Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25.02.2011

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Landessozialgericht Baden-Württemberg
Beschluss vom 25.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Karlsruhe S 17 AS 5531/10 ER
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 13 AS 628/11 ER-B
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Januar 2011 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 SGG), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit insgesamt
zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung zu Recht abgelehnt. Die Antragsgegnerin war im Wege einer einstweiligen Anordnung nicht vorläufig zu
verpflichten, den Antragstellern vom 1. Januar 2011 bis 31. Mai 2011 über die mit Bescheid vom 9. Dezember 2010
bewilligten Leistungen nach dem SGB II hinaus weitere 206,38 EUR monatlich zu gewähren, denn die Antragsteller
haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 S. 2 SGG. Der Erlass
einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86b Abs. 2
S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die
Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann auch bei
Leistungen nach dem SGB II in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde
Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin
unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige
Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Der
Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert eine
summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung
vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der
Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom
12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen
sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die
Beschwerde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. auch dazu Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O.
m.w.N.).
Die Antragsteller konnten hiernach einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen. Der -nach telefonischer
Auskunft der Antragsgegnerin- mit Widerspruch angefochtene Bescheid vom 9. Dezember 2010 berücksichtigt
zutreffend leistungsmindernd 206,38 EUR Einkommen monatlich von Januar bis Mai 2011. Nicht Streitgegenstand
des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind die Bescheide der Antragsgegnerin vom 31. Mai 2010 und vom 15.
Oktober 2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. und 9. Dezember 2010, die den Zeitraum vor dem 1.
Januar 2011 betreffen; die Antragsteller begehren hier nur weitere Leistungen ab 1. Januar 2011 (s. Schriftsatz vom
28. Dezember 2010). Da des Weiteren Leistungen nur bis zum Auslaufen des "Verrechnungszeitraumes" begehrt
werden, die Antragsgegnerin eine Einkommensanrechnung nur bis einschließlich Mai 2011 durchgeführt hat, ist der
Streitgegenstand auf die Zeit bis 31. Mai 2011 begrenzt.
Das SG hat zutreffend dargestellt, dass die am 25. August 2010 auf das Konto der Antragstellerin Ziff. 2
eingegangene Rentennachzahlung in Höhe von 2063,83 EUR als Einkommen -verteilt auf 10 Monate ab Eingang-
leistungsmindernd für die Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen ist; der Senat verweist insoweit auf die Gründe der
angefochtenen Entscheidung des SG (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Die Beschwerdebegründung, die Einzahlung auf das -allerdings nur in Höhe von 1592,38 EUR (s. Kontoauszug Nr.
36/2010 Blatt 1)- im Soll stehende Konto sei nicht greifbar gewesen, da damit ein Kredit zurückgeführt worden sei,
das SG verlange damit de facto und zu Unrecht, dass das Konto durch einen Kredit wieder belastet werde, greift nicht
durch. Das BSG hat bereits am 30. Juli 2008, B 14 AS 26/07 R, veröffentlicht in juris, zutreffend entschieden, dass
die Berücksichtigung des Einkommens auch davon unberührt bleibt, dass es der Kläger dazu eingesetzt hat, einen
vorher aufgebauten Überziehungskredit -nichts Anderes kann gelten für eine geduldete Überziehung (§ 505 BGB)-
zurückzuführen (a.a.O. Rdnr. 25 m.w.N.). Denn wie bei der Sozialhilfe ist bei Grundsicherungsleistungen einer
aktuellen Notlage das aktuelle Einkommen gegenüberzustellen; der Einsatz von Einkommen zur Schuldentilgung darf
sich nicht zum Vorteil des Hilfebedürftigen auswirken. Insoweit handelt es sich auch bei der Schuldentilgung um eine
bestimmte Form der Einkommensverwendung (BSG a.a.O.). Es verstieße auch gegen Art. 3 GG, wenn ein
Hilfebedürftiger eine Berücksichtigung von Einkommen dadurch verhindern könnte, dass der Schuldner angewiesen
wird, auf ein nicht gedecktes Konto (Schuldsaldo bzw. Debet) zu zahlen, während es bei allen anderen
Hilfebedürftigen angerechnet wird. Der Hilfebedürftige ist zudem auch nicht zur Schuldentilgung gezwungen. Er kann
dem Schuldner die Zahlung auf ein -gedecktes- bestimmtes Konto vorgeben (vgl. Palandt, BGB, 70. Auflage, § 362
BGB Rdnr. 9), dem Rentenversicherungsträger ein Konto einer Vertrauensperson benennen (s. hierzu § 9 Abs. 1 Satz
