Urteil des LSG Bayern vom 28.01.2005

LSG Bayern: gegen die guten sitten, leistung des arbeitgebers, tantieme, firma, gewinnbeteiligung, gratifikation, arbeitsentgelt, auszahlung, kündigung, umkehrschluss

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.01.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 12 AL 16/02
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 154/04
Bundessozialgericht B 11a AL 145/05 B
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 2. März 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Insolvenzgeldes (Insg) streitig.
Der 1941 geborene Kläger war bei der Firma H. Werke Geb. K. GmbH und Co.KG als Gesamtvertriebsleiter
beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag vom 06.12.1995 war ein Jahresgehalt von 220.000,00 DM brutto, zahlbar in zwölf
gleichen monatlichen Teilbeträgen, sowie eine jährliche Festtantieme in Höhe von 80.000,00 DM, fällig zum 30.06.
und 31.12. des jeweiligen Jahres, vereinbart worden. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Vereinbarung vom
23.02.2000 einvernehmlich zum 30.06.2001. Am 01.09.2001 wurde über das Vermögen der Firma das
Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Kläger beantragte am 09.10.2001 die Bewilligung von Insg. Der Insolvenzverwalter bescheinigte für Juni 2001 ein
entgangenes Brutto-Arbeitsentgelt von 38.333,33 DM, in dem eine anteilige Tantieme von 20.000,00 DM enthalten
war. Von dem sich hieraus ergebenden Nettoentgelt von 20.561,71 DM wurden 15.119,86 DM an die Commerzbank S.
, der der Kläger seine Forderung abgetreten hatte, überwiesen.
Mit Bescheid vom 13.11.2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger als Insg den Restbetrag von 5.928,14 DM -
einschließlich eines Arbeitgeberanteils zur Krankenversicherung in Höhe von 486,11 DM.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, bei der Berechnung des Insg müssten 6/12 und nicht nur 3/12 der
Jahrestantieme zugrundegelegt werden, so dass das Bruttoarbeitsentgelt für den Monat Juni insgesamt 58.333,33 DM
betragen habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Zeitraum,
in dem die jährliche Festtantieme von 80.000,00 DM erarbeitet worden sei, sei das ganze Jahr, weshalb im Insg-
Zeitraum Anspruch auf 3/12 dieser Tantieme bestehe.
Mit seiner zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, eine Zuordnung der
Tantieme zu einzelnen Monaten sei nicht möglich. Aufgrund der Tatsache, dass zwei Fälligkeitstermine
arbeitsvertraglich vereinbart und in der Vergangenheit auch immer eingehalten worden seien, stehe fest, dass die
Abrechnung der Beklagten unzutreffend sei.
Mit Urteil vom 02.04.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Enthalte die arbeitsvertragliche Regelung über die
jährliche oder halbjährliche Sonderzahlung keine weiteren Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruches oder
könne der zugrundeliegende Zweck aus dem Arbeitsvertrag nicht hinreichend ermittelt werden, so sei im Zweifel
lediglich eine zusätzliche Vergütung für die geleistete Arbeit anzunehmen (BAG in NZA 1994, 651). Hiervon sei im
vorliegenden Fall auszugehen. Da in der Vergütungsregelung keinerlei Gesichtspunkte enthalten seien, die etwa
darauf abzielten, mit der Tantieme eine Firmentreue oder ähnliches zu honorieren, stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit
der Entgeltcharakter im Vordergrund.
Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, das Abstellen auf einen Entgeltcharakter sei mit der gesetzlichen
Vorschrift des § 183 SGB III nicht in Einklang zu bringen, da jede Leistung des Arbeitgebers Entgeltcharakter habe.
Entscheidend sei, ob sich die Jahressondervergütung einzelnen Monaten zurechnen lasse. Da der vorgenannte
Auszahlungs- und Fälligkeitstag "31.06." in den Insolvenzzeitraum gefallen sei, beruhe die Entscheidung des SG auf
einem Rechtsirrtum.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 02.03.2004 und des Bescheides vom
13.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2001 zu verurteilen, ihm höheres Insolvenzgeld zu
zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine erst am Jahresschluss zahlbare tarifliche Jahresleistung habe das BAG im Urteil vom 21.05.1980, 5 AZR 41/78,
ebenfalls dem Zeitraum zugeordnet, in dem die mit der Jahresleistung zu vergütenden Dienste erbracht worden seien.
