Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20.04.2010

LSG Baden-Württemberg: festsetzung der beiträge, private krankenversicherung, erlass, tarif, satzung, anhörung, verwaltungsakt, beitragsfestsetzung, krankenkasse, einkünfte

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.4.2010, L 11 KR 5160/08
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - rückwirkende Neufestsetzung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung - Änderung der
Verhältnisse - Abänderung
Leitsätze
Werden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung für einen Zeitraum neu festgesetzt, der bereits von einem früheren Beitragsbescheid erfasst
wird, erfordert dies eine Abänderung des früheren Beitragsbescheides.
Von einer (ggf konkludenten) Abänderung des noch geltenden Beitragsbescheides kann nicht ausgegangen werden, wenn die Krankenkasse eine
Neufestsetzung vorgenommen hat, ohne frühere Bescheide zu erwähnen oder wenigstens als Rechtsgrundlage für die Neufestsetzung (auch) auf §
48 SGB X hinzuweisen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 04. September 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 24.
November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 1.436,10 EUR zu
erstatten.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung im Zeitraum vom 01. Januar bis 30.
November 2005 streitig.
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Die 1976 geborene Klägerin, die über kein Einkommen verfügt und Mutter zweier im Jahr 2001 und 2005 geborenen Kinder ist, war bis 31.
Januar 2003 bei der Beklagten über ihren Ehemann familienversichert. Nachdem ihr Ehemann ab dem 01. Februar 2003 als Grenzgänger in der
Schweiz eine abhängige versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatte und bei der H. V. AG nach schweizerischem Recht
gesetzlich krankenversichert war, endete die Familien-versicherung zum 31. Januar 2003. Auf den Antrag der Klägerin vom 30. Januar 2003
stellte die Beklagte mit Bescheid vom 05. Februar 2003 die Mitgliedschaft der Klägerin als freiwillig Versicherte ab dem 01. Februar 2003 fest.
Hinsichtlich der Beiträge enthielt der Bescheid folgenden Verfügungssatz:
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„Ihr Beitrag beläuft sich auf monatlich 121,38 EUR und setzt sich wie folgt zusammen:
- Krankenversicherung 107,89 EUR
- Pflegeversicherung 13,49 EUR
Fälligkeitstermin ist dabei jeweils der 15. des Folgemonats. Daher werden wir erstmals im März vom uns mitgeteilten Konto abbuchen.“
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Der Bescheid enthielt hinsichtlich der Beitragsfestsetzung keine weitergehenden ausdrücklichen Regelungen. Erwähnt werden jedoch nicht
näher bezeichnete „Anlagen“, die sich nicht in den Verwaltungsakten der Beklagten befinden.
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Im „Fragebogen zum Einkommen“ gab die Klägerin am 12. Oktober 2004 gegenüber der Beklagten an, ihr Ehemann sei gesetzlich in der
Schweiz bei der Krankenkasse „H.“ versichert. Ihr Lebensunterhalt werde durch den Verdienst ihres Ehemannes sichergestellt. Der Fragebogen
enthielt zudem folgenden Passus: „Über Veränderungen werde ich die IKK unverzüglich informieren. Mir ist bekannt, dass Beiträge im
Folgemonat, nachdem der Steuerbescheid ausgestellt wurde, neu festgesetzt werden.“ Auf Nachfrage der Beklagten legte die Klägerin am 24.
November 2004 die Prämienübersicht der H. V. AG vom Oktober 2004 vor, wonach der Ehemann der Klägerin nach dem schweizerischen
Krankenversicherungsgesetz (KVG) versichert sei und eine Zusatzversicherung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abgeschlossen
habe, wobei sich die Prämien ab 01. Januar 2005 auf 342,20 Schweizer Franken beliefen. Mit Schreiben vom 24. November 2004 teilte die
Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass ihr Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung unverändert bleibe. Auch künftig erhalte sie einmal
jährlich eine Einkommensanfrage. Sie werde aber gebeten, unabhängig davon die Beklagte zu informieren, wenn sie eigenes Einkommen
erziele oder falls ihr Ehemann seinen Versicherungsschutz ändere, beispielsweise durch einen Wechsel in eine Privatversicherung.
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Mit Bescheid vom 01. Februar 2005 teilte die Beklagte der Klägerin unter der Überschrift „Ihr Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.
