Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20.10.2016

änderung der verhältnisse, unfallfolgen, gutachter, stationäre behandlung

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.10.2016, L 6 U 34/16
Gesetzliche Unfallversicherung - Erhöhung der Verletztenrente - früherer Vergleich hinsichtlich
der MdE-Höhe - späteres Heraufsetzungsverfahren nach § 48 SGB 10 - Änderung der
tatsächlichen Verhältnisse - Vergleichsmaßstab - keine grundsätzliche Beschränkung auf § 59
SGB 10
Leitsätze
1. Haben sich Versicherter und Unfallversicherungsträger durch Vergleich auf eine bestimmte MdE geeinigt, so
ist diese der Vergleichsmaßstab für spätere Herab- oder Heraufsetzungsverfahren nach § 48 SGB X.
2. Ein Versicherter kann die Erhöhung einer auf Grund eines Vergleichs bewilligten Verletztenren nach § 48
SGB X verlangen. Er ist bei einer Erhöhung für die Zukunft wegen veränderter Umstände grundsätzlich nicht
auf § 59 SGB X beschränkt.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Oktober 2015 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt die Gewährung einer auf Grund eines Vergleichs zuerkannten Verletztenrente nach
einer höheren Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE) als damals zu Grunde gelegt worden war.
2 Die 1959 geborene Klägerin war im Jahre 2006 für 20 Stunden die Woche in der Endfertigung eines
Unternehmens für Blechverarbeitung und daneben auf geringfügiger Basis für 12,5 Stunden wöchentlich als
Verkäuferin in einem Lebensmitteleinzelhandelsmarkt beschäftigt. In ihrer Nebentätigkeit war sie bei einer
Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft (im Folgenden einheitlich: Beklagte) gesetzlich
unfallversichert. Am Morgen des 21. Oktober 2006 fuhr sie auf ihrem Motorroller von ihrer Wohnung zu dem
Lebensmittelmarkt. An einer Straßeneinmündung außerorts nahm ein Pkw-Fahrer der Klägerin die Vorfahrt.
Die Fahrzeuge stießen zusammen. Die Klägerin wurde von dem Roller geschleudert und stürzte. Dabei trug
sie einen Motorradhelm. Körperlich erlitt die Klägerin bei dem Unfall im Wesentlichen einen Oberschenkel-,
Schienbein- und Wadenbeinbruch des rechten Beins sowie ausgedehnte Weichteilverletzungen am rechten
Unterschenkel. Die Verletzungen wurden in der Folgezeit zu Lasten der Beklagten operativ versorgt, wobei
auch Hauttransplantationen zu Gunsten des Unterschenkels durchgeführt wurden (Zwischenbericht des
Universitätsklinikums F. vom 20. November 2006). Die Klägerin bezog Verletztengeld von der Beklagten bis
zum 22. Juli 2008.
3 Vom 17. November bis zum 22. Dezember 2006 absolvierte die Klägerin eine stationäre
Rehabilitationsmaßnahme in den M.-Kliniken Bad K.. In dem Abschlussbericht dieser Klinik vom 3. Januar
2007 sind unter anderem als „unfallunabhängige Diagnosen“ eine Otitis media (Mittelohrentzündung) bei
mesotympanalem (eitrigem) Trommelfelldefekt, eine akute Belastungsreaktion (codiert mit „F43“ nach der
ICD-10 GM, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme, hrsg. von der Weltgesundheitsorganisation WHO, Deutsche Fassung, 10. Aufl. 2016)
und ein Z.n. (Zustand nach) pseudomembranöser Colitis (antibiotika-assoziierte Entzündung der
Darmschleimhaut), aktuell saniert, genannt. Ein neurologisches Konsil hatte „keine sicheren Hinweise für
eine Läsion des N. peronaeus rechts“ ergeben. Psychiatrischerseits bestehe ein V.a. (Verdacht auf) eine
leichte depressive Episode.
4 In der Folgezeit verzögerte sich die Heilung, insbesondere die Durchbauung der Knochenstrukturen im
Bereich der Frakturen (Berichte des Universitätsklinikums F. vom 20. März 2007 und 19. Juni 2007). Die
Klägerin absolvierte umfangreich und langwierig Physiotherapie, in dieser Zeit berichteten die behandelnden
Ärzte des Reha-Zentrums „R.“ regelmäßig und gaben dabei die jeweiligen Bewegungsmaße u.a. für das
rechte obere und untere Sprunggelenk an.
5 Bereits Mitte Oktober 2007 hatte sich die Klägerin wegen psychischer Probleme auf Grund des Unfalls bei
der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. K. vorgestellt. Die Beklagte bewilligte zunächst sechs
probatische Therapiesitzungen. Danach attestierte Dr. K. eine Traumafolgestörung (in Form einer)
posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), differenzialdiagnostisch eine anhaltende depressive Reaktion
im Rahmen einer Anpassungsstörung und setzte die Behandlung „weitmaschig“ fort. Da keine Besserung
eintrat, wurde die ambulante Therapie auf Grund einer Empfehlung des Beratungsarztes der Beklagten, Dr.
M., vom 17. März 2008 laufend fortgesetzt.
6 Zwei stufenweise Wiedereingliederungen bei der Hauptarbeitgeberin der Klägerin im Sommer 2007 und im
Spätwinter 2008 scheiterten. Anfang 2008 beantragte die Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung
(DRV) Baden-Württemberg Erwerbsminderungsrente.
7 Nachdem keine Besserung eintrat, regte die Beklagte auf eine Empfehlung des behandelnden Arztes Dr. K.
eine stationäre Behandlung an. Hierauf teilte Dr. K. unter dem 25. März 2008 mit, das Schreiben der
Beklagten habe die Klägerin in innere Alarmbereitschaft versetzt und panikartige Ängste mit affektiven
Zusammenbrüchen einschließlich suizidaler Impulse ausgelöst. Es sei daher von einer stationären
Heilbehandlung abzusehen. Stattdessen absolvierte die Klägerin eine Belastungserprobung mit
Leistungsabklärung in den M.-Kliniken Bad K.. In dem Entlassungsbericht vom 8. August 2008 teilte die
Klinik mit, als Folgen des Unfalls beständen noch eine nicht kontrakte Spitzfußstellung des rechten oberen
Sprunggelenks (0-15°), belastungsabhängige Schmerzen am distalen Unterschenkel und rechten Rückfuß
sowie dem rechten Kniegelenk, eine röntgenologisch noch nicht abgeschlossene Durchbauung der
Tibiaschaftfraktur und eine Unfallverarbeitungsstörung (Anpassungsstörung) in Form einer längeren
depressiven Reaktion nach akuter Belastungsstörung. Unfallunabhängig bestehe ein Tinnitus rechts. Das
rechte Bein sei belastungsgemindert, die Gehstrecke betrage 1 km. Die Klägerin tue sich schwer, das
kosmetische Ergebnis der Operationen am Bein zu akzeptieren. Die Klinik wies auch darauf hin, dass das in
Untersuchungssituationen gezeigte Hinken beim unbeobachteten Gehen nicht gleichermaßen auftrete und
bei der Mobilisation des rechten Sprunggelenks in die Dorsalextension eine sehr hohe Schutzspannung der
Wadenmuskulatur auftrete, die organisch nicht begründet erscheine. Die Klinik meinte, dass die Klägerin für
ihre gewerbliche Arbeit als Blechbearbeiterin bedingt geeignet sei, aber für die Tätigkeit als Verkäuferin im
Einzelhandel kein Leistungsvermögen vorliege.
