Urteil des LSG Bayern vom 05.08.2008

LSG Bayern: aufnahme der erwerbstätigkeit, berufliche eingliederung, gewerbe, vertretung, form, nebenerwerb, einkünfte, arbeitsmarkt, kontrolle, beteiligter

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 05.08.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 13 AS 389/07
Bayerisches Landessozialgericht L 16 B 170/08 AS PKH
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
In dem Klageverfahren des Sozialgerichts München, Az S 13 AS 389/07 ist streitig, ob der Beschwerdeführer (Bf)
gegen die Beschwerdegegnerin (Bg) einen Anspruch auf Zahlung seiner Kosten für einen Eintrag in die Handwerksrolle
in Höhe von EUR 50,- und auf Förderung der Beschaffung eines Kraftfahrzeugs für seine selbstständige Tätigkeit hat.
Der 1955 geborene Bf bezieht laufend seit Februar 1996 Sozialleistungen, ab Januar 2005 Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach dem Schwerbehindertengesetz ist
bei ihm ein GdB von 100 festgestellt; die Erwerbsfähigkeit wird mit mindestens 3 h täglich eingeschätzt. Der Bf
betrieb bereits ab dem Jahr 2001 bis 03.08.2005 einen Schlüssel- und Aufsperrdienst mit der Firma "C GbR" als
selbstständiges Unternehmen (nach der Auskunft des Finanzamtes München I vom 03.11.2006 mit Umsätzen in den
Jahren 2001 und 2002 in Höhe von ca. jeweils EUR 4.000, in den Jahren 2003 und 2004 in Höhe von ca. jeweils EUR
6.000 und 2005 in Höhe von EUR 2.652). Dieses Gewerbe habe er nach seinen Angaben im Schriftsatz vom
02.10.2006 gegenüber dem Finanzamt wegen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II abmelden müssen.
Steuerrechtlich errechnete sich für das Jahr 2005 ein Verlust. Am 20.04.2006 meldete er bei der Landeshauptstadt
München erneut ein Gewerbe mit der "Vermittlung von Aufträgen an andere Betriebe" als Nebenerwerb unter Angabe
seiner Wohnschrift als Betriebsstätte an. Nach seiner Selbsteinschätzung würde sich ein monatliches Einkommen in
Höhe von bis zu EUR 50,- errechnen.
Der Bf beantragte am 15.08.2006 unter Bezugnahme auf die derzeitige schlechte Auftragslage die Übernahme der
Kosten in Höhe von EUR 50,- für die Wiedereintragung in die Handwerksrolle sowie eine Förderung in Höhe von ca.
1000 bis EUR 1.500,- für die Beschaffung eines neuen Kraftfahrzeugs, weil er für seine selbstständige Tätigkeit auf
ein Kfz angewiesen sei und sein derzeit benutztes Kfz 20 Jahre alt sei sowie die nächste TÜV-Prüfung (Oktober
2006) nicht überstehe. In der Schlüsseldienstbranche müsse er stets umfangreiche Ausrüstungsgegenstände
(Werkzeug und Ersatzteile) mitnehmen; das Kfz diene als Lager und Transportmittel für Werkzeuge, Zylinder,
Schlösser etc ... Die Förderung könne in der Form eines Darlehens oder Einstiegsgeldes erfolgen. Die Bg lehnte die
beantragte Kostenübernahme zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit des Bf mit Bescheid vom 04.12.2006 ab,
weil die selbstständige Tätigkeit des Bf keinen hauptberuflichen Charakter habe und seine Hilfebedürftigkeit dadurch
nicht überwunden werde (§ 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 SGB II).
