Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.04.2003

LSG Bwb: dach, unterbrechung, versicherungsschutz, unfallversicherung, werkzeug, nahrungsaufnahme, arbeitsunfall, tod, betriebsgefahr, berufungsfrist

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 17.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Mannheim S 11 U 1575/00
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 7 U 5003/01
Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. September 2001 und der
Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20. April 2000
aufgehoben.Es wird festgestellt, dass der Tod des G. D. Folge des Arbeitsunfalles vom 15. Juli 1999 ist.
Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Feststellung, dass der Tod des Herrn G. D., Ehemann der Klä-gerin Ziffer 1 und Vater der
Kläger Ziffer 2, Folge eines Arbeitsunfalls ist.
Der 1957 geborene G. D. war seit 13.7.1999 bei der Fa. H. A.-H. beschäftigt. Am 15.7.1999 montierte er zusammen
mit dem Zeugen E. J. ab 8:00 Uhr auf dem Dach der sich auf dem Firmengelände in G.-L. befindlichen Lagerhalle eine
Regenabdeckung für eine Fördervorrichtung. Das Dach bestand aus Asbestzement-Wellplatten und licht-
durchlässigen Glasfaserplatten. Die Fördervorrichtung befand sich auf einem beidseitig mit einem Geländer
gesicherten Laufsteg oberhalb des Daches. Die zu montierenden Formbleche für die Regenabdeckung waren auf dem
Dach gelagert. Ein Teil des Daches war am Unfalltag durch Bretter gegen Durchtritt gesichert. Zur Montage der
Abdeckung musste das Dach wiederholt auch in Bereichen betreten werden, die nicht durch Bretter gesichert waren.
Am Nachmittag wurde der Zeuge J. vom Dach heruntergerufen. Während seiner 15 bis 30 Minuten dauernden
Abwesenheit stürzte G. D. durch eine ca. sieben Meter vom Laufsteg ent-fernte Lichtplatte, in deren Nähe Zweige
eines Kirschbaumes auf das Dach ragten, auf den Hallenboden, wobei er sich u. a. schwere Schädelverletzungen
zuzog. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 13.8.1999 ereignete sich der Unfall um 15:15 Uhr, um 16:24 wurde G.
D. in die Universitätsklinik A. eingeliefert. Am 17.11.1999 verstarb G. D., ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu
haben. Todesursache war ein infektiös-toxisches Herz-Kreislauf-Versagen, das nach dem Obduktionsprotokoll der
Staatsan-waltschaft E. vom 22.11.1999 auf den Unfall zurückzuführen war.
Nach Eingang der Unfallanzeige vom 11.8.1999 nahm die Beklagte Ermittlungen auf, in deren Rahmen sie unter
anderem die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft E. bei-zog. Nach dem Polizeibericht vom 15.7.1997 gab der
Zeuge J. gegenüber den ermit-telnden Polizeibeamten an, dass G. D. die Stelle, an der er durch das Dach gefallen
sei, nicht habe betreten müssen, um die erforderlichen Arbeiten durchzuführen. Er mutmaß-te, dass G. D. die Zweige
des über den Rand des Daches ragenden Kirschbaumes er-reichen wollte und dabei durch das Dach gebrochen sei.
Auch bei seiner Vernehmung durch den Kriminalhauptkommissar (KHK) T. am 23.11.1999 vermutete der Zeuge J.,
dass G. D. sich von dem Kirschbaum, der zum Unfallzeitpunkt reife Früchte trug, ein paar Kirschen pflücken wollte
und dabei die Platte übersehen habe. Jedenfalls habe G. D. an der Unfallstelle nichts verloren gehabt. Er habe ihn,
bevor er das Dach verlassen habe, angewiesen, das Werkzeug weiter vorne auf dem Laufsteg abzulegen, damit nach
seiner Rückkehr die nächste Haube montiert werden könne. Er habe G. D. auch erklärt gehabt, dass er das Dach
grundsätzlich nur auf dem vorgesehenen Laufsteg und auf den ausgelegten Brettern betreten solle. Wo dies nicht
möglich sei, solle er sich immer an den Schraubenkappen orientieren, da die Dachplatten dort auf Balken auflie-gen
würden.
