Urteil des LSG Bayern vom 08.07.2010

LSG Bayern: persönliches erscheinen, bekanntgabe, behinderung, beweisverfahren, freibeweis, verfügung, verfahrensmangel, form, zustellung, entschuldigung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 08.07.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 3 SB 389/09
Bayerisches Landessozialgericht L 2 SB 29/10 B
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 22. Januar 2010 aufgehoben.
Gründe:
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Verhängung von Ordnungsgeld. Bei dem Kläger und Beschwerdeführer (im
Folgenden: Bf.) ist mit Teilabhilfe-Bescheid vom 2. Oktober 2008 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.
Er wendet sich in dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut gegen die Ablehnung der Feststellung eines
Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 90 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen
"G" und "RF". Dies hatte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 1. Juli 2009 abgelehnt. Das Sozialgericht hat die Beteiligten zu einem Erörterungstermin am 22. Januar 2010
geladen und das persönliche Erscheinen des Bf. angeordnet. Die Ladung war mit dem Hinweis versehen, dass gegen
den Bf. ein Ordnungsgeld bis zu 1.000 EUR festgesetzt werden kann, falls er ohne genügende Entschuldigung nicht
erscheint. In einem Telefonat vom 8. Dezember 2009 hat der Kammervorsitzende dem Bf. dargelegt, dass sein
persönliches Erscheinen zum Termin notwendig sei. Falls er wegen der schlechten Zugverbindung nicht rechtzeitig
erscheine, werde er noch einige Zeit auf den Bf. warten und nicht sofort ein Ordnungsgeld verhängen. Ein Nachweis
der Zustellung der Ladung findet sich in der Akte nicht. Zum Termin am 22. Januar 2010 ist der Bf. nicht erschienen.
Der Kammervorsitzende hat die Sitzung um 10.10 Uhr eröffnet, das unentschuldigte Fernbleiben des Bf. festgestellt
und mit Beschluss ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 EUR verhängt. Der Beschluss ist nicht begründet. Zur
Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde hat der Bf. auf die ungünstige Anbindung an den öffentlichen
Nahverkehr hingewiesen. Der Ladungstermin 10.00 Uhr sei vorsätzlich am 22. Januar 2010 so gelegt worden, dass er
auch beim besten Willen erst zwischen 11.30 Uhr und 12.00 in Landshut hätte sein können. Der Ladung habe er am
gleichen Tag (4. Dezember) telefonisch widersprochen. Am 7. (richtig wohl 8.) Dezember 2009 habe er mit dem
Kammervorsitzenden darüber gesprochen. Im Übrigen betrage seine Rente lediglich 600,00 EUR.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und begründet. Nach §§ 111, 202 SGG
i.V.m. § 141 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen
Verhandlung angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im
Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob der Vorsitzende eine Anordnung nach § 111 SGG
treffen will, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Hält er zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor der
gesamten Kammer eine Erörterung und Beweiserhebung für notwendig, so kann er hierzu das persönliche Erscheinen
eines Beteiligten anordnen. Nach § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines
Beteiligten dann ermessensfehlerfrei, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Im
sozialgerichtlichen Verfahren ist dabei der Ermessensspielraum weiter. Da das Gericht gehalten ist, in einer
mündlichen Verhandlung eine Entscheidung zu treffen, bedarf es vielfach eines vorbereitenden Erörterungstermins (§
106 Abs. 3 Nr. 7 SGG), in dem die Anwesenheit der Beteiligten notwendig ist, um die Sach- und Rechtslage zu klären
und/oder zu sachdienlichen Anträgen zu gelangen. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Bf. ist insofern
ermessensfehlerfrei, zumal Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens auch die Herbeiführung einer
vergleichsweisen Erledigung sein kann (so z.B. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 111 Rdnr. 2).
Voraussetzungen der Verhängung von Ordnungsgeld gemäß § 111 SGG i.V.m. §§ 141 Abs. 3, 380, 381 ZPO sind die
ordnungsgemäße Ladung zum Termin und das unentschuldigte Ausbleiben. Der Bf. war ordnungsgemäß geladen.
Terminsbestimmungen und Ladungen sind gemäß § 63 Abs. 1 S. 2 SGG in der Fassung des 6.
Sozialgerichtsänderungsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) grundsätzlich nicht mehr zuzustellen.
Vielmehr genügt die Bekanntgabe, etwa mittels einfachen Briefes. Das Gericht hat jedoch von Amts wegen zu prüfen,
ob eine Bekanntgabe erfolgt ist. Dabei ist es nicht an die allgemeinen Vorschriften über das Beweisverfahren
gebunden, sondern es entscheidet im sog. Freibeweis (BSG, Beschluss vom 1. Oktober 2009, Az.: B 3 P 13/09 B).
Zwar fehlt in den Akten des Sozialgerichts der Zugangsnachweis in Form des gemäß Verfügung angeordneten
Empfangsbekenntnisses. Allerdings fand am 8. Dezember 2009 ein Telefonat zwischen dem Bf. und dem
Kammervorsitzenden statt, aus dem sich gemäß dem Gesprächsvermerk ohne Zweifel ergibt, dass der Bf. die
Ladung zum Termin tatsächlich erhalten hat. Er selbst hat in der Beschwerdebegründung angegeben, am 4.
Dezember 2009 die Ladung erhalten und dieser sofort widersprochen zu haben. Der Senat kann offen lassen, ob der
Dezember 2009 die Ladung erhalten und dieser sofort widersprochen zu haben. Der Senat kann offen lassen, ob der
Bf. unentschuldigt dem Termin ferngeblieben und ob ggf. die Höhe des Ordnungsgeldes angemessen ist, da der
Beschluss nicht begründet ist. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes erfolgt durch Beschluss. Der Beschluss ist
gemäß § 142 Abs. 2 S. 1 SGG zu begründen, da hiergegen das Rechtsmittel der Beschwerde eröffnet ist. Das Fehlen
der Begründung ist ein wesentlicher Verfahrensmangel (so z.B. auch LSG Rheinland-Pfalz, Breith. 1983, 840; zum
Ordnungsgeldbeschluss: Thüring. LSG, Beschluss vom 3. November 2005, Az.: L 6 B 64/05 R), der zur Aufhebung
des Beschlusses führt. Dies gilt vorliegend umso mehr als es sich bei der Verhängung von Ordnungsgeld hinsichtlich
des "Ob" um eine Ermessensentscheidung handelt. Die Begründung muss deshalb Ausführungen zum Grund der
Festsetzung und zur Höhe des Ordnungsgeldes enthalten (so z.B. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 111
Rdnr. 6 b m.w.N.). Vorliegend enthält der Beschluss jedoch keine Begründung, so dass er bereits aus diesem Grunde
aufzuheben war. Der Beschwerde war daher stattzugeben. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.