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch verwies der Bf auf die Ablehnung der beantragten Leistungen durch das
Integrationsamt und auf seine monatlichen Mietkosten in Höhe von EUR 100,- für die Anmietung eines Pkw zur
Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit. Dem Bescheid der Bg seien keine Ermessenserwägungen zu entnehmen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2007 als unbegründet zurückgewiesen, weil mit einer
Überwindung der Hilfebedürftigkeit im Anschluss an die Förderung der selbstständigen Tätigkeit nicht gerechnet
werden könne, so dass kein Einstiegsgeld im Sinn des § 29 SGB II zu gewähren sei. Der Bf habe zuletzt keine hohen
Umsätze erzielt; auch beständen im Hinblick auf sein nur halbschichtiges Leistungsvermögen erhebliche
gesundheitliche Einschränkungen bei der Ausübung der angemeldeten selbstständigen Tätigkeit. Schließlich habe die
bereits zuvor langjährig ausgeübte Tätigkeit zu keinem dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg geführt.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München verwies der Bf erneut auf die
ermessensfehlerhafte Entscheidung der Bg, die nur eine pauschale Begründung enthalte. Schon aus Gründen der
Gleichbehandlung dürfte ihm nicht wegen seiner Schwerbehinderung das Einstiegsgeld versagt werden. Er könne bei
entsprechender Förderung durch die Bg seine selbstständige Tätigkeit mit geringeren Kosten führen und so dauerhaft
seine Hilfebedürftigkeit mindern oder beseitigen. Dies sei auch bei einer nur halbschichtigen Tätigkeit möglich. Auf
Grund seiner Erkrankung, seiner derzeitigen selbstständigen Tätigkeit und des langjährigen Bezugs von
Sozialleistungen sei davon auszugehen, dass die selbstständige Tätigkeit die einzige Möglichkeit sei, um ihm eine
berufliche Perspektive zu geben.
Gleichzeitig beantragte der Bf mit Schriftsatz vom 22.02.2007, eingegangen beim Sozialgericht München am
23.02.2007, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Das Sozialgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 23.
Januar 2008 mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage ab. Die Bf habe ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt;
eine Ermessensüberschreitung, ein Ermessensmissbrauch oder ein Ermessensnichtgebrauch seien nicht erkennbar.
Die Bg sei unter Berücksichtigung der schon bestehenden Erwerbstätigkeit des Bf, dessen eingeschränkter
körperlicher Leistungsfähigkeit und dessen bisher erzielter Umsätze von einem korrekten Sachverhalt ausgegangen.
Bei ihrer Ermessensentscheidung habe sie eine Prognoseentscheidung getroffen. Die bisher vom Bf vorgelegten
betriebswirtschaftlichen Daten ließen den Schluss zu, dass der Bf auch bei Gewährung der beantragten Förderung
nicht in der Lage sei, dauerhaft seine Hilfebedürftigkeit zu überwinden oder zu reduzieren. Es liege auch keine
Ermessensreduzierung auf Null vor, weil keine Anhaltspunkte dafür beständen, dass die berufliche Eingliederung des
Bf ausschließlich durch die beantragte Förderung erzielt werden könne.
Dagegen hat der Bf Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass mangels individueller Erwägungen ein
Ermessensfehler der Bg vorliege. Die pauschale Ablehnung auf Grund der fehlenden Umsätze und der
Schwerbehinderung sei unzulässig. Eine Förderung könne auch über die Gewährung eines Darlehens zum Erwerb
eines eigenen Kfz erfolgen.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts und der Beklagten, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in der bis 30.03.2008
geltenden Fassung) Beschwerde des Bf ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu
Recht den Antrag des Bf auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung mangels hinreichender
Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt.
Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73
a Abs. 1 Satz 1 SGG, §§ 114 f. ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf
ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen
Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 Satz 1
ZPO).
Die Klage des Bf hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags auf Prozesskostenhilfe, das
heißt hier bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung, nach Auffassung des Senats keine hinreichende Erfolgsaussicht.
Die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten für die Eintragung des Bf in die Handwerksrolle in Höhe von EUR
50,- sowie für die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs zur Ausübung seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit als
Einstiegsgeld sind nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Betrachtungsweise nicht erfüllt.
