Urteil des LSG Bayern vom 16.11.2007

LSG Bayern: arbeitsentgelt, verfügung, bemessungszeitraum, tarifvertrag, arbeitsmarkt, vergütung, ausbildung, urlaub, leistungsfähigkeit, entstehung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.11.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 5 AL 1455/01
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 522/04
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Wege der Überprüfung gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
höheres Arbeitslosengeld (Alg).
Die 1962 geborene Klägerin meldete sich am 14.01.1999 arbeitslos und beantragte Alg. Vom 01.06.1995 bis
31.12.1998 war sie zuletzt geringfügig bei ihrem Ehemann mit 610,00 DM pro Monat und vom 01.07.1991 bis
14.08.1994 bei der T. Deutschland M. in Vollzeit als Verkaufssachbearbeiterin beschäftigt. Sie kündigte das
Arbeitsverhältnis bei der T. am 24.06.1998 fristgerecht zum 26.09.1998, nachdem sie vom 15.08.1994 bis 22.11.1994
in Mutterschutz und vom 23.11.1994 bis 26.09.1997 im Erziehungsurlaub war und vom 27.09.1997 bis 26.09.1998
unbezahlten Urlaub genommen hatte. Ihre Kündigung bei der T. begründete die Klägerin damit, dass nach einem
Umzug der Weg zur Arbeit zu lang sei und die Niederlassung in M. nur Vollzeitkräfte einstelle, was auch von Seiten
der T. M. bestätigt wurde. Weiterhin gab sie an, dass sie sich nicht gleich nach der Beendigung des
Erziehungsurlaubs arbeitslos gemeldet hätte, da sie erst selbst nach einer Arbeitsstelle gesucht hätte, jedoch ohne
Erfolg. Für die Zukunft stellte sie sich dem allgemeinen Arbeitsmarkt für 15 Stunden wöchentlich nachmittags Montag
bis Freitag zur Verfügung.
Mit Bescheid vom 23.02.1999 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 14.01.1999 auf einer wöchentlichen
Bemessungsentgeltgrundlage von 359,08 DM Alg. Dem lag eine fiktive Einstufung als Sachbearbeiterin im
Tarifvertrag Einzelhandel vom 01.07.1998 in Höhe von 3.864,00 DM zuzüglich 26,00 DM VWL bei 37,05 Stunden, was
einem Stundenlohn von 23,94 DM entsprach, zugrunde.
Da ihr Kind ab September 1999 in den Kindergarten ging, stellte sich die Klägerin ab 17.09.1999 vormittags für 20
Stunden pro Woche zur Verfügung.
Mit Bescheid vom 12.08.1999 wurde die Bemessungsentgeltgrundlage entsprechend auf 478,77 DM geändert.
Vom 20.09.1999 bis 19.03.2000 nahm die Klägerin beim K.-Bildungswerk an einer Maßnahme in einer
kaufmännischen Übungsfirma teil.
Am 20.03.2000 meldete sie sich erneut arbeitslos. Mit Bescheid vom 22.03.2000 wurde der Klägerin erneut Alg nach
einem Bemessungsentgelt von 478,77 DM bewilligt.
Am 29.06.2000 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Anschluss-Alhi, die ihr mit Bescheid vom 10.07.2000
vorläufig in Höhe von 221,90 DM pro Woche bewilligt wurde und mit Bescheid vom 28.11.2000 endgültig in der
genannten Höhe festgesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 16.05.2001 berechnete die Beklagte auf Grund des am 21.06.2000 veröffentlichten Beschlusses
des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 zur Berücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt das Alg
für die Zeit vom 22.06.2000 bis 12.07.2000 neu und zahlte 79,80 DM nach. Am 15.05.2001 meldete sich die Klägerin
aus dem Leistungsbezug ab.
Am 21.06.2001 beantragte die Klägerin eine Überprüfung gemäß § 44 SGB X der Alg-Bewilligungsbescheide, da die
zugrunde gelegten Bemessungsentgelte nicht dem zuletzt bezogenen sozialversicherungspflichtigen Brutto
(Vollzeitstelle!) entsprächen.
