Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 07.12.2004

LSG Bwb: gewöhnlicher aufenthalt, familie, duldung, soziale sicherheit, beendigung, kosovo, abschiebung, anerkennung, stadt, ausländer

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 07.12.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Reutlingen S 8 RJ 1613/03
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 RJ 1912/04
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. März 2004 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Dabei ist streitig, ob der Kläger die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt.
Der 1950 geborene Kläger stammt aus dem Kosovo und lebt seit September 1990 in der Bundesrepublik Deutschland.
Seinen Angaben zufolge erlernte er keinen Beruf, arbeitete bis 1979 als Arbeiter, war anschließend bis 1984 in
politischer Gefangenschaft und hielt sich dann bis 1990 ohne Beschäftigung im ehemaligen Jugoslawien auf. In der
Bundesrepublik Deutschland wurden ausweislich des Versicherungsverlaufs Pflichtbeiträge ab September 1991 bis
April 1992 aufgrund einer Beschäftigung und ab Juli 1992 bis Februar 1994 bei Arbeitslosigkeit entrichtet. Zuletzt war
der Kläger von Februar 2000 bis zum Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit ab 02.06.2000 bei der Firma E.,
Metallwarenfabrik GmbH, B., beschäftigt.
Die Asylanträge des Klägers sowie seiner Ehefrau und Kinder vom Oktober 1990 wurden rechtskräftig abgelehnt
(Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10.03.1993 - A 12 K 16982/91 -). Das Gericht hob jedoch die
Abschiebeverfügungen auf, da die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1 Satz 1
Ausländergesetz (AuslG) im Heimatstaat des Klägers vorlägen. Ab 30.08.1993 wurde dem Kläger und seiner Familie
eine Duldung erteilt. Einem im Dezember 1995 gestellten Antrag auf Aufenthaltsbefugnis stimmte das
Regierungspräsidium Freiburg im März 1996 nicht zu. Nach Inkrafttreten des deutsch-jugoslawischen
Rückübernahmeabkommens im Dezember 1996 forderte das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger und seine
Familie mit Bescheid vom 21.02.1997 unter Abschiebungsandrohung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb
von drei Monaten zu verlassen. Dem widersprach der Kläger. In der Folgezeit wurde die Duldung jeweils verlängert,
zuletzt am 02.09.2004 bis 30.11.2004. Mit Bescheid vom 04.11.1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge die erneuten Asylanträge (Folgeanträge) des Klägers und seiner Familie ab, außerdem
wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 des AuslG nicht vorlägen. Der Kläger wurde unter
Hinweis darauf, dass die Gründe für die erteilte Duldung grundsätzlich entfallen seien, erneut aufgefordert, freiwillig
auszureisen (Schreiben des Ordnungsamtes der Stadt T. vom Februar und Mai 2000). Der Erteilung einer
Aufenthaltsbefugnis stimmte das Regierungspräsidium Freiburg im Mai 2000 und Juni 2001 erneut nicht zu, da die
Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 und 4 AuslG nicht vorlägen bzw. eine medizinische Versorgung im Kosovo möglich
sei. Mit Urteil vom 27.09.2001 verpflichtete das Verwaltungsgericht Karlsruhe (A 9 K 10928/99) das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge festzustellen, dass beim Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für die Bundesrepublik Jugoslawien/Kosovo gegeben seien. Der entsprechende
Ausführungsbescheid wurde am 23.11.2001 erteilt. Erneute Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen wurden
mit Bescheid vom 06.04.2002/Widerspruchsbescheid vom 24.07.2002 abgelehnt. Mit Bescheid vom 25.02.2004
widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 23.11.2001 getroffene Feststellung von Abschiebehindernissen nach §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (nicht rechtskräftig).
Im Juli und August 2000 musste sich der Kläger wegen eines Bronchialkarzinoms Lungenoperationen im linken Unter-
und rechten Oberlappen unterziehen.
Auf den Reha-Antrag vom 15.08.2000 führte die Beklagte in der Zeit vom 19.09. bis 17.10.2000 ein stationäres
Heilverfahren in der Reha-Klinik Irma in B. D. durch, aus dem der Kläger als arbeitsunfähig entlassen wurde. Im
Entlassungsbericht heißt es, dass aufgrund der deutlich eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit und mittel-
bis schwergradiger restriktiver Ventilationsstörung mit einer Erlangung der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei. Eine
regelmäßige Erwerbstätigkeit könne dem Kläger nicht zugemutet werden.
