Urteil des LSG Bayern vom 07.11.2006

LSG Bayern: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, eintritt des versicherungsfalls, einkünfte, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, arbeitsentgelt, verfügung, beitragsbemessung, bestreitung, kritik

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 07.11.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 KR 188/02
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 201/05
Bundessozialgericht B 1 KR 3/07 B
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 30. Mai 2005 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 09.04.2002 bis 18.10.2002.
Der 1939 geborene Kläger war bis Ende 2002 als selbständiger Handwerksmeister mit Anspruch auf Krankengeld ab
dem 29. Tag der Arbeitsunfähigkeit freiwillig bei der Beklagten versichert. Seit 01.01.2003 ist er Rentner, seit
15.10.2002 als Schwerbehinderter mit einem GdB von 60 anerkannt.
Mit Bescheid vom 21.05.2002 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger anlässlich der ab 12.03.2002 bestehenden
Arbeitsunfähigkeit Krankengeld zu gewähren. Ihm sei währenddessen kein Arbeitsentgelt entgangen, da er
entsprechend dem letzten Einkommensteuerbescheid vom 30.11.2001 betreffend das Jahr 2000 ein Minuseinkommen
in Höhe von ca. 25.000,00 DM erzielt habe.
Dem widersprach der Kläger am 20.06.2002 mit der Begründung, wenn die Beiträge nach einem fiktiven Einkommen
berechnet würden, müsse das Krankengeld auch bei Minuseinkommen gezahlt werden. Mit Widerspruchsbescheid
vom 08.10.2002 führte die Beklagte unter anderem aus, bei Zugrundelegung eines fiktiven Einkommens würde ein
Arbeitsunfähiger besser gestellt als ein Arbeitsfähiger. Dem Kläger sei der Nachweis positiver Einkünfte ab
01.01.2002 möglich. Infolge seines grundsätzlichen Krankengeldanspruches sei er zumindest während der
Arbeitsunfähigkeit beitragsfrei.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und Krankengeld für die Zeit vom 09.04.2002 bis 18.10.2002 auf der Grundlage
des der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Mindesteinkommens in Höhe von 1.758,75 Euro beantragt. Zur
Begründung hat er sich auf den seines Erachtens eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs.4 Satz 2 SGB V bezogen.
Das Sozialgericht Landshut hat die Klage unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.03.2004
(B 1 KR 32/02 R) mit Gerichtsbescheid vom 30.05.2005 abgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat diese dahingehend begründet, das der Krankengeldberechnung
zugrunde zu legende maßgebliche Einkommen ergebe sich nicht aus dem Steuerbescheid 2000, weil dieser die
Einkommensituation nicht zutreffend wiedergebe. Das negative Einkommen aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von
24.941,00 DM sei maßgeblich beeinträchtigt worden durch Zinsaufwendungen und ähnliches in Höhe von 22.753,85
DM. Der Umsatz sei mit einem positiven Ergebnis von 9.439,20 DM festgestellt worden. Vom 23.12.1999 bis
02.07.2000 sei von der Beklagten Krankengeld in Höhe von 9.512,39 DM gezahlt worden. Auch dieser Betrag habe für
die Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden, so dass man selbst unter Anwendung des Urteils des
Bundessozialgerichts vom 07.12.2004 (B 1 KR 17/04 R) zu positiven Einkünften und damit zur Zahlung von
Krankengeld gelange.
Vorgelegt worden ist eine Bescheinigung des Allgemeinarztes Dr.K. vom 21.08.2006 über Arbeitsunfähigkeitszeiten
vom 23.12.1999 bis 06.02.2000 und vom 10.04.2000 bis 02.07.2000 sowie vom 01.08.2000 bis 22.08.2000. Der
Klägerbevollmächtigte hat Einkommensteuererklärungen 1994, 1996, 1999 und 2000 vorgelegt. Nach der
Einkommensteuererklärung 1999 hat der Kläger keine positiven Einkünfte aus Gewerbebetrieb, nach der Gewinn- und
Verlust-Rechnung desselben Jahres hingegen ca. 38.000,00 DM steuerpflichtigen Erlös erzielt. Ergänzend hat der
Klägerbevollmächtigte vorgetragen, auch die Privatentnahmen und Darlehen stünden zur Bestreitung des
Lebensunterhalts zur Verfügung. Das BSG-Urteil vom 30.03.2004 werde für verfassungswidrig gehalten. Dessen
Auslegung verletze das Äquivalenzprinzip und Art.14 GG, stelle eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitnehmern
dar und versage Selbständigen jeglichen Schutz. Auch sei der Kläger nicht auf den fehlenden Versicherungsschutz
hingewiesen worden, obwohl er laufend Beiträge zur Absicherung krankheitsbedingter Einkommensausfälle gezahlt
habe.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 30.05.2005 aufzuheben und die
Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 21.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
08.10.2002 zu verurteilen, ihm vom 09.04.2002 bis 18.10.2002 Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, erweist sich jedoch als
unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 30.05.2005 ist ebensowenig zu beanstanden
wie der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2002. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 09.04.2002 bis 18.10.2002. Dem im
maßgeblichen Zeitraum zweifellos arbeitsunfähigen Kläger ist kein Arbeitseinkommen entgangen.
