Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25.10.2005

LSG Bwb: behandlung, adhs, label, ärztliche verordnung, innere medizin, therapie, arzneimittel, medikament, phobie, krankheit

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 25.10.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Ulm S 9 KR 2344/04
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 2788/05
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. April 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die zukünftige Freistellung der Klägerin von den Kosten für die Behandlung mit dem
Arzneimittel "Ritalin" mit dem Wirkstoff Methylphenidat außerhalb seiner Zulassung (sogenannter Off-Label-Use)
streitig.
Die 1959 geborene Klägerin beantragte am 05.04.2004 bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Behandlung mit
dem Medikament Ritalin mit der Begründung, sie leide an einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
(ADHS), die bislang nicht festgestellt worden sei. Sie habe im Frühjahr 2003 nach Studium der einschlägigen Literatur
selbst den Verdacht geäußert. Sie sei dann von ihrem behandelnden Arzt über die Schwere und Bedeutung der
Krankheit ausführlich und umfassend aufgeklärt worden. Bei einem Selbstversuch mit Methylphenidat 5 mg habe sie
und ihre Umgebung jedes Mal den Rückgang der ADHS-typischen Symptome bemerkt. Sie wolle einen gefährlichen
Verlauf der Krankheit abwenden, welche sie nach ihrer Umschulungsmaßnahme ab April 2004 abklären lasse. Bereits
am 27.02.2004 hatte ihr behandelnder Facharzt für Allgemeinmedizin Eysell einen Antrag auf Regressverzicht bei Off-
Label-Use von Methylphenidat bei der Beklagten mit der Begründung gestellt, er sehe die vom Bundessozialgericht
(BSG) aufgestellten Voraussetzungen einer Verordnung eines Medikamentes außerhalb der Zulassung bei der
Klägerin als erfüllt an und habe deswegen aufgrund des akuten Beschwerdebildes begonnen, das Medikament zu
verordnen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. H.-M. führte aus, bei der 44-jährigen Krankenschwester seien in
den vergangenen Jahren wiederholt Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Chemiebelastung am Arbeitsplatz bzw.
Intoleranz von Desinfektionsmitteln aufgetreten. Sie habe dabei über einen unspezifischen Symptomenkomplex mit
schweren allgemeinen Reaktionen, Farbhalluzinationen, rauschartigen Zuständen und kognitiven Beeinträchtigungen
sowie zahlreiche vegetative Beeinträchtigungen geklagt. Die Wirksubstanz Methylphenidat sei für die Behandlung des
Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie bei Kindern, nicht jedoch bei
Erwachsenen zugelassen. Bei dem diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom handle es sich bereits nicht um
eine lebensbedrohliche Erkrankung, jedoch um eine solche, die durchaus die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig
beeinträchtigen könne. Die zur Verfügung stehende Behandlung müsse nach den Symptomen ausgerichtet werden
und könne hier etwa in der Gabe eines niederpotenten Neuroleptikums zur Sedierung bestehen oder gegebenenfalls
durch eine Antidepressivagabe ergänzt werden. Ob diese Behandlungsstrategien neben der geschilderten Behandlung
Fluoxetin in Kombination mit Ritalin hier bislang ausgeschöpft worden wären, gehe aus den Unterlagen nicht hervor.
Generell gelte jedoch, dass für die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom bei Erwachsenen keine
Standardtherapie zur Verfügung stehe. Recherchen in der Literatur zur Behandlung des hyperkinetischen Syndroms
im Erwachsenenalter hätten ergeben, dass die vorhandenen Studien methodisch meist unzureichend seien, zumal
häufig kleine Gruppen untersucht worden wären und keine Kontrollgruppe integriert worden sei. Zudem würden auch
unterschiedliche Zielkriterien genannt, die eine Vergleichbarkeit entsprechend erschwerten. Problematisch scheine die
Einstellung auf Methylphenidat allerdings deshalb, weil die Substanz in Deutschland den Vorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes unterliege, ferner auch ein Missbrauchspotenzial diskutiert werde. Somit könne
zusammenfassend festgestellt werden, dass einerseits Aussichten bestünden, mittels Methylphenidat einen
Therapieerfolg zu erreichen. Andererseits fänden sich in der Literatur keine Studien in ausreichender großer Zahl, die
mit einem anspruchsvollen Untersuchungsdesign gestaltet worden wären und nach diesen Kriterien einen eindeutigen
Behandlungserfolg nachweisen könnten. Als medizinischer Standard sei die Therapie demnach nicht einzustufen.