Mit Schreiben vom 03.11.2000 unterrichtete die Beklagte den Kläger darüber, dass der Antrag auf Rehabilitation als
Antrag auf Rente gelte, wenn der Versicherte bei Abschluss einer Maßnahme zur Rehabilitation berufs- oder
erwerbsunfähig sei, und forderte den Kläger auf, einen formellen Rentenantrag zu stellen. Dem kam der Kläger am
25.09.2001 nach. Der Internist Dr. M. führte in seinem von der Beklagten veranlassten Gutachten zusammenfassend
aus, allein die hochgradige respiratorische restriktive Ventilationsstörung führe zu einer dauerhaften Aufhebung des
Leistungsvermögens. Graduelle Verbesserungen seien zwar denkbar, eine so weitgehende Besserung der
Atemstörung, dass hieraus ein Restleistungsvermögen erzielt werden könne, sei aber außerordentlich
unwahrscheinlich.
Mit Bescheid vom 26.04.2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag vom 15.08.2000 ab. Der Kläger sei zwar seit
02.06.2000 erwerbsunfähig, habe auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, von den letzten fünf Jahren
vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit seien jedoch nicht mindestens drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten für eine
versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Im maßgebenden Zeitraum vom 02.06.1995 bis 01.06.2000 seien
Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nur für insgesamt fünf Kalendermonate
vorhanden. Auch sei in der Zeit vom 01.01.84 bis zum 31.05.2000 nicht jeder Kalendermonat mit
Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.
Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs machte der Kläger geltend, aufgrund übereinstimmender
Erklärung mit seiner Ehefrau seien ihm Kindererziehungszeiten für die Kinder H., geboren 27.09.1986, D., geboren
21.10.1989, A., geboren 24.12.1990 und S., geboren 17.09.1996 zuzurechnen. Die Kindererziehungszeiten und die
entsprechenden Berücksichtigungszeiten seien im Bescheid vom 26.04.2002 nicht berücksichtigt.
Die Beklagte erklärte sich hierauf mit Schreiben vom 09.07.2002 bereit, über die Anrechnung der
Kindererziehungszeiten rechtsbehelfsfähig zu entscheiden, und regte im Hinblick hierauf die Rücknahme des
Widerspruchs an, wodurch ein rechtlicher Nachteil nicht entstehe. Hiermit erklärte sich der Kläger mit Schreiben vom
24.07.2002 einverstanden.
Mit Bescheid vom 14.08.2002 erteilte die Beklagte Auskunft über die zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten sowie
über die Voraussetzungen für eine Rentenzahlung. Ergänzend wies sie darauf hin, dass eine Zuordnung der
Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten für H., D. und A. zum Vater nicht mehr möglich sei, da die
Erklärung nicht bis zum 31.12.1996 abgegeben worden sei. Für S. sei die Erklärung bezüglich der
Kindererziehungszeit auch verspätet (§ 56 Abs. 2 Sätze 5 und 6 SGB VI). Bezüglich der Berücksichtigungszeit wäre
eine Zuordnung zum Vater ab Juni 2001 möglich.
Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass für
eine Zuordnung der Kindererziehungszeiten und der Berücksichtigungszeiten eine gemeinsame Erklärung der Eltern
erforderlich sei.
Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger einen Ausweisersatz mit mehrfach verlängerten Duldungen
(Aussetzung der Abschiebung) der Stadt T., das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27.09.2001, die
Rechtskraftbestätigung des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 15.11.2001 sowie die Entscheidung des Bundesamtes
vom 23.11.2001, wonach wegen des beim Kläger festgestellten und operierten Lungenkarzinoms und der
erforderlichen Nachsorge die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfüllt seien, vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2003 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 26.04. und
14.08.2002 zurück: Der Kläger sei zwar seit 02.06.2000 voll erwerbsgemindert und habe auch die allgemeine
Wartezeit erfüllt. Im maßgebenden Fünfjahreszeitraum vom 02.06.1995 bis 01.06.2000 seien jedoch lediglich für fünf
Monate Pflichtbeiträge nachgewiesen. Auch sei in der Zeit vom 01.01.1984 bis 31.05.2000 nicht jeder Monat mit
Anwartschaftserhaltungszeiten nach § 241 Abs. 2 SGB VI belegt. Freiwillige Beiträge dürften zwar noch für Zeiten ab
01.01.2000, nicht aber für die vorherliegenden unbelegten Zeiten gezahlt werden. Kindererziehungs- bzw.
