Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.10.2008

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LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.10.2008, L 3 AS 2648/08
Erhöhung der in Nr 2400 VV RVG bestimmten Kappungsgrenze
Leitsätze
Die in Nr. 2400 VV RVG bestimmte Kappungsgrenze erhöht sich bei der Vertretung mehrerer Auftraggeber nur dann, wenn die anwaltliche Tätigkeit
dadurch umfangreich oder schwierig wird. Von Nr. 1008 VV RVG bleibt die Kappungsgrenze unberührt.
Tenor
Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für ein sogenanntes isoliertes Vorverfahren unter Berücksichtigung der
Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 der Anlage 1 Vergütungsverzeichnis zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte (VV RVG) zu erstatten hat.
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Die Kläger beziehen seit Januar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II).
3
Am 10.08.2006 beantragten die Kläger die Kostenzusage für eine andere Wohnung, worauf ihnen die Beklagte mit Bescheid vom 14.08.2006
eine Kostenzusage für eine Wohnung mit einer Kaltmiete bis zu einer Angemessenheitsgrenze von maximal 252,90 EUR erteilte.
4
Am 28.08.2006 legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dagegen Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, der Zusicherung nach §
22 Abs. 2 SGB II sei die Angemessenheitsgrenze für einen Zweipersonenhaushalt zugrunde zu legen.
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Mit Bescheid vom 11.09.2006 erteilte die Beklagte hierauf eine Kostenzusage für eine Wohnung mit einer Kaltmiete bis maximal 337,20 EUR.
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Der Prozessbevollmächtigte der Kläger teilte der Beklagten hierauf mit, dass sich damit der Widerspruch erledigt habe und machte gleichzeitig
mit Kostennote vom 26.09.2006 die Übernahme von Anwaltskosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Höhe von insgesamt
385,12 EUR geltend. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
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Verfahrensgebühr gemäß § 13 RVG, Nr. 2400 VV RVG
240,-- EUR
30 % Erhöhungsgebühr gemäß § 7 RVG, Nr. 1008 VV RVG
72,-- EUR
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG
20,-- EUR
Zwischensumme
332,-- EUR
16 % MWSt. gemäß Nr. 7008 VV RVG
53,12 EUR
Gesamtsumme
385,12 EUR
8
Mit Bescheid vom 11.06.2007 setzte die Beklagte die zu erstattenden Kosten wie folgt fest:
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Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG 240,-- EUR
Auslagen Nr. 7002 VV RVG
20,-- EUR
MWSt. 19 %
49,40 EUR
Gesamtsumme
309,40 EUR
10 Zur Begründung führte sie aus, eine Geschäftsgebühr von 240,- EUR sei nach dem Willen des Gesetzgebers die nominale Höchstgrenze der
Geschäftsgebühr in sozialgerichtlichen Verfahren mit durchschnittlichem Aufwand und Schwierigkeitsgrad. Dies gelte unabhängig davon, ob
Mindest- und Höchstbetrag wegen mehrerer Auftraggeber erhöht wären. Eine andere Deutung ergebe sich nur dann, wenn weitere Auftraggeber
eine gesonderte Gebühr auslösen würden. Ausdrücklich solle aber die Gebühr (ob nach 1008 erhöht oder nicht) nach Nr. 2400 VV RVG nur
einmal entstehen.
11 Den hiergegen mit der Begründung eingelegten Widerspruch, Inhaber von Ansprüchen nach dem SGB II seien die Personen und nicht die
Bedarfsgemeinschaft, weshalb ein Anspruch auf Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG bestehe, wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 03.07.2007 zurück. Es werde nicht bestritten, dass die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG hier zum Tragen
komme, die Begrenzung auf 240,-- EUR in durchschnittlichen Verfahren betreffe jedoch die Gesamtsumme der Geschäftsgebühr unter
Einbeziehung der Erhöhungsgebühr und nicht nur die Regelgebühr nach Nr. 2400 VV RVG.