3 RentSV) oder Zahlung über den Postgirodienst verlangen (vgl. Kasseler Kommentar § 119 SGB VI Rdnr. 2, § 9 Abs.
1 Satz 4 RentSV), so dass er auf den Geldwert zugreifen kann, wenn er will. Selbst dann, wenn der Hilfebedürftige
eine Überweisung auf ein nicht gedecktes Konto veranlasst, ist die Aufrechnung durch die Bank 14 Tage
ausgeschlossen (§ 55 Abs.1 SGB I i.V.m. § 394 BGB; vgl. Kasseler Kommentar § 55 SGB I Rdnr. 10 m.w.N.),
weshalb ein Zugriff auf eingegangene Sozialleistungen immer möglich ist. Der Auffassung, wonach es u.U. darauf
ankommt, ob eine erneute Überziehung des Kontos möglich ist (Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 2.
Auflage, § 82 SGB XII Rdnr. 14 m.w.N.), kann nach alledem nicht gefolgt werden.
Die mit der Beschwerde vorgelegte Bestätigung der Spar- und Kreditbank B. eG vom 18. Januar 2011 ändert an
diesem Ergebnis nichts. Die aufgrund des Telefonates mit dem Bevollmächtigten der Antragsteller abgegebene
Bestätigung der Bank ist unklar und auch nicht glaubhaft. Hiernach sei eine Vereinbarung getroffen worden, nach der
Überziehungen nur geduldet worden seien, da vereinbart war, dass das Konto mit "dem erwarteten Geldbetrag" wieder
ausgeglichen wird; anschließend seien keine Überziehungen mehr geduldet worden. Wie sich aus dem Kontoauszug
Nr. 30/2010 ergibt, wurde die erste Überziehung in Höhe von 775,61 EUR von der Bank schon am 1. Juli 2010
geduldet. Der Rente bewilligende Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg erging aber erst
am 2. Juli 2010, so dass eine solche Vereinbarung unwahrscheinlich ist, zumal nicht im Geringsten abzusehen war,
ob überhaupt etwas aus dem aufgelaufenen Betrag -die Rente wurde rückwirkend ab Oktober 2009 gewährt- an die
Versicherte ausbezahlt wird. Welcher Betrag aufgelaufen ist, ist erst mit Rentenbescheid vom 2. Juli 2010 berechnet
worden, nämlich auf 8662,10 EUR. Erst mit Bescheid vom 8. Juli 2010 hat die Bundesagentur für Arbeit ihren
Erstattungsbetrag mit 6612,90 EUR beziffert. Dass die Beklagte es gänzlich versäumt hat, einen Erstattungsanspruch
geltend zu machen, war schließlich ebenfalls kaum vorauszusehen. Dementsprechend lässt auch die angebliche
Vereinbarung offen, welcher Geldbetrag denn von der Bank erwartet wurde. Schließlich bleibt völlig im Dunkeln, in
welcher Höhe eine Überziehung geduldet werde. Ein gegenseitiger Vertrag mit rechtlich verbindlichen Regelungen über
Leistung und Gegenleistung, die miteinander verknüpft sind (synallagmatisch), ist damit auszuschließen. Gegen eine
solche Vereinbarung spricht schließlich auch, dass noch nicht einmal behauptet wird, dass die Vereinbarung
schriftlich erfolgt ist. Gemäß §§ 505, 492 BGB ist aber für die geduldete Überziehung Schriftform erforderlich.
Schließlich wäre selbst eine solche schriftliche Vereinbarung nach § 55 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 394 BGB unwirksam
(s.o.). Nach alledem ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin Ziff. 2 tatsächlich keinen Zugriff auf
das auf ihr Konto eingegangene Geld in Höhe von 2063,83 EUR hatte, zumal sie auch nicht vorgetragen hat, dass sie
einen -erfolglosen- Versuch unternommen hat, dieses abzuheben.
Damit besteht kein Anordnungsanspruch.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, da das Verfahren ohne Erfolg geblieben ist und die Antragsgegnerin
keinen berechtigten Anlass zu dessen Einleitung gegeben hat (§ 193 SGG analog).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).