Mit Bescheid vom 13.08.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass die
Bescheide nicht zu beanstanden seien. Dabei erläuterte sie, dass sich die Differenzen aus den wöchentlich dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellten Stunden ergäben und lehnte eine Änderung ab.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin insbesondere geltend, das Bemessungsentgelt hätte höher festgesetzt
werden müssen. Zum einen richte sich das Bemessungsentgelt gemäß § 131 Abs.2 SGB III nicht nach der
Vergütung, die sie während des Bezugs von Erziehungsgeld wegen Kindererziehung erhalten habe, sondern danach,
welche Vergütung sie vor Eintritt in den Erziehungsurlaub erhalten habe. Dies seien 4.206,86 DM gewesen. Nachdem
bei einer fiktiven Festlegung des Bemessungsentgelts gemäß § 133 Abs.4 SGB III nicht wahlweise der für den
Betreffenden schlechteste Tarifvertrag zugrunde zu legen sei, sondern der für den Betroffenen günstigste Tarifvertrag,
hätte bei ihr tatsächlich der Tarifvertrag zugrunde gelegt werden müssen, dem das höchste Arbeitsentgelt zugrunde
liege. Die Beklagte habe trotz des Umstandes, dass sie bis einschließlich 1997 als Angestellte der T.-Gruppe tätig
gewesen sei, ihre spätere Vermittelbarkeit auf sämtliche Angestelltenbereiche bezogen, nicht nur auf den Bereich
Einzelhandel.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die
Vermittlungsbemühungen hätten sich auf Grund des beruflichen Werdegangs vorwiegend auf Tätigkeiten im
kaufmännischen Bereich wie Sachbearbeiterin, kaufmännische Angestellte o.ä. erstreckt. Für eine qualifizierte
Vermittlung im Touristikbereich wie Reiseverkehrskauffrau u.ä. würden der Klägerin die beruflichen Kenntnisse fehlen.
Diese Aussage sei von ihr auch in einem Beratungsgespräch bestätigt worden. Auch seien die im erreichbaren
Tagespendelbereich ansässigen Reisebüros zu klein, um zusätzlich eine Bürokraft einzustellen oder zu beschäftigen.
Ferner sei die regionale Verfügbarkeit für Arbeitsstellen dadurch erheblich eingeschränkt, als sich die Klägerin
zunächst nur für 15 und später für 20 Wochenstunden der Vermittlung zur Verfügung gestellt habe und sich deswegen
die Vermittlungsaktivitäten nur auf einen Umkreis von ca. 20 bis 50 km Entfernung vom Wohnort beschränkt hätten.
Eine Eingruppierung in den Tarifvertrag der T.-Gruppe habe nicht erfolgen können, da absolut keine
Vermittlungsaussichten bestanden hätten.
Zur Begründung der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt,
die Beklagte übersehe vollständig den Regelungszweck von § 133 SGB III. Gemäß § 133 Abs.4 SGB III habe die
Festsetzung des Bemessungsentgelts nicht unter Berücksichtigung der konkreten Vermittelbarkeit des
Arbeitsmarktes so erfolgen, sondern abstrakt danach, welches Bemessungsentgelt sie erhalten hätte, wäre sie nicht
in den Erziehungsurlaub gegangen und welche Vergütung sie hätte erzielen könne, wenn ein entsprechender
Arbeitskräftebedarf vorhanden gewesen sei. Die Höhe des Bemessungsentgeltes bemesse sich nicht danach, welche
Vermittlungsaussichten konkret für die einzelnen Arbeitnehmer regional zeitlich oder örtlich realistisch seien, sondern
bemesse sich danach, was sie bisher an Vergütung erhalten habe bzw. was tarifliche Regelungen hergeben würden.
Mit Urteil vom 05.10.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Neue Tatsachen seien nicht vorgetragen worden. Die
Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden.
Mit der Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, wobei sie im
Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Der Senat forderte sodann die Beklagte auf, Ermittlungen dahingehend durchzuführen, ob im hier fraglichen Zeitraum
ab Januar 1999 und gegebenenfalls welche für die Klägerin erreichbaren Arbeitsplätze als Reiseverkehrsfrau oder mit
einer vergleichbaren Tätigkeit (insbesondere in Reisebüros oder -agenturen) gegeben gewesen seien, auf die sie ihre
Vermittlungen hätte erstrecken müssen.
Hierzu hat die Beklagte umfangreich Stellung genommen und selbst ermittelt.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom
05.10.2004 sowie des Bescheides vom 13.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2001 die
Bescheide vom 23.02.1999, 12.08.1999, 22.03.2000, 10.07.2000, 28.11.2000 und 16.05.2001 abzuändern und ihr
Leistungen ab 14.01.1999 bis 15.05.2001 nach einem höheren Bemessungsentgelt zu zahlen.