Eine psychiatrische Mitbehandlung werde empfohlen. Mit Bescheid vom 27.04.2004 lehnte die Beklagte unter
Berufung auf das Gutachten des MDK die beantragte Kostenübernahme daraufhin ab.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, seit der regelmäßigen Einnahme von
Medikinet 10 mg habe sich ihre Lebensqualität entscheidend verbessert. Nur noch bei großer Erschöpfung kämen
Kleinunfälle wie das Stoßen an Tischkanten und anderen Ecken oder das Zerbrechen von Geschirr und Gläsern vor.
Die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit mache sich bei den schulischen Leistungen bemerkbar. Sie benötige
weniger Nachhilfe und schreibe konstant bessere Noten. Das Erreichen des Ausbildungszieles der
Umschulungsmaßnahme sei somit nicht mehr gefährdet. Auch ihr Selbstwertgefühl habe sich zunehmend
normalisiert, da sie an ihren geistigen Fähigkeiten nicht mehr zweifeln müsse. Dies gelte auch hinsichtlich des
katastrophalen Orientierungssinnes, der sich normalisiert habe. Sie könne jetzt Wegbeschreibungen begreifen und
sich merken; verlaufe und verfahre sich auch kaum noch. Ihren Alltag könne sie inzwischen normal gestalten,
während sie ohne Medikinet grundsätzlich nachts aktiv gewesen wäre und nur in der dann herrschenden Ruhe kreativ
hätte arbeiten können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bezüglich
des Arzneimittels Ritalin läge keine ausreichend gesicherte Datenlage vor. Die vorhandenen Stunden seien
methodisch meist unzureichend, zumal häufig nur kleinere Gruppen untersucht und keine Kontrollgruppen integriert
worden wären. Die Voraussetzungen für eine Ausnahmeentscheidung im Sinne der Rechtsprechung seien daher nicht
erfüllt, so dass eine Kostenübernahme ausgeschlossen sei.
Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihre von der BfA
finanzierte Umschulung habe sie mittlerweile erfolgreich dank der Behandlung abschließen können und sei auch den
Anforderungen des Arbeitsplatzes gewachsen. Bei ihr werde das Ritalin nicht außerhalb des Anwendungsbereiches
angewandt, sondern sei für Kinder zugelassen. In einem solchen Fall dürften die Hürden nicht so hoch gesetzt werden
wie dies bei einer anderweitigen Anwendung außerhalb der Zulassung eines Medikaments angezeigt wäre. Die
Beklagte habe bislang die Verordnungen des behandelnden Arztes E. übernommen, bestreite aber ihre Verpflichtung
dazu. Dies beruhe darauf, dass der behandelnde Arzt ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit
schriftlicher Begründung das Mittel verordnen dürfe.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige
Zeugen gehört.