12 Dagegen haben die Kläger am 10.07.2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und weiter die Ansicht vertreten, dass die erhöhte
Gebühr nicht bei einem Betrag von 240,-- EUR zu kappen sei. Eine Gebühr von mehr als 240,-- EUR könne bei mehreren Auftraggebern nicht
nur dann gefordert werden, wenn das Verfahren umfangreich oder schwierig sei.
13 Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, dass in Nr. 1008 VV festgelegt sei, dass sich bei Betragsrahmengebühren der Mindest- und
Höchstbetrag um 30 % erhöhe. Der Gesetzgeber habe nicht die Formulierung gewählt, dass sich die auf Grund des Rahmens festgelegte Gebühr
- z.B. die Mittelgebühr - um 0,3 erhöhe. Berücksichtige man dies bei der Festlegung der Rahmengebühr im Widerspruchsverfahren, so richte sich
der Betragsrahmen nach Nr. 2400 VV (40,-- EUR bis 520,-- EUR). Bei einem weiteren Auftraggeber würde sich der Beitragsrahmen nach oben
verschieben, so dass als Rahmen der Bereich zwischen 52,-- EUR bis 676,-- EUR maßgebend wäre. In Nr. 2400 VV sei dann weiter geregelt,
dass eine höhere Gebühr als 240,-- EUR nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dies heiße,
auch bei mehreren Auftraggebern bleibe es auf Grund der Systematik bei 240,-- EUR. Dies sei auch mit dem Sinn und Zweck des materiellen
Gesetzes vereinbar. Denn gemäß § 38 SGB II werde die Bedarfsgemeinschaft im Verwaltungsverfahren als Einheit angesehen. Diese der
Verfahrensökonomie dienende Vereinfachung wirke sich somit konsequenterweise auch im Gebührenrecht im Verwaltungsverfahren aus.
14 Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.04.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich vorliegend der Mindest- und
Höchstbetrag der Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG nach Nr. 1008 VV RVG um 30 % auf 52,-- EUR bzw. 676,-- EUR erhöhe, da es sich bei den mit
dem Widerspruch verfolgten Ansprüchen um Individualansprüche der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, jedoch keine Ansprüche der
Bedarfsgemeinschaft als solcher handele. Aus diesem erhöhten Rahmen sei bei Betragsrahmengebühren die konkrete Gebühr zu bestimmen.
Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, dass sich auch die in Nr. 2400 VV RVG vorgesehene Kappungsgrenze von 240,-- EUR entsprechend
nach Nr. 1008 VV RVG erhöhe, denn Nr. 1008 VV RVG erhöhe nach seinem Wortlaut nur den Mindest- und Höchstbetrag der
Betragsrahmengebühr, nicht die festzusetzende Gebühr selbst oder eine in dem Gebührentatbestand bestimmte Kappungsgrenze. Dies könne
auch aus der Systematik des RVG geschlossen werden. Nr. 1008 VV RVG treffe eine allgemeine Regelung für die in den VV RVG enthaltenen
Verfahrens- und Geschäftsgebühren. Die als Geschäftsgebühren bezeichneten Gebühren Nr. 2300 ff. und Nr. 2411 f. RVG enthielten jeweils eine
Kappungsgrenze. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung in Nr. 1008 VV RVG für den Fall der Kappungsgrenze bei Nr. 2400 VV RVG lege
damit den Schluss nahe, dass diese Kappungsgrenze im Falle der Nr. 1008 VV RVG unberührt bleiben solle. Dies folge auch aus der Erwägung,
dass die Gebühr innerhalb des gemäß Nr. 1008 VV RVG erhöhten Rahmens nach § 14 Abs. 1 RVG unter Berücksichtigung der Umstände des
Einzelfalles, insbesondere der dort ausdrücklich genannten Aspekte, zu bestimmen sei; hierzu gehörten auch Umfang und Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit. Die Kappungsgrenze könne nach Ermittlung der Gebühr nur dann überschritten werden, wenn zwei dieser Aspekte,
nämlich entweder Umfang oder Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, über dem Durchschnitt lägen. Im Normalfall bleibe es bei der
Kappungsgrenze. Das SG hat die Berufung zugelassen.