Desweiteren wiederholt sie ihren Beweisantrag vom 27.10.2005 auf Einvernahme der Zeugin F ...
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Ergänzend zum bisherigen Vorbringen führt sie aus, das Vorbringen der Klägerin negiere unverändert, dass vorliegend
gerade nicht die Bemessung einer bundesweit vermittelbaren Arbeitnehmerin zu erörtern sei. Zudem verkenne die
Klägerin, dass sie - die Beklagte - keineswegs (nur) nach offenen Stellen gefragt habe. Schließlich werde auch von
der Klägerin verkannt, dass bereits zur Vorgängernorm das BSG festgestellt habe, dass hinsichtlich der Beurteilung,
ob die Zugrundelegung des (jeweiligen) Arbeitsentgelts realistisch sei, zu fordern sei, dass auf dem erreichbaren
Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für die entsprechende Beschäftigung in nennenswertem Umfang vorhanden seien (SozR 3-
4100 § 136 Nr.9). Solches lasse sich vorliegend eben nicht feststellen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs.1 Satz 2 SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151,
153 Abs.1, 87 Abs.1 Satz 2 SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Gegenstand des Verfahrens (§ 95 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist eine Verpflichtung der Beklagten zur neuen
Gestaltung eines bereits geregelten Elements einer Leistungsbewilligung für die Zeit vom 14.01.1999 bis 15.05.2001,
hier des Bemessungsentgelts. Richtige Klageart ist wegen der erfolgten Verweigerung zunächst die Aufhebung des
Bescheides vom 13.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2001 und dann die Verpflichtung
zur Abänderung des Bescheides vom 23.02.1999.
Anspruchgrundlage einer möglichen (teilweisen) Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden
Verwaltungsaktes ist § 44 SGB X.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von
einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu
Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die von der Beklagten getroffene Regelung war aber nicht unrichtig. Deshalb sind insoweit auch keine
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht bzw. vorenthalten worden.
Für die Bewilligung war im Jahr 1999 das SGB III vom 24.03.1997 (BGBl. I, S 494) in der Fassung der Änderung
durch Artikel 3 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 16.12.1997 (BGBl. I, S 2998)
maßgeblich.
Gemäß § 129 SGB III beträgt das Alg 67 v.H. (erhöhter Leistungssatz) bzw. 60 v.H. (allgemeiner Leistungssatz) - des
pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich - aus dem Bruttoentgelt ergibt, - das der Arbeitslose im
Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemes sungsentgelt).
Das Bemessungsentgelt (§ 132 SGB III) wiederum ist das im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche
entfallende Entgelt. Für die Berechung des Bemessungsentgelts ist das Entgelt im Bemessungszeitraum durch die
Zahl der Wochen zu teilen, für die es gezahlt worden ist (Abs.2 Satz 1).
Eine Woche, in der nicht für alle Tage Entgelt beansprucht werden kann, ist mit dem Teil zu berücksichtigen, der dem
Verhältnis der Tage mit Anspruch auf Entgelt zu den Tagen entspricht, für die Entgelte in einer vollen Woche
beansprucht werden kann (Abs.2 Satz 2).
Der Bemessungszeitraum (§ 130 SGB III) umfasst die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen
vor der Entstehung des Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des
Arbeitslosen aus dem letzten Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet sind.
Enthält der Bemessungszeitraum weniger als 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt, so verlängert er sich um weitere
Entgeltabrechnungszeiträume, bis 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt erreicht sind (§ 130 Abs.2 Satz 1 SGB III),
längstens jedoch im vorliegenden Fall auf drei Jahre (vgl. § 133 Abs.4 SGB III).
Vor ihrer Arbeitslosmeldung am 14.01.1999 war die Klägerin vom 01.06.1995 bis 31.12.1998 bei ihrem Ehemann
geringfügig mit 610,00 DM pro Monat und vom 01.07.1991 bis 14.08.1994 bei der T. Deutschland M. in Vollzeit als
Verkaufssachbearbeiterin beschäftigt. Vom 15.08.1994 bis 22.11.1994 befand sie sich in Mutterschutz und vom
23.11.1994 bis 26.09.1997 im Erziehungsurlaub und vom 27.09.1997 bis 26.09.1998 in unbezahltem Urlaub.