Nach § 47 Abs.1 Satz 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und
Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. Das "erzielte regelmäßige Arbeitsentgelt und
Arbeitseinkommen" in diesem Sinne wird vom Gesetz als "Regelentgelt" bezeichnet, wegen dessen Höhe § 47 Abs.1
Satz 3 SGB V auf die näheren Bestimmungen in Abs.2, 4 und 6 der Vorschrift verweist, in denen verschiedene
Personenkreise von Versicherten angesprochen werden. Für Versicherte, die wie der Kläger nicht Arbeitnehmer sind,
gilt nach § 47 Abs.4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der
Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war. Diese Regelung hat jedoch nicht zur Folge, dass sich
das Krankengeld des Klägers aus seinem der Beitragberechnung zugrunde gelegten fiktiven Mindesteinkommen
errechnet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zuletzt Urteil vom 07.12.2004, B 1 KR 17/04 R m.w.N.)
kann Krankengeld grundsätzlich nur als Ersatz für diejenigen Einkünfte beansprucht werden, die der Versicherte vor
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. vor Beginn der stationären Behandlung als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen
bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen. § 44 Abs.1 Satz 2 SGB V schließt nämlich diejenigen
versicherten Gruppen pauschal vom Anspruch auf Krankengeld aus, die mangels einer entgeltlichen Tätigkeit im Fall
der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen einbüßen. Das Entgeltersatzprinzip wird
auch durch § 47 Abs.1 Satz 2 SGB V bestätigt, der das Regelentgelt für Arbeitnehmer auf 90 v.H. des
Nettoarbeitsentgelts begrenzt sowie durch § 47 Abs.3 SGB V, der die den Krankenkassen für Sonderfälle eingeräumte
Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Zahlung und Berechnung des Krankengeldes mit der ausdrücklichen Auflage
verbindet, die Erfüllung der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes sicherzustellen. § 47 Abs.4 Satz 2 SGB V
könne - so das BSG - trotz seines Wortlautes aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit der Grundnorm des
§ 47 Abs.1 Satz 1 SGB V nur so interpretiert werden, dass vorrangig zu beachten sei, ob Arbeitsentgelt bzw.
Arbeitseinkommen überhaupt erzielt worden sei. Nur soweit tatsächlich Einkommen erzielt werde, treffe § 47 Abs.4
Satz 2 SGB V ergänzende Bestimmungen zur Höhe des Regelentgelts. Diese einschränkende Auslegung wird durch
den Zweck des § 47 Abs.4 Satz 2 SGB V bestätigt, der verhindern soll, dass sich freiwillige Kassenmitglieder mit
geringen Einkünften zu Lasten der Solidargemeinschaft der Pflichtversicherten Krankenversicherungsschutz zu
unangemessen niedrigen Beiträgen verschaffen können.
Der Anspruch des Klägers auf Krankengeld ist ausgeschlossen, weil er vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein
positives Arbeitseinkommen erzielt hat. Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit (§ 15
Abs.1 Satz 1 SGB IV). Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem
Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Der letzte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erteilte
Einkommensteuerbescheid, der vorgelegt worden ist, datiert vom 30.11.2001 und betrifft das Jahr 2000. Darin sind als
Einkünfte aus Gewerbebetrieb Minus 24.941,00 DM ausgewiesen. Der Verweis in § 15 Abs.1 Satz 1 SGB IV auf den
Gewinn nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften bedeutet, dass Arbeitseinkommen aus selbständiger
Tätigkeit aus dem Steuerbescheid übernommen werden soll. Dabei handelt es sich um die bereits genannten
Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die negativ waren. Der Betrag der Entnahmen, die in großem Umfang vom Kläger aus
seinem Gewerbebetrieb gezogen worden sind, ist nur ein Rechnungsposten bei der Gewinnermittlung, nicht aber
Arbeitseinkommen im Sinn des § 15 SGB IV, auch wenn bei negativer Entwicklung des Betriebsvermögens im Laufe
des Wirtschaftsjahrs der Wert der Entnahmen den ermittelten Gewinn erheblich übersteigt (BSGE 53, 138). Dies gilt
auch für die anderen Posten der Gewinn- und Verlust-Rechnung. Andernfalls stünde kein einheitlicher
Bewertungsmaßstab zur Verfügung, wäre die Krankenkasse auf die Angaben des Anspruchsstellers angewiesen und
ohne Schutz gegenüber Leistungsmissbrauch. Es mag sein, dass der Einkommensteuerbescheid bei bestimmten
Konstellationen (Existenzgründung, Investitionen größeren Ausmaßes) nicht geeignet ist, die Basis für
Einkommensermittlung zu bieten. Die Beklagten hat sich jedoch anderen Nachweisen positiver Gewinnermittlung
unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2002 nicht verschlossen. Entsprechende Belege konnte der
nach seinen Angaben bereits seit 1999 gesundheitlich eingeschränkte Kläger jedoch nicht erbringen. Selbst unter
Berücksichtigung des im Jahr 2000 erzielten Krankengeldes hätte er wegen des hohen Minuseinkommens im Jahr
2000 keinen Gewinn erzielt, das der Krankengeldberechnung zugrunde gelegt werden könnte. Ebensowenig ist das für
das spätere Jahr 2001 der Fall wie dies der Kläger im Hinblick auf seine Krankheitsentwicklung geschildert hat.