Berücksichtigungszeiten für die Kinder H., D. und A. sowie insbesondere für S. könnten nicht angerechnet und damit
die erforderliche 3/5-Belegung im maßgeblichen 60-Monatszeitraum nicht erreicht werden. Die Anrechnung von
Kindererziehungszeiten erfordere nach § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI den gewöhnlichen Aufenthalt des Erziehenden und
der Kinder im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Ausländer könnten nur dann ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
der Bundesrepublik Deutschland haben, wenn ihnen ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei, der ihren Aufenthalt
materiell-rechtlich billige und nicht nur vorübergehend - und damit nicht rechtlich beständig - gestatte. Rechtlich
beständig (dauerhaft) sei ein Aufenthalt, wenn und so lange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen sei.
Dauerhaftigkeit i.S. der Zukunftsoffenheit fehle, wenn der Aufenthalt des Ausländers im jeweiligen Erziehungszeitraum
auflösend befristet (für eine bestimmte Zeit) oder auflösend bedingt (für einen bestimmten Zweck) gestattet worden
sei. Asylbewerbern werde nach § 19 Abs. 1 oder 2 Asylverfahrensgesetz eine Aufenthaltsgestattung oder eine
Duldung erteilt, allerdings nur zur Durchführung des Asylverfahrens. Dieser Aufenthalt sei nach aufenthaltsrechtlichen
Gesichtspunkten nur ein vorübergehender Aufenthalt. Werde ein Asylantrag abgelehnt, so müsse der Antragsteller
grundsätzlich mit der Abschiebung rechnen. Ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland liege
somit nicht mehr vor. Dies gelte auch für die Fälle, in denen die Abschiebung ausgesetzt und eine Duldung
ausgesprochen werde (Hinweis auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 28.11.1990 und vom 28.07.1992 in SozR 3-
2600 § 56 Nr. 2). Die von der Stadt T. ausgesprochene Duldung sei zuletzt am 25.02.2003 bis 31.05.2003 verlängert
worden. Das durchgeführte Asylverfahren sei erfolglos geblieben und ein Abschiebeverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG
liege nicht vor. Damit bestehe kein gewöhnlicher Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG), mit der er sein Begehren auf eine Rente wegen
Erwerbsminderung weiterverfolgte. Er machte geltend, er sei zwar lediglich im Besitz einer Duldungsbescheinigung,
lebe jedoch mit seiner ganzen Familie schon seit dem 24.09.1990 ununterbrochen in Deutschland. Diese lange
Aufenthaltszeit werde auch weiterhin fortbestehen, nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge zuletzt mit Bescheid vom 23.11.2001 Abschiebungshindernisse gemäß § 53 VI AuslG festgestellt habe.
Unter diesen Umständen sei es rechtsfehlerhaft, bei ihm nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen. Der
Kläger legte Fotokopien des Ausweisersatzes mit bis zum 30.11.2003 verlängerter Duldung vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und hielt daran fest, dass beim Kläger nach wie vor kein gewöhnlicher Aufenthalt
vorliege.
Mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2004, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 05.04.2004, wies das
SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus, die für einen Rentenanspruch wegen
Erwerbsminderung erforderlichen 36 Pflichtbeiträge in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 02.06.1995 bis
01.06.2000 seien nur dann gegeben, wenn dem Kläger eine Kindererziehungszeit für sein am 17.09.1996 geborenes
Kind S. zugeordnet werden könnte. Dies habe die Beklagte jedoch zu Recht abgelehnt. Die Zuordnung einer
Kindererziehungszeit betreffend das Kind S. zum Kläger scheitere bereits daran, dass während der fraglichen Zeit,
nämlich vom 17.09.1996 bis zum 16.09.1999 nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers, insbesondere
aber auch des Kindes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden könne. Nach § 30 Abs. 3 Satz
2 SGB I habe jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen,
dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Stehe der ausländerrechtliche Status
einem dauerhaften Verbleib entgegen, könnten die sonstigen tatsächlichen Verhältnisse und der Wille, auf Dauer im
Bundesgebiet bleiben zu wollen, für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht ausschlaggebend sein. Ein
nicht nur vorübergehendes Verweilen im Sinne der Gesetzesvorschrift setze voraus, dass die Aufenthaltsposition des
Ausländers so offen sei, dass sie wie bei einem Inländer einen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit ermögliche. Sei die
Position hingegen auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt, stehe dies der Annahme eines gewöhnlichen
Aufenthalts trotz faktisch andauerndem Verbleiben und einem entsprechenden Bleibewillen entgegen, denn der
Ausländer habe es dann nicht in der Hand, über die Dauer seines Aufenthalts im Inland frei zu bestimmen. Der Kläger
und auch das Kind S. hätten in der fraglichen Zeit keinen ausländerrechtlichen Status innegehabt, der ein Bleiberecht
gegeben habe. Wenn, wovon im Falle des Klägers und seiner Familienangehörigen auszugehen sei, für die Dauer des
früheren wie auch des im Februar 1999 erneut beantragten Asylverfahrens und danach aus völkerrechtlichen oder
dringenden humanitären Gründen von einer Abschiebung abgesehen und eine Duldung erteilt worden sei, so komme
es für den gewöhnlichen Aufenthalt nach der Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I entscheidend darauf an, ob
diese Maßnahmen auf Beendigung des Aufenthalts bei Erledigung des Duldungszweckes ausgerichtet gewesen
seien. Die erteilten Duldungen seien in der Absicht erfolgt, den Aufenthalt mit Wegfall des Hindernisses zu beenden,
sie sollten gerade keinen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen. Nur wenn von vornherein feststünde, dass eine
Abschiebung auch bei Ablehnung des Asylgesuchs nicht in Betracht komme, weil von einem Abschiebehindernis auf
unabsehbare Zeit auszugehen sei, könne davon ausgegangen werden, dass sich der Ausländer auf unbestimmte Zeit
im Bundesgebiet aufhalten dürfe. In der fraglichen Zeit von September 1996 bis September 1999 habe nicht davon
ausgegangen werden können, dass die erteilten Duldungen auf nicht absehbare Zeit verlängert werden würden und
eine Ausweisung bei Ablehnung des Asylgesuchs nicht erfolgen werde. Die aufgrund des Urteils des
Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27.09.2001 getroffene Feststellung des Bundesamtes bezüglich eines
Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beim Kläger könne nicht auf die Zeit bis September 1999
bezogen werden und betreffe zudem nicht das Kind S., auf dessen gewöhnlichen Aufenthalt es ebenfalls ankomme.
Damit komme eine Zuordnung der Kindererziehungszeit betreffend das Kind S. als Pflichtbeitragszeit zum
Versicherungskonto des Klägers nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die am 05.05.2004 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung trägt er vor, er habe das
Kind S. vom 17.09.1996 bis 16.09.1999 überwiegend erzogen, zumal er während der gesamten Zeit arbeitslos
gewesen sei und seine damals stark psychisch belastete Ehefrau entlastet habe. In der maßgeblichen Zeit hätten er
und seine Familie auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Allein die Dauer des Aufenthaltes zeige,
dass aus der Art des Aufenthaltsstatus (Duldung) kein Rückschluss auf das Fehlen eines "gewöhnlichen
Aufenthaltes" geschlossen werden könne. Deutschland sei seit der Einreise 1990 der Lebensmittelpunkt der Familie.