Auf Grund der genannten Arbeitbiografie steht fest, dass bei der Klägerin kein Bemessungszeitraum von mindesten
39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt "innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs auf Alg" -
hier vom 14.01.1999 bis 14.01.1996 - vorliegt. Denn die geringfügige Beschäftigung führte nicht zu "Entgelt" im Sinne
der Versicherungspflicht (vgl. § 130 Abs.1 SGB III).
Kann ein Bemessungszeitraum mit hinreichend aktuellen Entgelten nicht gebildet werden, sieht § 133 Abs.4 SGB III
als Rechtsfolge fiktives Bemessungsentgelt nach dem Arbeitsentgelt bemessen vor, das der Arbeitslose bei
erfolgreicher Arbeitsvermittlung voraussichtlich erzielen könnte.
Erzielbar ist nach § 133 Abs.4 SGB III das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt
(jetzt Agentur für Arbeit) die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hat. Nach § 35 Abs.2 SGB III hat
das Arbeitsamt (jetzt Agentur für Arbeit) bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des
Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen.
Insofern ist zunächst festzustellen, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner
Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und
Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob der Arbeitslose
bundesweit vermittelbar (unbeschränkt ausgleichsfähig) oder seine Vermittlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Bei
unbeschränkter Ausgleichsfähigkeit sind alle Beschäftigungen berücksichtigungsfähig, die ein nicht ortsgebundener
Arbeitsloser auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt ausüben kann. Sodann ist festzustellen, welches tarifliche oder
ortsübliche Arbeitsentgelt dieser Beschäftigung zuzuordnen ist. Hierbei ist vor allem auf den Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitslosen abzustellen (BSG SozR 4100 § 112 Nr.2), allerdings bei unbeschränkt
Vermittlungsfähigen ist auch auf das Arbeitsentgelt einer solchen Beschäftigung, für die er darüber hinaus außerhalb
seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts dem Grunde nach zur Verfügung steht. Hierbei ist das
Günstigkeitsprinzip anzuwenden, nach dem - wenn für den Arbeitslosen mehrere Beschäftigungen in Betracht
kommen - von der Beschäftigung mit dem höchsten Arbeitentgelt auszugehen ist (BSG SozR 4100 § 112 Nr.43 mwN)
und nicht von der Beschäftigung mit dem Tariflohn, den der Arbeitslose mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erzielt
hätte (BSG SozR 4100 § 112 Nr.51).
Hierzu steht zur vollen Überzeugung des Senats fest: Die Klägerin hat eine Ausbildung als Bürokauffrau und hat bis
Juli 1994 sechs Jahre lang als Touristikangestellte gearbeitet. Von Juli 1994 bis Januar 1999 war sie in Mutterschutz
bzw. Urlaub und hat nur im Nebenverdienst beim Ehemann gearbeitet.
Die Vermittlungsbemühungen der Beklagten haben sich deshalb zu Recht aufgrund des beruflichen Werdegangs der
Klägerin vorwiegend auf Tätigkeiten im kaufmännischen Bereich wie Sachbearbeitung, kfm. Angestelltentätigkeiten
u.ä. erstreckt. Für eine qualifizierte Vermittlung im Touristikbereich als Reiseverkehrskauffrau o.ä. fehlen der Klägerin
die beruflichen Kenntnisse bzw. eine entsprechende Ausbildung, was sie im Übrigen selbst einräumte und wovon der
Senat ebenfalls voll überzeugt ist. Dass sie nicht dem T.-Firmentarifvertrag zuzuordnen ist, räumte die Klägerin auch
letztlich selbst ein. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin, um überhaupt wieder
beruflich Fuss fassen zu können, vom 20.09.1999 bis 19.03.2000 an einer Bildungsmaßnahme im K.-Werk in einer
Übungsfirma teilnahm.
Hinzu kommt eine Prüfung der Einschränkungen der Klägerin bezüglich ihrer (möglichen) Arbeitszeit. So stellte sie
sich bei der Antragstellung vom 14.01.1999 zunächst für 15 Stunden wöchentlich nachmittags Montag bis Freitag und
ab 17.09.1999 nach Erlangung eines Kindergartenplatzes für ihr Kind vormittags für 20 Stunden pro Woche (Montag
bis Freitag) zur Verfügung. Desweiteren lag auch von Seiten der Klägerin (verständlicherweise) eine Begrenzung im
räumlichen Bereich bezüglich der Entfernung vom Wohnort zur Arbeitsstätte vor. Nach Lage und Entwicklung des
Arbeitsmarktes hat daher unter Beachtung der oben festgestellten Einschränkungen der KLägerin die Beklagte das
richtige Bemessungsentgelt festgestellt.