8 Die Beklagte erhob zwei Zusammenhanggutachten über die Unfallfolgen bei der Klägerin.
9 Facharzt für Neurologie Dr. C. teilte unter dem 5. November 2008 mit, als Folgen des Unfalls bestehe eine
leichtgradige Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten.
Unfallunabhängig habe eine primär auffällige Persönlichkeitsstruktur mit infantilen, asthenischen und
histrionischen Anteilen bestanden, die allerdings noch keinen Krankheitswert gehabt habe. Eine PTBS
bestehe nicht. Bei der Untersuchung habe sich eine psychosomatische Komponente mit Selbstlimitierung,
demonstrativer Entlastung und Zunahme der Symptomatik gegenüber unbeobachteten Augenblicken
ergeben. Neurologisch beständen keine nachweisbaren Schäden, auch wenn die Klägerin in wechselnder
Ausprägung ein leichtgradig hinkendes Gangbild gezeigt habe. Sie beziehe ihre Beschwerden überwiegend
auf die kosmetisch beeinträchtigenden Läsionen der Weichteile und der Haut am rechten Bein. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit für die seelisch bedingten Unfallschäden schätzte Dr. C. auf 20 v.H. bis zum
31. März 2008 und 10 v.H. seitdem bis auf Weiteres.
10 Der Unfallchirurg Dr. Sch. formulierte die verbliebenen Unfallfolgen in seinem Gutachten vom 17. November
2008 als „beschriebene Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenks rechts,
Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk, Beckenschiefstand, radiologische Veränderungen, narbige
Veränderungen mit Hyposensibilität der lateralen Fußkante rechts, Muskelhypotrophie rechter Oberschenkel
mit konsekutiver Kraftminderung, Spitzfußstellung rechts“. Die Beweglichkeit des Hüftgelenks
(Streckung/Beugung) gab Dr. Sch. mit 0/0/100° (gegenüber 0/0/130° links) an, jene des oberen
Sprunggelenks mit 0/15/30° (gegenüber 30/0/40° links), jene des unteren Sprunggelenks mit 0,5
(gegenüber 1 links). Die Muskelatrophie betrug zwischen 2 und 4 cm gegenüber links. Arbeitsfähigkeit habe
seit dem 27. Juli 2008 bestanden. Die MdE auf unfallchirurgischem Gebiet habe bis zum 4. November 2008
bei 30 v.H. gelegen und betrage seitdem 20 v.H. Diese Werte stellten auch die Gesamt-MdE unter
Einbeziehung der seelischen Unfallfolgen dar.
11 Mit Bescheid vom 5. Februar 2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente als vorläufige
Entschädigung nach einer MdE um 30 v.H. ab dem 23. Juli 2008 (monatlich EUR 337,55) und um 20 v.H. ab
dem 5. November 2008 (monatlich EUR 225,04). Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies die Beklagte
unter dem 14. Mai 2009 zurück. Klage wurde nicht erhoben.
12 In dem weiter laufenden Verfahren wegen einer Rente auf unbestimmte Zeit beauftragte die Beklagte Prof.
Dr. H. mit einer orthopädischen Begutachtung. Der Gutachter beschrieb unter dem 27. Juli 2009 ein „geziert
langsames Gehen mit unökonomischen Ausgleichsbewegungen, aber sonst normales Gehen mit normalen
Schwung- und Standphasen, Abrollbewegungen“ und einen normalen Zehengang beidseits. Der Fersengang
war unsicher, sonst wurden keine Auffälligkeiten bemerkt. Die im Stand gezeigte Rechtwinkelstellung des
oberen Sprunggelenks sei passiv unter antagonistisch muskulärem Gegenspannen auf 0° korrigierbar
gewesen. Die umfangreiche Spalthauttransplantation zeige keine Verdickungen oder Ödeme. Fessel- und
Sprunggelenksbereich seien leicht verdickt. Die Klägerin gebe an mehreren Stellen im Fußbereich Druck-
und Belastungsschmerzen an. Die Beweglichkeiten seien für das obere Sprunggelenk rechts mit 0/0/50°
(gegenüber links 20/0/50°) und für das untere Sprunggelenk mit 4/5 gegenüber links anzugeben. Die
Muskelatrophien des rechten Beins seien minimal unterschiedlich (z.B. 10 cm Oberschenkel nunmehr 38,0
cm gegenüber 38,5 cm links), die Beinlängen seien seitengleich. Die Unfallfolgen seien nunmehr als „im
oberen Sprunggelenk aufgehobene Hebebewegung und im unteren Sprunggelenk geringfügig verminderte
Einwärtskippung, (…) Schwellneigung, (…) Narben“ zu bezeichnen. Ein manifester Spreizfuß bestehe nicht.
Die MdE auf somatischem Gebiet betrage 10 v.H.
13 Der Beratungsarzt der Beklagten führte nach einer Auswertung dieses Gutachtens aus, dass auch auf
neurologisch-psychiatrischem Gebiet keine rentenberechtigende MdE vorliege.
14 Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2009 die Gewährung einer Rente auf
unbestimmte Zeit ab und entzog mit Ablauf des Monats September die bislang gewährte Rente als vorläufige
Entschädigung Als Unfallfolgen stellte sie unter anderem eine „zeitweise Spitzfußstellung rechts“ fest.
Psychische Erkrankungen erwähnte der Bescheid nicht. Den Widerspruch der Klägerin, dem Arztberichte
von Dr. M. (vom 27. August 2009) und des Phlebologen Dr. H. (vom 3. September 2009, Diagnose:
„Weichteilnekrose des rechten Unterschenkels und großflächige Maschenhaut-Transplantation,
Teilversteifung des rechten oberen Sprunggelenks, traumatisch bedingtes peripheres Lymphödem,
chronische Veneninsuffizienz Stadium II nach Widmer, chronisches Schmerzsyndrom, depressive
Verstimmung“) beigefügt waren, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2009
zurück.
15 Hiergegen hatte die Klägerin erstmals Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben (S 9 U 6586/09). Sie
legte dort das Gutachten von Dr. Sch. vom 30. März 2009 vor, das dieser im Auftrag der
Haftpflichtversicherung des Unfallgegners erstellt hatte. Darin waren die Unfallfolgen -
Bewegungseinschränkungen beider Teile des Sprunggelenks, narbige Veränderungen, Muskelverminderung
und Spitzfußstellung – mit einer MdE („MdH“ – unfallbedingte haushaltsspezifische Einschränkung) von 20
v.H. ab dem 5. November 2008 bis laufend bewertet. Ferner legte sie das privat erhobene Gutachten des
Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 23. Februar 2010 vor, das als Unfallfolgen eine inzwischen teilweise
remittierte PTBS und daraus folgend eine mittelschwere depressive Episode nannte und deswegen eine MdE
um 30 v.H. vorschlug.