Nach Auskunft des behandelnden Allgemeinmediziners E. liegen bei der Klägerin die ADHS-typischen Symptome der
Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität mit einer Mindestdauer der Beschwerden von sechs
Monaten, Beeinträchtigungen in zwei oder mehr Bezugssystemen (z.B. Schule und Zuhause), deutliche
Beeinträchtigung mit Leidensdruck im sozialen, Lernleistungs- oder beruflichen Bereich und Ausschluss einer
tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder Psychose vor. Durch Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat habe die
Klägerin konzentriert und strukturiert die an sie gestellten Lern- und Leistungsanforderungen gut bewältigen und die
Abschlussprüfung Ende September 2004 erfolgreich bestehen können, so dass zumindest im schulischen wie
beruflichen und häuslichen Werdegang ein möglicher gefährlicher gesundheitlicher Verlauf, bei einem Scheitern mit
folgendem erhöhtem Risiko für Suchtmittelabusus, Depressionen oder Angststörung, hätte abgewendet werden
können. Innere Unruhe, Schlafstörungen, Minderwertigkeitsgefühl seien nicht mehr aufgetreten. Die Klägerin habe im
Haushalt Ordnung halten können und nicht die Übersicht z.B. über die Voratshaltung verloren. Auch Autofahrten
hätten sich für die Klägerin stressfreier gestaltet, die Umwege hätten abgenommen. "Arbeitsunfähige Erkrankungen"
seien in dem befragten Zeitraum nicht aufgetreten.
Der Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut H.-L., der die Klägerin im Zeitraum vom 23.07.2003 -
04.10.2004 mit insgesamt sechs Therapiegesprächen betreut hatte, hat eine spezifische Phobie (Prüfungsangst) mit
Panikstörung diagnostiziert. Die durchgeführte Kurzpsychotherapie sei gezielt auf die Behandlung dieser
Prüfungsangst ausgerichtet gewesen. Während der Behandlung sei es der Klägerin möglich gewesen, ihre überhöhte
Erwartungshaltung zu reduzieren, so dass sie ohne Panikreaktion z.B. Klausuren in Statistik hätte bewältigen können.
Erst in der Situation der mündlichen Abschlussprüfung in Statistik seien noch einmal verstärkte Panikreaktionen
aufgetreten, die vor dem Hintergrund neuerlicher erhöhter Erwartungen entstanden wären. In der Therapiesitzung vom
26.01.2004 habe sie ihm berichtet, dass sie am Tag zuvor, das bei ADHS-Störungen oft verabreichte Medikament
Ritalin eingenommen habe, welches ihrem Sohn verordnet worden wäre, so dass sie Zugriff zu diesem Medikament
habe. Sie habe nach dessen Einnahme eine deutliche Besserung ihrer inneren Geordnetheit und ihrer
Erschöpfungsneigung festgestellt. Sie habe berichtet, Dinge erledigen zu können, die sie bis dahin weder in Angriff
hätte nehmen, noch erledigen können.
Der Arzt für Innere Medizin, Umweltmediziner Dr. M. hat ausgeführt, dass er sich zum Beschwerdekomplex der ADHS
nicht äußern könne, da er die Klägerin zwischen 1999 und 2002 lediglich wegen ihrer Multiple Chemical Sensitivity
(MCS-Syndrom) behandelt habe.
Mit Urteil vom 19.04.2005, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 10.06.2005, hat das SG die Klage mit
der Begründung abgewiesen, die Klage sei nach Umstellung der Leistungsklage auf eine Feststellungsklage (wohl)
zulässig. Da ihr die von dem Allgemeinmediziner E. verschriebenen Medikamente bislang durch die Beklagte erstattet
worden wären, sei sie gegenwärtig nicht beschwert. Klageziel sei demnach noch die Feststellung, dass die Beklagte
dem Grunde nach verpflichtet sei, sie mit Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat zu versorgen. Ein solcher
Anspruch bestehe aber nicht, da es an der erforderlichen Zulassung von Ritalin zur Behandlung einer
Aufmerksamkeitsstörung bei Erwachsenen fehle. Damit handle es sich um eine sogenannte Off-Label-Verordnung.