Januar 2005“ mit, dass es zum Jahresbeginn eine gute Nachricht gebe, da sie ihren Beitragssatz gesenkt habe. Ab 01. Januar 2005 beliefen sich
die Beiträge auf insgesamt 120,76 EUR (Krankenversicherung 107,07 EUR, Pflegeversicherung 13,69 EUR). Dieser Betrag werde erstmals im
Februar für Januar 2005 abgebucht. Weitere Erläuterungen enthielt der Bescheid nicht.
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Im Rahmen einer Einkommensabfrage im Hinblick auf die für die beiden Kinder bestehende Familienversicherung gaben die Klägerin und ihr
Ehemann unter dem 15. März 2005 gegenüber der Beklagten an („Fragebogen zur Familienversicherung“), der Ehemann sei bei der Ö. K. S.
(ÖKK) krankenversichert. Weitere Angaben hierzu - etwa zum gewählten Versicherungstarif - machten die Eheleute nicht.
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Im Rahmen der Ermittlungen des Einkommens hinsichtlich der freiwilligen Versicherung der Klägerin gab diese am 06. November 2005
gegenüber der Beklagten an („Fragebogen zum Einkommen“), ihr Ehemann sei bei der ÖKK privat krankenversichert. Sie legte den Bescheid
über Einkommenssteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für das Jahr 2004 vom 07. Oktober 2005 und die Versicherungsbestätigung der
ÖKK vom 19. November 2004 vor, wonach ihr Ehemann ab dem 01. Januar 2005 im Rahmen des Tarifs „GG MONDIAL FLEX“ versichert sei. Das
in der Verwaltungsakte befindliche Schreiben der ÖKK enthält über dem Briefkopf eine Faxzeile, wonach das Schreiben am 07. November 2005
um 13:51 Uhr von der „S. N. W.“ gesandt worden sei.
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Ohne weitere Anhörung setzte die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 2005 den Versicherungsbeitrag der Klägerin neu fest. Im
Verfügungssatz heißt es:
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„... vielen Dank für Ihre Angaben zu Ihren Einkünften - wir haben damit Ihren Beitrag rückwirkend ab 01.01.2005 neu berechnet. Ihr
Ehemann ist privat versichert. Daher wird zur Beitragsbemessung das halbe Einkommen des Ehegatten zugrundegelegt - höchstens
jedoch bis zur halben Beitragsbemessungsgrenze von 1.762,50 EUR.“
11 Der Gesamtbetrag ab Monat Januar 2005 belaufe sich daher auf 264,37 EUR (Krankenversicherung 234,41 EUR, Pflegeversicherung 29,96
EUR). Für den Zeitraum vom 01. Januar bis 31. Dezember 2005 ergebe sich demnach eine Nachberechnung in Höhe von 1.436,10 EUR. Diese
werde zusätzlich zum 15. Dezember 2005 fällig. In der Anlage wurde ein Merkblatt („Hinweise zum Beitragsbescheid“) beigefügt, worin es
hinsichtlich der Neufestsetzung des Beitrags unter anderem heißt:
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„Wir ermitteln Ihren Beitrag auf der Grundlage des jeweiligen Steuerbescheids. Daher ist es wichtig, dass Sie uns Ihren Steuerbescheid
immer sofort schicken. Haben sich Ihre Einkünfte erhöht, gilt der neue Beitrag ab dem Folgemonat, nachdem der Steuerbescheid erstellt
wurde. Geringere Einkünfte dürfen jedoch erst zum Folgemonat nach Einreichung der Unterlagen bei der IKK berücksichtigt werden. Bei
Beginn einer beruflichen Selbständigkeit: Der Beitrag wird zunächst vorbehaltlich festgesetzt und dann rückwirkend anhand des
Steuerbescheids ermittelt.“
13 Mit Ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, aus den Unterlagen sei ersichtlich, dass die Beklagte schon im Februar 2005
darüber unterrichtet worden sei, dass ihr Ehemann bei der ÖKK im MONDIAL-Tarif versichert sei. Dass die Beklagte dies erst im November 2005
festgestellt habe, könne nicht zu ihren Lasten gehen. Sie kündige daher die Kranken- und Pflegeversicherung fristgerecht zum 31. Januar 2006.