Mit Bescheid vom 28.12.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Unfalls vom 15.07.
1999 ab. Die Ermittlungen hätten nicht ergeben, dass G. D. zum Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt
habe, denn es sei ungeklärt, weshalb er sich an die Absturzstelle begeben habe. Der Aufenthalt auf dem Dach sei
ausdrücklich auf den gesicherten Teil beschränkt worden. Zum Unfallzeitpunkt habe sich G. D. jedoch ca. 7 Meter
vom Laufsteg entfernt am äußeren Rand des Daches be-funden. Arbeitsmaterial habe sich hier nicht befunden,
weshalb es keinen betrieblichen Grund gegeben habe, sich aus dem gesicherten Bereich des Daches fortzubewegen.
Unmittelbar neben der Unfallstelle hätten aber Zweige eines Kirschbaumes vom Nach-bargrundstück auf das
Hallendach geragt, die zum Unfallzeitpunkt reife Früchte getra-gen hätten. Es liege deshalb nahe, dass sich G. D.
zum Verzehr von Kirschen an den äußeren Dachrand begeben habe. Da somit konkrete Anhaltspunkte für eine
eigenwirt-schaftliche und damit unversicherte Tätigkeit bestünden, sei nicht nachgewiesen, dass G. D. zum
Unfallzeitpunkt einer versicherten Tätigkeit nachgegangen sei.
Dagegen erhoben die Kläger am 28.1.2000 Widerspruch. Es sei unwahrscheinlich, dass ein so erfahrener Mann wie G.
D. so unvorsichtig gewesen sei, einen unsicheren Dach-bereich zu betreten, um Kirschen zu pflücken. Selbst wenn er
dies getan habe, habe er jedoch unter Versicherungsschutz gestanden. Es habe sich dann um eine kurzfristige oder
geringfügige private Unterbrechung der an sich versicherten Tätigkeit gehandelt, die den Versicherungsschutz nicht
entfallen lasse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.4.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid wurde an die in
P. wohnenden Kläger zugestellt; die Rechtsmittelbeleh-rung enthielt den Hinweis, dass innerhalb von drei Monaten
nach Bekanntgabe Klage erhoben werden könne.
Am 17.7.2000 erhoben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Mannheim (SG).
Das SG lud mit Beschluss vom 25.5.2001 die AOK R. zum Verfahren bei und wies mit Urteil vom 7.9.2001 die Klage
ab. Es könne nicht festgestellt werden, dass G. D. zum Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung gestanden habe. Zwar sei es denkbar, dass er sich aus betrieblichen Gründen an den Rand des
Daches begeben habe, genauso denkbar, wenn nicht noch wahrscheinlicher sei es jedoch, dass er dies getan habe,
um dort reife Kirschen zu pflücken. Dabei könne nicht von einer nur geringfügigen Unterbrechung der versicherten
Tätigkeit ausgegangen werden, da sich nicht aufklären lasse, ob G. D. beabsichtigt habe, sofort zum Laufsteg
zurückzukehren oder ob er die Absicht gehabt habe, bis zur Rückkehr des Zeugen J. am Kirschbaum zu verweilen.
Allein der Umstand, dass sich der Unfall auf dem Betriebsgelände ereignet habe, begründe keinen inneren
Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit, da es inso-weit keinen sogenannten Betriebsbann gebe. Unter dem
Gesichtspunkt der sogenann-ten Wahlfeststellung könne Versicherungsschutz nur dann angenommen werden, wenn
alle denkbaren Unfallverläufe zur Annahme des Versicherungsschutzes führen würden. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Wegen der weiteren Begründung wird auf das angefoch-tene Urteil verwiesen. Das Urteil enthält die
Rechtsmittelbelehrung, dass innerhalb von drei Monaten nach seiner Zustellung Berufung eingelegt werden könne.
Die Kläger haben am 21.12.2001 gegen das dem Klägervertreter am 27.9.2001 zuge-stellte Urteil Berufung eingelegt.
