Urteil des LSG Bayern vom 07.06.2001

LSG Bayern: störung der konzentrationsfähigkeit, anhaltende somatoforme schmerzstörung, erwerbsunfähigkeit, erwerbsfähigkeit, psychiatrisches gutachten, psychiatrische behandlung, berufliche tätigkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 07.06.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 11 RJ 779/96
Bayerisches Landessozialgericht L 14 RJ 332/99
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 28. April 1999 und des Bescheids
der Beklagten vom 26. Januar 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1996 verurteilt, der
Klägerin über den 31. März 1996 hinaus Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. II. Die Beklagte hat der Klägerin
die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31.03.1996 hinaus.
Die im Jahre 1958 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war von 1974 bis 1991 - mit Unterbrechungen - als
Hausgehilfin, Küchenhilfe, Platinenprüferin, Versandhilfskraft, Hilfsarbeiterin und Lagerarbeiterin versicherungspflichtig
beschäftigt. Ihren ersten Rentenantrag vom September 1990 lehnte die Beklagte nach Durchführung eines
Heilverfahrens vom 15.01. bis 12.02.1991 (Diagnose u.a. depressive Verstimmung) mit Bescheid vom 04.04.1991,
bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17.07.1991, mit der Begründung ab, dass sie zwar in ihrer
Erwerbsfähigkeit durch Folgen einer angeborenen Klumpfußbildung rechts mit Beinverkürzung rechts und Fehlhaltung
der Wirbelsäule, wiederkehrende Magenschleimhautentzündungen und Verdacht auf Nierenbeckenentzündung
beeinträchtigt sei, aber noch leichte Arbeiten ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne
Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck (z.B. Akkord, Fließband), ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne
häufiges Bücken und im Rahmen der nervlichen Belastbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig
verrichten könne. Die anschließende Klage vor dem Sozialgericht Augsburg (S 12 Ar 225/91) endete mit Rücknahme
am 22.01.1992.
Den zweiten Antrag auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit stellte die Klägerin am 29.06.1992. Die
Beklagte holte das Gutachten des Internisten Dr.S. vom 27.08.1992 ein, der eine statisch bedingte Seitverbiegung der
Lendenwirbelsäule bei ausgleichbarem Beckentiefstand, eine Verkürzung und Minderentwicklung des rechten Beines
bei angeborenem, operativ behandelten Klumpfuß rechts, eine operativ behandelte habituelle Kniescheibenverrenkung
bei Kniescheibendysplasie rechts, eine leichte Minderbegabung und ein Geschwürsleiden des Zwölffingerdarms
diagnostizierte. Dr.S. hielt die Klägerin für fähig, leichte und mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im
Wechselrhythmus, ohne Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 15 kg vollschichtig zu verrichten.
Mit Bescheid vom 18.09.1992 lehnte die Beklagte den Rentenantrag vom Juni 1992 ab. Im folgenden
Widerspruchsverfahren wies die Klägerin auf eine psychiatrische Behandlung (Arztbrief des Neurologen und
Psychiaters Dr.H. vom 22.09.1992) hin. Die Widerspruchsstelle veranlasste daraufhin die Einholung des
orthopädischen Gutachtens des Dr.W. vom 15.03.1993; dieser diagnostizierte eine Neigung zu
Muskelreizerscheinungen bei statisch bedingter Seitverbiegung der Lendenwirbelsäule und lumbalem
Bandscheibenvorfall, eine Beinverkürzung rechts, eine Klumpfußdeformität des rechten Fußes und einen Zustand
nach operativ versorgter habitueller Patellaluxation rechts. Er hielt die Klägerin für fähig, nur leichte Arbeiten im
Wechselrhythmus ohne Zwangshaltung, ohne häufiges Heben und Tragen sowie Bewegen von Lasten, ohne
überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken sowie ohne häufiges Klettern und Steigen vollschichtig
zu verrichten. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies daraufhin den eingelegten Rechtsbehelf mit
Widerspruchsbescheid vom 26.04.1993 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg (S 9 Ar 216/93) wurde das nervenärztliche
Gutachten der Dr.P. vom 28.12.1993 eingeholt. Die Sachverständige diagnostizierte ausgeprägte psychosomatische
Symptombildung (Schmerzsyndrom, Gastritisneigung) bei intellektueller Grenzbegabung und depressiv-neurotischer
Persönlichkeitsentwicklung sowie lumbalen Bandscheibenvorfall ohne Anhalt für Nervenwurzelkompression,
Klumpfußdeformität, Beinverkürzung rechts und Zustand nach operierter habitueller Patellaluxation. Sie arbeitete
heraus, dass die Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und objektiven Befunden im Rahmen eines
psychogen überlagerten chronifizierten Schmerzsyndroms zu interpretieren sei, und dass bei der bisherigen
Begutachtung die wesentlichen psychiatrischen Anteile des Krankheitsbildes mit der Überforderung der Klägerin durch
Berufstätigkeiten völlig außer Acht gelassen worden seien. Dr.P. hielt die Klägerin allein aus nervenärztlicher Sicht
allenfalls halb- bis unter vollschichtig für einsetzbar, wobei es sich derzeit nicht notwendigerweise um einen
Dauerzustand handele. Sie hielt eine antidepressive Medikation und eine konsequente Gesprächstherapie für sinnvoll,
was die Beschwerden der Klägerin lindern und eventuell zu einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit führen könne.
Aufgrund dieses Gutachtens schlossen die Beteiligten am 12.07.1994 einen prozessbeendigenden Vergleich mit dem
Inhalt, der Klägerin befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 01.04.1993 bis 31.03.1996 bei einem im
September 1992 eingetretenen Leistungsfall zu gewähren. Diesen Vergleich führte die Beklagte mit Bescheid vom
21.10.1994 aus.