Aufgrund seiner Tätigkeit in Deutschland, noch vor der Geburt des Kindes S., habe für ihn auch das
Sozialversicherungsabkommen mit Jugoslawien vom 12.10.1998 gegolten. Auch wenn dieses Abkommen nach der
bisherigen Rechtsprechung hierzu nicht unmittelbar als Grundlage für den "gewöhnlichen Aufenthalt" herangezogen
werde, enthalte es doch eine Option für die sozialversicherungsrechtliche Gleichstellung jugoslawischer
Staatsangehöriger unabhängig von ihrem jeweiligen Aufenthaltsstatus.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. März 2004 sowie die Bescheide vom 26. April 2002 und
14. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihm unter Anerkennung einer Kindererziehungszeit vom 17. September 1996 bis 16. September 1999
Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. September 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat von der Stadt T. die den Kläger betreffende Ausländerakte beigezogen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser
Akten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entschieden hat (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid
des SG ist nicht zu beanstanden, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Rente wegen Berufs-
oder Erwerbsunfähigkeit.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit in der hier
noch anzuwendenden bis 31.12.2000 gültigen Fassung (§ 300 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs 6. Buch - SGB VI -),
insbesondere auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und die Voraussetzungen für die Anerkennung von
Kindererziehungszeiten sind im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 08.05.2003 zutreffend dargestellt. Darauf
wird verwiesen.
Nach Auffassung des Senats ist die Berufung bereits aus den vom SG ausführlich und zutreffend unter Würdigung der
für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten
dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des
SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Zutreffend hat das SG entschieden, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch
nicht erfüllt sind. Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung.
Da vorliegend - ausgehend von dem unstreitig seit 02.06.2000 auf unter halbschichtig herabgesunkenen
Leistungsvermögen des Klägers - ausweislich des Versicherungsverlaufs in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum
vom 02.06.1995 bis 01.06.2000 nur fünf Monate Pflichtbeiträge nachgewiesen sind, wären die für den Rentenanspruch
erforderlichen 36 Pflichtbeiträge nur dann gegeben, wenn dem Kläger eine Kindererziehungszeit für das am
17.09.1996 geborene Kind S. zugeordnet werden könnte.
Die Voraussetzungen, unter denen dem Kläger eine Kindererziehungszeit anzuerkennen wäre, liegen aber für die Zeit
vom 17.09.1996 bis 16.09.1999 nicht vor. Dabei lässt auch der Senat wie das SG offen, ob der Kläger das Kind S.
tatsächlich überwiegend erzogen hat, denn die Anerkennung einer Kindererziehungszeit scheitert vorliegend an der
Erziehung im Inland. Damit die Erziehung in der Bundesrepublik erfolgt ist, müssen der Kläger und das Kind S. sich
während des fraglichen Zeitraums der Kindererziehung dort gewöhnlich aufgehalten haben. Den gewöhnlichen
Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in
diesem Gebiet nicht vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil - SGB I -). An den
Wohnsitz nach § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I knüpft § 56 Abs. 3 SGB VI nicht an. Die Legaldefinition des § 30 Abs. 3
Satz 2 SGB I gilt für alle Sozialleistungsbereiche des SG, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas
anderes ergibt (§ 37 Satz 1 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts knüpft an die objektiv gegebenen
tatsächlichen Verhältnisse während des Beurteilungszeitraums an (vgl. BSG SozR 3 - 2600 § 56 Nr. 7). Ein
Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, ist unbeachtlich (BSG SozR 3 - 1200 § 30 Nr.
13; BSG SozR 3 - 6710 Art. 1 Nr. 1). Der Elternteil und das Kind müssen während der als Kindererziehungszeit
geltend gemachten Zeit faktisch den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse im Inland gehabt und sich hier rechtlich
gebilligt und nicht nur vorübergehend - etwa besuchsweise oder zu Urlaubs- oder Behandlungszwecken - aufgehalten
haben. Der Aufenthalt muss zukunftsoffen, d. h. nicht auf Beendigung angelegt gewesen seien. Zu den nach § 30
Abs. 3 Satz 2 SGB I der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts zugrunde zu legenden Umständen gehört auch der
ausländerrechtliche Status, der so beschaffen sein muss, dass der tatsächliche Aufenthalt des die Anrechnung der
Kindererziehungszeit begehrenden Elternteils während des in Frage stehenden Zeitraums nicht nur vorübergehend
war. Einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sinne haben Ausländer, die einer Aufenthaltsgenehmigung bedürfen,
wenn sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, (§ 27 AuslG) oder einer Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG) und -
unter bestimmten Umständen - einer Aufenthaltsbefugnis (§ 30 ff. AuslG) sind. Asylbewerbern ist nach § 55
AsylVerfG der Aufenthalt im Inland zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Sie haben vor bindender oder
rechtskräftiger Feststellung des Asylrechts ihren gewöhnlichen Aufenthalt regelmäßig nicht im Inland (BSGE 49, 254;
58, 294; 62, 67; 67, 243; BSG SozR 3 - 2600 § 56 Nr. 2, 3, 11). Hierbei bleibt die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts
außer Betracht, unabhängig davon, wie lange er bereits andauerte oder noch andauern wird (BSG Breithaupt 1988, S.
