolgenbelehrung, wonach das Alg II um
30 v.H. der Regelleistung abgesenkt wird, wenn der Bf. nicht bereit ist, die in der Eingliederungsvereinbarung
festgelegten Pflichten zu erfüllen, nämlich u.a. eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen. Soweit die Bg.
die Absenkung auf den Tatbestand des § 31 Abs.1 Satz 1 Nr.1b SGB II stützt, ist ohnehin fraglich, ob dieser
Tatbestand auf den Fall einer wegen Verweigerung der Unterschrift nicht zustande gekommenen
Eingliederungsvereinbarung und deren Ersetzung durch Verwaltungsakt anzuwenden ist (ablehnend Rixen in
Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnr.13 zu § 31). In jedem Fall genügt aber eine in der Eingliederungsvereinbarung erfolgte
allgemeine Rechtsfolgenbelehrung nicht den Anforderungen des § 31 Abs.1 Satz 1 SGB II, wenn, wie im vorliegenden
Fall, zwischen den Beteiligten die konkrete Erfüllung einer in den Regelungen nach § 15 Abs.1 Satz 1, 6 SGB II
enthaltenen Verpflichtung diskutiert wird. In einem solchen Fall ist eine konkrete Belehrung erforderlich, dass ein
bestimmtes Verhalten die Absenkung der Regelleistung um 30 v.H. für drei Monate zur Folge haben wird. Denn die
Belehrung muss in möglichst engem zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Pflichtverstoß erfolgen (vgl. Rixen,
Rdnr.44, a.a.O.). Im vorliegenden Fall musste der Bf. von der Bg. bei der Besprechung am 21.07.2006 darauf
hingewiesen werden, dass die oben angesprochene Absenkung erfolgt, wenn der Bf. den Vorstellungstermin am
22.07.2006 nicht wahrnimmt bzw. keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, die belegt, dass er aus
gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, den Termin wahrzunehmen. Aus der Akte ergibt sich nicht, dass dies
geschehen ist. Dieser Punkt ist gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren aufzuklären. Solange die erforderliche
Rechtsfolgenbelehrung nicht nachgewiesen ist, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides
so weitgehende Bedenken, dass der sofortige Vollzug der Absenkung nicht gerechtfertigt erscheint.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).