Diese müsse nach der Rechtsprechung des BSG auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein
unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie bestehe und andererseits die
therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sei. Bei der ADHS handle es
sich zwar um eine Erkrankung, welche die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige, sie sei jedoch nicht mit
einer lebensbedrohlichen Krankheit gleichzusetzen. Auch sei zweifelhaft, ob die Klägerin tatsächlich an einer ADHS
leide. Ihr Psychotherapeut H.-L. habe lediglich eine spezifische Phobie mit Panikstörung diagnostiziert. In Anbetracht
des möglichen Missbrauchspotenzials von Medikamenten mit der Substanz Methylphenidat und der Ausführungen im
Gutachten vom MDK könne nicht davon ausgegangen werden, dass keine anderen Therapien verfügbar seien. Einen
alternativen Therapieversuch mit niederpotentem Neuroleptikum zur Sedierung und ergänzende Antidepressiva als
alternative Behandlungsstrategie habe die Klägerin jedoch nicht unternommen. Dann könne von einem
Systemversagen aber nicht ausgegangen werden. Vor diesem Hintergrund fehle es bereits am zweiten Kriterium der
tatbestandlichen Voraussetzungen zum Off-Label-Use. Auch die dritte Voraussetzung der Rechtsprechung sei nicht
erfüllt, denn es lägen keine Studien in ausreichend großer Zahl vor, welche einen eindeutigen Behandlungserfolg
nachweisen könnten. Das von der Klägerin beantragte Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu der
Frage, ob der Wirkstoff Methylphenidat zur Behandlung des bei der Klägerin vorliegenden ADHS geeignet und
erforderlich sei sowie allgemein zur Frage des Vorliegens von ADHS bei der Klägerin, sei nicht zu veranlassen
gewesen, da die im Beweisantrag gestellten Beweisthemen nicht entscheidungserheblich gewesen seien.
Mit ihrer dagegen am 11.07.2005, einem Montag, eingelegten Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe
gegenwärtig faktisch noch keinen Nachteil bei der Behandlung mit Ritalin erlitten, weil die Verordnungen auf
Kassenrezept durch den Arzt E. ohne Beanstandungen auf dem üblichen Weg eines Kassenrezepts von der
Beklagten bezahlt worden wären. Die Beklagte bestreite dennoch ihre Leistungsverpflichtung und habe angedroht, den
behandelnden Arzt in Regress zu nehmen, wenn durch Gerichtsurteil rechtskräftig die Unzulässigkeit der Verordnung
von Ritalin festgestellt werde. Dies begründe ihrer Auffassung nach ein Feststellungsinteresse. Eine
Feststellungsklage sei nämlich auch dann zulässig, wenn die Feststellung einer erst künftig fällig werdenden Leistung
begehrt werde oder die Ersatzpflicht eines zu erwartenden Schadens. Das BSG habe auch mittlerweile seine
Rechtsprechung zum Off-Label-Use bei Kindern weiterentwickelt und für den Fall, dass eine bestehende
Krankheitssituation einzigartig sei, ausgeführt, dass das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot der Leistungspflicht
nicht entgegenstünde. Hierbei sei auch berücksichtigt worden, dass das streitige Arzneimittel individuell auf ärztliche
Verordnung über eine Apotheke aus dem Ausland legal zu beschaffen gewesen wäre. Ähnlich sei die Situation bei ihr,
denn sie könne Ritalin legal in jeder Apotheke in Deutschland beziehen, nur gelte die Zulassung nicht für Erwachsene.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.04.2005 sowie den Bescheid vom 27.04.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.07.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, auch die zukünftig durch die
Therapie mit "Ritalin" entstehenden Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass es sich bei einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung nicht um eine
ausgesprochen seltene Erkrankung handle. Diese habe auch keinen lebensbedrohlichen Charakter. Nach den vom
BSG aufgestellten Kriterien für die Verordnung eines Medikamentes in einem von der Zulassung nicht umfassten
Anwendungsgebiet könnten die Kosten zur Behandlung des ADHS im Erwachsenenalter nicht übernommen werden.