Gegen die Anknüpfung an den letzten Einkommensteuerbescheid bestehen grundsätzlich keine Bedenken. Das
Bundessozialgericht hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Ausschluss des Krankengeldes für hauptberuflich
selbständig Erwerbstätige ohne positive Einkünfte nicht gegen Verfassungsrecht verstößt (BSG, Urteil vom
07.12.2004 a.a.O. und BSG vom 30.03.2004 B 1 KR 32/02 R). Hieran hat der 1. Senat des BSG auch in Ansehung
der Kritik in der Literatur festgehalten. Der Senat sieht auch in Anbetracht der vom Klägerbevollmächtigten
vorgebrachten Bedenken keinen Anlass zu neuen Zweifeln. Ganz entscheidend ist, dass der Versicherte durch die
Zuerkennung von Lohnersatzleistungen nicht besser gestellt werden darf als er ohne Eintritt des Versicherungsfalls
stünde. Dies wäre aber die Folge, wenn der Selbständige ohne positive Einkünfte im Fall der Krankheit Leistungen
erhielte. Dem Versicherten steht es zudem frei, im Fall einer langdauernden negativen Geschäftsentwicklung die
Versicherung anzupassen und auf den Krankengeldanspruch zu verzichten. Im Übrigen hat die gesetzliche
Krankenversicherung dem freiwillig Versicherten gegenüber nicht dieselben Schutzpflichten wie dem
Pflichtversicherten gegenüber, weil Ersterer die Möglichkeit hat, sich für die private Absicherung zu entscheiden.
Der Senat teilt die Bedenken des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Urteil vom 16.03.2006 (L 24 KR 3/05),
bei der Krankengeldberechnung auch dann auf den letzten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erteilten
Einkommensteuerbescheid abzustellen, wenn der selbständige Erwerbtätige während dieses Kalenderjahres in
wesentlichem Umfang arbeitsunfähig krank war. In diesem Fall kann dieses während der Arbeitsunfähigkeit erzielte
Arbeitseinkommen das ohne Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen nicht zutreffend abbilden. Es bietet sich
daher an, in einen derartigen Fall den Einkommensteuerbescheid heranzuziehen, der frei von Zeiten der
Arbeitsunfähigkeit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Selbständigen während seiner Arbeitsfähigkeit realistisch
wiederspiegelt. Dies wäre hier der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999, der jedoch laut Angaben des Klägers
selbst ebenfalls keine positiven Einkünfte enthält. Dies deshalb, weil er angeblich bereits damals erheblich
gesundheitlich eingeschränkt war. Allerdings habe er sich damals nicht krankschreiben lassen. Mangels wesentlicher
Arbeitsunfähigkeitszeiten - das LSG Berlin-Brandenburg sieht Arbeitsunfähigkeit dann als wesentlich an, wenn sie
mehr als ein halbes Kalenderjahr andauert -, bestehen keine Bedenken, das Einkommen aus dem Jahr 1999 zugrunde
zu legen. Der entsprechende Einkommensteuerbescheid beinhaltet jedoch ebenfalls lediglich Negativeinkünfte. Eine
andere Beurteilung des Krankengeldanspruchs ergibt sich daher nicht.
Dass der Kläger eventuell trotz Kenntnis der Beklagten von der langjährigen negativen Geschäftsentwicklung nicht auf
die Folgen für seinen Krankengeldanspruch hingewiesen worden ist, vermag keine andere Beurteilung zu begründen.
Die Konsequenz eines möglichen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen eines Beratungsmangels wäre
allenfalls das Nichtentstehen der Beitragsschuld, soweit diese speziell der Krankengeldabsicherung diente. Dieser
Streitpunkt war jedoch nicht entscheidungsrelevant, da Streitgegenstand lediglich ein Krankengeldanspruch war.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.