Am 11.12.1995 stellte die Klägerin Antrag auf weitere Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den 31.03.1996
hinaus. Die Beklagte ließ von der Psychiaterin und Diplom-Psychologin Dr.W. das Gutachten vom 16.01.1996
erstellen. Diese führte aus, dass im Hinblick auf die psychosomatisch mitbedingten skelettalen Beschwerden der
Klägerin ein Introspektions- und Reflexionsvermögen nicht vorliege, das Verhalten sei jedoch jederzeit kooperativ und
situationsadäquat. Das formale Denken sei geordnet, Hinweise für inhaltliche Denkstörungen,
Wahrnehmungsstörungen oder Störungen des Ich-Erlebens fänden sich nicht. Die kognitiven Funktionen erschienen
geringgradig beeinträchtigt, gelegentlich würden biographische Ereignisse geringfügig unscharf in das zeitliche Gitter
eingeordnet, die intellektuellen Funktionen imponierten als im Bereich einer niedrigen Intelligenz (früherer mit 83
gemessener IQ) liegend, es bestehe eine Rechenschwäche bei sonst erworbenen Kulturtechniken, im Rahmen einer
angeborenen Behinderung sowie ungünstiger, belastender und defizitärer Sozialisationsbedingungen habe sich eine
selbstunsichere, asthenische und dependent strukturierte Persönlichkeit mit einer eingeschränkten körperlichen und
seelischen Belastbarkeit, einer hohen Trennungsempfindlichkeit, einer erhöhten Kränkbarkeit und einer Neigung zu
psychosomatischer Symptombildung ausgebildet. Die Sachverständige diagnostizierte Persönlichkeitsstörung bei
niedriger Intelligenz mit selbstunsicheren, asthenischen und dependenten Zügen und Neigung zu psychosomatischer
Symptombildung, eine Beinverkürzung und -minderentwicklung rechts bei angeborener Klumpfußbildung rechts, eine
leichte Wirbelsäulenseitverbiegung, wiederkehrende Zwölffingerdarmgeschwüre, eine operativ behandelte habituelle
Kniescheibenverrenkung bei Kniescheibenfehlbildung rechts sowie eine leichte Schilddrüsenvergrößerung ohne
Hinweise für Schilddrüsenfunktionsstörung. Sie führte aus, im Vergleich zu dem Vorgutachten der Frau Dr.P. scheine
eine Stabilisierung des seelischen Zustandsbildes eingetreten zu sein. Das Leistungsvermögen der Klägerin erscheine
zum jetzigen Zeitpunkt nicht wesentlich gemindert. Der Versicherten seien Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts
leichter, vorübergehend auch mittelschwerer Art, im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen vollschichtig zumutbar,
wobei Tätigkeiten unter Zeitdruck, unter Schichtbedingungen, mit häufigem Klettern und Steigen, mit häufigem Heben,
Tragen und Bewegen von Lasten, in überwiegend einseitiger Körperhaltung, mit besonderen Anforderungen an die
nervliche Belastbarkeit sowie an die intellektuellen Voraussetzungen ausgeschlossen sein sollten. Aufgrund der
längeren Ausgliederung aus dem Erwerbsleben werde zur Eingliederung eine Trainingsmaßnahme in einer Werkstatt
für Behinderte gutachterlicherseits angeregt.
Aufgrund dessen lehnte die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26.01.1996 die Gewährung von Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31.03.1996 ab. Hierbei ging sie davon aus, dass die Klägerin noch leichte
Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig, teilweise im Sitzen, ohne dauerndes Stehen und Gehen,
ohne häufiges Klettern und Steigen, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten (ohne mechanische
Hilfsmittel), ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne Schichtbedingungen, ohne besonderen Zeitdruck und
ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit verrichten könne.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch unter Hinweis auf ein Attest des Allgemeinarztes Dr.W. vom 17.06.1996,
nach dessen Inhalt die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit vor allem wegen einer "Psychose" für
ausgeschlossen gehalten wird. Dr.M. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten sah keine neuen Gesichtspunkte, die eine
abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten. Dr.N. , ebenfalls vom Ärztlichen Dienst der Beklagten, merkte hierzu
an, dass eine Trainingsmaßnahme in einer Werkstätte für Behinderte nicht möglich sei. Wünschenswert wäre eine
stufenweise Wiedereingliederung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz, sowohl wegen der Arbeitsentwöhnung als
auch wegen gewisser erschwerter Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Dies sei allerdings nicht zwingend
notwendig. Eine gewisse Stabilisierung des Gesundheitszustands der Klägerin sei eingetreten. Mit
Widerspruchsbescheid vom 26.11.1996 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen, u.a. mit der
Begründung, dass ihr noch vollschichtig leichte Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Maschinenarbeiten möglich seien.
Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht verfolgte die Klägerin ihr Rentenbegehren weiter und machte
geltend, in ihrem Gesundheitszustand sei keine Besserung, sondern vielmehr eine Verschlechterung eingetreten. Ein
Arbeitsversuch vom 15. bis 21.07.1993 sei gescheitert wegen Wirbelsäulenbeschwerden und auch von der
Allgemeinen Ortskrankenkasse als missglückter Arbeitsversuch angesehen worden. Laut einem Änderungsbescheid
des AVF Augsburg vom 10.03.1997 sei der Grad der Behinderung nunmehr auf 50 festgesetzt worden. Das
Sozialgericht zog ärztliche Unterlagen bei, darunter u.a. eine Computertomographie der Lendenwirbelsäule vom
04.07.1996, nach deren Inhalt nicht nur eine Bandscheibenprotrusion bei den Wirbelkörpern L 4/L 5 festgestellt worden
ist, sondern auch ein Bandscheibenvorfall in Höhe von L 5/S 1 mit Impression des Duralsackes von rechts und mit
Irritation der rechten Nervenwurzel, weiterhin einen Befund des Nervenarztes Dr.H. vom 20.03.1997; dieser verwies
nochmals auf einen IQ der Klägerin mit 85 etwas unterhalb des Durchschnitts (91 bis 109), führte als Diagnosen eine
Psychasthenie, ein leichtgradiges Intelligenzdefizit und eine Lernbehinderung an und war der Ansicht, dass sich der
Gesundheitszustand der Klägerin nicht gebessert oder verschlechtert habe.