Dass die jährliche Festtantieme in Höhe von 80.000,00 DM einem Zeitraum zuzuordnen sei, ergebe sich bereits
daraus, dass sie hälftig zum 31.06. und 31.12. des jeweiligen Jahres fällig werde. Damit hätten die
Arbeitsvertragsparteien darauf abgestellt, dass der Zeitraum des Erarbeitens und die daran angeknüpfte jeweilige
Fälligkeit nach einem halben Jahr entscheidend sei. Die zeitliche Zuordnung zu Halbjahreszeiträumen knüpfe also im
Grundsatz an einen Zeitraum an, in dem der Kläger seine Gegenleistung erbracht habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da dem
Kläger ein höheres Insg nicht zusteht.
Gem. § 183 Abs.1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie bei Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögens des Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des
Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Der Kläger hat Anspruch auf Insg zur Abgeltung des
ihm für den Juni 2001 zustehenden und entgangenen Arbeitsentgelts und der ihm zustehenden Tantieme, soweit sie
den Monaten April bis Juni 2001 zuzuordnen ist. Damit hat der Kläger Anspruch auf 3/12 der Jahrestantieme, da diese
in diesen drei Monaten erarbeitet wurde; dass der Zahlungszeitpunkt für die Hälfte der Jahrestantieme in Höhe von
40.000,00 DM in den Insg-Zeitraum fällt, bedeutet nicht, dass diese in dieser Höhe abzugelten ist.
Bei der im Rahmen der Berechnung des Insg erforderlichen zeitlichen Zuordnung einer Jahressonderzahlung ist unter
Berücksichtigung des arbeitsrechtlichen Entstehungsgrundes und der Zweckbestimmung der Leistung zu
differenzieren. Arbeitsrechtliche Vereinbarungen bzw. Regelungen, die für den Arbeitnehmer auch bei vorherigem
Ausscheiden einen zeitanteiligen Anspruch vorsehen, begründen einen Anspruch in Höhe des auf den Insg-Zeitraum
entfallenden Anteils (vgl. BSG SozR 3-4100 § 141b Nr.21 m.w.N.). Nur wenn sich die Jahressondervergütung nicht
einzelnen Monaten zurechnen lässt, ist sie in voller Höhe beim Insg zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb der
letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insg-Ereignis hätte ausgezahlt werden müssen (BSG, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall ist die Tantieme den drei Monaten des Insg-Zeitraumes zuzuordnen. Die Arbeitsvertragsparteien
haben neben den monatlich zu zahlenden Beträgen aus der Jahresbrutto-lohnsumme von 220.000,00 DM eine
pauschale Gewinnbeteiligung in Höhe von 80.000,00 DM jährlich vereinbart, die zur Jahreshälfte und zum Jahresende
zur Hälfte ausbezahlt wurde. Diese Gewinnbeteiligung ist ein Entgelt für die über das Jahr hinweg erbrachte
Arbeitsleistung bzw. das hieraus resultierende Betriebsergebnis. Nicht hingegen ist sie eine zusätzliche Gratifikation,
die einen bestimmten Zahlungszeitpunkt festlegt und darauf abstellt, dass das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt
besteht. Im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens des Klägers vor dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt hätte dieser
Anspruch auf anteilige Auszahlung der Tantieme gehabt. Hierzu bedurfte es keiner ausdrücklichen Vereinbarung in
dem Arbeitsvertrag. Vielmehr wäre sogar eine Vereinbarung, die bei vorzeitigem Ausscheiden einen anteiligen
Anspruch verneint hätte, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) unwirksam gewesen im Falle einer
betriebsbedingten Kündigung (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Auflage, § 77 Nr.6 unter Hinweis auf BAG AP 84 zu
§ 611 BGB Gratifikation).
Dass es sich bei der Tantieme nicht um eine Jahressonderzahlung handelt, die auf das Bestehen des
Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Zeitpunkt anknüpft und für den Fall der vorzeitigen Auflösung des
Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch begründet, ergibt sich auch aus der Regelung unter 4. des Arbeitsvertrages, in
der "Jubiläumsgeschenke, Gratifikationen und sonstige Sonderleistungen" geregelt sind; im Umkehrschluss ergibt
sich daraus, dass es sich bei der Tantieme eben nicht um eine "Sonderleistung" in diesem Sinne handeln sollte.
Somit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 02.03.2004
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen hier vor.