16 Das SG beauftragte von Amts wegen zunächst Dr. v. St. mit einem orthopädisch-traumatologischen
Gutachten. Dieser Sachverständige teilte unter dem 27. April 2010 mit, neben den inzwischen vollständig
ausgeheilten Frakturen beständen als Unfallfolgen noch deutliche trophische Störungen des rechten
Unterschenkels nach großflächiger Weichteilverletzung und Spalthautransplantation, Narben und eine „im
Regelfall eingehaltene Spitzfußstellung von 5°, die sich jedoch passiv korrigieren lasse mit
Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenks“ sowie – auf Grund der Entlastung des
Beins – eine „generelle Inaktivitäts-Osteoporose des gesamten Fußskeletts rechts“. Als Bewegungsmaße gab
Dr. v. St. für das obere rechte Sprunggelenk 5/0/50° (links 15/0/50°) und für das untere Sprunggelenk 2/3
an. Als unfallbedingte MdE schlug er 20 v.H. auch über den 1. Oktober 2009 hinaus vor. In seiner
gutachterlichen Erwiderung vom 30. August 2010 auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. H.
zu seinem Gutachten hielt Dr. v. St. an seinen Feststellungen und Vorschlägen fest. Die „im Regelfall
eingehaltene Spitzfußstellung von 5°“ sei durch längerfristige Entlastung des Beins und den gestörten
Bewegungsablauf beim Abrollen entstanden und daher als mittelbare Unfallfolge einzustufen. Außerdem
beständen geringfügige Beeinträchtigungen an Hüfte und Knie, die einzubeziehen seien. Die Narben stellten
selbstverständlich eine Gesundheitsstörung dar, erst recht bei einer Frau, allein schon aus kosmetischen
Gründen.
17 Sodann erhob das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 10. Dezember 2010 bei Dr. B. mit
psychologischem Zusatzgutachten von Dr. A. vom 23. Dezember 2010. Dr. B. teilte mit, auf neurologischem
Fachgebiet beständen noch – leichte – Sensibilitätsstörungen, aber keine motorischen Einbußen. Auf
psychiatrischem Gebiet liege zwar keine PTBS vor, eine solche sei auch unmittelbar nach dem Unfall nicht im
Vollbild vorhanden gewesen, jedoch habe sich eine depressive Störung mit zeitweise unterschiedlichen
Ausprägungen entwickelt. Zurzeit liege eine leichtgradige Episode vor. Die MdE dafür könne seit dem 1.
Oktober 2009 mit 20 v.H. angenommen werden. Zu der Gesamt-MdE für den hier streitigen Unfall führte Dr.
B. aus: „Wenn das Gericht dem Gutachten von Dr. v. St. folgt, der die MdE auf unfallchirurgischem Gebiet
auf 20 v.H. schätzt, schätze ich die Gesamt-MdE auf 30 v.H. Wenn das Gericht (…) Prof. Dr. H. folgt, der
(jene) MdE auf 10 v.H. schätze, beträgt die Gesamt-MdE 25 v.H.“ Abschließend wies Dr. B. darauf hin, dass
bei adäquater psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung eine Besserung der depressiven
Störung möglich sei.
18 Die Beklagte holte zu diesem Gutachten die Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. M. vom 3. März 2011
ein. Dieser teilte mit, das Gutachten von Dr. B. sei schlüssig und nachvollziehbar, jedoch sei auch von einer
vorbestehenden Persönlichkeitsstörung auszugehen, auch sei die MdE-Einschätzung von 20 v.H. „eher
etwas großzügig“, insbesondere bei einem Fortbestehen der depressiven Erkrankung für nunmehr vier
Jahre.
19 Entsprechend einer Anregung des SG und nach umfangreichem Schriftwechsel innerhalb und außerhalb des
Gerichtsverfahrens bot die Beklagte der Klägerin mit Schriftsatz vom 19. Mai 2011 die Anerkennung aller
von Dr. v. St. und Dr. B. im Einzelnen beschriebenen Unfallfolgen, die Gewährung einer Verletztenrente auf
unbestimmte Zeit nach einer MdE um 25 v.H. und die Übernahme der gesamten außergerichtlichen Kosten
an. Dieses Angebot nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Juni 2011 an.
20 Die Beklagte führte den Vergleich mit Bescheid vom 4. August 2011 aus. Die monatliche Verletztenrente ab
Oktober 2009 wurde auf EUR 288,07 und ab Juli 2011 auf EUR 290,93 festgesetzt. Ferner erstattete die
Beklagte anderen Sozialversicherungsträgern Aufwendungen, darunter der DRV Baden-Württemberg
insgesamt rund EUR 27.000,- für eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in den Jahren 2009 und 2010.
21 Von Amts wegen lud die Beklagte die Klägerin unter dem 4. Januar 2012 zur Klärung der Frage, ob
Änderungen eingetreten seien, zu einer Begutachtung. Diese lehnte die hierbei vorgeschlagenen Gutachter
ab. Sodann ließ sie über ihren Verfahrensbevollmächtigten vortragen, sie zweifle an einer Rechtsgrundlage
für dieses Verlangen, nachdem der geschlossene Vergleich keinen Änderungsvorbehalt enthalten habe, nach
den einschlägigen unfallversicherungsrechtlichen Vorschriften eine einjährige „Schutzfrist“ vor
Abänderungen bestehe, die frühestens am 5. August 2012 ablaufe, sowie ohnehin nur Veränderungen der
MdE um mehr als fünf Prozentpunkte relevant seien. Die Beklagte wartete daraufhin ab und lud die Klägerin
unter dem 30. Juli 2012 erneut zu Untersuchungen bei den anfangs vorgeschlagenen Gutachtern. Die
Klägerin kam dieser Aufforderung nach.
22 Prof. Dr. S. teilte in dem Gutachten vom 30. August 2012 mit, die Befunde und Funktionseinbußen auf
orthopädischem und unfallchirurgischem Gebiet seien unverändert, die Beweglichkeit des oberen
Sprunggelenks betrage zurzeit 5/0/40°, jene des unteren Sprunggelenks - seitengleich - 10/10 (also 1). Eine
MdE-Bewertung enthielt dieses Gutachten nicht, nachdem keine Veränderungen festgestellt worden waren.
23 Dagegen konnte Dr. v. K. in seinem Gutachten vom 10. Oktober 2012 eine Verschlechterung feststellen. Die
unfallbedingte depressive Episode sei nach wie vor vorhanden und nunmehr mittelschwer ausgeprägt. Der
Klägerin seien bei der Exploration immer wieder die Tränen gekommen. Der soziale Rückzug sei erheblich,
die Vorstellung, die Wohnung zu verlassen, verursache massive Ängste. Es bestehe Kontakt zum Ehemann,
ansonsten gehe sie gelegentlich mit dem Hund spazieren. Zweimal die Woche fahre sie in ein weit
entferntes Thermalbad zur Wassergymnastik. Sie bevorzuge ein weit entferntes Bad, damit sie sicher sein
könne, dass keine Bekannten die Entstellungen an ihrem Bein sehen könnten. Eine Erwerbstätigkeit habe
sie nach dem Unfall und der Rehabilitation nicht wieder begonnen. Sie nehme Cymbalta 60 mg täglich und
Larazepam 1 mg regelmäßig abends und gelegentlich tagsüber, dazu einmal täglich Ibuprofen 600 mg. Es
beständen Unruhe und Schlaflosigkeit. Die Mimik sei starr, die Schwingungsfähigkeit weitgehend
aufgehoben. Wahrnehmungs- und Denkstörungen seien nicht vorhanden. Das rechte obere und untere
Sprunggelenk sei geschwollen, es seien nur Wackelbewegungen möglich. Das rechte Bein werde entlastet.