Das Sozialgericht holte das Gutachten vom 06.08.1997 der Neurologin und Psychiaterin Dr.H. mit dem
testpsychologischen Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. M. vom 30.07.1997 ein. Die Sachverständige führte u.a. aus,
das formale Denken der Klägerin sei geordnet, wenn auch teilweise etwas umständlich und weitschweifig. Im
affektiven Bereich habe sie sehr unterschiedliche Befunde gezeigt, einerseits einen gefassten ausgeglichenen
Eindruck vermittelt, andererseits sei sie in weiten Teilen des Gesprächs wieder weinerlich und subdepressiv gewesen.
Sie habe ein ausreichendes Durchhaltevermögen bei der Verrichtung von alltäglichen Arbeiten angegeben, die
Psychomotorik habe weitestgehend adäquat, teilweise etwas expansiv und theatralisch gewirkt. Außerdem sei das
Verhalten der Klägerin teilweise etwas distanzgemindert gewesen. Psychopathologisch sei eine stark eingeschränkte
Rechenfähigkeit aufgefallen, des Weiteren eine leichtgradige Beeinträchtigung des Langzeitgedächtnisses mit
Zeitgitterstörungen. Das formale Denken sei teilweise etwas umständlich und weitschweifig gewesen. In der
Befundkonstellation niedrige Intelligenz in Zusammenhang mit einer schwierigen und emotional belastenden
Kindheitsentwicklung sei es zur Ausbildung einer unsicheren und asthenisch akzentuierten Persönlichkeit gekommen.
Dies wirke sich in einer eingeschränkten Fähigkeit aus, mit körperlichen und seelischen Belastungen umzugehen,
bzw. sich an entsprechende Anforderungen nur eingeschränkt anpassen zu können. Dieses Defizit könne dann zur
Ausbildung psychosomatischer Beschwerden ohne relevanten organpathologischen Befund führen, wie es bei der
Klägerin der Fall sei. Es liege eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine niedrige Intelligenz vor.
Selbstunsichere, asthenische und depressive Züge der Primärpersönlichkeit im Sinne einer Akzentuierung der
Persönlichkeit mit Neigung zu psychosomatischer Symptombildung könnten bestätigt werden. Die
psychopathologischen Auffälligkeiten im Bereich der intellektuellen Funktionen, im affektiven Bereich und im Bereich
der Vitalstörungen lägen unverändert vor. Es bestünden körperliche und geistige Funktionsausfälle und
Behinderungen, die die Einsatzfähigkeit im Erwerbsleben beeinträchtigten. Insbesondere die Störungen im Bereich der
kognitiven Funktionen führten zu einer eingeschränkten Belastbarkeit der Klägerin. Unzumutbar seien Schwerarbeit
und mittelschwere Arbeiten, insbesondere Zeitdruckarbeiten, Einzel- und Gruppenakkord am Fließband und
taktgebundene Tätigkeiten, Wechselschicht und Nachtarbeiten, weiterhin Arbeiten überwiegend im Stehen/Gehen und
in Zwangshaltung, Arbeiten mit häufigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Bücken,
Ersteigen von Leitern und Treppen, Tätigkeiten mit Gefährdung an laufenden Maschinen, unter Einwirkung von Kälte,
Hitze, starken Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, Lärm, Staub, Gas, Dampf, Rauch- oder Reizstoffen. Die
Klägerin könne Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, an das Konzentrations- und
Reaktionsvermögen sowie an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit nicht mehr verrichten. Unter
Berücksichtigung dieser Einschränkungen könne sie täglich acht Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte
Tätigkeiten verrichten. Die Arbeiten sollten wegen der aufgezeigten Einschränkungen im Bereich der geistigen
Wendigkeit sowie der eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten gleichförmig und klar überschaubar sein. Dieses
Leistungsbild bestehe seit ca. 1992, es handele sich um einen Dauerzustand.
Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten der Dr.H. erhob und auch darauf
hinwies, dass eine Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung vom 14.09. bis 25.09.1987 sowie eine
berufliche Rehabilitationsmaßnahme vom 06.04. bis 30.12.1992 (praxisorientierte Reintegration) letztlich gescheitert
seien, rechtfertigte Dr.H. in der Stellungnahme vom 29.10.1997 nochmals den Inhalt ihres Gutachtens. Hierin
verneinte sie die vom Hausarzt und Allgemeinarzt Dr.W. gestellte Diagnose des Vorliegens einer Psychose und wies
darauf hin, dass die Klägerin von Dr.P. auf die Notwendigkeit einer konsequenten psychiatrischen und
psychotherapeutischen Behandlung aufmerksam gemacht worden sei, aber bisher insgesamt zweimal, 1992 und
1997, einen Nervenarzt (Dr.H. aufgesucht habe. Laut Foerster (Psychiatrische Begutachtung, 2. Auflage, Gustav-
Fischer-Verlag 1994) sei zur Beurteilung einer dauerhaften Einschränkung der Leistungsfähigkeit erforderlich zu
klären, ob eine regelmäßige ambulante Therapie bestand oder besteht und ob stationäre Behandlungsversuche, auch
mit unterschiedlichen therapeutischen Ansatzpunkten, stattgefunden haben. Ebenso könne zur Frage der
Restgesundheit erst nach Durchführung und Ausschöpfung etablierter psychiatrischer und psychotherapeutischer
Behandlungsmaßnahmen Stellung genommen werden. Die Klägerin sei aus psychiatrischer Sicht auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt, also außerhalb einer beschützenden Behinderteneinrichtung, einsatzfähig.
