Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 16.04.2013

asthma bronchiale, sinusitis, stand der technik, anerkennung

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 16.4.2013, L 9 U 868/09
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4301 -
haftungsbegründende Kausalität - Methalymethacrylaten - Gips - allergisierende
Wirkung - Rhinopathie - Dentallabor - Student der Zahnmedizin
Leitsätze
Methalymethacrylaten kommt im Rahmen der Berufskrankheit (BK) Nr. 4301 keine
allergisierende Wirkung der Atemwege zu.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim
vom 16. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Atemwegserkrankung des
Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 und/oder 4302 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (BKV) bzw. als Wie-BK nach § 9 Abs. 2
Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).
2 Der 1950 geborene Kläger nahm nach dem Abitur im Jahr 1970 das Studium an
der Universität H. auf, wo er zunächst Psychologie studierte, anschließend ab
1977 Medizin, von 1979-1986 Soziologie, von 1991-2000 Rechtswissenschaften
und seit dem Jahr 2001 Zahnmedizin.
3 Mit Schreiben vom 17.01.2002 zeigte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der
Beklagten, der Badischen Unfallkasse, das Vorliegen einer BK an und gab dazu
an, er habe sich im Labor der Universitätszahnklinik H. im Sommersemester eine
Allergie gegen Zigarettenrauch sowie nicht ordnungsgemäß gelagerte Werkstoffe
(Gips u.a.) zugezogen. Diese Allergie sei chronifiziert, weswegen er ohne
Medikamente nicht mehr zurechtkomme und internistisch und
otorhinolaryngologisch behandelt werden müsse.
4 Im Rahmen eines Termins beim Beratungsarzt der Beklagten, Dr. T. (Lungenarzt
und Internist), gab der Kläger am 04.02.2002 an, im April und Mai 2001 sowie zwei
Wochen im Juli 2001 drei bis vier Stunden täglich im Gipsraum der Zahnklinik der
Universität H. Gipsstaub und Zigarettenrauch ausgesetzt gewesen zu sein. Im
Gipsraum hätten sich etwa 100 Studenten befunden. Eine Absauganlage habe es
nicht gegeben, auch keinen Mundschutz, allenfalls natürliche Belüftung.
Beschwerdeauslöser seien Gipsstaub und Zigarettenrauch. Zu früheren
Atemwegserkrankungen gab der Kläger an, er leide seit 1986 an einer
chronischen Sinusitis mit behinderter Nasenatmung und Beeinträchtigung von
Geruch und Geschmack. Die jetzige Symptomatik habe im April/Mai 2001 mit
massiv behinderter Nasenatmung und subjektiver Atemnot begonnen und sich in
den Semesterferien 2001 gebessert. Dr. T. stellte eine leichtgradige Behinderung
der Nasenatmung und einen Normalbefund der Nasennebenhöhlen und des
Rachenraums fest. Ein durchgeführter Allergietest ergab intrakutan eine
mäßiggradige Sensibilisierung auf die Hausstaubmilbe, Milcheiweiße und Mehle,
ohne Nachweis spezifischer IgE-Antikörper dagegen. Ein nasaler Provokationstest
mit physiologischer Kochsalzlösung ergab keine Reaktion. Mit Staub von inertem
Talkumpuder wurde subjektiv Juckreiz und Zugehen der Nase ausgelöst sowie ein
Anstieg des Strömungswiderstands der Nase innerhalb des noch normalen
Bereichs. Dr. T. diagnostizierte eine unspezifische Reizbarkeit der
Nasenschleimhaut und schloss eine obstruktive Lungenfunktionsstörung aus. Er
schlug aber eine Überprüfung der Exposition im Gipsraum vor.
5 Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein. Im BK-Fragebogen
gab der Kläger unter dem 14.03.2002 an, er leide seit Ende April/Anfang Mai 2001
an Brennen in der Nase, Trockenheit und Nasenlaufen. Er habe zwischen 1970
und 1977 täglich 15 Zigaretten geraucht und von 1984 bis 1994 ca. 5-10
Zigaretten täglich. Atemwegserkrankungen seien früher im üblichen Rahmen
(Infekte/Schnupfen) aufgetreten, stärker ausgeprägt 1996/97. Er sei im
Wintersemester 2001/02 und im Sommersemester 2002 wegen Krankheit
beurlaubt gewesen.
6 Die Beklagte zog Unterlagen über frühere Erkrankungen des Klägers bei, darunter
eine Bescheinigung des Dr. S. (Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, K.) vom
04.01.2002, der unter Bezugnahme auf ein beigefügtes Attest von Dr. W. (Facharzt
für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, H.) vom 06.08.1985 ausführte, der Kläger leide
seit 1985 unter einer chronischen Sinusitis maxillaris mit Zyste in der Kieferhöhle.
Seit 1985 finde regelmäßig eine Dauerbehandlung wegen
Kieferhöhlenbeschwerden statt, seit 1998 bei ihm. In einer weiteren (undatierten)
Bescheinigung gab Dr. S. an, die letzten Behandlungen wegen Sinusitis maxillaris
seien am 11.06.2001 sowie im Dezember 2001 erfolgt. Es seien Therapien mit to-
pischen Kortikoiden und Mukolytika durchgeführt worden. Im Rahmen der Sinusitis
hätten auch Störungen der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung bestanden.
7 Die Beklagte befragte weitere behandelnde Ärzte des Klägers. Der Arzt für Hals-
Nasen-Ohrenheilkunde Dr. H. teilte mit Schreiben vom 23.04.2002 mit, der Kläger
habe sich am 05.06.2001 bei ihm vorgestellt wegen Schmerzen im Bereich des
linken Nasenlumens. Die Endoskopie habe ein kleines Furunkel im Nasenvorhof
links mit leichter Rötung des linken Nasenflügels ergeben. Die übrigen HNO-
Spiegelbefunde seien ohne wesentliche Besonderheiten gewesen. Der Arzt für
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. P. teilte mit Schreiben vom 22.04.2002 mit, er
habe den Kläger am 10.05.2000 im Zusammenhang mit
Nebenhöhlenbeschwerden untersucht. Er habe damals vom klinischen Befund her
eine chronische Sinusitis ausschließen können. Der Kläger habe sich im
Zusammenhang mit der jetzigen Erkrankung am 13.03.2002 wieder vorgestellt und
angegeben, schon früher Nebenhöhlenbeschwerden gehabt zu haben. Diese
seien aber vorübergehender Natur gewesen und hätten im letzten Jahr deutlich
zugenommen. Er habe die Diagnose Polyposis nasi gestellt. Zur Abgrenzung einer
früheren Nebenhöhlenerkrankung und einer BK halte er eine allergologische
Begutachtung für erforderlich. Unter dem 04.04.2002 stellten Dr. Z. und E. (Ärzte
für Radiologie) aufgrund einer CT-Untersuchung der Nasennebenhöhlen coronar
polypoiode, teils auch entzündliche Sinusitis maxillaris links mehr als rechts,
ethmoidalis bds. und diskrete des Sinus sphenoidales fest, außerdem eine
Polyposis nasi und eine Nasenseptumdeviation nach rechts.