Auf Grund einer Krankschreibung, so Dr. v. K. weiter, könne der Beginn der Verschlechterung auf den 19.
Juni 2012 gelegt werden. Die MdE allein für die mittelgradige depressive Episode betrage 40 v.H. Das
Krankheitsbild sei derartig chronifiziert, dass eine Besserung nicht zu erwarten sei.
24 Prof. Dr. S. schlug sodann vor, aus den Teil-MdE-Werten von 20 v.H. auf somatischem und 40 v.H. auf
psychiatrischem Gebiet eine Gesamt-MdE von 40 v.H. anzuerkennen.
25 In der Akte der Beklagten findet sich sodann ein Bescheid vom 5. Dezember 2012, mit dem die Beklagte der
Klägerin ab dem 19. Juni 2012 eine Dauerrente nach einer MdE um 40 v.H. (monatlich EUR 465,48)
bewilligte. Ob es sich hierbei um einen Entwurf handelt, ist der Akte nicht zu entnehmen. Ein
Ab(sende)vermerk konnte nicht gefunden werden.
26 Anfang Januar wechselte innerhalb der Beklagten die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Falles der
Klägerin. Die nunmehr zuständige Stelle befragte den Beratungsarzt Dr. M.. Dieser teilte unter dem 14.
März 2013 mit, er stimme mit dem Gutachten Dr. v. K.s nicht überein. Bereits die 2011 zuerkannte MdE um
25 v.H. sei grenzwertig zu hoch gewesen. Nach dem zeitnah erstellten Gutachten von Dr. C. sei allenfalls
eine leichtgradige Anpassungsstörung als unfallbedingt anzusehen gewesen. Bereits damals seien eine –
vorbestehende – auffällige Persönlichkeitsstruktur und eine verfahrensbezogene Darstellungsweise bei
Fehlen neurologischer Ausfälle beschrieben worden. Dr. v. K.s Einschätzung einer nunmehr mittelgradigen
depressiven Episode gründe sich ausschließlich auf die subjektiven Angaben der Klägerin. Die angegebene
Medikamenteneinnahme sei nicht durch eine Blutuntersuchung mit Wirkstoffspiegelbestimmung überprüft
worden. Die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin habe der Gutachter ebenfalls nicht berücksichtigt. Nicht
gewürdigt worden sei auch, dass die psychische Situation für mehr als zwei Jahre nach dem Unfall im
Wesentlichen unauffällig gewesen sei. Eine derartige Verschlechterung fast sechs Jahre danach könne nicht
als unfallbedingt eingestuft werden.
27 Mit formlosem Schreiben vom 3. April 2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine wesentliche Änderung
der Unfallfolgen habe sich nicht ergeben, weswegen es bei der bisher festgestellten MdE verbleibe.
28 Am 24. Mai 2013 beantragte die Klägerin, gestützt auf die Vorschläge Dr. v. K.s, eine Erhöhung ihrer
Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. statt bislang 25 v.H.
29 Diesen Antrag lehnte die Beklagte sodann mit dem jetzt angegriffenen Bescheid vom 25. Juni 2013,
bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. September 2013, ab.
30 Hiergegen hat die Klägerin am 16. Oktober 2013 Klage beim SG erhoben. Sie hat ihre Ausführungen zur
Bewertung der psychiatrischen Schädigungen vertieft und ausgeführt, kurz nach dem Unfall seien auch
Schäden in ihren Trommelfellen festgestellt und operativ behandelt worden; sie leide seitdem jedoch
erheblich unter einem verbliebenen Tinnitus. Die Mär einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung sei durch
den gerichtlichen Vergleich in dem ersten Verfahren widerlegt worden. Sie habe gerade dafür damals das
privat eingeholte Gutachten von Dr. D. vorgelegt. Die späteren Gutachter Dr. B. und Dr. A. hätten eine
solche Persönlichkeitsstörung ebenfalls verneint.
31 Nachdem die Beklagte der Klage entgegengetreten ist, hat das SG von Amts wegen Prof. Dr. E. mit der
Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens über die Klägerin beauftragt. Dieser Sachverständige hat unter
dem 25. Februar 2014 bekundet, es beständen eine PTBS, eine Anpassungsstörung und eine depressive
Episode. Hiervon seien die PTBS und die Anpassungsstörung mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall
verursacht. Die darüber hinaus bestehende depressive Episode sei nicht mit Wahrscheinlichkeit
unfallbedingt, sondern habe wesentliche Ursachen in vorbestehenden Persönlichkeitsmerkmalen. Soweit die
unfallbedingten Einbußen betroffen seien, lasse sich eine wesentliche Änderung im Verlauf der nunmehr
acht Jahre seit dem Unfall nicht feststellen, eine Verschlechterung sei auch prinzipiell nicht möglich. Die MdE
für die unfallbedingten Einbußen betrage 30 v.H. Der Einschätzung einer MdE von 40 v.H. durch Dr. v. K. sei
nicht zu folgen, weil dort sämtliche psychischen Störungen auf den Unfall zurückgeführt worden seien. In
einer ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. E. hinzugefügt, bei der Klägerin bestehe eine endogene
Depression. Hierbei handle es sich grundsätzlich um eine ereignisunabhängige Erkrankung, die generell eine
multifaktorielle Genese aufweise. Eine wissenschaftliche Beweisführung, dass diese Erkrankung durch ein
einzelnes Ereignis verursacht werde, sei derzeit nicht möglich.
32 Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 26. Oktober 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach
der Sondervorschrift in § 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) liege eine wesentliche
Änderung der Sachlage im Sinne von § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bei einer Rente
auf unbestimmte Zeit nur vor, wenn sich die MdE für mehr als drei Monate um mehr als 5 v. H. verändere.
Eine solche Änderung liege hier aber nicht vor. Die auf dem Vergleich der Beteiligten beruhende Feststellung
einer Gesamt-MdE von 25 v.H. umfasse die als unfallabhängig erkannte Diagnose „leichtgradige depressive
Episode“. Diese Unfallfolge habe sich objektiv nicht verändert. Die Klägerin habe auch gegenüber Prof. Dr. E.
den Gesundheitszustand seit dem Unfall einheitlich geschildert, eine einschneidende Wendung sei nicht
angegeben worden. Auch der Gutachter selbst habe im zeitlichen Ablauf keine Änderung des
Gesundheitszustands belegt. Eine solche ergebe sich auch nicht daraus, dass Prof. Dr. E. eine PTBS
angenommen, also die Erkrankung gegenüber dem damaligen Gutachten von Dr. B. diagnostisch abweichend
eingeordnet habe. Bereits vor dem damaligen Vergleichsschluss hätten Gutachter und auch Behandler, z.B.
Dr. K., die Erkrankung sowohl als PTBS als auch als depressive Episode eingeordnet. Ferner hätten sich auch
die - für die Beurteilung mit einer MdE relevanten - Funktionseinschränkungen der Klägerin nicht verändert.
Der Vorschlag Prof. Dr. E.s, eine MdE von 30 v.H. anzunehmen, stütze nach den rechtlichen Vorgaben den
Anspruch der Klägerin auf Erhöhung der Dauerrente nicht. Wegen der weiteren Ausführungen des SG wird
auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.