Nachdem Dr.P. auf einen Antrag der Klägerin auf Anhörung eines Sachverständigen gemäß § 109 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Begutachtung wegen Arbeitsüberlastung ablehnte, benannte die Klägerin den
Nervenarzt Dr.T. von L. als Arzt ihres Vertrauens. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 11.05.1998 eine
ausgeprägte psychosomatische Symptombildung bei intellektueller Grenzbegabung und depressiv-neurotischer
Persönlichkeitsentwicklung, einen Bandscheibenvorfall zwischen L 1/2 ohne neurologische Ausfälle bzw.
Wurzelschäden, einen Klumpfuß mit chronischem Schmerzsyndrom im Bereich Hüfte-Rücken im Sinne eines
pseudoradikulären Schmerzgeschehens mit Somatisierungstendenz auf dem Hintergrund der Persönlichkeitsstörung
ohne Anhalt für eine organ-neurologische Schmerzsymptomatik, keinen Hinweis für eine hirnorganische Störung als
Folgen eines vorzeitigen Gefäßprozesses und eine Psychasthenie. Dr.von L. hielt den Gesundheitszustand der
Klägerin als unverändert seit 1990 und war der Auffassung, sie könne leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts
vollschichtig verrichten, wobei er hierbei auch darauf abstellte, dass sie schon vor 1990 gearbeitet und die
intellektuelle Grenzbegabung von Anfang an bestanden hatte, so dass insoweit keine neuen Gesichtspunkte
eingetreten seien.
Auf Empfehlung des Dr.von L. holte das Sozialgericht noch das orthopädische Gutachten des Dr.P. vom 05.08.1998
ein. Dieser wies u.a. darauf hin, dass die große Diskrepanz zwischen den geklagten Beschwerden und den klinischen
Befunden auf orthopädischem Gebiet auffällig und zum Vorliegen der psychosomatischen Komponente bereits in den
nervenärztlichen Gutachten ausführlich Stellung genommen worden sei, so dass er sich bei den Beweisfragen auf das
orthopädische Fachgebiet beschränke. Insoweit stellte er die Diagnosen operativ behandelter angeborener Klumpfuß
rechts mit Verkürzung des rechten Beines, Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk, leichter
Spitzfuß und Fehlstellung des rechten Beines sowie ausgeprägte Minderung der Wadenmuskulatur, Fehlbildung beider
Kniescheiben, rechts Zustand Weichteileingriff mit Knorpelschaden an der Knierückseite und degenerative
Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit zeitweise auftretenden leichten Muskelreizerscheinungen. Allein aus
orthopädischer Sicht seien der Klägerin Schwerarbeit und dauernd mittelschwere Arbeiten nicht zumutbar,
ebensowenig nicht Tätigkeiten in Zwangshaltung, mit häufigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische
Hilfsmittel, im Bücken sowie mit Treppen und Leiter steigen; die Klägerin könne auch Arbeiten unter Einwirkung von
Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Zugluft oder Nässe nicht mehr verrichten. Dieses Leistungsbild habe
seit 01.04.1996 bestanden. Die Klägerin gebe eine Einschränkung ihrer Gehstrecke auf 1.000 m an. Aus
orthopädischer Sicht bestehe keine Einschränkung auf unter 2.000 m.
Mit Urteil vom 28.04.1999 wies das Sozialgericht die Klage ab und stützte sich hierbei im Wesentlichen auf die in
erster Instanz eingeholten Gutachten.
Mit dem Rechtsmittel der Berufung macht die Klägerin u.a. geltend, der "Leistungsentzug" sei nicht gerechtfertigt,
wenn bei unveränderten Gesundheitsstörungen, wie sich aus der Gutachtenslage ergebe, lediglich eine andere
Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit erfolge.
Der Senat hat die Versichertenakten der Beklagten sowie die Akten des AVF Augsburg und des Arbeitsamts Aichach
beigezogen, einen Befundbericht vom Hausarzt Dr.W. eingeholt und den Orthopäden Dr.F. zum ärztlichen
Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 02.12.1999 folgende Diagnosen gestellt:
Streckhaltung der Halswirbelsäule bei Osteopenie, Chondrosis intervertebralis L 5/S 1 mit Retropositio L 5, geringe
Spondylose der Lendenwirbelsäule, Ileosakralgelenksarthrose, minimale Gonarthrose beidseits, operierter Klumpfuß
rechts ohne wesentliche degenerative Veränderungen der Gelenke, lockerer Spreizfuß links sowie
Zehendeformierungen mehr am rechten als am linken Fuß. Funktionsausfälle und Behinderungen ergäben sich auf
orthopädischem Gebiet insofern, als die Klägerin wegen des Bandscheibenschadens im unteren Bereich der
Lendenwirbelsäule mit leichter Gefügestörung keine Lasten heben und tragen, nicht in gebückter Stellung arbeiten
sowie nicht pausenlos sitzen oder ununterbrochen stehen sollte. Die deutliche Muskelminderung des rechten
Unterschenkels sei ein Zeichen dafür, dass der rechte Fuß gegenüber dem linken nicht gleichermaßen belastbar sei.
Aufgrund der angeborenen Fußdeformität sollte die Klägerin nicht auf Treppen, Leitern und Gerüsten arbeiten. Zum
beginnenden Kalksalzverlust der Wirbelsäule sei festzustellen, dass dieser behandlungsfähig sei. Vorübergehend
sollten vorsichtshalber schwerwiegende Druck-, Stoß- und Stauchbelastungen des Achsenorganes nicht zugemutet
werden. Eine eindeutige Änderung des Gesundheitszustandes seit dem Vorgutachten sei nicht zu verzeichnen. Die
Klägerin sei nach wie vor in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 m mit zumutbarem
Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit zu
benutzen. Aus orthopädischer Sicht sei die Klägerin vollschichtig mit leichten und vorübergehend mittelschweren
Arbeiten belastbar.