8 Die von der Beklagten mit der Prüfung, ob der Kläger an seinem Arbeitsplatz
schädigenden Einflüssen ausgesetzt war, beauftragte Präventions-Abteilung führte
am 30.08.2002 einen Ortstermin in der Kopfklinik der Universität H. durch und
führte im Bericht vom 03.09.2002 hierzu aus, im Kurs der zahnärztlichen
Propädeutik, an welchem der Kläger im genannten Zeitraum teilgenommen habe,
seien folgende Übungen durchgeführt worden: Situationsmodelle mit Abformungen
und Ausgüssen, Fluoridierungsschienen, Gussübungen sowie eine
Klammerbiegeübung und eine Prophylaxeübung. Im Rahmen der Übungen habe
der Kläger im Wesentlichen Umgang mit dem pulverförmigen Alginat und Gips
gehabt. Diese Stoffe stellten keine Gefahrstoffe dar. Es habe hier eine kurzzeitige,
wenige Sekunden dauernde Staubexposition bestanden, die kaum bis in den
Atembereich des Betroffenen gereicht habe. Die Labors seien mit
Sicherheitseinrichtungen (Absauganlagen) nach dem Stand der Technik
ausgestattet. Wenn Expositionen aus Tätigkeiten oder Nachbararbeitsplätzen zu
Gefahrstoffen und Desinfektionsmitteln (Produkte Paladur und IMPRESEPT)
bestanden hätten, könnten diese nur so gering und so kurzzeitig gewesen sein,
dass die arbeitsplatzbezogenen Beurteilungswerte dauerhaft und sicher
unterschritten waren. Das Zigarettenrauchen sei nur im Gipsraum erlaubt
gewesen. Dieser Raum sei mit einer Zu- und Abluftanlage technisch belüftet. Eine
Exposition gegenüber Zigarettenrauch habe maximal eine Stunde pro Tag
bestanden.
9 Die Beklagte schlug dem Kläger sodann mit Schreiben vom 06.09.2002 drei
mögliche Gutachter für die Prüfung, ob ein Versicherungsfall vorliegt, vor, worauf
sich der Kläger (erst) unter dem 21.11.2003 mit dem Wunsch äußerte, Prof. Dr. H.,
Direktor der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Städtischen Klinikums K., mit der
Begutachtung zu beauftragen.
10 In dem aufgrund ambulanter Untersuchungen des Klägers vom 08.03., 10.03.,
11.03. und 16.03.2004 erstatteten Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Gutachten vom
20.05.2004 berichteten Prof. Dr. H. und Dr. L. über mehrere durchgeführte
allergologische Untersuchungen. Bei einer Epicutantestung wurden unter Anderem
als Substanzen standardisierte Lösungen der Firma H. sowie Gips aus dem
Dentallabor verwendet. Getestet wurden der Standardblock (25 Substanzen), der
Zahnfüllstoffeblock ohne Menthol, jedoch mit Methylmethacrylat (10 Substanzen)
sowie drei Gipsarten Blau, Vel Mix Stone Weiß und Moldabastr SH schnellhärtend
der Firma P. in K.. Es zeigte sich auf Duftstoffmix nach 48 bis 72 Stunden eine
schwach positive Reaktion mit tastbarer Infiltration und Rötung. Auf
Methylmethacrylat zeigte sich keine allergische Reaktion. Prof. Dr. H. und Dr. L.
diagnostizierten beim Kläger eine Polyposis nasi bei chronischer Sinusitis
ethmoidalis, sphenoidalis et maxillaris beidseits. Es gebe keinen sicheren Hinweis
für eine allergische oder irritativ toxische Genese der rhinitischen Beschwerden. Mit
großer Wahrscheinlichkeit seien die vom Kläger geäußerten Beschwerden auf das
Krankheitsbild der chronischen Sinusitis mit Polyposis nasi zurückzuführen, die
nach der Literatur ohnehin weder mit einer irritativ-toxischen noch allergischen
Rhinitis kausal sicher in Verbindung gebracht werden könne. Die chronische
Sinusitis mit radiologisch nachgewiesenen Verschattungen der
Nasennebenhöhlen habe schon früher vorgelegen. Bereits seit 1986 seien
rezidivierende Sinusitiden aufgetreten (Bericht Dr. S.). In einer kranialen MRT-
Aufnahme vom 04.04.2000 sei weichteilisointenses Gewebe im Sinus maxillaris
sowie in einzelnen Ethmoidalzellen und minimal an der dorsalen Wand des linken
Sinus sphenoidalis beschrieben. In der coronaren Computertomografie der
Nasennebenhöhlen vom 04.04.2002 finde sich eine am ehesten polypoide, teils
auch entzündliche Sinusitis maxillaris links mehr als rechts, Sinusitis ethmoidalis
bds. und diskret der Sinus sphenoidales, eine Polyposis nasi sowie eine
Nasenseptumdeviation nach rechts. Dies bedeute kein Neuauftreten, sondern
lediglich eine Zunahme des Krankheitsbildes. Um einen Zusammenhang zwischen
der Staubexposition im propädeutischen Kurs und der Zunahme der nasalen
Beschwerden zu klären, wäre ein Arbeitsplatzprovokationstest erforderlich. Den
hierfür vereinbarten Termin habe der Kläger jedoch kurzfristig abgesagt und einen
weiteren Untersuchungstermin abgelehnt.
11 Mit Schreiben vom 02.02.2005 führte Dr. E. (Staatlicher Gewerbearzt,
Regierungspräsidium S.) aus, eine BK 4301 der BKV könne wegen mangelnder
Mitwirkung des Versicherten nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden. Dieser
habe die notwendigen arbeitsplatzbezogenen Expositionstests mit zahnärztlichem
Material abgelehnt. Diese Untersuchungen seien aber zur Klärung des
Ursachenzusammenhangs unerlässlich.
12 Mit Bescheid vom 25.02.2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung von
Berufskrankheiten nach Nr. 4301 und Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV sowie eine
Entschädigung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII ab. Es liege keine durch
allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung (einschließlich
Rhinopathie) vor und auch keine durch chemisch-irritative oder toxische Stoffe
verursachte obstruktive Atemwegserkrankung. Der von Prof. Dr. H. und Dr. L.
durchgeführte Allergietest (Scratch) auf im Labor verwendete Arbeitsstoffe
(verschiedene Gipsarten) habe keine Sensibilisierung ergeben. Voraussetzung für
die Anerkennung einer Rhinopathie als BK sei aber der Nachweis einer
allergischen Rhinopathie. Diese liege aber nicht vor, da zum einen wegen der
massiv vorhandenen Polypen keine nasale Provokation möglich gewesen sei und
zum anderen bei der Epikutantestung keinerlei Sensibilisierung auf Berufsstoffe
nachweisbar gewesen sei. Es sei vielmehr eine Polyposis nasi bei chronischer
Sinusitis diagnostiziert worden. Eine solche Erkrankung sei bereits seit 1985
nachgewiesen. Außerdem seien Kieferhöhlenbeschwerden sowie Zysten und
Polypen aufgetreten. Die Beschwerdesymptomatik des Klägers erkläre sich
vollständig durch dieses Krankheitsbild. Um einen Zusammenhang zwischen der
Staubexposition im propädeutischen Kurs und der nasalen Beschwerden
zumindest im Sinne der Verschlimmerung zu klären, wäre ein
Arbeitsplatzprovokationstest erforderlich gewesen. Den hierfür vereinbarten Termin
habe der Kläger jedoch abgesagt und weitere diesbezügliche Untersuchungen
verweigert.