Das SG habe zu Unrecht den inneren Zusammenhang der Tätigkeit des Klägers mit der versicherten Tätigkeit
verneint. Wenn überhaupt hand-le es sich bei der Tätigkeit von G. D. um eine nur geringfügige Unterbrechung der
versi-cherten Tätigkeit. Insoweit sei nicht maßgeblich, wie lange G. D. sich außerhalb des Laufstegs auf dem Dach
aufgehalten habe, sondern es sei zu berücksichtigen, dass auf Grund der geringen Distanz jederzeit die Möglichkeit
zur Rückkehr bestanden habe. Jedenfalls habe sich G. D. aber aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Weg zur Nah-
rungsaufnahme befunden. Wenn im Sommer auf einem Dach gearbeitet werde, könne der Genuss von Kirschen der
Flüssigkeitszufuhr und damit dem Erhalt der Arbeitskraft dienen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Wartezeit von
G. D. dienstlich veranlasst gewesen sei, da er die Anweisung erhalten habe, auf die Rückkehr des Zeugen J. zu
warten. Selbst wenn G. D. zum Zeitpunkt des Unfalls eigenwirtschaftlich tätig gewesen sei, sei zu berücksichtigen,
dass eine besondere Betriebsgefahr eingewirkt habe.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. September 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember
1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2000 aufzuhe-ben und festzustellen, dass der Tod des
G. D. Folge eines Arbeit-sunfalles ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Es könne gerade nicht festge-stellt werden, dass G. D. die
versicherte Tätigkeit nur geringfügig unterbrochen habe. Es lasse sich lediglich feststellen, wie weit G. D. sich vom
Laufsteg entfernt habe. Wie lange die zeitliche Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit gedauert habe bzw. hätte,
lasse sich jedoch nicht mehr feststellen. Es bestehe nach dem festgestellten Sachver-halts die Möglichkeit der
Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit von bis zu einer hal-ben Stunde. Es könne auch nicht davon ausgegangen
werden, dass G. D. sich auf ei-nem erforderlichen Weg zur Nahrungsaufnahme oder zur Besorgung von Nahrungsmit-
teln befunden habe.
Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.
Der Senat hat die Auskunft des Deutschen Wetterdienstes vom 24.2.2003 zu den Witte-rungsverhältnissen am
Arbeitsplatz des G. D. zum Unfallzeitpunkt eingeholt, nach der zum Unfallzeitpunkt bei bedecktem Himmel eine
Temperatur von ca. 19 Grad ge-herrscht hat, und den Zeugen J. schriftlich gehört. Der Zeuge hat mitgeteilt, dass G.
D. ca. 15 bis 20 Minuten allein auf dem Dach der Lagerhalle gewesen sei. Er habe den Auftrag, das Werkzeug an eine
andere Stelle zu tragen, erfüllt. Die Tätigkeit sei weder körperlich schwer noch mit Staubeinwirkung verbunden
gewesen, es sei am Unfalltag auch nicht heiß gewesen. Der Kirschbaum sei nicht geeignet gewesen, während der
Wartezeit Schatten zu spenden.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger, über die der Senat mit Ein-verständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 des Sozial-gerichtsgesetzes (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Die
Berufungsfrist ist gewahrt, obwohl das Urteil im Inland an den Klägervertreter zugestellt worden ist und damit ledig-lich
die einmonatige Berufungsfrist gegolten hätte. Da die dem angefochtenen Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung
insoweit falsch ist, ist die innerhalb eines Jahres seit Zustellung eingelegte Berufung zulässig (§ 66 Abs. 2 SGG).
Berufungsausschließungs-gründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die gem. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässigerweise als Feststellungsklage erhobene Kla-ge und damit die Berufung ist
begründet. Das angefochtene Urteil des SG und die ab-lehnenden Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und
verletzen die Kläger in ihren Rechten. G. D. hat am 15.7.1999 einen Arbeitsunfall erlitten.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Ar-beitsunfälle Unfälle von
Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte
Tätigkeit). § 8 Abs. 1 SGB VII defi-niert den Arbeitsunfall in Anlehnung an das bisher geltende Recht der
Reichsversiche-rungsordnung (RVO). Die zu § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ergangene Rechtsprechung und dazu
erschienene Literatur kann daher für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Arbeitsunfällen nach den
Vorschriften des SGB VII grundsätzlich weiter herangezogen werden. (BSG SozR 3-2700 § 8 Nrn. 1, 2, 3, 6, 9).