Auf einem Schreiben des Ehemannes vom 18. November 2005 hat die Beklagte handschriftlich vermerkt: „Wer hat Fragebogen vom 18.03.05
geprüft und erfasst? Vermögensschaden prüfen/bitte Rü bis 22.11.05“. Die Beklagte bestätigte daraufhin die Kündigung der Mitgliedschaft zum
31. Januar 2006 (Kündigungsbestätigung vom 29. November 2005). Mit Bescheiden vom 21. Dezember 2005 und 18. Januar 2006 machte die
Beklagte Säumniszuschläge in Höhe von 17,-- EUR und 35,50 EUR geltend. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch
bezüglich der Beitragsberechnung ab dem 01. Januar 2005 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2006). Zur Begründung
wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe bis zum 31. Dezember 2004 den Mindestbeitrag zur freiwilligen Versicherung bezahlt.
Nach Eingang der Einkommensanfrage sei der Beitrag rückwirkend zum 01. Januar 2005 zu Recht neu berechnet worden, da der Ehemann seit
diesem Zeitpunkt privat versichert und damit ein Teil seines Einkommens für die Beitragsbemessung heranzuziehen sei. Dies ergebe sich aus §
240 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) iVm § 19 Abs 2 d [gemeint wohl § 11 Abs 2 d] der Satzung der Beklagten. Der
Versicherungswechsel des Ehemannes habe zur Folge, dass rückwirkend eine Beitragskorrektur zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse
vorzunehmen sei.
14 Hiergegen hat die Klägerin am 16. Juni 2006 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, mit der sie zunächst geltend machte, ihr Ehemann
sei seit dem 01. Januar 2005 privat krankenversichert, wobei sie im späteren Verlauf des Verfahrens die Auffassung vertrat, es handle sich um
eine gesetzliche Krankenversicherung bei der ÖKK. Im Rahmen der regelmäßigen Einkommensabfrage habe die Beklagte spätestens im
Februar 2005 Kenntnis von den neuen Einkommensverhältnissen und den neuen Versicherungsdaten ihres Ehemannes erhalten. Die Beklagte
habe danach keinerlei Reaktionen entfaltet. Vielmehr sei ihr mit Bescheid vom 01. Februar 2005 mitgeteilt worden, dass die Beitragssätze
gesenkt würden. Auch habe der Fragebogen vom März 2005 keine Fragen zum Krankenversicherungstarif des Ehepartners enthalten. Zudem
ergebe sich aus dem auf der Prämienübersicht der H. V. AG enthaltenen Eingangsstempel der Beklagten mit Datum vom 24. November 2004,
dass auch die Versicherungsbestätigung der ÖKK vom 19. November 2004 bei der Beklagten am 24. November 2004 eingegangen sei.
15 Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass sie die Veränderung erst im Rahmen der jährlichen
Einkommensanfrage festgestellt habe, nachdem sie die Antwort der Klägerin am 07. November 2005 per Telefax erhalten habe. Zwar habe die
Klägerin im Rahmen der Familienversicherung im März 2005 angegeben, ihr Ehemann sei bei der ÖKK S. krankenversichert. Bei der ÖKK S.
handle es sich jedoch grundsätzlich um eine gesetzliche Krankenversicherung. Erst im November 2005 sei festgestellt worden, dass der
Ehemann der Klägerin zum 01. Januar 2005 seinen Versicherungsschutz in den privaten Tarif der ÖKK umgewandt habe. Die Beklagte hat
diesbezüglich Internetausdrucke im Hinblick auf die beiden Tarife „MONDIAL“ (privater Krankenversicherungsschutz) und „EUROLINE“
(gesetzlicher Krankenversicherungsschutz) vorgelegt.
16 Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die Auskunft der ÖKK B. vom 04. Januar 2007 eingeholt, wonach der Ehemann der
Klägerin vom 01. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 im privaten Tarif krankenversichert gewesen sei. Über die Befreiung vom KVG könne
man keine Angaben machen. Diesbezüglich müsse das zuständige Amt (Arbeitskanton) befragt werden.