Der Hinweis der Klägerin auf die Gelben Seiten aus dem Telefonbuch von 2006, die bestätigen sollen, dass sie
räumlich nahe im Reiseverkehrsgewerbe vermittelbar gewesen wäre, sind nicht geeignet, eine andere Beurteilung der
Sach- und Rechtslage herbeizuführen. Denn der streitige Zeitraum umfasst hier die Zeit vom 14.01.1999 bis
15.05.2001. Dem widersprechen insbesondere auch die Ermittlungsergebnisse der Beklagten, die sich retrospektiv auf
den fraglichen Zeitraum beziehen. Danach wären (rein theoretisch) lediglich zwei Arbeitsstellen in Frage gekommen
(Reiseservice in G. , v. GmbH in G.). Diese geringe Anzahl reicht aber nicht aus. Denn es ist nach der
Rechtsprechung des BSG bereits zur Vorgängervorschrift (SozR 3-4100 § 136 Nr.9) zu fordern, dass hinsichtlich der
Beurteilung, ob die Zugrundelegung des (jeweiligen) Arbeitsentgelts realistisch sei, dass auf dem erreichbaren
Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für die entsprechende Beschäftigung in nennenswertem Umfang vorhanden sein müssen.
Insgesamt mag die Argumentation der Klägerin, die Festsetzung des Bemessungsentgelts habe nicht unter
Berücksichtigung der konkreten Vermittelbarkeit zu erfolgen gehabt, sondern abstrakt danach, welches
Bemessungsentgelt sie erzielt hätte, wäre sie nicht in Erziehungsurlaub gegangen und welche Vergütung sie hätte
erzielen können, wenn ein entsprechender Arbeitskräftebedarf vorhanden gewesen sei, nicht zu überzeugen. Denn
insofern hat die Beklagte hier zunächst zu Recht festgestellt, für welche Beschäftigung die Klägerin nach ihrem
Lebensalter und ihrer Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung ihres Berufs und ihrer Ausbildung nach
Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts in Betracht kam. Zutreffend hat die Beklagte auch festgestellt, ob die
Vermittlungsfähigkeit eingeschränkt ist, was unstreitig bei der Klägerin der Fall war. Wie bereits ausgeführt, war die
Klägerin wegen ihres Kindes "lediglich" in der Lage, zeitlich beschränkt und räumlich beschränkt zu arbeiten. Es
bestehen auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der Regelung in § 133 Abs.4 SGB
III, selbst wenn - wie hier - letztlich die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub mitursächlich dafür geworden ist,
dass eine fiktive Bemessung zu erfolgen hat. Art.6 Abs.4 Grundgesetz (GG) verbietet (zwar) jede Diskriminierung und
verengt den im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
zugunsten der Mütter (vgl. BSG vom 21.10.2003 - B 7 AL 28/03 R = BSGE 91,226 = SozR 4-4300 § 147 Nr.2). Aus
Art.6 Abs.4 GG kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft
zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen (vgl. BSG 7. Senat, 21.10.2003, Az.: B 7 AL 28/03 R).
Der Klägerin ist insoweit beizupflichten, dass grundsätzlich bei einem unbeschränkt Vermittlungsfähigen das
Günstigkeitsprinzip anzuwenden ist, nachdem - eventuell für den Arbeitslosen mehrere Beschäftigungen in Betracht
kommen - von der Beschäftigung mit dem höchsten Arbeitsentgelt auszugehen ist (BSG SozR 4100 § 112 Nr.43
mwN) und nicht von der Beschäftigung mit dem Tariflohn, den der Arbeitslose mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
erzielt hätte.
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin indes nicht vor, wobei aber festzuhalten ist, dass die Beklagte eine
analoge "Günstigkeitsprüfung" vorgenommen hat. Unter Zugrundelegung der von der Klägerin gewünschten
Tätigkeiten (Bürokauffrau, Sekretärin, Sachbearbeitung Touristik) hat sie die für die Klägerin günstigste Einstufung
vorgenommen, indem sie eine fiktive Einstufung als Sachbearbeiterin im Tarifvertrag Einzelhandel vom 01.07.1998 in
Höhe von 3.864,00 DM mit zzgl. 26,00 DM VWL bei 37,5 Stunden, was einem Stundenlohn von 23,94 DM entsprach,
zugrundegelegt hat. Das zuletzt von der Klägerin erzielte Gehalt wies einen Stundenlohn von "lediglich" 23,87 DM
aus.