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei
dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versi-cherten Tätigkeit zuzurechnen ist und dass diese Tätigkeit
andererseits den Unfall her-beigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz ge-
nannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das
betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln,
indem untersucht wird, ob die je-weilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der
Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser
Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des
Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der versi-cherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden
können. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte
Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund (stän-dige Rechtsprechung
des BSG, zuletzt Urteil vom 10.10.2002 - B 2 U 6/02 R mwN).
In der gesetzlichen Unfallversicherung besteht mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen außerhalb der See-
und Binnenschifffahrt (vgl. jetzt § 10 SGB VII) kein sog Betriebsbann, so dass auch im Falle der Einwirkung
besonderer, dem Betrieb eigentümlicher Gefahren Unfälle bei eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht versichert sind.
Vielmehr ist stets erforderlich, dass der Arbeitnehmer im Unfallzeitpunkt einer versicherten Tätigkeit nachging, indem
er betriebsdienliche Zwecke verfolgte oder zumindest eine Tätigkeit ausübte, die den Zwecken des Unternehmens zu
dienen bestimmt war (vgl. Urteil des BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 22/99 R = SozR 3-2200 § 548 Nr. 38 mwN).
Die Stelle, an der G. D. durch das Dach gebrochen ist, ist ca. 7 Meter von dem Laufsteg entfernt, in dessen Bereich
die eigentliche betriebliche Tätigkeit stattgefunden hat. Im Bereich der Absturzstelle befand sich weder Werkzeug
noch lagerten dort Teile, die für die Montage der Regenabdeckung an der Fördervorrichtung benötigt wurden. Der Auf-
enthalt von G. D. an der Unfallstelle diente somit nicht offensichtlich unmittelbar betrieb-lichen Zwecken. Möglich ist,
worauf das SG hingewiesen hat, dass G. D. während der Abwesenheit des Zeugen J. - um die Zeit bis zu dessen
Rückkehr zu überbrücken - auf dem Dach umhergelaufen ist oder sich an den Rand des Daches begeben hat, um
nach dem Zeugen Ausschau zuhalten. Ebenso möglich ist, dass, wie der Zeuge J. vermutet, G. D. die Abwesenheit
des Zeugen genutzt hat, um von dem in das Dach hineinragen-den Kirschbaum Früchte zu holen. In allen Fällen hätte
G. D. unter dem Schutz der ge-setzlichen Unfallversicherung gestanden.
Wenn G. D. sich an den Rand des Daches begeben wollte bzw. begeben hat, um nach dem Zeugen J. Ausschau
zuhalten, stand dies von vornherein in so engem Zusammen-hang mit der betrieblichen Tätigkeit, dass ein Wegfall
des Versicherungsschutzes nicht in Erwägung gezogen werden kann.
Auch wenn G. D. Kirschen pflücken wollte oder gepflückt hat, steht dies hier der An-nahme eines Arbeitsunfalles nicht
entgegen.
Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist die Aufnahme von Nahrung auch während einer
Arbeitspause zwischen betriebsdienlichen Verrichtungen grund-sätzlich nicht versichert, weil die Nahrungsaufnahme
für jeden Menschen Grundbedürf-nis ist und somit betriebliche Belange, etwa das betriebliche Interesse an der
Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers, regelmäßig zurücktreten (BSGE 11, 267, 268; 12, 247, 249 = SozR
Nr. 28 zu § 542 RVO aF; BSG SozR Nr. 26 zu § 543 RVO aF; SozR Nrn. 41 und 52 zu § 542 RVO aF; BSG SozR
2200 § 548 Nr. 20 und 86; Brack-mann/Krasney, SGB VII, § 8 Rdnr. 71 mwN). In eng begrenzten Ausnahmefällen hat
das BSG den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit anerkannt, sofern betriebliche Interessen bzw.