13 Die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 4302 seien nicht erfüllt, da diese
BK nur die unteren Atemwege betreffe und eine Lungenfunktionseinschränkung
bzw. ein hyperreagibles Bronchialsystem beim Kläger nicht festgestellt werden
konnte. Es erübrige sich daher auch eine weitere Überprüfung des vom Kläger als
schädigende Einwirkung geltend gemachten Zigarettenrauchs. Die
Voraussetzungen für eine Anerkennung als Wie-BK lägen ebenfalls nicht vor. Der
hiergegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom
27.04.2005 zurückgewiesen.
14 (Bereits) am 02.02.2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht
Mannheim (SG) erhoben mit dem Ziel, seinen Antrag auf Gewährung von
Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit zu
verbescheiden. Diese Klage hat er am 24.05.2005 umgestellt auf die begehrte
Anerkennung der Atemwegserkrankung als BK Nr. 4301 und 4302 bzw. wie eine
BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die
Beklagte habe den Sachverhalt unzureichend ermittelt. Es liege bei ihm eine
Allergie vor, die er sich bei dem propädeutischen Kurs im Sommersemester 2001
durch Kontakt mit Gips und anderen Werkstoffen zugezogen habe. Er sei bei dem
Kurs nicht nur durch das pulverförmige Alginat und Gips beeinträchtigt worden,
sondern auch durch weitere Werkstoffe, die durch das Beschleifen von
Kunststoffzähnen freigesetzt worden seien. Hierzu zählten toxische Stoffe,
Staubbelastung und ätzende Stoffe. Hinzu kämen weitere Duftstoffe,
Desinfektionsspray, Trennmittel, Talkum sowie Zigarettenrauch. Die Abluftanlage
sei während des Kurses auch nicht immer in Betrieb gewesen; regelmäßig hätten
die Fenster offen gestanden und die Anlage sei nicht in Betrieb gewesen. Es habe
auch nicht nur kurzzeitig eine Staubexposition gegeben. Der bei der
Epikutantestung verwendete Gips sei nicht identisch mit dem während des Kurses
verwendeten Gips. Er habe bei dem Kurs außerdem Zähne der Firma F.
beschleifen müssen, die hierzu nicht geeignet gewesen seien, weshalb schädliche
Stoffe freigesetzt worden seien, die eine Allergie bei ihm ausgelöst hätten. Die
Beklagte habe zu Unrecht auch nicht berücksichtigt, dass er 1985/86 als
Buchbinder in der Universität H. tätig gewesen sei. Er sei seinerzeit als
Aushilfsangestellter in der Universitätsbibliothek H. tätig gewesen und habe unter
Staubeinwirkungen gelitten, was zu einer allergischen Entzündung geführt habe.
Außerdem sei er im Sommersemester 1986 bzw. im Wintersemester 1986/87 Tutor
in der klinischen Chemie im Medizinstudium gewesen und dabei in Kontakt
gekommen mit Poolserum, was ebenfalls Quelle der Allergie sein könne.
Schließlich habe er am 16.07.2001 einen Rollerunfall erlitten, der sich ebenfalls
ausgewirkt habe.
15 Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten mit dem Hinweis, dass Dr. W. beim
Kläger bereits im Jahr 1985 eine Polyposis nasis bei chronischer Sinusitis
festgestellt habe, außerdem ein Septumdeviation (abweichende
Nasenscheidewand von der Medianebene). Dieser Befund stehe nicht im
Zusammenhang mit allergisierenden Stoffen, sondern sei außerberuflich
entstanden.
16 Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-pneumologischen
Gutachtens bei Dr. G., S.. Dieser berichtete im Gutachten vom 03.03.2006 über
von ihm durchgeführte allergologische Untersuchungen. Danach waren im
Pricktest bei ausreichend positiver Histaminreaktion keine signifikanten
Sofortreaktionen auf sämtliche überprüften perennialen und saisonalen
Inhalationsallergene erkennbar. Im Epicutantest mit Dentalprodukten zeigte sich
ebenfalls keine signifikante Reaktion. Die Gesamt-IgE war mit 117 IU/ml leicht
erhöht. Dr. G. diagnostizierte beim Kläger eine chronisch-obstruktive
Atemwegserkrankung bei vorbestehender chronischer Erkrankung der oberen
Luftwege im Sinne eines sog. sinubronchialen Syndroms. Eine berufliche
Verursachung der Erkrankung sei nicht wahrscheinlich. Eindeutige Hinweise für
eine exogen allergische Erkrankung der oberen Atemwege i.S. einer allergischen
Rhinitis bestünden nicht. Weitere Testmöglichkeiten im Hinblick auf während des
Praktikums einwirkenden Allergene bestünden nicht. Die weiteren benannten
Substanzen hätten soweit bekannt keine die Atemwege sensibilisierende Wirkung,
so dass auch weitere Tests, z.B. mit Schleifstäuben, Desinfektionsmitteln, Talkum
etc. nicht sinnvoll seien.
17 Es sei nun erstmals eine deutliche bronchiale Obstruktion und Lungenüberblähung
festgestellt worden. Eine ergänzende bronchiale Provokationstestung habe der
Kläger nicht durchführen lassen. Ob diese bronchiale Obstruktion als Ausdruck
einer obstruktiven Atemwegserkrankung eher einem Asthma bronchiale oder einer
chronischen Bronchitis zugeordnet werden müsse, sei schwierig. Mehr
bronchitischen Charakter habe die Husten-Auswurf-Symptomatik und die
Tatsache, dass der Kläger über einige Jahre in doch nicht unerheblichem Maße
geraucht habe, wenngleich er hierzu jetzt aktuell keine konkreten Angaben
gemacht habe. Auch für die Erkrankung der unteren Atemwege werde keine primär
berufliche Verursachung gesehen. Obstruktive Atemwegserkrankungen kämen bei
Zahnärzten, Zahnarzthelfern und Zahntechnikern, die langjährig und mit Sicherheit
wesentlich intensiver in ihrer Arbeit gegenüber Dentalprodukten und deren
Stäuben und Dämpfen ausgesetzt seien, nicht häufiger als in der
Normalbevölkerung vor. Beim Kläger habe nur eine kurzzeitige und nach allen
bisherigen Ermittlungen geringfügige Exposition gegenüber unspezifischen
Irritantien vorgelegen. Über diesen kurzen Kontakt sei die Entwicklung einer
generalisierten Erkrankung der oberen und unteren Luftwege nicht anzunehmen.
Auch bei einer Exposition mit einer bislang nicht identifizierten Substanz wäre ein
anderer Krankheitsverlauf zu erwarten. Stattdessen handele es sich um einen
chronischen Krankheitsverlauf mit progressiver Tendenz, der sich jetzt über die
chronisch entzündlichen Prozesse an den oberen Atemwegen auf die unteren
Atemwege ausgedehnt habe. Es liege daher keine BK nach Nr. 4301 und Nr. 4302
vor. Auch die Voraussetzungen der Anerkennung wie eine BK (§ 9 Abs. 2 SGB VII)
lägen nicht vor. Der Kläger gehöre keiner Personengruppe an, die durch ihre
Tätigkeit (hier den vorübergehenden Besuch des propädeutischen Kurses an der
Universität) in höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen
Einwirkungen ausgesetzt sei, die eine obstruktive Atemwegserkrankung auslösen
könnten. Unter Berücksichtigung der Vorerkrankungen und des Krankheitsverlaufs
bestehe auch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass das jetzt feststellbare
Krankheitsbild ursächlich mit der Praktikumstätigkeit in Zusammenhang stehe.