33 Gegen dieses Urteil, das ihren Prozessbevollmächtigten am 28. Dezember 2015 zugestellt worden ist, hat
die Klägerin am 5. Januar 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie trägt
vor, die Folgen des Unfalls hätten sich zum 19. Juni 2012 erheblich verschlimmert. Diese Verschlimmerung
bestehe darin, dass die psychoreaktive depressive Störung nunmehr nicht mehr leichtgradig, sondern
zumindest mittelschwer ausgeprägt sei. Dies habe Dr. v. K. überzeugend herausgearbeitet. Im Übrigen
wendet sich die Klägerin gegen einzelne Ausführungen des SG zu ihren Besuchen im Schwimmbad und zum
Weinen bei den Begutachtungen. Ferner meint sie, zu ihren Gunsten sei eine besondere berufliche
Betroffenheit nach § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII zu berücksichtigen, weil sie vor dem Unfall ihre Familie
versorgt und in zwei Beschäftigungen gearbeitet habe, was nun nicht mehr möglich sei. Abschließend
behauptet sie, sie habe sich am 16. August 2013 bei einem Stolpersturz im Garten den linken Unterschenkel
verdreht, weil sie nicht mehr gangsicher sei. Hierzu legt sie das Attest des Fuß- und
Wiederherstellungschirurgen Dr. K. vom 22. August 2013 vor, der für das linke Bein eine komplette
Unterschenkelfraktur links mit distaler Tibiaschaftfraktur und einer proximalen Fibulafraktur angibt, die am
15. August 2013 operiert worden sei.
34 Die Klägerin beantragt,
35 das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Oktober 2015 und den Bescheid vom 25. Juni 2013 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den
Bescheid vom 4. August 2011 abzuändern und ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Oktober
2006 ab dem 19. Juni 2012 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
um 40 v.H. (vierzig vom Hundert) zu gewähren.
36 Die Beklagte beantragt,
37 die Berufung zurückzuweisen.
38 Sie trägt vor, den Gutachten von Dr. v. K. und Dr. A. könne auch deshalb nicht gefolgt werden, weil diese die
Angaben der Klägerin nicht durch psychische Testungen überprüft hätten. Sie hält daran fest, es sei allein
darauf abzustellen, ob sich die unfallbedingten Funktionseinbußen gegenüber dem Zustand zur Zeit des
damaligen Vergleichs verschlimmert hätten, nicht aber darauf, welche MdE diese Funktionseinbußen aktuell
bedingten. Eine besondere berufliche Betroffenheit, so die Beklagte, habe die Klägerin bislang nicht geltend
gemacht, eine solche liege auch nicht vor.
39 Auf Nachfrage des Senats wegen des Bescheids bzw. Bescheidsentwurfs vom 5. Dezember 2012 haben
beide Beteiligte mitgeteilt, ein solcher Bescheid über eine höhere Dauerrente nach einer MdE von 40 v.H. sei
nicht bekanntgegeben worden, es müsse sich um einen Entwurf handeln.
40 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die
Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen. Dies gilt
insbesondere für die Feststellungen und Schlussfolgerungen der behördlichen, privaten und gerichtlichen
Gutachten aus beiden Verfahren.
Entscheidungsgründe
41 Die Berufung der Klägerin gegen das abweisende Urteil des SG ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da die
Klägerin eine - höhere - Rente auf unbestimmte Zeit und damit laufende Sozialleistungen für mehr als ein
Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) begehrt.
42 Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin fristgerecht nach § 151 Abs. 1
SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe der vollständig abgefassten angegriffenen Entscheidung am
28. Dezember 2015 erhoben.
43 Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1
Var. 1, Abs. 4 SGG) der Klägerin auf Abänderung des zurzeit bindenden Rentenbescheids vom 4. August
2011 und Gewährung einer höheren Verletztenrente auf Dauer ist zwar zulässig, aber unbegründet.
44 Die verfahrensrechtliche Grundlage für die begehrte - und vor der Gewährung einer höheren Rente auch
notwendige - Abänderung der laufenden Rentenbewilligung vom 4. August 2011 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB
X. Materiellrechtlich bemisst sich der Anspruch auf eine Verletztenrente und ihre Höhe nach einer
bestimmten MdE nach den Vorgaben bei § 56 Abs. 1 Satz 1 (oder ggfs. Satz 2) SGB VII. Das SG hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass eine für die Verletztenrente relevante wesentliche Änderung der
Sachlage im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nach der Sondervorschrift in § 73 Abs. 3 SGB VII nur dann vorliegt,
wenn sich die MdE des Versicherten um mehr als 5 v. H. geändert und diese Änderung länger als drei
Monate angedauert hat bzw. bei prognostischer Beurteilung länger als drei Monate andauern wird.
Vorgelagert vor dieser Bewertung mit einer MdE ist - wie immer bei § 48 Abs. 1 SGB X - festzustellen, dass
sich nach der ursprünglichen Bewilligung auch die tatsächlichen Umstände verändert haben, die der MdE zu
Grunde liegen. Zu vergleichen sind dabei die jetzt vorliegenden tatsächlichen Umstände mit jenen, die bei
Erlass des bindenden Bescheids tatsächlich vorgelegen haben (vgl. Schütze, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X,
8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 6). Sofern die damals vorliegenden Umstände dem Bescheid nicht zu Grunde gelegt
worden sind, liegt kein Fall des § 48 Abs. 1 SGB X vor. Vielmehr war dann der anfängliche Bescheid von
Anfang an rechtswidrig und kann grundsätzlich nur nach § 44 Abs. 1, Abs. 2 oder § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1
SGB X abgeändert werden. Allenfalls dann, wenn sowohl die tatsächlichen Umstände anfangs falsch
bewertet worden sind und sich zusätzlich eine wesentliche Änderung der Sachlage ergeben hat, ist Raum
für die Anwendung des § 48 Abs. 1 SGB X (Schütze, a.a.O.).
45 An dieser verfahrens- und materiellrechtlichen Lage ändert der Vergleich der Beteiligten, der dem
Bewilligungsbescheid vom 4. August 2011 zu Grunde lag, grundsätzlich nichts.
46 Zum einen bleibt Anknüpfungspunkt eines Anspruchs aus § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X und auch
Vergleichsmaßstab der Ausführungsbescheid, der den Vergleich vollzogen hat. Entgegen älterer
Rechtsprechung (so noch Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 18.09.2003 - B 9 V 82/02 B -, juris)
kommt auch einem Ausführungsbescheid Regelungswirkung nach § 31 SGB X zu (Urteil des Senats vom 29.
April 2014 – L 6 VK 934/12 –, juris, Rz. 21). Dafür spricht nicht nur der äußere Schein des Bescheids, der
einen Regelungswillen der Behörde - nämlich zur Umsetzung des Vergleichs - dartut, sondern auch, dass
nicht der Vergleich, sondern erst der Ausführungsbescheid Vollstreckungsgrundlage ist (Urteil des Senats
vom 24. Oktober 2013 - L 6 SB 5459/11 -, juris). Zum anderen ist ein Anspruch aus § 48 Abs. 1 SGB X auch
gegen einen Ausführungsbescheid nicht ausgeschlossen, auch wenn diesem ein Vergleich zu Grunde liegt.
Ein gerichtlicher Vergleich über Sozialleistungen, der - neben seiner prozessrechtlichen Bedeutung - einen
öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne von § 54 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X (vgl. auch § 779
Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) darstellt, schränkt nur eine spätere Rücknahme des Ausführungsbescheids
zu Gunsten (§ 44 Abs. 1, Abs. 2 SGB X) oder zu Ungunsten (§ 45 SGB X) des Leistungsempfängers ein (vgl.