Der weiterhin vom Senat als Sachverständiger herangezogene Prof.Dr.S. führte in seinem Gutachten vom 07.08.2000
aus, die Stimmung der Klägerin erscheine nur oberflächlich ausgeglichen, wobei im Laufe des Gespräches eine
deutliche Bedrücktheit zu spüren sei. Bei für sie bewegenden und belastenden Themen beginne sie immer wieder zu
weinen, erscheine dann hilflos und verzweifelt, wobei sie immer wieder bemüht sei, schnell ihre alte Fassung
zurückzugewinnen. Es zeige sich eine deutliche Ambivalenz bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit. Die
Psychomotorik sei unauffällig. Der Antrieb und das Durchhaltevermögen erschienen wechselnd. Das formale Denken
sei geordnet, die Patientin dabei geistig aber nicht wendig. Auffassung und Konzentrationsvermögen seien anfangs
uneingeschränkt, ließen im weiteren Verlauf der Untersuchung jedoch nach. Die Einordnung von Daten ins Zeitgitter
falle schwer, auch die Erinnerung an die Kindheit sei nur bruchstückhaft, ansonsten sei die Gedächtnisleistung in
Ordnung. Die Intelligenz liege im unteren Normbereich. Prof.Dr.S. diagnostizierte eine asthenische
Persönlichkeitsstörung in Form einer Psychasthenie, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine niedrige
Intelligenz, die nicht das Ausmaß einer leichten Intelligenzminderung erreiche (IQ 72). Der Sachverständige führte
aus, die von ihm gestellten Diagnosen stimmten zwar weitgehend mit den Diagnosen der Gutachter in erster Instanz
überein, wobei er allerdings eine andere Schwerpunktsetzung sehe und deshalb zu einer anderen Beurteilung
gekommen sei. Seiner Meinung nach sei die psychasthenische Persönlichkeitsstörung deutlich zu wenig gewürdigt
worden. Eine solche Störung sei in den meisten Fällen nur schwer behandelbar und bedürfe einer jahrelangen
psychotherapeutischen Betreuung. Eine solche Psychotherapie bedürfe allerdings als Grundvoraussetzung
ausreichender intellektueller Fähigkeiten, die bei der Betroffenen vermutlich nicht vorlägen. Bei der Einschätzung der
Leistungsfähigkeit sei davon auszugehen, dass die Klägerin kurzzeitig vollschichtig leichte Arbeiten des allgemeinen
Arbeitsmarkts mit zahlreichen Einschränkungen verrichten könne, es aufgrund der aufgezeigten
Persönlichkeitsstörung jedoch nach kurzer Zeit immer wieder zu einer Überforderung und schließlich zu einem
Scheitern kommen werde. Deswegen sei die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar. Sie könne
auf Dauer nur weniger als zwei Stunden täglich eine berufliche Tätigkeit ausüben, ansonsten sei mit einer
Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen. Dieser Zustand habe seit dem ersten Antrag auf Berufs-
und Erwerbsunfähigkeitsrente im August 1990 bestanden.
Die Beklagte wendet hiergegen unter Vorlage einer Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr.K. vom
10.11.2000 ein, dass unter Beachtung aller Umstände ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin vorliege.
Dr.K. wies u.a. darauf hin, dass sie trotz schwieriger Kindheitsentwicklung und zahlreicher Krankenhaus- und
Heimaufenthalte sowie der niedrigen Intelligenz in der Lage gewesen sei, eine geordnete persönliche und soziale,
auch berufliche Entwicklung über einen längeren Zeitraum zu bewältigen. Außerdem lasse der gedachte Vergleich zu
psychischen Störungen anderer Art, z.B. Psychosen, depressiven Syndromen und ausgeprägten somatogenen
depressiven Syndromen doch eine erhebliche qualitative und quantitative Differenz zwischen einem derartig
gedachten Beschwerdebild und seinen Konsequenzen für das Leistungsvermögen im Vergleich zu dem bei der
Klägerin festgestellten zu. Letzten Endes stünde im vorliegenden Falle gutachterliche Auffassung gegen
gutachterliche Auffassung, wobei beide Seiten nach seinem Dafürhalten in formal korrekter Weise argumentierten. Es
spräche mit Einschränkung wesentlich mehr dafür als dagegen, dass die Gutachen der Dres.H. und von L. mit der
Einschätzung eines vollschichtigen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts
zutreffend sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.04.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.01.1996 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.11.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin
(unbefristete) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31.03.1996 hinaus zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hilfsweise beantragt sie, beim Sachverständigen Prof.Dr.S. rückzufragen, ob die Festlegung des Versicherungsfalls
nur auf Vermutungen beruhe oder vom ihm tatsächlich als nachgewiesen bzw. mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit als vorliegend angesehen werde. Weiterhin solle der Senat nochmals ein neurologisch-
psychiatrisches Gutachten einholen aufgrund der Widersprüchlichkeiten der Feststellungen im Gutachten des
Prof.Dr.S. , der von einer vollschichtigen Einsetzbarkeit der Klägerin wie die Vorgutachter Dr.H. und Dr.von L.
ausgehe, die aber nach kurzer Zeit wegfalle.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge vor. Zur Ergänzung des Tatbestands -
insbesondere hinsichtlich des Inhalts der ärztlichen Gutachten und des Vortrags der Beteiligten - wird hierauf sowie
auf die beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 142 ff., 151 SGG) und begründet.
Der Klägerin steht nach Überzeugung des Senats ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den
31.03.1996 hinaus zu. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare
Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs.2 Satz 1 des
Sozialgesetzbuches Teil VI - SGB VI - in der seit 01.01.1992 und auch noch im Jahre 1996 geltenden Fassung).
Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin gegeben.
Übereinstimmend nach Auffassung der ärztlichen Sachverständigen - insoweit hat sich der Senat nach Überprüfung
der Aktenunterlagen angeschlossen - hat sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit der Gewährung einer
befristeten Rente nicht wesentlich gebessert. Zwar ergibt sich nicht alleine daraus, wie die Klägerin meinte, ein
fortbestehender Rentenanspruch; denn es liegt kein Fall der Aufhebung eines ansonsten weiterbestehenden
Dauerverwaltungsakts (§ 48 des Sozialgesetzbuches Teil X - SGB X -, "Entzug" der Rente) vor, vielmehr ist der
ehemalige Rentenanspruch mit Fristablauf erloschen und sind - nach erneutem Antrag - alle Voraussetzungen für eine
Berentung ohne Bindung an die frühere Einschätzung der Erwerbsfähigkeit erneut zu prüfen und zu beurteilen. Diese
erneute Prüfung ergibt jedoch kein anderes Ergebnis als früher.