Umstände die Nahrungsaufnahme wesentlich beeinflus-sen. So ist Versicherungsschutz angenommen worden, wenn
die versicherte Tätigkeit ein besonderes Hunger- oder Durstgefühl verursacht hat, das ohne die betriebliche Tä-tigkeit
gar nicht oder doch erst später aufgetreten wäre, die Nahrungs- oder Getränke-aufnahme also unmittelbar wesentlich
der Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeits-fähigkeit diente (BSG SozR Nr. 40 zu § 542 RVO aF und Nr. 21 zu §
548 RVO; Brack-mann/Krasney, aaO, § 8 Rdnr. 72 mwN). Solche Umstände lagen hier nicht vor. Nach den
schriftlichen Angaben des Zeugen J. handelte es sich bei der Tätigkeit weder um eine schwere körperliche Tätigkeit
noch war sie mit besonderer Staubeinwirkung verbunden. Nach der Auskunft des Deutschen Wetterdienstes
herrschten zum Unfallzeitpunkt durchaus angenehme Temperaturen von ca. 19 Grad, der Himmel war bedeckt. Von
12:00 bis 13:00 hatte G. D. Mittagspau-se, der Unfall ereignete sich gegen 15:15. Im Hinblick auf die geschilderten
äußeren Umstände kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass G. D. bereits relativ kurze Zeit nach der
Mittagspause darauf angewiesen war, wegen der betrieblichen Tä-tigkeit Nahrung zu sich zunehmen, um seine
Arbeitskraft zu erhalten bzw. wieder zu erlangen.
Versicherungsschutz ist ferner bejaht worden, wenn der Beschäftigte sich bei der Mahl-zeit infolge betrieblicher
Zwänge besonders beeilen musste (BSG Urteil vom 30.9.1964 - 2 RU 197/63; BSG Urteil vom 31.10.1968 - 2 RU
173/66; Brackmann/Krasney, aaO, mwN). Ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ist darüber
hinaus an-genommen worden, wenn betriebliche Zwänge den Versicherten veranlassten, seine Mahlzeit an einem
besonderen Ort oder in besonderer Form einzunehmen, wenn die Umstände der Nahrungsaufnahme somit durch die
versicherte Tätigkeit maßgebend geprägt und ihr damit zuzurechnen waren. Das betraf den Fall eines Fernfahrers,
wel-cher seinen Lastzug nicht unbeaufsichtigt stehen lassen wollte und bei der Essenszube-reitung auf einem
Rastplatz verunglückte (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 82), oder den Fall einer Kurteilnehmerin, die ihre Mahlzeit in der
Kantine des Sanatoriums einnahm, so-fern die Essenseinnahme dort angeordnet oder wenigstens dem Kurerfolg
dienlich war (Urteil des BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 61/89). Schließlich hat das BSG den Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung während der Nahrungsaufnahme bejaht, wenn be-sondere betriebliche Umstände den Versicherten
zwar nicht zwangen, aber wenigstens veranlassten, seine Mahlzeit an einem bestimmten Ort, etwa in einer Werks-
oder Schulkantine einzunehmen, wenn also betriebliche Umstände die Einnahme des Es-sens in der Kantine
wesentlich mitbestimmt hatten (BSGE 12, 247, 250, 251 = SozR Nr. 28 zu § 542 RVO aF; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr.
2).
Auch solche Umstände können nicht festgestellt werden. Weder musste sich G. D. beim Kirschenpflücken aufgrund
betrieblicher Umstände besonders beeilen noch bestanden betriebliche Zwänge, die ihn veranlasst hätten, die
Mahlzeit gerade auf dem Dach ein-zunehmen. Nach den Angaben des Zeugen J. hätte G. D. jederzeit das Dach
verlassen können, um etwas zu essen oder zu trinken. Wenn G. D. tatsächlich Kirschen pflücken wollte bzw.