18 Mit Schriftsatz vom 11.04.2006 hat der Kläger einen Antrag auf Ablehnung des
Sachverständigen Dr. G. wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt. Der
Kläger und Dr. G. seien früher Kommilitonen gewesen, und der Kläger sei im Jahr
1997 sein Patient gewesen. Hierzu hat der Kläger einen - mit handschriftlichem
Datumsvermerk 8.9.1997 - versehenen Befundbericht von Dr. G. (Diagnosen: V.a.
Lungentuberkulose, Ausschluss bronchopulmonale Erkrankung; Vorgeschichte:
….Früher starker Raucher…) vorgelegt. Dr. G. sei „durch das Physikum gefallen“.
Er, der Kläger, sei außerdem im Untersuchungszeitpunkt krank gewesen. Der
Kläger habe bis zum Eingang des Gutachtens annehmen müssen, dass Dr. G.
kein Gutachten erstatten, sondern den Gutachtensauftrag zurückgeben würde. Es
werde beantragt, Prof. B., Ordinariat für Arbeitsmedizin der Universität H.,
Zentralinstitut für Arbeitsmedizin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit
einer Begutachtung zu beauftragen.
19 Hierzu hat Dr. G. mit Schreiben vom 30.06.2006 dahin gehend Stellung
genommen, es sei richtig, dass er und der Kläger Kommilitonen gewesen seien, es
habe sich aber nur um eine sehr lose Bekanntschaft gehandelt, die sich bald
verloren habe. Im Gegensatz zum Kläger habe er sein Studium abgeschlossen
und sei auch nicht „durch das Physikum gefallen“. Er habe den Kläger auch nie
behandelt, sondern nur im Rahmen der Begutachtung untersucht. Als er den
Kläger, der während des Studiums noch „F. G.“ geheißen habe, anlässlich der
Begutachtung wiedererkannt habe, habe er diesem vorgeschlagen, einen anderen
Gutachter zu wählen. Der Kläger habe aber insistiert, von ihm begutachtet zu
werden. Er habe die Begutachtung dann ordnungsgemäß durchgeführt.
20 Am 14.11.2006 hat das SG auf Antrag des Klägers Prof. Dr. B., H., mit der
Erstellung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG beauftragt. Nachdem der Kläger
im Zeitraum zwischen Dezember 2006 und November 2007 mehrere - zuvor
vereinbarte - Untersuchungstermine unter Hinweis auf erlittene Unfälle sowie
Erkrankungen abgesagt hatte, hat das SG den Sachverständigen am 10.12.2007
telefonisch vom Gutachtensauftrag entbunden, nachdem dieser darauf
hingewiesen hatte, dass ein Gutachten nach Aktenlage kein anderes als das
bisher festgestellte Ergebnis erbringen könnte.
21 Mit Beschluss vom 07.01.2008 hat das SG das Befangenheitsgesuch gegen den
Sachverständigen Dr. G. abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das
Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Beschluss vom 12.12.2008 (L
9 U 3731/08 B) zurückgewiesen.
22 Mit Gerichtsbescheid vom 16.02.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, es lägen schon die - im Vollbeweis nachzuweisenden -
arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten Nr. 4301 und Nr. 4302
nicht vor, da der Kläger nach den Ausführungen des Präventionsdienstes im
Rahmen des Praktikums im Labor der Kopfklinik der Universität H. wegen der nur
kurzzeitigen Exposition mit Alginat und Gips und der Sicherheitseinrichtungen
(Absauganlage) weder mit allergisierenden (BK Nr. 4301) noch mit chemisch-
irritativen Stoffen (BK Nr. 4302) exponiert gewesen sei. Selbst wenn man den
Angaben des Klägers glaube, dass die Absauganlage nicht in Betrieb gewesen
und er mit anderen Stoffen (Desinfektionsmittel, Talkum etc.) in Kontakt gekommen
sei, sei nicht davon auszugehen, dass die beim Kläger vorhandene Erkrankung
einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung mit weitgehend fixierter
Obstruktion mit Wahrscheinlichkeit durch die versicherte Tätigkeit verursacht
worden sei, diese also in Verbindung mit allergisierenden Stoffen stehe. Dr. G.
habe in seinem Gutachten - auch unter Berücksichtigung und unter
Übereinstimmung mit dem vorhergehenden Gutachten von Prof. Dr. H. - darauf
hingewiesen, dass beim Kläger kein Anhalt für eine wesentliche allergische
Verursachung der Atemwegserkrankung bestehe. Bei der Allergietestung konnten
keine relevanten Reaktionen gegenüber Inhalationsallergenen gefunden werden.
Der Epicutantest war unauffällig und zeigte keine relevante positive Reaktion. Auch
ein Pricktest zeigte keine signifikanten Sofortreaktionen auf sämtliche überprüften
perennialen und saisonalen Inhalationsallergene. Die Gesamt-IgE war mit 117
IU/ml leicht erhöht, so dass auch hier eine Sensibilisierung unwahrscheinlich
erscheine. Gegen einen kausalen Zusammenhang spreche auch, dass Dr. T. in
seinem beratungsärztlichen Bericht darauf hingewiesen habe, dass eine
unspezifische Hyperreagibilität vorliege. Bei der Verabreichung von inertem weder
toxisch noch allergisierend wirkendem Talkum habe die Nasenschleimhaut mit
einer Kongestion bzw. Obstruktion reagiert. Angesichts dessen seien die während
des Praktikums aufgetretenen Beschwerden bei einer vorherigen langjährigen
chronischen Rhino-Sinusitis lediglich als Ausdruck einer unspezifischen
Hyperreagibilität zu werten. Ein Zusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und der beim Kläger jetzt vorliegenden Atemwegserkrankung sei somit
nicht hinreichend wahrscheinlich. Eine BK nach Nr. 4301 und Nr. 4302 könne
ebenso wenig anerkannt werden wie eine Wie-BK. Zu Letzterer habe Dr. G. in
seinem Gutachten ausgeführt, dass nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft
Atemwegserkrankungen weder bei Zahnärzten, Zahnarzthelfern noch bei
Zahntechnikern, die langjährig und wesentlich intensiver als der Kläger aufgrund
ihrer Arbeit mit Dentalprodukten deren Stäuben und Dämpfen ausgesetzt seien,
häufiger vorkommen als in der Normalbevölkerung. Nur in wenigen Einzelfällen
werde in der Fachliteratur über die Entwicklung einer obstruktiven
Atemwegserkrankung in Dentallaboren durch Inhalation von Acrylatdämpfen
berichtet. Beim Kläger sei zu beachten, dass nur eine kurzzeitige und geringfügige
Exposition gegenüber unspezifischen Irritantien vorgelegen habe, die schwerlich
mit diesen Fällen zu vergleichen seien.
23 Der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen Prof. B. sei wegen Verzögerung
des Rechtsstreit in entsprechender Anwendung von § 109 Abs. 2 SGG
aufgehoben worden. Der Kläger sei insoweit seinen Mitwirkungsobliegenheiten
nicht nachgekommen.