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Juni 2011 – L 10 R 3494/08 –, juris, Rz. 32). Soweit ein Vergleich in
die Zukunft gerichtet ist, kann er zwar grundsätzlich auch eine Abänderung wegen späterer Veränderungen
hindern. Diese Situation wird nämlich in den Regelungen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 59
Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB X (vgl. § 313 Abs. 1 und 3 BGB) erfasst, die nach § 61 Satz 1 SGB X auch dem §
48 Abs. 1 SGB X vorgehen müssten. Eine solche Auslegung eines Vergleichs würde jedoch unter Umständen
bedeuten, dass der Leistungsempfänger auf eine (höhere) Sozialleistung für die Zukunft verzichtet. Einen
solchen Verzicht könnte er nach § 46 Abs. 1 Halbsatz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) jederzeit
widerrufen. Aus diesem Grunde steht einer Auslegung, wonach auch künftige Abänderungen nicht mehr
nach § 48 Abs. 1 SGB X, sondern nur nach § 59 Abs. 1 SGB X erfolgen können, auch die Vorschrift des § 53
Abs. 1 Satz 2 SGB X entgegen. Hiernach kann eine Behörde in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht
mehr regeln, als ihr an Verwaltungsaktsbefugnis zukommt. Durch Verwaltungsakt kann sie aber nicht die
Anwendbarkeit des § 48 SGB X ausschließen (Urteil des Senats vom 29. April 2014 – L 6 VK 934/12 –, juris,
Rz. 20). Jedenfalls kann ein Ausschluss des § 48 Abs. 1 SGB X durch Vergleich aus diesen Gründen allenfalls
dann angenommen werden, wenn die Vertragsparteien eine entsprechende, eindeutige Klausel aufnehmen,
wonach auch nach einer zukünftigen Änderung der Verhältnisse eine Anpassung nur nach § 59 Abs. 1 SGB
X möglich sein solle, wobei dann weiter zu prüfen wäre, ob die Vertragsparteien überhaupt gesetzliche
Pflichten in einem Vergleich abbedingen können (Urteil des Senats, a.a.O.). Ohne eine solche ausdrückliche
Absprache ist der Vergleich so nicht auszulegen. Dies entspricht auch der jahrzehntelangen Auslegung
gerichtlicher Vergleiche in der Sozialgerichtsbarkeit (Urteil des Senats vom 24. Oktober 2013 - L 6 SB
5459/11 -, juris). Dies heißt insbesondere, dass eine Abänderung nach einer wesentlichen Änderung der
Sach- oder Rechtslage nicht erst dann verlangt werden kann, wenn ein Festhalten an dem Vergleich und
dem Ausführungsbescheid unzumutbar erscheint.
47 Eine verfahrensrechtliche Auswirkung auf eine spätere Abänderung nach § 48 Abs. 1 SGB X hat jedoch ein
Vergleich. Ein Vergleichsvertrag setzt nach § 54 Abs. 1 SGB X (gleichermaßen nach § 779 BGB) eine
Ungewissheit über die Sach- oder Rechtslage voraus. Ein Vergleich wird auf einer unsicheren Tatsachen-
oder Beurteilungsbasis geschlossen. Die Parteien stellen eine gewisse Bandbreite möglicher Umstände in
ihre Entscheidung über einen Vergleichsschluss ein. Sofern sie einen gerichtlichen Vergleich schließen,
verzichten sie damit auch auf weitere Ermittlungen des Gerichts und eine gerichtliche Feststellung der
bestehenden Umstände. Wenn hiernach eine spätere, rückwirkende Abänderung des Vergleichs nicht nach
§§ 44, 45 SGB X allein möglich ist, sondern nur unter den weitergehenden Voraussetzungen des § 59 Abs. 1
SGB X, dann sind auch bei einer späteren Abänderung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 SGB X der
notwendige Vergleichsmaßstab diejenigen Umstände, welche die Beteiligten übereinstimmend dem Vergleich
zu Grunde gelegt haben. Haben sich z.B. die Beteiligten wie hier auf eine bestimmte MdE geeinigt, so ist
auch bei der Frage einer späteren Veränderung der Umstände von deren einvernehmlich vereinbarten Höhe
auszugehen und nicht von einer niedrigeren oder höheren, die bei den Vergleichsverhandlungen vielleicht im
Raum stand. Und die materielle Beweislast (Feststellungslast) für eine Veränderung der Umstände
demgegenüber trägt - nach allgemeinen Grundsätzen - diejenige Seite, die sich auf eine solche Veränderung
(Verbesserung oder Verschlechterung) beruft.
48 Vor diesem Hintergrund haben sich die unfallbedingten Funktionseinschränkungen der Klägerin von der Zeit
des Vergleichsschlusses im Sommer 2011 bis jetzt - auf diesen Zeitpunkt kommt es im Rahmen einer
Leistungsklage an - nicht in einer Weise verändert, dass gegenüber der damals vereinbarten MdE von 25
v.H. nunmehr eine um mehr als 5 Prozentpunkte höhere MdE, also von mindestens 35 v.H., anzunehmen
wäre. Allenfalls beträgt die MdE jetzt 30 v.H.
49 Zunächst hat sich überhaupt keine Verschlechterung bei den organischen Schäden auf Grund des Unfalls
ergeben.
50 Die Beteiligten hatten sich in dem Vergleich damals auf die Feststellung folgender Unfallfolgen - auf
somatischem Gebiet - geeinigt, welche die Beklagte in dem Ausführungsbescheid vom 4. August 2011
umsetze: „Sensibilitätsstörung an der Unterschenkelvorder- und -außenseite rechts, eine zeitweise
Spitzfußstellung rechts, eine aufgehobene Hebebewegung des rechten Fußes (damit war das obere
Sprunggelenk gemeint) und im unteren Sprunggelenk eine geringfügig verminderte Einwärtskippung sowie
eine Schwellneigung“. Diese Einigung erfolgte auf der Basis der Gutachten von Prof. Dr. H. vom 27. Juli
2009 und Dr. v. St. vom 27. April 2010, sodass deren tatsächliche Feststellungen, auch soweit sie
voneinander abwichen, zur Vergleichsgrundlage wurden. Beide Gutachter hatten letztlich übereinstimmend
ausgeführt, dass die dargebotene Spitzfußstellung passiv habe korrigiert werden können. Die restliche
Hebung und Senkung im oberen Sprunggelenk hatte Prof. Dr. H. mit 0/0/50° (gegenüber links 20/0/50°)
angegeben, für das untere Sprunggelenk eine Einschränkung auf 4/5 gegenüber links. Dr. v. St. hatte
Restbeweglichkeiten von 5/0/50° für das obere Sprunggelenk (links 15/0/50°) und von 2/3 für das untere
Sprunggelenk angegeben. Beide Gutachter hatten ferner eine sensible, aber keine motorische Störung der
Nervenbahnen in das rechte Bein angenommen. Auf dieser Basis hatte Prof. Dr. H. eine MdE um 10 v.H.
vorgeschlagen, Dr. v. St. eine solche von 20 v.H.
51 Die heute noch bestehenden Beeinträchtigungen am rechten Bein der Klägerin sind nicht wesentlich anders.
Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. S. vom 30. August 2012. Dieser hat auch mitgeteilt, die
Befunde und Funktionseinbußen auf orthopädischem und unfallchirurgischem Gebiet seien unverändert.