17 Mit Urteil vom 04. September 2008 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Beklagte sei befugt, im Wege der
Prozeßstandschaft für die Pflegekasse handelnd, auch über die Pflegeversicherungsbeiträge mitzuentscheiden. Sie sei im Übrigen befugt
gewesen, rückwirkend höhere Beiträge festzusetzen. Dies folge aus § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 19
Abs 2 d [gemeint wohl § 11 Abs 2 d] der Satzung der Beklagten. Die Beklagte habe mit bindend gewordenem Bescheid vom 05. Februar 2003
nur den Mindestbeitrag zur freiwilligen Krankenversicherung sowie zur Pflegepflichtversicherung festgesetzt, weil die Klägerin damals
einkommenslos gewesen sei und die Einnahmen ihres Ehemannes unberücksichtigt geblieben seien, da dieser selbst einer gesetzlichen
Krankenkasse in der Schweiz angehört habe. In diesen tatsächlichen Verhältnissen habe sich zum 01. Januar 2005 eine wesentliche Änderung
ergeben, da der Ehemann ab diesem Zeitpunkt in einem privaten Krankenversicherungstarif versichert gewesen sei. Angesichts dieser Änderung
habe die Beklagte den früheren bindenden Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung an rückwirkend aufheben dürfen.
Besondere Umstände, die zu einer Ermessensentscheidung hätten führen können, lägen nicht vor. Die Klägerin sei zum Jahresanfang 2005
einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse zumindest
grob fahrlässig nicht nachgekommen. Die Auskunfts- und Mitteilungspflicht der Klägerin ergebe sich aus § 206 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V. Die
Klägerin habe bereits aus dem Fragebogen vom Oktober 2004 entnehmen können, dass ein Wechsel ihres Ehemannes in einen privaten
Krankenversicherungstarif wesentlich und daher mitzuteilen sei. Mit ihrer Unterschrift habe sie sich zugleich verpflichtet, die Beklagte
unverzüglich zu informieren. Dies habe sie jedoch im Januar 2005 nicht getan, sondern die Änderung grob fahrlässig erst mit dem Fragebogen
vom 06. November 2005 mitgeteilt. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, sie habe schon am 15. März 2005 im Fragebogen zur
Familienversicherung entsprechende Angaben gemacht, so sei dies zwar zutreffend, jedoch sei dort nicht angegeben worden, dass es sich im
eine private Krankenversicherung handle. Im Übrigen sei dem Fragebogen ausdrücklich zu entnehmen, dass die Beklagte alle Angaben streng
vertraulich behandle und diese nur zur Feststellung der Familienversicherung nutze. Damit habe sich die Beklagte auch verpflichtet, Angaben
der Klägerin aus diesem Fragebogen nicht etwa zu Feststellungen im Rahmen des freiwilligen Krankenversicherungsverhältnisses zu
verwenden. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die H. den Ehemann als versicherungspflichtigen Grenzgänger nur bis
Ende 2004 gemeldet habe. Es handle sich hierbei nicht um eine Meldung durch Dritte im Sinne des § 206 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V, die die
Mitteilungspflicht der Klägerin habe entfallen lassen. Eine Pflicht zur Meldung habe auch für die ÖKK nicht bestanden.
18 Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 24. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07. November 2008 Berufung beim
Landessozialgericht (LSG) eingelegt, mit dem sie ihr Begehren unter Hinweis auf ihr bisheriges Vorbringen weiter verfolgt. Ergänzend wird
vorgetragen, die Beklagte hätte - nachdem sie im Fragebogen vom März 2005 angegeben habe, dass ihr Ehemann bei der ÖKK versichert sei -
selbst bei der ÖKK nachfragen müssen, um welchen Krankentarif es sich handle. Auch überzeuge die Ansicht des SG nicht, dass es eine
Schweigeverpflichtung dahingehend gebe, dass die Beklagte die Angaben im Fragebogen zur Feststellung der Familienversicherung nicht auch
im Rahmen der Feststellung zur freiwilligen Krankenversicherung verwenden könne. Sie habe insgesamt ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt. Es
sei jedoch weiter davon auszugehen, dass die Beklagte die Bestätigung der ÖKK vom 19. November 2004 bereits am 24. November 2004
erhalten habe. Schließlich liege ein Anhörungsmangel vor, da sie vor Erlass des Bescheids vom 24. November 2005 nicht angehört worden sei.