Nahezu identisch sind die Gutachten der Dr.P. und des Prof.Dr.S. , auf deren Schlussfolgerungen sich der Senat bei
seiner Entscheidung gestützt hat. Der medizinische Sachverhalt allein ist im Wesentlichen gleich geblieben. Dagegen
spricht nicht, dass Dr.W. in ihrem Gutachten aufführt, dass eine Stabilisierung des Zustands der Klägerin eingetreten
zu sein "scheint". Diese Ärztin vom Ärztlichen Dienst der Beklagten hat hierfür triftige Gründe nicht genannt, und das
Gutachten weist auch eine andere gravierende Schwäche auf; einerseits soll das Leistungsvermögen der Klägerin
nicht wesentlich gemindert sein, andererseits wird eine Trainingsmaßnahme, noch dazu in einer Werkstätte für
Behinderte, vorgeschlagen. Hier werden Unsicherheiten in der Beurteilung offensichtlich.
Unsicher in der Beurteilung erscheint auch Dr.N. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten, der nach Aktenlage eine
"gewisse" Stabilisierung unterstellt (hier konnte er nur auf das Gutachten der Dr.W. Bezug genommen haben) und eine
stufenweise Wiedereingliederung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz für wünschenswert hielt. Als einzige nannte
Dr.H. konkret einen Grund für die "Besserung" und "gewisse Stabilisierung", nämlich, dass im Gegensatz zur
Untersuchung bei Dr.P. keine Störung der Konzentrationsfähigkeit der Klägerin festgestellt werden konnte und dass
die Klägerin im Zeitraum von 1993 bis 1995 (subjektiv) eine Besserung ihres Befindens angegeben hätte. Letzteres ist
aber nicht ausschlaggebend, da schließlich der maßgebende Gesichtspunkt für eine wesentliche Minderung der
Erwerbsfähigkeit darin besteht, dass die Klägerin - konfrontiert mit dem Druck einer vollschichtigen Tätigkeit - nicht
hinreichend belastbar ist. Dass sie sich also in Zeiten ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit besser fühlt, ist
verständlich, vermag aber keine Einsetzbarkeit im Erwerbsleben zu begründen. Auch das Argument, dass die
Klägerin ihren häuslichen Arbeiten nachkommen könne, ist nicht triftig. Zum einen besteht kein Grund zur Annahme,
dass ein Zweipersonenhaushalt so viel Aufwand wie die Ausführung einer ganztägigen Beschäftigung beinhaltet. Zum
anderen können bei Haushaltstätigkeiten Pausen eingelegt und die Reihenfolge der variierenden, nicht
fremdbestimmten Tätigkeiten in der Regel selbst festgelegt werden. Außerdem hat die Klägerin angegeben, dass ihr
Ehemann bei Hausarbeiten mithelfe und dass sie sich nach Tätigkeiten wie Kochen und Einkaufen erschöpft fühle,
sie eine Arbeit oft in mehreren Schritten erledige, weil sie sonst keine Kraft hierfür habe.
Allein die fehlende Störung der Konzentrationsfähigkeit (Untersuchung der Klägerin im Juli 1997 durch Dr.H.) muss
zweifelhaft bleiben, nachdem dieser Mangel vorher eindeutig objektiviert und auch im März 2000 bei der Untersuchung
durch Prof.Dr.S. wieder festgestellt worden ist. Abgesehen davon ist dieser Gesichtspunkt nicht entscheidend für das
Vorliegen oder Nichtvorliegen von Erwerbsunfähigkeit. Ausschlaggebend ist das Durchhaltevermögen der Klägerin
während einer gesamten Arbeitsschicht (und nicht während einer relativ kurzen Untersuchung), im Übrigen der
gesamte Gesundheitszustand der Klägerin, der nach Auffassung des Senats eine Belastung durch Erwerbstätigkeit
nicht zulässt, da sonst die unmittelbare Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung besteht.
Gefolgt werden kann insoweit nicht den Ausführungen des Dr.K. , dass die Argumentation des Prof.Dr.S. (jedes
subjektive und objektive Scheitern im Berufsleben sowie viele frustrane Bewerbungsversuche und Ablehnungen
führen zu einer Verschlechterung im psychischen Bereich bei der Klägerin) mit Einschränkungen von der Sachlage
zwar berechtigt, gleichzeitig jedoch mit einem Vorbehalt zu versehen sei, da bei der Einführung exogener Faktoren die
Gefahr bestehe, dass soziale Sachverhalte medikalisiert würden. Dieser Hinweis des Dr.K. ist im abstrakten Bereich
geblieben, und es ist nicht dargetan worden, dass die Ausführungen des Prof.Dr.S. in einem konkreten Punkt unrichtig
sind. Im Übrigen sind in einem Gutachten nicht nur die Gesundheitsstörungen als solche zu untersuchen, sondern
auch ihre Auswirkungen im Erwerbsleben.