24 Gegen den am 18.02.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am
24.02.2009 Berufung zum LSG eingelegt und sein bisheriges Vorbringen
wiederholt und vertieft. Er habe der Testung der zahnmedizinischen Stoffe nicht
widersprochen. Die untersuchende Oberärztin von Prof. Dr. H., Frau Dr. L., habe
bei der Untersuchung seine Conchen links verletzt und ihm erhebliche Schmerzen
zugefügt. Die richtige Untersuchung habe dann Dr. H. durchgeführt. Der
pathologische Befund des Gewebes habe vermehrte eosinophile Zellen ergeben,
die eine Allergie aufzeigen.
25 Der Kläger beantragt,
26 den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Februar 2009 sowie
den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 27. April 2005 aufzuheben und festzustellen, dass
seine Atemwegserkrankung eine Berufskrankheit nach den Nrn. 4301 bzw. 4302
der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung, hilfsweise eine Berufskrankheit
nach § 9 Abs. 2 SGB VII darstellt.
27 Die Beklagte beantragt,
28 die Berufung zurückzuweisen.
29 Der Senat hat Beweis erhoben zunächst durch Einholung eines Gutachtens
gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. N. (Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits-
und Umweltmedizin der der Ludwig-Maximilians-Universität M.). In dem
gemeinsam mit Dr. O. erstellten Gutachten vom 15.07.2010 werden eine
chronische Rhino-Sinusitis bei Polyposis nasi, Septumdeviation und
Conchapyherplasie sowie eine allergische Rhinopathie im Sinne einer BK Nr. 4301
durch Methylmethacrylate diagnostiziert. Hierzu wird ausgeführt, der Kläger habe
bei der Anamneseerhebung angegeben, dass er zusätzlich zu den Angaben
gegenüber dem Präventionsdienst auch 2-Komponenten-Kunststoffe aus einer
pulverförmigen und einer flüssigen Komponente angerührt habe, so dass
hierdurch eine weitere Exposition gegenüber Methylmethacrylaten bestanden
habe. Methylmethacrylate hätten eine atemwegssensibilisierende Wirkung, die
auch bei Einhaltung der Grenzwerte relevant sein könne. Erschwerend für die
Diagnostik einer allergischen Rhinopathie durch Exposition gegenüber
Methylmethacrylaten sei die Tatsache, dass keine standardisierten Prick-
Hauttestlösungen oder Tests auf spezifische IgE-Antikörper zur Verfügung
stünden. Eine Testmöglichkeit auf spezifische IgE-Antikörper gegenüber
Methylmethacrylaten sei vor einigen Jahren aufgrund von fehlenden
Positivkontrollen vom Markt genommen worden. Aufgrund dieser Angaben des
Klägers sei am 01.02.2010 eine arbeitsplatzsimulierende Expositionstestung
durchgeführt worden, bei der der Kläger kleinere Mengen eines zahnärztlichen 2-
Komponenten-Kunststoffes verarbeitet habe und dadurch über eine Stunde
gegenüber niedrigen Konzentrationen von Methylmethacrylat exponiert gewesen
sei. Nach Exposition konnte ein signifikanter Abfall des nasalen Flusses rechts
dokumentiert werden, links war von Anfang an kein Flow messbar. Somit sei die
arbeitsplatzsimulierende Expositionstestung mit Methylmethacrylaten als positiv zu
bewerten. Zum Ausschluss einer nasalen Hyperreagibilität auf diverse
unspezifische Irritantien sei am 29.06.2010 ein Provokationstest von Dres. Z. und
L., M., durchgeführt worden. Aufgrund dieses Tests konnte nach sequentieller
seitengetrennter Provokation keine statistisch signifikante Veränderung des
nasalen Atemstromvolumens gemessen werden, sodass eine Hyperreagibilität der
nasalen Schleimhaut als konkurrierende Ursache ausgeschlossen werden konnte.
Es sei somit ein Kausalzusammenhang zwischen atemwegssensibilisierend
wirkenden Methylmethacrylaten und der nasalen Obstruktion als typisches
Krankheitsbild einer allergischen Rhinopathie bestätigt. Diese sei als BK Nr. 4301
zur Anerkennung zu bringen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege
nicht vor.
30 Die Voraussetzungen einer BK Nr. 4302 lägen demgegenüber nicht vor. Eine
obstruktive Atemwegserkrankung habe nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden
können. Im Rahmen der lungenfunktionsanalytischen Diagnostik habe sich weder
eine restriktive noch ein obstruktive Ventilationsstörung gezeigt, lediglich eine
geringgradige Lungenüberblähung. Begleitend sei das exhalierte
Stickstoffmonoxid deutlich erhöht gewesen als möglicher Hinweis auf eine
eosinophile bronchiale Entzündung im Rahmen eines asthmatischen Geschehens.
Die weiterführende Diagnostik eines Asthma bronchialis mit einer unspezifischen
bronchialen Provokation habe der Kläger jedoch - wie bereits beim Vorgutachten -
abgelehnt. Zusätzlich fehlten die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK
Nr. 4302. Soweit Dr. G. eine obstruktive Atemwegserkrankung diagnostiziert habe,
sei bei genauer Betrachtung der damaligen Fluss-Volumen-Kurve von einer
suboptimalen Mitarbeit des Klägers bei Erhebung der spirometrischen Messwerte
auszugehen. Auch die völlig im Normbereich liegenden Atemwiderstände
sprächen gegen eine relevante obstruktive Ventilationsstörung. Unabhängig von
der fraglichen Diagnose einer Atemwegserkrankung stehe - wie auch Dr. G.
ausgeführt habe - dies in keinem Kausalzusammenhang zu einer beruflichen
Ursache. Es fehle die für eine berufsbedingte Atemwegserkrankung typische
Arbeitsanamnese mit engem zeitlichen Bezug zur Exposition.
31 Die Beklagte hat zum Gutachten von Prof. Dr. N. ausgeführt, dass es nach
Internetrecherchen einen sog. Basophilen-Degranulationtest (BDT) zum Nachweis
der allergischen Sensibilisierung vom Soforttyp (Typ I) u.a. auch auf
Methylmethacrylate gebe. Zudem sei nicht erkennbar, dass es selbst bei Vorliegen
einer allergischen Rhinopathie einen Zwang zur Unterlassung aller Tätigkeiten, die
für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung
ursächlich waren oder sein können, gebe. Hierzu habe Prof. Dr. N. lediglich
angegeben, dass der Kläger eine Umschulung zum IT-Arbeiter im April 2010
begonnen habe und grundsätzlich die Exposition gegenüber Methylmethacrylaten
vermieden werden sollte. Mit Blick auf mögliche technische und organisatorische
Maßnahmen (z.B. technische Vorrichtungen zum Absaugen von Dämpfen) und
persönliche Schutzmaßnahmen (z.B. Verwendung von Atemschutzmasken) sei
der Unterlassungszwang nicht belegt. Sofern der inhalative Kontakt mit dem
Allergen im Rahmen des Studiums der Zahnmedizin und einer Tätigkeit als
Zahnmediziner durch solche Schutzmaßnahmen vermieden werden könnte, wäre
auch das Kriterium der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit nicht erfüllt.
32 Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei Prof.
Dr. T. (Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des
Universitätsklinikums H.). Im Gutachten vom 01.02.2013 hat dieser zunächst zur
Anamnese ausgeführt, der Kläger habe angegeben, zeitlebens Nichtraucher zu
sein. Seine entgegenstehenden Angaben, wie sie im Gutachten von Prof. Dr. N.