Zudem habe die Beklagte ihr Ermessen nicht ausgeübt. Auf die Zahlungsaufforderung der Beklagten habe sie den Betrag von 1.436,10 EUR
gezahlt, so dass sie auch einen Anspruch auf Rückzahlung dieses Betrages habe.
19 Die Klägerin beantragt,
20
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 04. September 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 1.436,10 EUR zu erstatten.
21 Die Beklagte beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23 Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Klägerin sei mehrfach auf ihre Mitteilungspflichten schriftlich
hingewiesen worden. Der Vortrag der Eheleute belege zudem, dass dem Ehemann der Klägerin der Unterschied zwischen privater und
gesetzlicher Krankenversicherung stets bewusst gewesen sei. Aus dem Fax-Aufdruck auf dem Schreiben der ÖKK vom 19. November 2004
ergebe sich zudem eindeutig, dass die Beklagte diese Bescheinigung erst am 07. November 2005 erhalten habe. Im Übrigen habe es keiner
ausdrücklichen Aufhebung des Bescheids vom 01. Februar 2005 bedurft. Entscheidend sei vielmehr, ob dasselbe Rechtsverhältnis durch den
späteren Bescheid eine nunmehr anderslautende Rechtsfolgensetzung erfahre und ob das Rechtsverhältnis abändernd gestaltet worden sei. Im
Übrigen lägen auch die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB X vor. Eine Interessenabwägung ergebe, dass die Klägerin nicht
schutzwürdig sei. Auch sei davon auszugehen, dass die hier maßgebliche Vorschrift ihrer Satzung rechtmäßig sei. Im Übrigen habe sie erst im
Laufe dieses Verfahrens erfahren, dass die ÖKK auch private Tarife anbiete. Die Beklagte hat zur weiteren Begründung das Schreiben des
„Fachcenter C.“ (Mitarbeiterin S. S.) vom 14. Mai 2009 vorgelegt, wonach die Originalunterlagen der Forderung vom Februar 2006 nicht mehr
auffindbar seien. Man habe erst durch diesen Fall erstmals erfahren, dass die ÖKK MONDIAL keine reine gesetzliche Krankenversicherung sei,
sondern auch private Krankenversicherungstarife anbiete. Der Ehemann der Klägerin habe nicht erwähnt, dass es sich bei dem Tarif ÖKK
MONDIAL um eine private Krankenversicherung handle. Die Beklagte hat des Weiteren sowohl ihre Satzungen in den Fassungen vom 01.
Januar, 01. Juli und 01. Oktober 2005 als auch die Satzung der IKK- und Pflegekasse B.-W. vom 01. Januar 2005 vorgelegt.
24 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25 Die gemäß §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
Denn die Beklagte hat - unabhängig von der Frage, ob sie überhaupt befugt war, Beiträge zur Pflegeversicherung im hier streitigen Zeitraum
festzusetzen (vgl hierzu ablehnend Senatsurteil vom 09. Dezember 2008 - L 11 KR 3793/08 = veröffentlicht in juris) - keinen Anspruch auf höhere
Beiträge für den hier streitigen Zeitraum vom 01. Januar bis 30. November 2005. Einer Neufestsetzung der Beiträge steht der (nicht
aufgehobene) Beitragsbescheid vom 01. Februar 2005 entgegen, der weiterhin Bestand hat. Der Bescheid vom 24. November 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2006 (§ 95 SGG) ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass das
Urteil des SG und die angegriffenen Bescheide aufzuheben waren.
26 Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist allerdings nicht bereits wegen eines Anhörungsmangels aufzuheben. Gemäß § 42 Satz 2 iVm Satz
1 SGB X kann der Adressat eines Verwaltungsaktes, der in seine Rechte eingreift, dessen Aufhebung beanspruchen, wenn die nach § 24 SGB X
erforderliche Anhörung unterblieben und nicht wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X). Zwar wurde die Klägerin vor
Erlass des Neufestsetzungsbescheids vom 24. November 2005 von der Beklagten nicht angehört. Allerdings ist vorliegend davon auszugehen,
dass die Anhörung jedenfalls während des Vorverfahrens wirksam nachgeholt worden ist (§ 42 Satz 2 iVm § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X). Die Klägerin
hatte nach Erlass des Bescheids vom 24. November 2005 Gelegenheit, zum Rechtsstandpunkt der Beklagten Stellung zu nehmen. Die Anhörung
ist damit nachgeholt, ein möglicher Verfahrensfehler der Beklagten ist dadurch „unbeachtlich“ (§ 41 Abs 1 SGB X) geworden.