Sie hat hierzu das Gutachten des MDK vom April 2004 zur ADHS bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen, die
Ergänzung desselben mit einer Überprüfung der Substanz Atomoxetin vom Mai 2004 und November 2004 und die
Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 (S 7 KR 56/04) sowie die Beschlüsse des Landessozialgerichts
Berlin im einstweiligen Rechtsschutz vom 30.01.2004 (L 9 B 140/03 KR-ER), vom 05.03.2004 (L 9 B 8/04 KR-ER) und
vom 02.04.2004 (L 9 B 43/04 KR-ER) vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
beider Rechtszüge sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und insbesondere statthaft, da
die begehrte Behandlung der Klägerin mit Ritalin sich über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erstrecken soll
(§ 141 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG ist mit zutreffender Begründung, weswegen der Senat
ergänzend auf die Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, zu dem Ergebnis gelangt, dass der
angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2004
rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Aufgrund des Umstandes, dass der Klägerin gegenwärtig durch die Arzneimitteltherapie keine Kosten entstanden
sind, da diese aufgrund der Verordnungen von Allgemeinmediziner E. auf Kassenrezept von der Beklagten erstattet
wurden, diese aber bekräftigt hat, dass sie im Wege des Arzneimittelregresses gegen den Arzt vorgehen und künftig
keine Kosten übernehmen werde, ist die richtige Klageart hier die kombinierte Anfechtungs- und unechte
Leistungsklage. Denn der Anspruch der Klägerin ist konkretisierbar, so dass nicht auf die insoweit subsidiäre
Feststellungsklage zurückgegriffen werden muss (Ulmer in: Hennig u.a., Kommentar zum SGG, § 54 Rdnr. 115).
Demzufolge macht die Klägerin auch mit ihrer Klage geltend, dass ihr die künftig durch die Behandlung mit Ritalin
entstehenden Kosten erstattet werden.
Die Beklagte ist aber nicht verpflichtet, die Klägerin in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 3 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V) von zukünftig durch die Therapie mit Ritalin entstehenden Kosten freizustellen (vgl. BSG
SozR 3 - 2500 § 27 a Nr. 3). Denn die Arzneimitteltherapie der ADHS mit Ritalin ist allein für die Behandlung der
Hyperaktivität von Kindern und Jugendlichen zugelassen, welches indessen eine Zulassung für die Behandlung
Erwachsener nicht ersetzt (so auch Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 - S 7 KR 56/04). Sie ist auch
unter dem Gesichtspunkt des Off-Label-Use keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der
für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1
SGB V. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
Dass es folglich bei der Klägerin nach den Angaben ihres behandelnden Allgemeinmediziners E. zu einem
Behandlungserfolg im konkreten Einzelfall gekommen ist, vermag daher nicht schon die Leistungspflicht der
Beklagten zu begründen. Es reicht nicht aus, dass die streitige Therapie nach Einschätzung des behandelnden Arztes
positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben (so zuletzt BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02
R).
In der Regel sind bei Pharmakotherapien diese Anforderungen daher nur erfüllt, wenn die Medikamente, die nach den
Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfen, eine solche Zulassung besitzen. Dies ist vorliegend bei
Ritalin für den Anwendungsbereich der ADHS bei Erwachsenen unstreitig nicht der Fall. Grundsätzlich kann dann ein
solches Arzneimittel, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem
anderen Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (Zulassungsüberschreitende
Anwendung - sogenannter Off-Label-Use). Hiervon kann nach dem Urteil des BSG vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R)
ausnahmsweise (in einer notstandsähnlichen Situation) dann abgewichen werden, wenn es bei einer schweren
Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete
Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Wegen des Vorrangs des
Arzneimittelrechts kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten
Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die
Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine Therapie verfügbar ist und
wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein
Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen
Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen
werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist
und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo)
veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei
vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind,
die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen
voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese Voraussetzungen insbesondere des 3. Kriteriums sind im Falle der Klägerin auch zur Überzeugung des Senats
nicht erfüllt. Der Senat hat sich insoweit auf die vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der die
Klägerin behandelnden Ärzte bzw. insbesondere die des Psychologischen Psychotherapeuten H.-L. wie auf die von
der Beklagten vorgelegten Gutachten des MDK gestützt.