pflückte, handelte es sich dabei um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die auch nicht deshalb unter dem Schutz der
gesetzlichen Unfallversicherung stand, weil bei dem Unfall besondere, dem Betrieb eigentümliche Gefahren
(Absturzgefahr wegen der Dachkonstruktion) mitursächlich waren. Da es, wie bereits ausgeführt, einen sogenannten
Betriebsbann in der allgemeinen Un-fallversicherung nicht gibt, ist es für den Versicherungsschutz nicht maßgebend,
ob be-triebliche Gefahren beim Unfall mitwirkten, sondern ob der Unfall bei der versicherten Tätigkeit, also während
einer Verrichtung geschah, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Diese Grundsätze
gelten nur dann nicht, wenn eine besondere Betriebsgefahr auf den mit einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit befassten
Versicherten im räumlich-zeitlichen Bereich seines Arbeitsplatzes (z. B. Explosion in unmittelbarer Nähe des
Arbeitsplatzes während eines privaten Telefongesprächs) ein-wirkt, ohne dass diese private Verrichtung wesentlich
zur Bedrohung durch die zum Un-fall führende Betriebsgefahr beigetragen hat. Wenn dagegen der Beschäftigte erst
durch eine private Tätigkeit auf betriebliche Einrichtungen und daraus möglicherweise resultierende besondere
Gefahren stößt, besteht kein Versicherungsschutz. (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 22; vgl. zuletzt BSG vom 20.2.2001
- B 2 U 6/00 R). Ein solcher Aus-nahmefall ist hier nicht anzunehmen, da gerade die private Verrichtung (Verlassen
des Laufsteges, um Kirschen zu pflücken) wesentlich zum Unfall beigetragen hat.
Versicherungsschutz liegt jedoch vor, weil es sich bei der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des G. D. lediglich um eine
geringfügige Unterbrechung der versicherten Tätigkeit ge-handelt hat bzw. hätte. Nach der ständigen Rechtsprechung
des BSG entfällt der Versi-cherungsschutz auch während einer privaten Zwecken dienenden Unterbrechung der
versicherten Tätigkeit nicht, wenn die private Verrichtung derart ist, dass sie nach natür-licher Betrachtungsweise nur
zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit führt. Ob eine Unterbrechung geringfügig ist, richtet
sich nicht allein danach, wie weit sich der Versicherte räumlich von seinem Arbeitsplatz entfernt; rechtlich we-sentlich
ist auch die Zeit, die der Versicherte für die private Versorgung aufgewendet hat oder voraussichtlich hätte aufwenden
müssen (vgl. hierzu BSG vom 5.2.1980 - 2 RU 75/79).
Hier ist bereits zweifelhaft, ob sich G. D. tatsächlich von seinem Arbeitsplatz entfernt hat. Dies könnte allenfalls dann
angenommen werden, wenn man als Arbeitsplatz nur den eng begrenzten Bereich des Laufsteges und allenfalls noch
die gesicherten Teile des Daches, die er betreten musste, um die Abdeckungen für das Förderband zu mon-tieren,
ansehen würde. Eine solch einengende Sichtweise würde aber der natürlichen Betrachtungsweise widersprechen, da
G. D. davon ausgehen konnte, dass sein Ar-beitsplatz das Dach der Lagerhalle war. Insbesondere musste er nicht
davon ausgehen, seinen Versicherungsschutz zu verlieren, wenn er sich nur einige Schritte aus dem ge-sicherten
Dachbereich entfernt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich die Absturzstelle lediglich 7 Meter von dem
Laufsteg entfernt befindet, von einer wesentli-chen räumlichen Entfernung vom Arbeitsplatz also selbst dann nicht
ausgegangen wer-den kann, wenn man lediglich den Laufsteg und den gesicherten Dachbereich als Ar-beitsplatz
ansieht. Wesentlich für die Beurteilung, ob eine geringfügige Unterbrechung vorlag bzw. vorge-legen hätte, ist nach
Auffassung des Senats hier auch die Tatsache, dass es sich um eine betriebsbedingte Unterbrechung der Arbeit
gehandelt hat. G. D. hat nicht eine übli-che Arbeitspause gemacht, die seiner Erholung dienen sollte. Vielmehr konnte
er nicht weiterarbeiten, weil der Zeuge J. vom Dach heruntergerufen worden war; die Arbeits-pause war somit durch
den Arbeitsablauf bedingt. G. D. musste sich während der Pau-se arbeitsbereit halten, da der Zeuge J. jederzeit
zurückkehren konnte und die Arbeit dann fortgesetzt worden wäre. Zwischen der Pause und der betrieblichen Tätigkeit
be-stand somit ein enger Zusammenhang. Auch auf die Länge der Pause hatte G. D. kei-nen Einfluss. Er musste
warten, bis der Zeuge J. zurückkehrte. Die ihm aufgetragene Tätigkeit, das Werkzeug an einer anderen Stelle des
Laufsteges abzulegen, damit nach der Rückkehr des Zeugen dort weitergearbeitet werden konnte, hat G. D. erledigt.