Der Gesundheitszustand der Klägerin im psychiatrischen Bereich ist im Wesentlichen durch zwei Umstände
gekennzeichnet. Neben Gesundheitsstörungen auf internistischem und orthopädischem Gebiet, die durchaus real
(somatisch) sind und bereits eine Vielzahl an Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit mit sich bringen, liegt zunächst
eine ausgeprägte psychosomatische Symptombildung (Schmerzsyndrom) vor. Dies ist von Dr.P. und Prof.Dr.S.
herausgearbeitet worden und wird auch von den anderen Sachverständigen nicht in Abrede gestellt. Dagegen spricht
auch nicht die Feststellung des Orthopäden Dr.P. , dass die Diskrepanz zwischen den geklagten Beschwerden und
den klinischen Befunden auffällig sei, denn auf der anderen Seite steht fest, wie die Sachverständigen auf
nervenärztlichem Gebiet festgestellt haben, dass die Klägerin weder aggraviert noch simuliert; eher neigt sie zur
Dissimulation, wie Dr.von L. betont hat und wie sich auch aus den anderen Gutachten entnehmen lässt; mehrfach ist
beschrieben, dass die Stimmungslage der Klägerin wechselnd gewesen ist und sie versucht hat, aus ihren
Stimmungstiefs herauszukommen, und dass sie bemüht gewesen ist, wieder eine Arbeitsstelle zu finden und dort
eine Beschäftigung durchzustehen. Obwohl glaubhaft arbeitswillig und arbeitsbereit (vgl. das Gutachten des
Prof.Dr.S.), kam es wegen der psychischen Komponente rasch zu Beschwerden und Schmerzen im Magen sowie im
Bereich der Wirbelsäule und des Klumpfußes bzw. zu einer massiven Überlagerung der körperlichen Beschwerden,
durch die die Klägerin wesentlich stärker behindert gewesen ist, als dies allein aus somatischer Sicht, d.h. nur unter
Berücksichtigung der "körperlichen" internistischen und orthopädischen Befunde der Fall gewesen wäre.
Über das psychosomatische Schmerzsyndrom hinaus besteht, wie bereits anfänglich Dr.P. herausgearbeitet hat, eine
Persönlichkeitsstörung, die ihre Anfänge in der Kindheitszeit der Klägerin hat (Bett nässen, Nägel kauen, psychische
Besuch einer Sonderschule, zahlreiche Krankenhausaufenthalte und Heimunterbringungen). Hier konnte sich kein
stabiles Selbstwertgefühl entwickeln, sondern vielmehr ein Anpassungsverhalten. Erschwerend zu dem Geschehen
kamen eine grenzwertige intellektuelle Begabung, die es auch nicht zuließ, dass die Klägerin auf intellektuellem Weg
Defizite auf anderen Gebieten kompensierte, ebenso Arbeitsverhältnisse, die für die Möglichkeiten der Klägerin nicht
geeignet gewesen sind. Ausgehend von diesen Verhältnissen hat sich eine chronifizierte Störung entwickelt, die dazu
geführt hat und führt, dass die Klägerin bei Belastung durch eine vollschichtige Arbeitstätigkeit dekompensiert. Es
fehlt am Durchhaltevermögen. Insoweit hat bereits Dr.P. darauf hingewiesen, dass die wesentlichen psychiatrischen
Anteile des Krankheitsbilds außer Acht gelassen bzw. keine hinreichende Berücksichtigung erfahren haben.
Dem entspricht auch die im Gutachten des Prof.Dr.S. aufgenommene Schilderung des Berufslebens der Klägerin mit
wiederholt auftretenden Schwierigkeiten in der Form, dass sie sich immer wieder unter großen Leistungsdruck setze,
die an sie gestellten Anforderungen letztlich nur über eine gewisse Zeit mit Anstrengung erfüllen könne und dadurch
immer wieder scheitere und dekompensiere. In Einklang stehen damit der Versicherungsverlauf der Klägerin und die
Auflistung der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit (mit Krankheitsbezeichnungen) durch die Allgemeine Ortskrankenkasse
Augsburg seit 1984 (vgl. Bl.25 ff. der Sozialgerichtsakte S 9 Ar 216/93); es ist ersichtlich, dass sich die Zeiten der
Arbeitsunfähigkeit (und Arbeitslosigkeit) seit 1988/89 steigerten und sehr häufig wurden.
Im Zusammenwirken aller Umstände ist eine psychasthenische Persönlichkeitsstörung entstanden, die nach der
persönlichen Struktur der Klägerin einer Behandlung - wenn überhaupt - schwer zugänglich ist, jedenfalls einer
jahrelangen, bisher nicht unternommenen therapeutischen Behandlung, deren Ergebnis mehr als ungewiss ist, bedarf.
Der Senat ist nach Auswertung der Aktenunterlagen zu der Auffassung gekommen, dass die in erster Instanz tätig
gewordenen Sachverständigen die psychasthenische Persönlichkeitsstörung zu wenig gewichtig behandelt haben. So
taucht diese Diagnose z.B. im Gutachten des Dr.von L. an letzter Stelle auf und wurde im Gutachten der Dr.H. nicht
weiter verfolgt. Prof.Dr.S. hingegen hat nochmals die Ausgangssituation, die Entwicklung der Klägerin und den
beruflichen Werdegang eingehend verfolgt und die maßgebenden Gesichtspunkte herausgearbeitet. Es ist dem Senat
bewusst, dass die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen schwierig fassbar sind. Die Asthenie spielt
sich überwiegend im Psychischen ab, was sich in einem Mangel an Spannkraft, einer geringen Ausdauer, einem
dauernden Gefühl seelischer Schwäche und Unzulänglichkeit, Erschöpfbarkeit, rascher Ermüdbarkeit,
Konzentrationsschwäche und Energiemangel ausdrückt. Vor allem durch die niedrige Intelligenz und die belastende
Entwicklung standen der Klägerin nicht genügend Kompensationsmechanismen zur Verfügung, was letztlich zu der
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung geführt hat.