Nach § 29 Abs.1 SGB II kann zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos
sind, bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld
erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Das Einstiegsgeld kann
auch erbracht werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt.
Im vorliegenden Fall sind bereits die Tatbestandsvoraussetzungen, die einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle
unterliegen, nicht erfüllt; auf eine pflichtgemäße Ermessensausübung der Bg kommt es daher nicht mehr an. Der Bf
erfüllt weder das Erfordernis der Aufnahme einer hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit noch der Erforderlichkeit
des Einstiegsgeldes zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit.
Nach einhelliger Meinung in der Literatur ist die selbstständige Tätigkeit hauptberuflich auszuüben. Dies ergibt sich
aus einem Vergleich mit dem Erfordernis einer sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung sowie mit
den Förderungsbestimmungen für einen Gründungszuschuss nach § 57 Abs.1 Satz 1 SGB II und einen
Existenzgründungszuschuss nach § 421 Abs.1 SGB III. Der zeitliche Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit muss auf
der selbstständigen Tätigkeit liegen (s. etwa Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 29 Rdnr. 16). Der Bf
hat am 20.04.2006 sein Gewerbe bei der Landeshauptstadt München nur als Nebenerwerb angemeldet und übt dieses
Gewerbe nach derzeitiger Aktenlage wegen der schlechten Auftragslage auch nur für wenige Stunden in der Woche
aus. Auf seine gesundheitsbedingt nur halbschichtige Einsatzfähigkeit kommt es daher nicht an.
Auch kann nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut Einstiegsgeld nur bei (erstmaliger) Aufnahme einer
selbstständigen Tätigkeit, nicht aber die Förderung einer bereits ausgeübten (in Gang gesetzten) Tätigkeit gewährt
werden (s. BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az. B 11b AS 3/05 R). Der Bf hatte seine selbstständige Tätigkeit bereits ab
2001 bis 03.08.2005 ausgeübt und diese Tätigkeit wieder am 20.04.2006 aufgenommen. Der Antrag auf Förderung
dieser Tätigkeit wurde erst später am 15.08.2008 gestellt.
Schließlich ist die Gewährung des Einstiegsgeldes nicht erforderlich zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit.
Erforderlich ist eine derartige Maßnahme dann, wenn es keine denkbaren, weniger belastenden (d.h. hier weniger
kostspieligen) Maßnahmen gibt, mit denen dasselbe Ziel erreicht werden kann. Die beantragte Maßnahme muss
nachweislich eine ultima ratio darstellen, die erst eingesetzt werden darf, wenn eine Eingliederung in den allgemeinen
Markt anders (billiger) nicht erreicht werden kann (so Spellbrink, a.a.O., § 29 Rdnr. 19). Diesen Nachweis hat der Bf
nach derzeitigem Aktenstand nicht erbracht. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Bf mit dieser
selbstständigen Tätigkeit seine Hilfebedürftigkeit – auf Dauer - beenden könnte. Denn nach seiner Selbsteinschätzung
der hieraus monatlich zu erzielenden Einkünfte in Höhe von EUR 0 bis 50 und aufgrund der geringen Höhe der in der
Vergangenheit erzielten Einkünfte (im Jahr 2005 Minuseinkünfte) birgt die ausgeübte Tätigkeit nicht die berechtigte
Chance bzw. Hoffnung, dass sie auf Dauer zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit des Bf führt.
Da der Bf bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für das Einstiegsgeld im Sinn des § 29 SGB II nicht erfüllt (Frage
des "ob"), bedurfte es auch nicht der weiteren Prüfung, ob das Einstiegsgeld gegebenenfalls nur darlehensweise hätte
gewährt werden müssen (Frage des "wie" als Ermessensentscheidung).
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 127 Abs. 2 ZPO i.V.m. §§ 73a, 177
SGG).