Wenn er danach zum Rand des Daches gegangen ist, um sich ein paar Kirschen zu pflücken, wobei er sich stets in
Hör- und Sichtweite des zurückerwarteten Zeugen J. befand, stellte diese private Verrichtung eine nur unwesentliche
Unterbrechung der ver-sicherten Tätigkeit dar, unabhängig davon, ob es sich bei den Kirschen um ein Nah-rungs- oder
- wie die Beklagte meint - ein Genussmittel handelt. Da es sich um eine betrieblich veranlasste Unterbrechung der
Arbeitstätigkeit gehandelt hat und G. D. selbst keinen Einfluss auf deren Dauer hatte, ist hier selbst dann, wenn G. D.
sich sofort, nachdem er das Werkzeug auf dem Laufsteg abgelegt hatte, zum Dachrand begeben hätte, von einer
geringfügigen Unterbrechung auszugehen. Dem Zeitfaktor kommt unter diesen Umständen keine wesentliche
Bedeutung zu. Selbst wenn die private Verrichtung unter den genannten Umständen 15 - 20 Minuten (so die Dauer der
Abwesenheit des Zeugen J. nach seinen schriftlichen Angaben dem Senat gegenüber) oder auch eine halbe Stunde
(so die Angaben in dem der Unfallanzeige beigefügten Schreiben der Fa. H. A.-H. vom 11.8.1999) gedauert hätte,
wäre sie nach Auffassung des Senats angesichts der geschilderten Umstände als geringfügig anzuse-hen, da die
versicherte Tätigkeit bzw. deren betrieblich bedingte Unterbrechung wesent-liche Ursache für das Verhalten von G. D.
war und blieb. Die vom BSG in seinem Urteil vom 31.10.1969 - 2 RU 311/68 - vertretene Auffassung, dass eine
Unterbrechung der Arbeit für private Zwecke nicht als geringfügig anzusehen ist, wenn sie ca. 10 Minuten
beansprucht, ist auf den hier vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der dort zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet
sich insofern wesent-lich von dem hier zu entscheidenden Fall, als damals die Klägerin von sich aus die Ar-beit
unterbrochen und sich ca. 80 Meter von ihrem eigentlichen Arbeitsplatz in einem Kaufhaus entfernt hatte.
Auch wenn G. D. keine Kirschen pflücken wollte, sondern - quasi zum Zeitvertreib - auf dem Dach umher gegangen
sein sollte, wäre darin - ebenso wie im Kirschenpflücken - allenfalls eine geringfügige Unterbrechung der versicherten
Tätigkeit zu sehen, so dass er auch in diesem Fall einen Arbeitsunfall erlitten hätte.
Der Versicherungsschutz ist auch nicht etwa deshalb entfallen, weil sich G. D. durch das Verlassen des Laufsteges
und des gesicherten Dachbereiches einer besonderen Gefahr ausgesetzt hat. Der Versicherungsschutz entfällt wegen
einer selbstgeschaffe-nen Gefahr nur dann, wenn der Versicherte sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass
für den Eintritt des Arbeitsunfalles nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die
rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (vgl. BSGE 42, 129, 133; BSG vom 7.3.2000 - B 2 U 249/99 B
mwN). Dabei ist zu be-rücksichtigen, dass G. D. nach den Angaben des Zeugen J. bereits zuvor während der Arbeit
den ungesicherten Dachbereich hatte betreten müssen. Dass er dies auch wäh-rend der Arbeitsunterbrechung getan
hat, stellt dann kein so sorgloses und unvernünfti-ges Verhalten dar, dass dadurch der Versicherungsschutz entfällt.
G. D. hat somit am 15.7.1999 einen Arbeitsunfall erlitten. Nach den vorliegenden medi-zinischen Unterlagen besteht
kein vernünftiger Zweifel daran, dass er an den Folgen des Arbeitsunfalles gestorben ist, weshalb das angefochtene
Urteil und die Bescheide der Beklagten aufzuheben waren und festzustellen war, dass der Tod des G. D. Folge eines
Arbeitsunfalles ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revisionszulassung beruht auf § 160 Abs. 2 SGG.