Eine bisher nicht unternommene konsequente therapeutische Behandlung - so bemängelt von Dr.H. - kann der
Klägerin nicht zum Nachteil gereichen. Abgesehen davon, dass bezweifelt werden muss, ob die Klägerin aufgrund
ihrer Persönlichkeitsstruktur die Hinweise der Dr.P. hinreichend verstanden und auch verinnerlicht hat, so könnte ein
Rentenanspruch nur verneint werden, wenn sie ihren Zustand im Hinblick auf die Rentengewährung vorsätzlich
herbeigeführt oder aufrecht erhalten hat. Dies ist aber nicht anzunehmen. Wenn Dr.H. sich im Übrigen zur
Rechtfertigung ihres Gutachtens darauf beruft, dass zu Fragen der Restgesundheit erst nach Durchführung und
Ausschöpfung etablierter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlungsmaßnahmen Stellung genommen
werden könne, so liegt dies neben der Sache. Dies hieße, das psychiatrische gutachterliche Fachwissen als äußerst
gering und völlig unzureichend einzustufen und die Beurteilung des Gesundheitszustands eines Versicherten
gegebenenfalls auch auf Jahrzehnte hinaus aufzuschieben und der bisherigen (ohne Behandlung) jahrelang
bestehenden Leistungsunfähigkeit einfach nicht Rechnung zu tragen, obwohl bereits eine mehr als sechs Monate
andauernde wesentliche Einschränkung des Erwerbsvermögens die Gewährung einer Zeitrente rechtfertigt. Letzten
Endes könnte der Klägerin nur zum Nachteil gereichen, wenn die Beklagte eine von ihr als dringlich angesehene
Behandlung von Anfang an erkannt und der Klägerin eine Maßnahme angeboten hätte, diese aber hieran nicht -
obwohl zumutbar - mitgewirkt hätte, wobei sie auf die Konsequenzen bei Unterlassen der Mitwirkung auch noch
hingewiesen worden sein müsste.
Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass den Senat der von Dr.K. angestellte Vergleich zwischen der bei der
Klägerin vorliegenden Störung und psychischen Störungen anderer Art (Psychosen usw.) nicht überzeugt. Es kann
auch bei den von Dr.K. vergleichsweise angeführten Gesundheitsstörungen zu geringen wie auch schwergewichtigen
Auswirkungen im Erwerbsleben kommen, also Erwerbsunfähigkeit vorliegen oder auch nicht. Im Übrigen vermag der
sinngemäße Hinweis, dass andere Versicherte mit anders gelagerten Gesundheitsstörungen schwerer betroffen seien
als die Klägerin, noch lange nicht schlüssig begründen, warum bei der Klägerin Erwerbsfähigkeit bestehen sollte. Es
kommt stets auf die in einer Person konkret bestehende Erkrankung an, weiterhin darauf, ob in der Gesamtschau aller
Gesundheitsstörungen, gegebenenfalls in ihrer Wechselwirkung, eine hinreichende Belastbarkeit im Berufsleben
besteht.
Der Senat ist zur Überzeugung gekommen, dass die Klägerin weiterhin in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich
beeinträchtigt ist. Neben der Sache liegt der "formelle Beweisantrag" der Beklagten, wegen des von Prof.Dr.S.
genannten "Leistungsfalles" im Jahre 1990 weitere Erhebungen anzustellen. Ausgehend von den bisherigen
Umständen, d.h. von dem Bezug einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (vom 01.04.1993) bis 31.03.1996 (bei einem
im September 1992 eingetretenen Leistungsfall) war lediglich entscheidungserheblich, ob über den 31.03.1996 hinaus
Erwerbsfähigkeit besteht. Die erneute Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens erschien dem Senat
nicht geboten, und schon gar nicht wegen des von der Beklagten gerügten angeblichen Widerspruchs im Gutachten
des Prof.Dr.S ... Dieser Sachverständige hat eindeutig und klar dargestellt, dass es bei der Klägerin, als sie im
Erwerbsleben gestanden hat, wiederholt zu Dekompensationen gekommen ist, und sie im streitbefangenen Zeitraum
nur weniger als zwei Stunden täglich einsetzbar ist. Hierin vermag der Senat keinen Widerspruch zu erkennen.
Nach Sachlage ist davon auszugehen, dass die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig sind. Der
Versicherungsträger hätte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer oder zumindestens auf Zeit gewähren müssen.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet, 1. wenn begründete Aussicht besteht, dass die
Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann oder 2. wenn der Anspruch auch von der
Arbeitsmarktlage abhängig ist, es sei denn, die Versicherten vollenden innerhalb von zwei Jahren nach Rentenbeginn
das 60. Lebensjahr. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn, sie kann wiederholt werden,
darf jedoch bei sich anschließender Befristung aufgrund der oben genannten Alternative Nr.1 die Gesamtdauer von
sechs Jahren nicht übersteigen (§ 102 Abs.2 SGB VI).
In Anbetracht dessen, dass seit Auslauf der befristeten Rente der Klägerin zum 31.03.1996 bereits mehr als fünf
Jahre verstrichen sind, kann der Senat schlechterdings eine zweite Zeitrente für drei Jahre "zusprechen" und darüber
hinaus eine weitere Zeitrente oder unbefristete Rente (insoweit wirkt der noch offene Rentenantrag der Klägerin vom
11.12.1995 weiter und wurde auch das Rentenbegehren im Streitverfahren aufrecht erhalten, nicht auf eine bloße
Zeitrente im Anschluss an die erste Zeitrente beschränkt).
Nähere Erörterungen der Problematik erübrigen sich jedoch. Nach jetzigem Stand sind keinerlei Gesichtspunkte
ersichtlich, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin in absehbarer Zeit behoben sein wird. Es sprechen infolge des
Zeitablaufs seit Ende der letzten Tätigkeit der Klägerin (inzwischen chronifiziertes Krankheitsbild) und der letztlich
erfolglos gebliebenen medizinischen und beruflichen Rehabilitation mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen, dass die
Gesundheitsstörungen der Klägerin nicht mehr wesentlich zu beeinflussen sind. Überdies ist der Senat - wie
Prof.Dr.S. - zu der Überzeugung gekommen, dass die Klägerin, anfangs noch unter vollschichtig einsetzbar, nunmehr
nicht mehr in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben; jede Tätigkeit würde wieder
zu einer Dekompensation führen und geht damit zu Lasten der Gesundheit.
Daher war die Beklagte mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zu verurteilen, unbefristete Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit über den 31.03.1996 hinaus zu zahlen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.