Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25.01.2005

LSG Bwb: bemessung der beiträge, beitragssatz, krankenversicherung, rentner, krankenkasse, belastung, rechtsmittelbelehrung, leistungsfähigkeit, beitragsbemessung, einverständnis

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 25.01.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Mannheim S 5 KR 1580/04
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 4452/04
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Juli 2004 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob von den Versorgungsbezügen (Zusatzrente der Versorgungsanstalt des
Bundes und der Länder - VBL-Rente -) des als Beziehers einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der
Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtkrankenversicherten Klägers weiterhin nur der halbe Beitragssatz zu
entrichten ist.
Mit Bescheid vom 21. April 2004 verpflichtete die Beklagte den 1941 geborenen Kläger, aus seinen Bezügen seiner
VBL-Rente ab 01.01.2004 Krankenversicherungsbeiträge nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz zu entrichten.
Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass der 1982 eingeführte halbe Beitragssatz
auf Versorgungsbezüge auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückgehe, diese Leistungen nicht höher zu
belasten, als die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung. Insofern sehe er sich durch die Anhebung des
Beitragssatzes in seinen Rechten aus den allgemeinen Gleichheitssatz verletzt. Die Beitragserhöhung bedeute für ihn
eine unzumutbare Belastung und Härte, zumal sich durch die Auswirkungen der Gesundheitsreform und der
Rentenkürzungen sowie Nullrunden ohnehin sein Ruhestandseinkommen erheblich reduziert habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück,
aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 248 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gelte bei
Versicherungspflicht für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen der jeweils am 01.07. geltende
allgemeine Beitragssatz der Krankenkasse. Deswegen bestünde keine Möglichkeit, die von der Verwaltung getroffene
Entscheidung abzuändern.
Mit seiner dagegen beim Sozialgericht M. (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, der Gesetzgeber habe
mit der Regelung des § 248 Satz 1 SGB V die Grenze seiner Gestaltungsfreiheit überschritten, weil er in unzulässiger
Weise unter Verstoß gegen Art. 14 Grundgesetz (GG) in den sozialrechtlichen Besitzstand der VBL-Rente eingreife
und ihn im Gegensatz zu den Rentnern in der gesetzlichen Rentenversicherung hinsichtlich seiner
Versorgungsbezüge in gleichheitswidriger Weise mit dem vollen Beitragssatz belaste.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. Juli 2004, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 15. Juli 2004, wies das SG
die Klage mit der Begründung ab, die angegriffenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig, denn nach § 248 Satz
1 SGB V gelte bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen der jeweils am
1. Juni geltende allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr. Diese zum 01.01.2004
getroffene Neuregelung verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht. In den Eigentumsschutz für die VBL-Rente
könne schon deswegen nicht eingegriffen werden, weil die Höhe dieser Rente nicht durch einen gesetzgeberischen
Eingriff beeinträchtigt werde, sondern die Rente lediglich als erhaltene Einnahme zu Beiträgen für die
Pflichtkrankenversicherung herangezogen werde. Die Belastung der Versorgungsbezüge sei auch mit dem
Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG) vereinbar, denn die Beitragsbemessung im
Sozialversicherungsrecht richte sich nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit des Versicherten. Deswegen habe die
gesetzgeberische Neuregelung auch die bisherige Ungleichheit, dass Krankenkassen bei versicherungspflichtigen
Mitgliedern aus deren Versorgungsbezügen lediglich Beiträge nach dem halben Beitragssatz erhielten, wohingegen
ansonsten die versicherungspflichtigen Einkünfte grundsätzlich dem vollen Beitragssatz unterlägen, beseitigt. Eine
besondere Betroffenheit der Versorgungsempfänger bestehe lediglich darin, dass diese nach § 150 Abs. 1 Nr. 1 SGB
V aus ihren Versorgungsbezügen den Beitrag alleine zu tragen hätten, wohingegen bei Renten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung der Versicherungspflichtige und der Träger der Rentenversicherung den Beitrag je zur Hälfte
trügen (§ 249a SGB V). Darin liege jedoch ebenfalls keine sachwidrige Ungleichbehandlung, da die Leistungsfähigkeit
des Versorgungssystems der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder im Hinblick auf die auszahlbaren
Rentenbezüge - im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung - nicht schon vorweg dadurch beeinträchtigt sei,
dass das Versorgungssystem außer dem Beitragsaufkommen selbst die Hälfte der Beitragslast zur
Krankenversicherung zu tragen habe. Dem Gerichtsbescheid ist die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, er könne mit der
Berufung nicht angefochten werden.
Der Kläger-Vertreter hat hiergegen zunächst am 19. Juli 2004 beim SG Beschwerde gegen die Nichtzulassung der
Berufung eingelegt, diese nach dem gerichtlichen Hinweis vom 29. September 2004 zurückgenommen (L 11 KR
3263/04 NZB) und am 5. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung macht er geltend, die Vorschrift sei
verfassungswidrig, so dass es ihm vorliegend darum gehe, den Rechtsstreit dem Verfassungsgericht vorlegen zu
können.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 8. Juli 2004 sowie den Bescheid vom 21. April 2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, lediglich den halben
Beitragssatz bei der Bemessung des Beitrags zur Krankenversicherung in Abzug zu bringen, hilfsweise das Verfahren
gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu
einzuholen, ob § 248 Satz 1 SGB V verfassungsgemäß ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Beitragserhebung entsprechend den gesetzlichen Regelungen des § 248 SGB V
erfolgt sei und dies auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, da der Gesetzgeber mit der Neuregelung der
Forderung des Verfassungsgerichts zur Gleichbehandlung der Versicherten bei der Beitragserhebung aus
Betriebsrenten nachgekommen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der
Senat im Einverständnis mit den Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist
zulässig, da das SG irrtümlich und mit einer falschen Rechtsmittelbelehrung die Zulassung der Berufung abgelehnt
hat, obwohl die Rechtssache wiederkehrende Leistungen für mehr als 1 Jahr, nämlich laufende Beiträge (Meyer-
Ladewig, Kommentar zum SGG, § 144 RdNr. 23) betrifft. Aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung gilt nach §
66 Abs. 2 SGG auch die Jahresfrist für die Einlegung der Berufung, so dass die Berufungsfrist vorliegend eingehalten
wurde.
Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung
abgewiesen, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt. Der
angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai
2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass
von seinen Versorgungsbezügen auch nach dem 01.01.2004 nur der halbe Beitragssatz bei der Bemessung des
Beitrages zur Krankenversicherung in Abzug zu bringen ist.
Dies folgt aus § 248 Satz 1 SGB V, wonach bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus
Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen der jeweils am 1. Juli geltende allgemeine Beitragssatz ihrer
Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr gilt. Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte dieses Gesetz
ab 01.01.2004 lediglich umgesetzt.
Streitig ist daher nur, ob § 248 SGB V gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstößt. Der
Gleichheitssatz ist nämlich nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen
Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (sog. neue Formel seit BVerfGE
79, 87, 98). Sachlicher Grund für die Aufgabe der Halbierung des Beitragssatzes durch das GMG war, Rentnern, die
Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhalten, in angemessenem Umfang an der
Finanzierung der Leistungsaufwendungen für sie zu beteiligen (BT-Drucks 15/1525 S. 140). Denn die
Beitragszahlungen der Rentner haben noch 1973 zu gut 70% deren Leistungsaufwendungen abgedeckt, während sie
mittlerweile nur noch ca. 43% decken. Es ist daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den
Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen.
Die Änderung geht weiterhin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000 (Az.: 1 BvL
16/96, 1 BvL 17/96, 1 BvL 18/96, 1 BvL 19/96, 1 BvL 20/96 und 1 BvL 18/97) zurück (SozR 3-2500 § 5 Nr. 42), wo
anlässlich der verfassungsrechtlichen Beanstandung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 1 SGB V, d.h. der Regelung des
Zugangs zur Krankenversicherung der Rentner, auch § 248 SGB V a.F. beanstandet wurde, nämlich die nicht
begründete unterschiedliche beitragsrechtliche Belastung der Versorgungsbezüge. Denn § 248 SGB V a.F. hatte zur
Folge, dass nur die freiwillig Versicherten aus diesen beitragspflichtigen Einkommen einen vollen Beitrag leisten
mussten, welches unter Gleichbehandlungsgründen nicht unproblematisch war (so auch Peters, Kasseler Kommentar,
§ 248 SGB V RdNr. 8).
Somit besteht zum einen ein sachlicher Grund für die Heranziehung der Versorgungsbezüge in vollem Umfang für die
Beitragsbemessung, zum anderen beseitigt die Neuregelung gerade die bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden
Ungleichheiten, nämlich, dass die Krankenkasse nur bei versicherungspflichtigen Mitgliedern und nur auf deren
Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen lediglich einen Beitrag nach dem halben Beitragssatz erhebt, während sie
sonst einen Beitrag nach dem vollen Beitragssatz berechnete. D.h. die schwer verständliche Priviligierung der
versicherungspflichtigen Rentner gegenüber den freiwillig versicherten Rentnern wurde beseitigt, die seit je her einen
Beitrag nach dem vollen Beitragssatz zu zahlen hatten. Schließlich wurde auch die Inkongurenz zur sozialen
Pflegeversicherung behoben, wo auch bei versicherungspflichtigen Mitgliedern schon bisher der volle Beitragssatz
anzuwenden war (BSG SozR 3-3300 § 55 Nr. 3).
Die Neuregelung führt zwar dazu, dass die versicherungspflichtigen Mitglieder den Beitrag nach dem vollen
Beitragssatz nach § 150 Abs. 1 Nr. 1 SGB V alleine tragen müssen, wohin gegen bei Renten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung der Versicherungspflichtige und der Träger der Rentenversicherung den Beitrag je zur Hälfte
tragen (§ 249a SGB V). Dies ist aber darin sachlich begründet, dass die gesetzliche Rentenversicherung aus ihrem
Beitragsaufkommen selbst die Hälfte der Beitragslast zur Krankenversicherung zu tragen hat. Des weiteren kann
bemängelt werden, dass ein Unterschied zu weiterhin nicht berücksichtigten anderen Einkommensarten (Miet- und
Zinseinnahmen) besteht. Diese Ungleichbehandlung findet aber ihre Rechtfertigung darin, dass die Heranziehung
dieser anderen Einnahmen auf erhebliche praktische Schwierigkeiten stoßen würde (so auch Peters NZS 2002, 393
ff.). Somit führen auch die beiden zuletzt genannten Gesichtspunkte nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 GG, da sie
jeweils sachlich begründet sind und damit die konkrete gesetzgeberische Ausgestaltung zwar zu (neuen)
Ungleichheiten führt, diese aber im Ergebnis nicht willkürlicher Natur sind.
Der Senat hat daher die Vorschrift für verfassungsgemäß erachtet und deswegen von einer Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht abgesehen.
Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach der Neuregelung des § 248 Satz
1 SGB V durch Art. 1 Nr. 148 GMG vom 14.11.2003, BGBl. I, 2190 zugelassen.