Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 16.05.2002
LSG Bwb: bedürftigkeit, neues vermögen, arbeitslosigkeit, lebensversicherung, ausschluss, arbeitsamt, anschluss, rechtskraft, arbeitslosenhilfe, anspruchsvoraussetzung
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 16.05.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht Mannheim S 9 AL 635/01
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 12 AL 4995/01
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. November 2001 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) hat.
Der 1955 geborene Kläger war vom 1.10.1974 bis 30.9.1999 als Zahntechniker beschäftigt. Ab 1.10.1990 bezog er
Arbeitslosengeld (Alg) vom Arbeitsamt (AA) M. bis zum 24.9.2000 (Anspruchserschöpfung). Im Anschluss beantragte
er Alhi. Im Antragsformular gab er zu seinen Vermögensverhältnissen an, zwei Sparbücher (Guthaben 26.336,19 DM
und 21.287,35 DM) und eine Lebensversicherung zu besitzen. Einen Verwendungszweck für das Vermögen gab er
nicht an.
Mit Bescheid vom 17.10.2000 lehnte das AA die Bewilligung von Alhi ab. Unter Berücksichtigung des anrechenbaren
Vermögens in Höhe von 53.705,34 DM und des Arbeitsentgelts in Höhe von 880,00 DM wöchentlich sei er für einen
Zeitraum von 51 Wochen nicht bedürftig.
Der Kläger erhob Widerspruch: Das Vermögen sei für eine angemessene Altersversicherung bestimmt. Die Sparkasse
habe ihm eine langfristige Vermögensanlage ohne Risiko nicht anbieten können, sodass er sich entschlossen habe,
das Vermögen auf den Sparbüchern zu belassen. Auch die Lebensversicherung diene der Alterssicherung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.2.2001 traf das AA folgende Entscheidung: "In Abänderung des Bescheids vom
17.10.2000 ist Bedürftigkeit unter Berücksichtigung von Vermögen für lediglich 43 Wochen nicht gegeben. Im Übrigen
wird der Widerspruch abgewiesen. Kosten werden zu 1/6 erstattet". Zur Begründung führte es aus, die
Lebensversicherung diene der Alterssicherung, nicht hingegen das Guthaben auf den Sparbüchern, so dass von
einem Vermögen in Höhe von 46.623,54 DM auszugehen sei. Unter Berücksichtigung des Freibetrages in Höhe von
8000,00 DM ergebe sich zu berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 38.623,54 DM, was zum Ausschluss der
Bedürftigkeit für 43 Wochen führe.
Gegen den ihm am 19.2.2001 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 14.3.2001 Klage beim
Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben: Auch das Sparbuch sei als eine der Alterssicherung dienende Anlageform
anzusehen. Für ihn stelle lediglich das Sparbuch eine überschaubare Anlage dar. Eine längerfristige Anlageform habe
er auf Grund des niedrigen Zinssatzes nicht gewählt. Aktien oder Investmentfonds seien ihm zu risikoreich. Der
Anspruch auf Alhi sei durch Art. 14 GG geschützt, zudem werde er gegenüber Arbeitslosen, die eine längerfristige
Anlageform gewählt hätten, benachteiligt.
Das SG hat den Kläger im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 15.10.2001 angehört. Auf die Niederschrift
wird Bezug genommen (Blatt 32/34 SG-Akte). Mit Urteil vom 13.11.2001 hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger
vom 23.07.2001 bis 16.9.2001 Alhi zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zu Recht sei die Beklagte
von der fehlenden Bedürftigkeit für 43 Wochen ausgegangen. Das auf den Sparbüchern angelegte Vermögen diene
nicht der Alterssicherung. Nach Ablauf der 43 Wochen bestehe jedoch Bedürftigkeit, so dass die Beklagte zu
verurteilen sei, ab 23.07.2001 Alhi zu zahlen. Am 17.9.2001 habe der Kläger wieder eine Beschäftigung
aufgenommen.
Gegen das ihr am 6.12.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.12.2001 Berufung eingelegt: Grundsätzlich
könne dem Kläger nach Ablauf der 43 Wochen Alhi bewilligt werden. Dies setze jedoch eine erneute Antragstellung
und eine erneute Bedürftigkeitsprüfung voraus. Obwohl der Kläger im Bescheid ausdrücklich auf das Erfordernis einer
erneuten Antragstellung hingewiesen worden sei, habe er einen förmlichen Antrag nicht gestellt. Es könne jedoch
davon ausgegangen werden, dass er mit der persönlichen Vorsprache beim AA am 6.8.2001 einen erneuten Antrag
habe stellen wollen. Bisher habe er jedoch noch keine neuen Angaben zur Bedürftigkeit gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. November 2001 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichte in
erster und zweiter Instanz und die beigezogenen Leistungsarten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Beschwerdewert in Anbetracht eines streitigen Zeitraums von
ca. 7 Wochen und einem wöchentlichen Leistungssatz von ca. 296,00 DM (Leistungsgruppe A/O) die zum Zeitpunkt
der Einlegung der Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Grenze von 1000,00 DM.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 23.07. 2001 Alhi zu
zahlen. Ab diesem Zeitpunkt haben alle Leistungsvoraussetzungen vorgelegen. Deswegen kann der Senat
dahinstehen lassen, ob im Widerspruchsbescheid, in dem es als Entscheidung heißt: " In Abänderung des Bescheids
vom 17.10.2000 ist Bedürftigkeit unter Berücksichtigung von Vermögen für lediglich 43 Wochen nicht gegeben. Im
Übrigen wird der Widerspruch abgewiesen. Kosten werden zu 1/6 erstattet" schon um eine Bewilligung nach Ablauf
des 43-Wochen-Zeitraums handelt.