(zwischen 1970 und 1989 maximal 10 Zigaretten täglich) und im Fragebogen der
Unfallkasse (zwischen 1970 und 1977 15 Zigaretten täglich) dokumentiert sind,
seien unzutreffend. Der Kläger habe weiter angegeben, im Sommersemester 2001
während eines sog. Phantomkurses einen Kunststoff verarbeitet zu haben, der aus
zwei Komponenten bestand. Hierbei sei er gegenüber Dämpfen von Methacrylaten
exponiert gewesen. Prof. Dr. T. berichtet weiter, dass eine allergologisch-
immunologische Untersuchung des Klägers nicht erfolgen konnte, da dieser eine
Blutentnahme abgelehnt habe. Die durchgeführte kardiopulmonale
Funktionsprüfung habe keinen Anhalt für eine obstruktive und restriktive
Ventilationsstörung oder eine Lungenüberblähung ergeben. Die anteriore
Rhinomanometrie habe hochgradig behinderte Nasenflüsse gezeigt. Er
diagnostizierte eine chronische Rhino-Sinusitis bei Polyposis nasi, eine
Septumdeviation und Conchahyperplasie (Fremddiagnose), außerdem eine
arterielle Hypertonie sowie Adipositas Grad 1 und eine Hochtonschwerhörigkeit
rechts (Fremddiagnose). Der Kläger leide zwar an einer chronischen Rhinopathie
mit nasaler Obstruktion, es liege aber keine allergische Rhinopathie i. S. der BK Nr.
4301 vor. Insoweit sei zunächst von den Ergebnissen der Hauttestungen
auszugehen. Von Frau Dr. L. seien sowohl Prick- und Scratch-Tests (Typ I-
Allergie) als auch Epikutantestungen (Typ IV-Allergie) auf Umweltallergene und
Berufsallergene (Screening) durchgeführt worden. Mit Ausnahme von Duftstoff-Mix
(Einfach-Positiv-Reaktion) hätten sich keine Sensibilisierungen ergeben,
insbesondere nicht auf das Methylmethacrylat. Der Gesamt-IgE-Serumspiegel sei
nicht erhöht gewesen, so dass sich auch serologisch kein Hinweis auf eine
allergische Disposition ergeben habe. In Übereinstimmung mit dem HNO-ärztlichen
Untersuchungsbefund habe auch die allergologische Diagnostik durch Dr. G. keine
relevanten Resultate gezeigt. Im Prick- und im Epikutantset hätten sich keine
positiven Reaktionen gezeigt, insbesondere waren die getesteten Acrylate negativ.
Allerdings treffe dies nur für die Kontaktallergie zu, die pathogenetisch eine
Immunreaktion vom verzögerten Typ darstelle. Die an den Atemwegen und an den
Augenbindehäuten als Asthma bronchiale oder Rhinokonjunktivitis auftretenden
allergischen Reaktionen seien demgegenüber in der Mehrzahl auf eine Reaktion
des Allergens mit spezifischen Antikörpern der IgE-Klasse zurückzuführen und
zählten zu den Manifestationen vom Soforttyp. Festzustellen sei aber, dass
sämtliche Epicutantestungen jedenfalls nicht auf eine Sensibilisierung hinwiesen.
D.h. es fehle aufgrund der „negativen“ Sensibilisierung bei den Hauttestungen auf
Methylmethacrylat zumindest ein Hinweis auf eine Soforttyp-Allergie.
33 Im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. N. habe der Kläger in der
Expositionskabine eine Stunde lang mit einem Zweikomponenten-
Prothesenkunststoff gearbeitet, der 90 bis 100% Methylmethacrylat enthalte; es
handele sich allerdings um das Produkt Selectaplus und nicht das im
zahnärztlichen Praktikum verwendete Produkt Paladur. Die von Prof. Dr. N. aus
den Ergebnissen der nasalen Provokation, insbesondere aus dem Abfall des
nasalen Flusses gezogene Schlussfolgerung, dass damit der kausale
Zusammenhang zwischen atemwegssensibilisierend wirkenden
Methylmethacrylaten und der nasalen Obstruktion als typisches Krankheitsbild
einer allergischen Rhinopathie bestätigt sei, wäre nur dann zutreffend, wenn es
wissenschaftlich gesichert wäre, dass Methylmethacrylate grundsätzlich beim
Menschen atemwegssensibilisierend wirkten. Da die Gutachter ihre Ergebnisse
nicht durch wissenschaftliche Quellen belegt hätten, sei nachfolgend auf die
aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse hinzuweisen. Die Arbeitsstoffkommission
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) habe schon im Jahr 1997 die
allergene Wirkung von Methylmethacrylat auf den Menschen dokumentiert.
Danach hätten schon zu diesem Zeitpunkt gesicherte Fallberichte zur allergenen
Wirkung des Methylmethacrylats auf der Haut vorgelegen. Von einer Markierung
als Atemwegsallergen sei vorläufig abgesehen worden. In einer weiteren
Bewertung aus dem Jahr 2006 sei festgestellt worden, dass Methylmethacrylat auf
Haut und Schleimhäute reizend wirke. Während in der Nachlieferung die
hautsensibilisierende Wirkung durch weitere Untersuchungsresultate bestätigt
werde, lägen für eine atemwegssensibilisierende Wirkung keine (neuen) Angaben
vor (DFG 2006). Auch Borak et al. gelangten in ihrer Übersichtsarbeit (2011) nach
Berücksichtigung und Bewertung von rund 300 Literaturangaben zu der
Feststellung, sowohl die experimentellen als auch die Fallbeispiele sprächen dafür,
dass Methylmethacrylat keine Atemwegssensibilisierung verursache.
Demgegenüber liege ausreichende Evidenz dafür vor, dass Methylmethacrylat die
Atemwege irritiere und es in der Lage sei, ein chemisch induziertes Berufsasthma
zu verursachen. Die von den Untersuchern festgestellten abgefallenen nasalen
Flussraten ließen sich durch eine chemisch-irritative Reaktion der
Nasenschleimhaut ausreichend erklären. Aufgrund der chronischen
Nasenschleimhautentzündung der Klägers sei von einer gesteigerten
Empfindlichkeit insbesondere für Gase und Dämpfe mit Reizwirkung auszugehen.
34 Eine BK Nr. 4302 sei ebenfalls nicht zu bestätigen. Beim Kläger liege nicht das
Krankheitsbild einer obstruktiven Atemwegserkrankung (Asthma bronchiale,
chronische obstruktive Bronchitis) i.S. der BK Nr. 4302 vor. Außerdem habe eine
Gefährdung durch die Tätigkeit im zahnärztlichen Praktikum nicht bestanden.
Schließlich lägen auch keine neueren medizinischen Erkenntnisse vor, die es
rechtfertigen würden, die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen wie
eine Berufskrankheit i.S.d. § 9 Abs. 2 SGB VII zu entschädigen.
35 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf
die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
36 Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Die mit
der Berufung verfolgte kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54
Abs. 1 Satz 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist zulässig. Die Klage ist jedoch
unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer BK nach Nr.
4301 bzw. 4302 der Anlage 1 zur BKV bzw. nach § 9 Abs. 2 SGB VII.
37 Als Versicherungsfall gilt nach § 7 Abs. 1 SGB VII auch eine BK. Berufskrankheiten
(BKen) sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein
Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die
Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als
BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte
Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als
die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte
Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller
gefährdenden Tätigkeiten versehen.
38 Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende
Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer
Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit
(sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen,
Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben
(Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht
haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte
Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des
Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen.
Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden
Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht
allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R
- SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr.
17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender
ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste
Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O.).
39 Gemessen hieran hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung seiner
Atemwegserkrankung als BK bzw. wie eine BK. Auf die zutreffenden Ausführungen
in der angefochtenen Entscheidung des SG wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2
SGG).
40 Ergänzend ist (lediglich) auszuführen, dass auch die im Berufungsverfahren
durchgeführte Beweisaufnahme das Klagevorbringen zur Überzeugung des
Senats nicht stützt. Soweit die Kläger-Seite den im Berufungsverfahren tätigen
Sachverständigen Prof. Dr. T. im Schriftsatz vom 09.04.2013 als „parteiisch“
kritisiert hat, da dieser in seinem Gutachten vom 01.02.2013 verschwiegen habe,
dass er dem Kläger in den 90er Jahren im Rahmen seines Medizinstudiums die
erfolgreiche Teilnahme an seinem Fachgebiet bestätigt habe, ist darin schon
mangels hinreichender Deutlichkeit kein Ablehnungsantrag zu sehen. Selbst wenn
man jedoch unter Zurückstellung dieser Bedenken ein Ablehnungsgesuch gegen
den Sachverständigen annimmt, ist dieses als unzulässig abzuweisen. Das
Ablehnungsgesuch ist deutlich verspätet und damit eindeutig unzulässig (vgl. §
202 SGG i.V.m. § 406 Abs. 2 Zivilprozessordnung ), da ein
Ablehnungsgrund, der im schriftlichen Gutachten liegen soll, innerhalb der vom
Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme (hier zwei Wochen nach Erhalt des am
06.02.2013 an die Beteiligten übersandten Gutachtens) nach § 411 Abs. 4 ZPO
geltend zu machen ist (BGH BNW 2005, 1869). Bei eindeutiger Unzulässigkeit
kann die Abweisung des Ablehnungsgesuchs in den Entscheidungsgründen
erfolgen (Reichold in Thomas-Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011, § 406 Rn. 9 m.w.N.).
41 Hinsichtlich der BK Nr. 4301 liegt beim Kläger zwar nachweislich eine chronische
Rhinopathie mit nasaler Obstruktion vor, was von sämtlichen Gutachtern im
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren bestätigt wurde. Zur Überzeugung des Senats
ist allerdings nicht hinreichend wahrscheinlich, dass diese Erkrankung im Rahmen
einer versicherten Tätigkeit durch allergisierende Stoffe hervorgerufen oder
wesentlich beeinflusst wurde. Gegen eine sensibilisierende Wirkung sprechen,
worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat, bereits die Ergebnisse der
Hauttestungen durch Prof. Dr. H./Dr. L. und Dr. G. Hierbei waren weder auf die
überprüften perennialen und saisonalen Inhalationsallergene noch auf den im
Dentallabor verwendeten Gips noch auf die überprüften Dentalprodukte, darunter
Methylmethacrylat, signifikante Reaktionen erkennbar. Wenngleich die
Kontaktallergie pathogenetisch lediglich eine Immunreaktion vom verzögerten Typ
darstellt, während die an den Atemwegen auftretenden allergischen Reaktionen zu
den Manifestationen vom Soforttyp gehören, weisen die Prick- und
Epikutantestungen nicht auf eine Sensibilisierung des Klägers auf die genannten
Materialien und Stoffe hin, denen er im Rahmen des geltend gemachten
propädeutischen Praktikums im Sommersemester 2001 ausgesetzt war. Jedenfalls
legt die „negative“ Sensibilisierung bei den Hauttestungen auf Methylmethacrylat
eine Soforttyp-Allergie gegen diesen Stoff jedenfalls nicht nahe, worauf Prof. Dr. T.
in seinem Gutachten hinweist. Hierfür besteht zur Überzeugung des Gerichts auch
im Übrigen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Soweit Prof. Dr. N. im Rahmen
seines Gutachtens nach § 109 SGG aufgrund des Expositionsversuchs in
arbeitsplatzähnlicher Situation und der beim Kläger gemessenen nasalen
Provokation einen solchen Kausalzusammenhang angenommen hat, leidet diese
Schlussfolgerung - worauf Prof. Dr. T. zutreffend hingewiesen hat - an der
fehlenden wissenschaftlichen Untermauerung. Denn Prof. Dr. N. belegt seine
Behauptung, Methylmethacrylate hätten eine atemwegssensibilisierende Wirkung,
durch keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisquellen oder sonstige Nachweise. Von
daher ist schon nicht erkennbar, dass die von Prof. Dr. N. dargestellte Auffassung
dem neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. hierzu
auch BSG Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111
Nr. 3) entspricht. Demgegenüber gibt es nach den von Prof. Dr. T. genannten
Erkenntnisquellen (DFG 1997 und 2006, Borak et. al., 2011) zwar hinreichende
Hinweise auf eine allergene Wirkung des Methylmethacrylats an der Haut, ein
entsprechender Nachweis für eine (auch) atemwegssensibilisierende Wirkung fehlt
indes. Nach der von Prof. Dr. T. zitierten aktuellen Übersichtsarbeit von Borak et al.
sprechen die experimentellen und Fallbeispiele dafür, dass Methylmethacrylat
keine Atemwegssensibilisierung verursacht. Danach ist zwar davon auszugehen,
dass Methylmethacrylat unspezifische Effekte in Form einer atemwegsreizenden
Wirkung auslöst, eine sensibilisierende Wirkung von Methylmethacrylat im
Atemtrakt lässt sich jedoch nach dem neuesten anerkannten Stand der
medizinischen Wissenschaft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen.
42 Diese überzeugende, wissenschaftlich fundierte Aussage von Prof. Dr. T. wird
gestützt durch öffentliche, im Internet zugängliche Quellen. So liegen nach der
Zusammenfassung des Technical Support Document (TSD) zu Methylmethacrylat
(Status: “interim“, Stand: 01/2007) durch das Umweltbundesamt keine
ausreichenden Hinweise für eine sensibilisierende Wirkung des MMA im Atemtrakt
vor. Unspezifische asthmatische Effekte aufgrund einer Atemwegsreizung könnten
aber nicht ausgeschlossen werden (Quelle:
www.umweltbundesamt.de/nachhaltige-produktion.../anlagen/.../MMA.pdf). Auch in
der Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom
29.04.2004 über die Ergebnisse der Risikobewertung und über die
Risikobegrenzungsstrategien für verschiedene Stoffe (Amtsblatt der Europäischen
Union L 144 vom 30. April 2004) wird von einer „Reizung der Atemwege und
Inhalationswirkung infolge der Inhalationsexposition“ durch Methylmethacrylat bei
gleichzeitiger „Hautsensibilisierung infolge der Exposition der Haut bei der
Verwendung u.a. in zahnmedizinischen Labors“ ausgegangen (Quelle:
www.baua.de/de/Chemikaliengesetz-Biozidverfahren/.../OJ_028_de.pdf). Auch im
Übrigen liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, dass über das (unspezifische)
Irritationspotential von Methylmethacrylat in Bezug auf die Schleimhäute des
Nasen-Rachen-Raums, das als gesichert gilt, der Stoff bei der Entstehung von
arbeitsplatzbedingtem Asthma eine Rolle spielt, auch wenn im Schrifttum über
einzelne Fälle von Sensibilisierung im Zusammenhang mit Methylmethacrylat
berichtet wird (Bundesinstitut für Risikobewertung, Stellungnahme Nr. 014/2012
vom 22.12.2011; Quelle: www.bfr.bund.de). Auf die zuletzt genannten, im Internet
zugänglichen Erkenntnisquellen kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, da sich
bereits aus dem Gutachten von Prof. Dr. T. und den dort genannten
wissenschaftlichen Veröffentlichungen der aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisstand hinsichtlich einer atemwegssensibilisierenden Wirkung von
Methylmethacrylat zur Überzeugung des Senats hinreichend ergibt.