Zwar hat sich die Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks nach seiner Messung mit 5/0/40° geringfügig
verschlechtert, denn für die Beugung hatten sowohl Prof. Dr. H. als auch Dr. v. St. zuvor noch 50°
angegeben. Dafür ist jedoch die Einschränkung des unteren Sprunggelenks zurückgegangen, Prof. Dr. S. hat
eine seitengleiche Beweglichkeit von 10/10 angegeben, während die Gutachter aus dem früheren Verfahren
noch Einschränkungen von 1/5 oder sogar 1/3 gemessen hatten. Ferner hat Prof. Dr. S. unverändert eine
Sensibilitätsstörung, aber keine motorische Beeinträchtigung am rechten distalen, lateralen Unterschenkel
und am rechten Fußrand festgestellt.
52 Diese Beeinträchtigungen rechtfertigen nach Einschätzung des Senats aktuell eine MdE (Teil-MdE) von
höchstens 10 v.H. Für Bewegungseinschränkungen des oberen Sprunggelenks sehen die Erfahrungswerte
für die Bewertung von Unfallfolgen, die der Senat aus Gründen der Gleichbehandlung aller Versicherter
regelmäßig heranzieht, eine MdE von 10 v.H. - erst - bei einer Einschränkung auf 0/0/30° vor
(Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 678). Bei der Klägerin
ist dagegen noch eine Hebefähigkeit von 5° vorhanden und die Beugung ist nur auf 40° eingeschränkt, also
einen Wert, der noch im Normbereich liegt (Normwert insgesamt 20-30/0/40-50°). Schädigungen des
unteren Sprunggelenks bedingen eine MdE erst bei Versteifungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S.
679), bei der Klägerin besteht dagegen volle Beweglichkeit. Insoweit kommt rein auf die Beweglichkeit
bezogen keine MdE von wenigstens 10 v.H. in Frage. Die sensiblen Störungen an Unterschenkel und Fuß
können analog den Erfahrungswerten für den - vollständigen - Ausfall der Nerven im Bein bewertet werden.
Insoweit führt ein Ausfall des N. peronaeus (Wadenbeinnerv) zu einer MdE von 15 (N. p. superficialis) bis 20
v.H. (N. p. profundus) und des N. tibialis (Schienbeinnerv) zu einer MdE um 25 v.H. Diese Werte erfassen
aber den vollständigen Ausfall, also auch die völlige Aufhebung der motorischen Funktionen, wie
Lähmungen. Eine solche liegt bei der Klägerin nicht vor. Die bei ihr vorhandenen rein sensiblen Störungen
sind sicher mit weniger als der Hälfte der genannten Erfahrungswerte zu belegen, weil motorische Folgen
deutlich schwerer wögen. Danach wäre auch die neurologische Schädigung, so sie vorliegt, mit weniger als
10 v.H. zu bewerten. Eine MdE von unter 10 v.H. allein auf neurologischem Gebiet hatte schon Dr. B. in dem
Gutachten vom 10. Dezember 2010 genannt (S. 33 unten). Die hier angenommene MdE von höchstens 10
v.H. beruht daher auf einer Zusammenschau der Einbußen, bezieht aber auch die Schmerzen der Klägerin
mit ein und außerdem das zeitweise vorhandene hinkende Gangbild, dessen Ursache zwar unklar ist, das
aber als Funktionsbeeinträchtigung der unteren Gliedmaßen eingestuft werden und mit bewertet werden
kann.
53 Auch auf psychiatrischem Gebiet hat sich gegenüber 2011 keine wesentliche Änderung ergeben.
54 Hierbei kommt es nicht auf die unterschiedlichen Diagnosen an. Maßgeblich für die Bewertung mit einer MdE
sind die Funktionsbeeinträchtigungen, soweit sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt relevant sind. Daher ist
es unerheblich, dass sich die Beteiligen in dem Vergleich auf die Anerkennung einer „leichten depressiven
Störung“ geeinigt haben, wie sie damals der Gerichtsgutachter Dr. B. nach F33.0 der ICD-10 diagnostiziert
hatte, während nunmehr Prof. Dr. E. ausführt, dass endogene depressive Erkrankungen wie bei der Klägerin
generell nicht auf ein einzelnes Ereignis zurückgeführt werden könnten, dafür aber eine PTBS (F43.1)
diagnostiziert hat, die während des ersten Verwaltungsverfahrens weder Dr. B. noch Dr. C. festgestellt
hatten.
55 Als Funktionseinbußen, die der Einigung 2011 zu Grunde lagen, hatten Dr. B. und Dr. A. in dem jeweiligen
psychischen Befund ihrer Gutachten angegeben, die Klägerin sei im Kontakt zunächst zurückhaltend, die
Stimmung sei „über weite Strecken bedrückt“, sie habe mehrfach geweint, aber noch abgelenkt werden
können, die affektive Schwingungsfähigkeit sei vermindert, es gebe gelegentlich (überwiegend
unfallunabhängige) Alpträume und ein leichtes Vermeidungsverhalten hinsichtlich des Unfallorts. Dagegen
hat Dr. B. die anderen psychischen Befundbereiche als unauffällig dargestellt: Die Klägerin sei
bewusstseinsklar, in allen drei Dimensionen orientiert, leide nicht unter formalen oder inhaltlichen
Denkstörungen, der Antrieb sei nicht vermindert, Hinweise auf Suizidalität gebe es nicht, phobische Ängste
oder Zwangshandlungen seien nicht eruierbar, plötzliche Erinnerungen an den Unfall (Flashbacks) gebe es
nicht. Konzentrationsstörungen, welche die Klägerin geltend gemacht hatte, konnten weder Dr. B. noch Dr.
A. verifizieren (vgl. S. 28 Hauptgutachten). Die hiernach vorhandenen Beeinträchtigungen der Klägerin, die
Dr. B. und Dr. A. als depressive Erkrankung eingeordnet hatten, haben auch diese Gutachter nicht als
vollständig unfallbedingt eingestuft. Auch Dr. A. hat - wie jetzt Prof. Dr. E. - darauf hingewiesen, dass ein
einzelnes Ereignis wie ein Unfall nicht allein als Ursache einer depressiven Erkrankung dienen kann, sondern
diese multikausal bedingt ist (S. 11 Zusatzgutachten). Er und Dr. B. haben nur - anders als Dr. C. im ersten
Verwaltungsverfahren - nicht etwa eine vorbestehende Persönlichkeitsstörung als weitere Ursache
angenommen (S. 12 Zusatzgutachten), sondern die weiteren, unfallunabhängigen Erkrankungen der
Klägerin nach dem Unfall (Mittelohrentzündung, Kolitis) als Mitursachen eingestuft (S. 30 Hauptgutachten).
Vor diesem Hintergrund hat dann Dr. B. seinen Vorschlag einer MdE von 20 v.H. auf psychiatrischem Gebiet
auf die Schmerzen, die leichten Einschränkungen im sozialen Leben, vor allem im Verkehr, und auf den
erheblichen Leidensdruck der Klägerin wegen der Vernarbungen am Bein zurückgeführt.
56 Im Vergleich hierzu haben sich ihre psychisch bedingten Funktionseinbußen ab Juli 2012 oder jetzt nur
geringfügig, aber nicht wesentlich verschlimmert.