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben gemäß § 190 Abs 1 SGB III Arbeitnehmer, die 1. arbeitslos sind, 2. sich beim
Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, 3. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die
Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben, 4. in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch
wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist und 5. bedürftig sind.
Der Kläger ist während des gesamten streitigen Zeitraums arbeitslos gewesen. Er hat dem AA am 14.9.2001
mitgeteilt, ab 17.9.2001 wieder in Arbeit zu sein. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Arbeitslosigkeit unter irgend
einem denkbaren Gesichtspunkt schon zuvor entfallen sein könnte. Dies folgt auch aus den Angaben im Termin zur
Erörterung des Sachverhalts vor dem SG.
Der Kläger hat sich auch arbeitslos gemeldet. Die persönliche Arbeitslosmeldung i. S. v. § 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III
ist mit Wirkung zum 1.10.1999 erfolgt. Sie hat während des gesamten streitigen Zeitraums ihre Wirksamkeit nicht
verloren. Wann die Wirkung der Arbeitslosmeldung erlischt, regelt § 122 Abs. 2 SGB III. Es hat weder eine mehr als
sechswöchige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit noch eine nicht mitgeteilte Beschäftigungsaufnahme vorgelegen.
Eine regelmäßige Erneuerung der Arbeitslosmeldung in Abständen von drei Monaten, wie die Beklagte zu meinen
scheint, ist nicht erforderlich. Der Gesetzgeber hat den früheren § 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III mit Wirkung ab 1.8.1999
aufgehoben. Eine erneute Arbeitslosmeldung ist auch nicht wegen des abgelehnten Alhi-Antrags erforderlich gewesen.
Die Ablehnungsbescheide sind während des gesamten streitigen Zeitraums nicht bestandskräftig geworden.
Bestandskraft hat die Ablehnung erst mit der Rechtskraft des nur von der Beklagten angefochtenen Urteils gegenüber
den Kläger erlangt.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Alg gehabt, weil er die Anwartschaftszeit nicht erneut erfüllt hat. Er hat auch
in der Vorfrist Alg bezogen, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten erloschen ist.
Er ist auch bedürftig gewesen. Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass Bedürftigkeit für einen Zeitraum von 43
Wochen wegen des zu berücksichtigenden Vermögens nicht vorgelegen hat. Insoweit nimmt der Senat - auch
hinsichtlich des Inhalts der einschlägigen Vorschriften - Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Urteils. Nach Ablauf des Zeitraums von 43 Wochen ist der Kläger wieder bedürftig gewesen. Er hat insbesondere kein
Vermögen besessen, das zum Ausschluss der Bedürftigkeit führt. Dies folgt zu Überzeugung des Senats aus seinen
Angaben im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 15.10.2001 und den im erstinstanzlichen Verfahren am
25.6.2001 vorgelegten aktuellen Kopien der Sparbücher. Hieraus wird ersichtlich, dass der Kläger neues Vermögen im
Lauf der Arbeitslosigkeit nicht erworben hat, das Vermögen ist weiterhin identisch mit dem im Antrag auf Alhi
angegebenen Vermögen. Es ist teilweise verbraucht worden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit ist jedoch
die nochmalige Berücksichtigung ausgeschlossen (BSG SozR 3-4300 § 193 Nr 2).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine erneute Antragstellung nicht erforderlich. Der Antrag auf Leistungen
ist keine materielle Anspruchsvoraussetzung. Leistungen der Arbeitsförderung werden zwar grundsätzlich auf Antrag
erbracht, Alg oder Alhi gelten jedoch mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt, wenn der Arbeitslose
keine andere Erklärung abgibt (§ 323 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III). In der Regel hat der Antrag, mit Ausnahme des
Falls der fehlenden Dienstbereitschaft des AA, keine Rückwirkung (§ 325 Abs. 2 SGB III). Wie weit der Antrag in die
Zukunft wirkt, ist gesetzlich nicht geregelt. Aus allgemeinen Grundsätzen folgt jedoch, dass die Wirkung solange
reicht, bis der Antrag erledigt ist. Eine Erledigung tritt insbesondere ein, wenn der Antragsteller den Antrag
zurücknimmt oder über den Antrag bestandskräftig entschieden worden ist. Beide Fälle liegen nicht vor. Der Kläger
hat gegen die Entscheidungen des AA Widerspruch eingelegt und Klage erhoben, er hat damit den erhobenen
Anspruch auf Alhi durchgehend geltend gemacht. Wie bereits ausgeführt, sind die ablehnenden Entscheidungen
gegenüber dem Kläger erst mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des SG nach Ablauf des streitigen Zeitraums
bestandskräftig geworden. Der nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs gestellte Antrag auf Anschluss-Alhi hat also
während des gesamten streitigen Zeitraums fortgewirkt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.