15 Gegen das am 05.05.2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 04.06.2008 eingelegte Berufung der Kläger. Sie sind weiter der Auffassung, dass
sich, wenn ein Rechtsanwalt mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft vertrete, nicht nur der Betragsrahmen der Gebühr Nr. 2400 VV RVG,
sondern auch die Kappungsgrenze um 30 % für jeden weiteren Auftraggeber erhöhe. Dies ergebe sich aus der Systematik des RVG, aus der nur
geschlossen werden könne, dass zunächst die Geschäftsgebühr nach dem spezielleren Teil des RVG zu bestimmen sei und im zweiten Schritt -
zusätzlich zur so ermittelten Gebühr - die Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG zu ermitteln und zu bestimmen sei. Nichts anderes ergebe
sich auch aus den Gründen der Einführung der sogenannten Schwellen- oder Kappungsgebühr. Grund hierfür sei gewesen, dass anders als
nach der alten Regelung in der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung für alle in einer Angelegenheit anfallenden Tätigkeiten die Gebühr Nr.
2400 VV RVG (jetzt 2300 VV RVG) anfallen solle. Die frühere Differenzierung in Verfahrens- und Besprechungsgebühr sei damit aufgegeben
worden. Nr. 1008 VV RVG stehe in einem sachlichen Zusammenhang mit § 7 RVG. Der Mehraufwand, der aus einer Auftraggebermehrheit
resultiere, solle dazu führen, dass der Anwalt gegen mehrere Auftraggeber nicht einen separaten Gebührenanspruch erhalte, sondern dass eine
angemessene Erhöhung der einmal anfallenden Gebühr eintrete. Das RVG kenne durchgängig einen speziellen Erhöhungstatbestand, nämlich
das Tätigwerden für Auftraggebermehrheiten. Entscheidend für die Bestimmung der Gebühr seien die in § 14 RVG genannten Kriterien und -
daneben - die Zahl der Auftraggeber. Nr. 1008 VV RVG könne damit nur als lex specialis zur Anmerkung in Nr. 2400 VV RVG gelesen werden. Im
Übrigen handele es sich bei Fällen, die das SGB II beträfen, bei einer Auftraggebermehrheit regelmäßig um eine umfangreiche oder schwierige
Tätigkeit. Nach Auffassung des SG müsste also in Fällen mit Auftraggebermehrheit, die das SGB II beträfen, im Regelfall (und nicht im
Ausnahmefall) die Begrenzung auf die Schwellengebühr wegfallen.
16 Die Kläger beantragen,
17
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24. April 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 11. Juni
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juli 2007 zu verurteilen, ihnen über die bereits festgesetzten 309,40 EUR hinaus
einen weiteren Betrag in Höhe von 75,72 EUR zu erstatten.
18 Die Beklagte beantragt,
19
die Berufung zurückzuweisen.
20 Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
21 Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz - SGG) erklärt.