57 Eine erhebliche Verschlechterung ergibt sich schon nicht aus dem Gutachten von Dr. v. K. vom 10.
Dezember 2012. Auch dieser hat im Rahmen des psychischen Befundes angegeben, die Klägerin sei in
Tränen ausgebrochen, die Anspannung habe sich aber soweit verringern lassen, dass sich ein guter Kontakt
eingestellt habe (S. 2 Gutachten). Ansonsten hat Dr. v. K. im Wesentlichen die eigenanamnestischen
Schilderungen der Klägerin wiedergegeben (S. 6), aber nur wenige eigene Befunde erhoben. So hat er zwar
auf die starre Mimik und eine weitgehende Einschränkung der Schwingungsfähigkeit hingewiesen, aber es
war auch eine Auflockerung (Hund, Angehörige) möglich. Daneben wurde von Alpträumen (Bein) berichtet.
Einschränkungen der Konzentration, der Merkfähigkeit, der Wahrnehmung oder des Denkens hat auch
dieser Gutachter ausgeschlossen. Zu einem sozialen Rückzug, also einer Einschränkung auf sozialer Ebene,
hat Dr. v. K. lediglich angeführt, die Klägerin gehe nicht mehr schwimmen; allerdings hat er dann selbst
darauf hingewiesen, dass sie zweimal wöchentlich in ein - entferntes - Thermalbad fahre. Im Übrigen hat die
Klägerin bei Dr. v. K. nur angegeben, Einkaufen und Besuche bei Verwandten sowie Urlaube fielen ihr
schwer, nicht aber, dass diese Aktivitäten nicht mehr ausgeübt würden. Vor diesem Hintergrund kann Dr. v.
K.s Vorschlag einer MdE um 40 v.H. nicht gefolgt werden. Hierbei kann offen bleiben, ob seine Diagnose
einer mittelgradigen depressiven Episode (F32.1 ICD-10 GM 2016) zutrifft. Die Erfahrungswerte (vgl.
Schönberger./Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 156) sehen für eine mittelgradige depressive Episode eine MdE
„bis zu 40 v.H.“ vor. Wird dies mit den Bewertungen der anderen psychischen Erkrankungen wie den
affektiven Störungen, der PTBS oder den phobischen Störungen verglichen
(Schönberger./Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 157), so zeigt sich, dass selbst bei einer wesentlichen
Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig „größeren sozial-kommunikativen
Beeinträchtigungen“ die MdE allenfalls 30 v.H. beträgt und höhere Werte erst (bei affektiven Störungen) bei
einer massiv eingetrübten Stimmung, deutlicher Konzentrationsminderung, erheblich vermindertem Antrieb,
Schlafstörungen, ggfs. suizidalen Gedanken oder (bei der PTBS) häufigen Erinnerungseinbrüchen
(Flashbacks) und einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten in Betracht kommen. Solche Symptome hat
auch Dr. v. K. nicht festgestellt. Ferner sind die sozial-kommunikativen Einschränkungen der Klägerin, die
verheiratet ist und mit ihrem Ehemann zusammenlebt, grundsätzlich auch Kontakte nach außen hat und in
der Exploration letztlich auslenkbar war, nicht derart ausgeprägt, dass eine MdE von 30 v.H. auf diesem
Fachgebiet vollständig ausgeschöpft wäre.
58 Auch der Gerichtssachverständige Prof. Dr. E. hat keinen schlechteren Befund erhoben. Bei ihm war die
affektive Schwingungsfähigkeit der Klägerin nur eingeschränkt, aber nicht aufgehoben, daneben hat er
leichte Konzentrationsstörungen und eine Antriebsminderung dargestellt. Auch er hat Alpträume und
„aufdrängende Szenen“ des Unfalls gesehen, aber keine echten Flashbacks. Das Vermeidungsverhalten hat
die Klägerin auch bei ihm als nur leicht ausgeprägt beschrieben, so könne sie sogar an der Unfallstelle
vorbeifahren, ohne dass es „ganz schlimm“ werde (S. 4 Gutachten). Weitergehende Funktionseinbußen, vor
allem auf sozialem Gebiet, hat Prof. Dr. E. nicht festgestellt. Neben der psychischen Belastung hat er am
Rande nur auf die Schmerzen bzw. die stattfindende Schmerzbehandlung (und die antidepressiv wirkenden
Medikamente) hingewiesen. Auf Grund dieses Befundes kann auch nach dem Gutachten von Prof. Dr. E.
nicht auf eine höhere - unfallbedingte - MdE als 30 v.H. geschlossen werden.
59 Werden nun die Teil-MdE-Werte von höchstens 10 v.H. und bis zu 30 v.H. zu Grunde gelegt, die nach den
genannten gutachterlichen Untersuchungen anzunehmen sind, so ergibt sich allenfalls eine Gesamt-MdE
von 30 v.H. Eine Addition einzelner Teil-MdE-Werte ist ausgeschlossen, vielmehr sind die Werte integrierend
zusammenzufassen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 103). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass
sich die Funktionseinbußen der Klägerin, die den beiden MdE-Werten zu Grunde liegen, erheblich
überschneiden. Die Schmerzen und auch die Verunstaltungen am rechten Bein sind wesentliche Gründe für
die psychische Beeinträchtigung, unter der die Klägerin im Wesentlichen leidet. Schmerzen und
üblicherweise vorhandene psychische Beeinträchtigungen sind aber grundsätzlich mit der Bewertung der
somatischen Schädigungen abgegolten. Sie dürfen nicht in einem anderen Funktionssystem zusätzlich
berücksichtigt werden.
60 Eine Erhöhung der MdE nach § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII, wie sie die Klägerin im Berufungsverfahren begehrt
hat, scheidet aus. Zum einen könnte eine besondere berufliche Betroffenheit der Klägerin in einem
Erhöhungsverfahren wie hier ohnehin nicht berücksichtigt werden. Die Beteiligten hatten in ihrem Vergleich
aus dem Sommer 2011 die MdE umfassend festgesetzt und eine besondere berufliche Betroffenheit, die ja
nur aus der vor dem Unfall ausgeübten Berufstätigkeit herrühren kann, nicht berücksichtigt. Zum anderen
sind die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII nicht erfüllt. Eine besondere berufliche
Betroffenheit kann nur bei Versicherten vorliegen, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen
Bereich ausüben, der außerdem besondere Fähigkeiten voraussetzt, die durch den Unfall oder die
Berufskrankheit beeinträchtigt worden sind (Urteil des Senats vom 26. März 2015 – L 6 U 3485/13 –, juris,
Rz. 38). Dies ist bei der Klägerin, die als Maschinenbedienerin und daneben geringfügig als Verkäuferin im
Einzelhandel beschäftigt war, nicht der Fall.
61 Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass bei der Klägerin jetzt Funktionseinbußen vorliegen, die allenfalls
eine Gesamt-MdE um 30 v.H. ergeben. Dies wäre gegenüber der bislang zuerkannten MdE eine Steigerung
um - nur - 5 Prozentpunkte. Nach § 73 Abs. 3 SGB VII reicht diese Verschlechterung für eine Erhöhung der
Verletztenrente nicht aus. Es kann daher im Einzelnen offen bleiben, wie hoch genau die MdE jetzt ist und
ob ggfs. Teile der zu Grunde liegenden Funktionseinschränkungen nicht auf den Unfall zurückzuführen sind.
62 Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
63 Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.