Die von der Klägerin zunächst in der mündlichen Verhandlung vor dem SG begehrte Einstufung in den Tarifvertrag
Groß- und Einzelhandel in Gruppe 5, ist hingegen nicht möglich. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass
es sich bei der Gruppe 5 um selbständige verantwortliche Tätigkeiten wie z.B. Leiterin einer Abteilung, Reisende mit
Abschlussvollmacht, Programmiererin, Übersetzungsarbeiten und Buchhalterin, handelt. Auf Nachfrage hat die
Klägerin auch dementsprechend erklärt, dass sie diese Tätigkeiten bisher nicht ausgeübt habe.
Dem Antrag der Klägerin auf Einvernahme der Zeugin F. von der Tarifgemeinschaft Arbeitgeber der Vereinigung im
deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalterverband e.V. in F. , musste der Senat nicht entsprechen. Frau F. sollte
dazu befragt werden, dass in dem Gebiet, in dem die Klägerin zur Vermittlung des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für
Arbeit) dann, im 50 km-Bereich eine große Anzahl von fachspezifischen Unternehmen sei, die einen entsprechend
Personalbedarf hätten. Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind
dabei heranzuziehen. Das Gericht ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Ein
Beweisantrag der Beteiligten ist u.a. abzulehnen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie also
als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist. Eine Ablehnung ist
desweiteren möglich, wenn die behauptete Tatsache bereits erwiesen ist. In diesem Zusammenhang wird auf die
umfangreichen Ermittlungen der Beklagten hingewiesen, die diese auf Anforderung des Gerichts getätigt hat. Vor
diesem Hintergrund hat die Beklagte geprüft, ob die lt. klägerseitiger Behauptung zu berücksichtigenden Betriebe -
allein 115 im Bereich S./ W./F. - für die Klägerin erreichbar waren. Hierzu wurden mittels Falk-Routenrechner
(Kriterien: schnellste Route; Fahrer/Pkw: mittel) Entfernung und Fahrzeit festgestellt. Da der Klägerin bei einer
Arbeitszeit von 3 Stunden nur jeweils 15 Minuten für die Fahrt zur Arbeitsstelle bzw. zurück zur Verfügung gestanden
hätten, waren für sie hiernach lediglich 13 Betriebe erreichbar. Unter ihnen befindet sich auch diejenige, in dem die
Klägerin später in geringem Umfang als kaufmännische Angestellte beschäftigt gewesen ist. Hinsichtlich der im
Bereich A.-K.-S. vorhandenen Betriebe bedurfte es aufgrund der geografischen Gegebenheiten keiner Ermittlungen.
Die verbleibenden 12 Betriebe wurden gleichlautend um Auskunft gebeten. In zwei Fällen kam die Anfrage wegen
Nichtzustellbarkeit unter der angegebenen Adresse zurück. Die anderen zehn Betriebe haben geantwortet. So heißt es
in dem Betrieb "h. Touristik", dass in dem besagten Zeitraum die Möglichkeit eines Einsatzes nur Montag bis Freitag,
13.15 Uhr bis 16.15 Uhr, nicht bestanden habe. Der Betrieb "H. M." hat im ersten Quartal 1999 nicht mehr bestanden.
Das Reisebüro T. teilte ebenfalls mit, dass die Möglichkeit eines Einsatzes in der gewünschten Zeit nicht bestanden
hat. Allein in den Betrieben "T. Reiseservice" in G. und "v. GmbH" in G. hätten Möglichkeiten zum Einsatz der
Klägerin in der gewünschten Arbeitszeit gehabt. Wie aber bereits ausgeführt (s.o.), hätte eine nennenswerte Anzahl
von Arbeitsstellen vorhanden sein müssen. Aufgrund der von der Beklagten durchgeführten umfangreichen
Ermittlungen war es von daher nicht geboten, dem Beweisantrag der Klägerin stattzugeben. Etwas anderes ergibt sich
auch nicht §§ 106, 118 SGG.
Der Bescheid vom 23.02.1999 erging daher zu Recht und musste von der Beklagten nicht gem. § 44 SGB X
aufgehoben werden.
Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 05.10.2004 zurückzuweisen.
Aufgrund des Unterliegens der Klägerin in beiden Rechtszügen war die Beklagte nicht zur Erstattung der
außergerichtlichen Kosten zu verpflichten (§ 193 SGG).
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.