Danach ist schon fraglich, ob die Klägerin überhaupt an einer ADHS leidet. Nach den Angaben des
Allgemeinmediziners E. hat dieser die Selbstdiagnose der Klägerin zwar bestätigt, allerdings hat der im gleichen
Zeitraum behandelnde Psychologische Psychotherapeut H.-L. das Krankheitsbild als spezifische Phobie
(Prüfungsangst) mit Panikstörung beschrieben. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich die Diagnose der ADHS im
Erwachsenenalter als schwierig gestaltet (vgl. die Ausführungen von B. und S. im MDK-Gutachten vom April 2004, S.
10), kann vom Vorliegen einer solchen Erkrankung nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Der Senat konnte dies
jedoch letztlich dahingestellt sein lassen und musste daher auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung vornehmen, ob
die Klägerin tatsächlich an einer ADHS leidet, weil unabhängig davon jedenfalls eine Behandlung der ADHS im
Erwachsenenalter mit Ritalin ausscheidet. Dies ist nach der Studie von B. und S. deswegen begründet, weil sich bei
einer erstmaligen Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter soziale Probleme und disfunktionales Verhalten so
verfestigt haben, dass die Effekte der medikamentösen Behandlung nicht in gleicher Weise zum Tragen kommen wie
bei der Vergleichsgruppe der Kinder und Jugendlichen. Auch fehlen derzeit nach der Auswertung der vorliegenden
Forschungsergebnisse in Form von Studien oder einer Verbreitung in der wissenschaftlichen Literatur ausreichende
wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise, die einen entsprechenden wissenschaftlichen Konsens belegen, wie dies
zuletzt PD Dr. D. (MDK-Gutachten vom November 2004, S. 25) ausgeführt hat. Ein Wirksamkeitsnachweis liegt somit
lediglich für die Behandlung von Ritalin bei Kindern und Jugendlichen vor.
Außerdem bestehen bei der Klägerin durchaus Behandlungsalternativen. Diese wurden der Klägerin bereits in den
Gutachten nach Aktenlage durch Dr. H.-M. vom MDK benannt, nämlich durch die Gabe eines niederpotenten
Neuroleptikums oder gegebenenfalls eine Antidepressivagabe. Des weiteren hat sich die Klägerin bereits erfolgreich in
Kurzpsychotherapie begeben. Anlass für die Behandlung war damals, dass sie Schwierigkeiten in der Umschulung
hatte. Dies hat auch zur Antragstellung auf die hier streitige Behandlung geführt. Diese Phobie konnte aber nach
Angaben des behandelnden Diplom Psychologen H.-L. erfolgreich behandelt werden. Dies belegt eindrucksvoll, dass
es nicht ohne weiteres einer medikamentösen Therapie mit Ritalin bedurft hätte.
Bei der Klägerin liegen auch unter Berücksichtigung des von dem BSG entschiedenen Falles vom 19.10.2004 (B 1 KR
27/02 R) die Voraussetzungen für einen Anspruch gegen die Beklagte nicht vor. Dabei handelte es sich nämlich um
eine möglicherweise bestehende einzigartige Krankheitssituation, die dadurch begründet war, dass dieses
Krankheitsbild normalerweise nur bei Erwachsenen auftritt und deswegen möglicherweise keine Studien für die
Behandlung von Kindern zur Verfügung stehen. Ein solcher vergleichbarer Fall besteht aber bei der Klägerin nicht.
Das Krankheitsbild der ADHS ist vielmehr auch bei Erwachsenen verbreitet, daher bereits nicht einzigartig. Insofern
kann diese Ausnahmekonstellation nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
Die Klägerin hat damit insgesamt keinen Anspruch auf Freistellung der künftig entstehenden Kosten durch die
Behandlung mit Ritalin. Die Berufung konnte danach keinen Erfolg haben, wobei die Kostenentscheidung auf § 193
SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, denn der Senat bewegt sich mit seiner Entscheidung in den vom
BSG aufgezeigten Grenzen der off-label-use-Verordnung.