43 Hiernach ist insgesamt zur Überzeugung des Senats der fundierten und schlüssig
begründeten Beurteilung von Prof. Dr. T. in seinem Gutachten zu folgen, wonach
zwar beim Kläger infolge der seit dem Jahr 1985 dokumentierten chronischen
Rhinosinusitis mit einer daraus folgenden gesteigerten Empfindlichkeit für Gase
und Stoffe mit Reizwirkung - vom Beratungsarzt Dr. T. als unspezifische
Reizbarkeit der Nasenschleimhaut bezeichnet - infolge der Exposition mit einem
Reizstoff, z.B. Methylmethacrylat, eine chemisch-irritative Reaktion eintreten
konnte. Eine Verursachung oder Verstärkung seiner Erkrankung der oberen
Atemwege durch einen allergisierenden Stoff lässt sich demgegenüber nicht
wahrscheinlich machen. Namentlich das Methylmethacrylat ist hierfür nach dem
aktuellen Stand der Wissenschaft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
geeignet. Für eine ergänzende (schriftliche oder mündliche) Befragung von Prof.
Dr. N. zu diesem Punkt besteht keine Veranlassung. Soweit der rechtskundig
vertretene Kläger insoweit schriftsätzlich eine ergänzende Befragung von Prof. Dr.
N. beantragt hatte, wurde dieser Beweisantrag in der maßgebenden mündlichen
Verhandlung nicht mehr weiter verfolgt, sondern nur noch ein Sachantrag gestellt
(vgl. BSG, Beschlüsse vom 06.03.2008 - B 5a R 426/07 B - und vom 05.03.2002 -
B 13 RJ 193/01 B - SozR 3-1500 § 160 Nr. 35). Auch von Amts wegen sieht der
Senat keine Veranlassung für eine ergänzende Befragung des Sachverständigen
Prof. Dr. N., der wie ausgeführt seine Auffassung mit keinerlei wissenschaftlichen
Quellen belegt hat und daher die wissenschaftlich fundierte (Gegen-) Auffassung
von Prof. Dr. T. nicht ernstlich zu erschüttern vermag.
44 Unabhängig davon fehlt es für die BK Nr. 4301 auch am zu fordernden Vollbeweis
eines Unterlassungszwanges. Das Tatbestandsmerkmal des Zwangs zur
Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten setzt in der Regel voraus, dass die
Tätigkeit, die zu der Erkrankung geführt hat, aus arbeitsmedizinischen Gründen
nicht mehr ausgeübt werden soll und der Versicherte die schädigende Tätigkeit
und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat.
Ob der Zwang zum Unterlassen der bisherigen Tätigkeit medizinisch geboten war,
d. h. deren Fortsetzung wegen der schon eingetretenen Gesundheitsstörungen
oder der Gefahr der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens der Krankheit
aus medizinischer Sicht nicht verantwortet werden konnte, ist im Wege einer
nachträglichen objektiven Betrachtungsweise festzustellen. Durch das
Tatbestandsmerkmal des Zwanges der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung soll
in typisierender Weise der Schweregrad der Krankheit beschrieben werden. Weiter
hat das Merkmal den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn
gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der
Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (BSG,
Urteil vom 05.05.1998 - B 2 U 9/97 R- m. w. N.).
45 Eine medizinische Notwendigkeit, das Studium der Zahnmedizin oder jedenfalls
entsprechende Studienleistungen in Form von Praktika, die mit dem Umgang mit
Methylmethacrylat oder anderen Stoffen verbunden sind, aufzugeben oder zu
unterlassen, lässt sich im Rahmen der nachträglichen objektiven
Betrachtungsweise nicht feststellen. Der Umstand, dass der Kläger nach
Abschluss des propädeutischen Praktikums im Sommersemester 2001
gesundheitliche Beschwerden geltend gemacht hat, belegt nicht, dass auch
objektiv aus medizinischer Sicht die Notwendigkeit bestand, diese Tätigkeit
aufzugeben. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diverse
technische und organisatorische Maßnahmen (z.B. technische Vorrichtungen zum
Absaugen von Dämpfen, Sicherheitssichtscheibe) und persönliche
Schutzmaßnahmen (z.B. Schutzbrille, Mund- und Nasenschutz, Hautschutz) in
Betracht kommen, um den Atem- oder sonstigen Kontakt mit Methylmethacrylat zu
vermeiden. Ein Unterlassungszwang ist somit nicht belegt. Des Weiteren hat der
Kläger sein Studium der Zahnmedizin bisher auch nicht aufgegeben.
46 Das Vorliegen einer BK Nr. 4302 scheitert bereits an den medizinischen
Voraussetzungen, da nach den insoweit übereinstimmenden, schlüssig
begründeten Begutachtungen von Prof. Dr. N. und Prof. Dr. T. beim Kläger keine
obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne eines Asthma bronchiale oder einer
chronischen obstruktiven Bronchitis (COPD) feststellbar ist. Soweit der
erstinstanzliche tätige Sachverständige Dr. G. eine solche obstruktive
Atemwegserkrankung diagnostiziert hat, hat Prof. Dr. N. plausibel dargelegt, dass
bei genauer Betrachtung der damaligen Fluss-Volumen-Kurve von einer
suboptimalen Mitarbeit des Klägers bei Erhebung der spirometrischen Messwerte
auszugehen ist. Gegen eine relevante obstruktive Ventilationsstörung sprechen
auch die bei seiner Begutachtung und der durch Prof. Dr. T. völlig im Normbereich
liegenden Atemwegswiderstände. Hiervon ausgehend braucht die Frage einer
etwaigen Verursachung einer solchen Erkrankung, etwa durch eigenen
Nikotinkonsum - den der Kläger zuletzt im Gegensatz zu seinen früheren Angaben
in Abrede gestellt hat - nicht näher nachgegangen werden. Obstruktive
Atemwegserkrankungen der oberen Luftwege (im Sinne einer Rhinopathie) durch
chemisch-irritative oder toxisch wirkende Stoffe werden von der BK Nr. 4302 nicht
erfasst (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl.,
S. 1059).
47 Auch die Voraussetzungen der Anerkennung einer Wie-BK (§ 9 Abs. 2 SGB VII)
liegen nicht vor. Mangels neuerer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse
über die Verursachung einer Rhinopathie durch chemisch-irritativ oder toxisch
wirkende Arbeitsstoffe kommt eine Anerkennung wie eine BK (§ 9 Abs. 2 SGB VII)
nicht in Betracht (ebenso bereits LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.1998 -
L 2 U 961/97 - ). Dies umso mehr, als im Falle des Klägers nicht erkennbar
ist, dass dieser mit Blick auf Dauer und Intensität des Kontakts mit dem Gefahrstoff
zu dem Personenkreis gehört, für den ein erhöhtes Erkrankungsrisiko ernstlich
bestand oder besteht.
48 Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu
beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen
werden.
49 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
50 Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).