339). Bloße Duldungen nach §§ 55, 56 AuslG stehen der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts stets entgegen,
weil sie eine aktuelle Ausreisepflicht voraussetzen, deren Durchsetzung vorübergehend zeitweise ausgesetzt wird.
Das gleiche gilt von einer Aussetzung der Abschiebung nach § 54 AuslG und für rein verwaltungsinterne Regelungen
oder Handhabungen, nach denen eine bestehende Ausreisepflicht vorübergehend nicht durchgesetzt wird.
In Ansehung dieser rechtlichen Gegebenheiten hatten der Kläger und das Kind S. im fraglichen Zeitraum vom
17.09.1996 bis 16.09.1999 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ausweislich der
vorliegenden Ausländerakten waren vom Verwaltungsgericht Karlsruhe in seinem Urteil vom 10.03.1993 die
Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG angesichts der damals berichteten
Repressionen gegen Kosovo-Albaner bei einer Rückkehr in ihre Heimat bejaht worden. Dem Kläger und seiner Familie
wurden deshalb von der Ausländerbehörde nach rechtsverbindlicher Ablehnung des Asylantrages Duldungen ab
30.08.1993 erteilt. Der Aufenthalt war mithin auch in der fraglichen Zeit vom 17.09.1996 bis 16.09.1999 auf
Beendigung angelegt. Die Duldungen sollten gerade keinen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen, vielmehr sollte der
Aufenthalt mit Wegfall des Hindernisses beendet werden. Es liegen keine Anhaltspunkte für ein Abschiebehindernis
auf unabsehbare Zeit vor. Bereits in einem Schreiben des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.03.1996 an die
Ausländerbehörde T. wurde darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse im Herkunftsland des Klägers (Restjugoslawien
bzw. Kosovo) nach derzeitiger Rechtsprechung nicht die Annahme des Vorliegens von Abschiebungshindernissen
rechtfertigten. Es sollte deshalb eine neue Ausreiseaufforderung mit Abschiebeandrohung für den Kläger erlassen
werden. Nach Inkrafttreten des deutsch-jugoslawischen Rückübernahmeabkommens im Dezember 1996 forderte das
Regierungspräsidium Freiburg den Kläger und seine Familie mit Bescheid vom 21.02.1997 unter
Abschiebungsandrohung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von drei Monaten zu verlassen. Derartige
Maßnahmen und auch Aufforderungen zu einer freiwilligen Rückkehr wurden auch in der Folgezeit und nach erneuter
Ablehnung der Asylanträge, jetzt auch des Kindes S., fortgesetzt. Daraus wird deutlich, dass die behördliche
Duldungspraxis keineswegs von einer schon verfestigten Lage in Jugoslawien bzw. im Kosovo, sondern nur von einer
vorübergehenden krisenhaften Situation ausging. Damit steht fest, dass die ausgesprochenen Duldungen auf
Beendigung des Aufenthalts des Klägers und seiner Familie ausgerichtet waren und somit lediglich ein
vorübergehendes Verweilen im Bundesgebiet ermöglichten.
Der geltend gemachte Anspruch lässt sich schließlich auch nicht aus Vorschriften des über- und zwischenstaatlichen
Rechts, insbesondere aus dem Abkommen vom 12.10.1968 (nicht 12.10.1998) zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Jugoslawien über soziale Sicherheit ableiten. Dieses Abkommen kann entgegen der Auffassung des
Klägers nicht unmittelbar als Grundlage für den "gewöhnlichen Aufenthalt" herangezogen werden, denn Art. 3 des
Abkommens setzt für die Gleichstellung den gewöhnlichen Aufenthalt voraus. Dieser bestimmt sich vorliegend nach
den deutschen Rechtsvorschriften.
Die Berufung des Klägers konnte hiernach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.