22 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23 Die vom SG zugelassene und nach § 144 Abs. 4 SGG nicht ausgeschlossene Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne
mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
24 Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt. Die Kläger
haben keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten für das Vorverfahren unter Berücksichtigung einer Erhöhungsgebühr. Der Senat schließt sich
nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage den überzeugenden Ausführungen des SG im Urteil vom 24.04.2008 an und nimmt zur
Vermeidung unnötiger Wiederholungen hierauf gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug. Auch nach Überzeugung des Senats erhöht sich vorliegend der
Mindest- und Höchstbetrag der Gebühr Nr. 2400 VV RVG, weil es sich um zwei Auftraggeber handelt. In diesen Fällen ist nach Nr. 1008 VV RVG
die Gebühr um 0,3 zu erhöhen. Dies bedeutet, dass sich die Mindestgebühr von 40,-- EUR auf 52,-- EUR und die Höchstgebühr von 520,-- EUR
auf 676,-- EUR erhöht. Erhöht wird nach Nr. 1008 VV RVG nur die Geschäftsgebühr, nicht jedoch die in Nr. 2400 VV RVG darüber hinaus
festgelegte Kappungsgrenze von 240,-- EUR. Nr. 2400 VV RVG ist insoweit lex specialis. Generell gilt die Kappungsgrenze. Eine Gebühr von
mehr als 240,-- EUR kann nach dem eindeutigen Wortlaut nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.
25 Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren auf Folgendes hinzuweisen: Nr. 1008 VV RVG ist kein lex
specialis für die in Nr. 2400 VV RVG festgelegte Kappungsgrenze. Vielmehr ist es, wie insbesondere die Stellung der beiden Gebührennummern
in der Verwaltungsvorschrift zeigt, gerade umgekehrt. Nr. 1008 VV RVG ist vorangestellt. Nr. 1008 VV RVG steht gewissermaßen im allgemeinen
Teil des VV RVG. Die Nummer betrifft die allgemeinen Gebühren (Überschrift: Teil 1 Allgemeine Gebühren). Nr. 2400 VV RVG befindet sich
demgegenüber in Teil 2 der VV RVG und befasst sich nach den Überschriften mit außergerichtlichen Tätigkeiten einschließlich der Vertretung im
Verwaltungsverfahren, speziell Vertretung in bestimmten sozialrechtlichen Angelegenheiten. Aus dieser Stellung in den VV RVG ist zu folgern,
dass Nr. 1008 die allgemeine Regel und Nr. 2400 VV RVG eine Sonderregel darstellt. Etwas anderes ist auch nicht daraus zu folgern, dass es in
der Vorbemerkung 1 zu Teil 1 Allgemeine Gebühren heißt: Die Gebühren dieses Teils entstehen neben den in anderen Teilen bestimmten
Gebühren. Daraus ist nur zu schließen, dass Gebühren zusätzlich entstehen, mithin weitere Gebührentatbestände anfallen. Dies bedeutet jedoch
nicht, dass sich eine Gebühr des allgemeinen Teils auf eine im besonderen Teil erwähnte Kappungsgrenze auswirkt. Dies wäre keine
zusätzliche Gebühr, sondern die Erhöhung der eigentlichen Gebühr. Auch die Gründe für die Einführung der Kappungsgrenze führen zu keinem
anderen Ergebnis. Es besteht - wie die Kläger zu Recht ausführen - kein Zusammenhang zwischen der Kappungsgrenze und dem erhöhten
Aufwand des Rechtsanwalts durch die Vertretung mehrerer Auftraggeber. Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass damit bei mehreren
Auftraggebern generell die Gebühr zu erhöhen ist. Die Vertretung mehrerer Auftraggeber vermag sich im Zusammenhang mit der
Kappungsgrenze nur dann auszuwirken, wenn dies dazu führt, dass die Tätigkeit umfangreich oder schwierig wird. Dies ist in jedem Einzelfall zu
prüfen, hier jedoch nicht zu bejahen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern
vom 29.11.2007 - L 8 AS 39/06 - (in www.juris.de). Zwar wurde dort die Auffassung vertreten, dass Nr. 1008 VV RVG auch die Kappungsgrenze
nach Nr. 2400 VV RVG erhöht. Begründet wurde dies indessen nicht. Es heißt im dortigen Urteil nur lapidar, dass auf Grund der Ziffer 1008 VV
RVG sich die Geschäftsgebühr für jede weitere Person um 0,3 erhöhe.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
27 Die Revision war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 SGG).