27 Die Berufung ist jedoch bereits deshalb begründet, weil die rückwirkende Neufestsetzung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung ab
dem 01. Januar 2005 gegen den bestandskräftigen (§ 77 SGG) Beitragsbescheid vom 01. Februar 2005 über die Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung ab dem 01. Januar 2005 verstößt.
28 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) handelt es sich bei Beitragsbescheiden um Verwaltungsakte mit
Dauerwirkung (BSGE 69, 255; SozR 3-2500 § 240 Nr 6; BSGE 71, 137; SozR 3-5420 § 24 Nr 1; Urteil vom 10. März 1994 - 12 RK 3/94 = Die
Beiträge 1994, 479; allgemein zur Dauerwirkung von Verwaltungsakten auch BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 6). Beitragsbescheide können daher nur
unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X zulässig geändert werden (BSG, Urteil vom 10. März 1994 - 12 RK 3/94, aaO, mwN). Soweit ein
Beitragsbescheid nicht nach den §§ 45, 48 SGB X geändert wird, verbietet sich eine von der ursprünglichen Beitragsfestsetzung abweichende
inhaltliche Regelung (vgl allgemein hierzu BSG SozR 4-1500 § 77 Nr 1).
29 Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab 1. Januar 2005 nicht neu festsetzen
dürfen, ohne den Bescheid vom 1. Februar 2005 aufzuheben, der (weiterhin) Rechtsgrundlage für die Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2005 ist. Diesen Beitragsbescheid vom 01. Februar 2005 hat die Beklagte mit den hier angegriffenen
Bescheiden nicht aufgehoben. Weder im Bescheid vom 24. November 2005 noch im Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2006 wird der Bescheid
vom 01. Februar 2005 als maßgebender aufzuhebender Bewilligungsbescheid genannt, zumal sich die Beklagte in den genannten Bescheiden
auch nicht auf die Bestimmungen der §§ 45, 48 SGB X stützt. Diese Rechtsgrundlagen werden in den genannten Bescheiden nicht erwähnt. Da
die Beklagte in den genannten Bescheiden keinen aufzuhebenden Leistungsbescheid angibt, weder den Bescheid vom 05. Februar 2003 noch
den diesen ersetzenden Bescheid vom 01. Februar 2005, geht der Senat davon aus, dass ihr nicht bekannt gewesen ist, überhaupt einen
maßgebenden Bewilligungsbescheid aufheben zu müssen, um die Beiträge rückwirkend ab dem 01. Januar 2005 neu festsetzen zu können (vgl
hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05. März 2010 - L 4 P 4773/08). Der Senat sieht sich in dieser Auffassung auch dadurch
bestärkt, dass sich der Bescheid vom 01. Februar 2005 nicht in den von der Beklagten dem SG und LSG vorgelegten Verwaltungsakten befindet,
sondern erst durch die Klägerin mit ihrer Klagebegründung vorgelegt wurde.
30 Nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl hierzu und zur Auslegung von Verwaltungsakten BSG SozR 4-1500 § 77 Nr 1 mwN) können die
hier angefochtenen Bescheide auch nicht so ausgelegt werden, dass die Beklagte den Beitragsbescheid vom 01. Februar 2005 aufheben wollte.
Wie bereits dargelegt, geht der Senat davon aus, dass die Beklagte nicht gewusst hat, dass sie den früheren Bewilligungsbescheid aufheben
musste, um die Beiträge rückwirkend ab 01. Januar 2005 neu festzusetzen. Da die Beklagte in den hier angefochtenen Bescheiden überhaupt
keinen Beitragsbescheid genannt hat, der aufgehoben werden sollte, kann vorliegend auch die Rechtsprechung des BSG, wonach
Folgebescheide als mitaufgehoben gelten, wenn ein (früherer) Bescheid ausdrücklich als aufgehoben bezeichnet worden ist, nicht mit Erfolg
herangezogen werden (vgl BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 6; SozR 3-1300 § 48 Nr 22). Nur für solche Fälle hat das BSG angenommen, dass die
Verfügungssätze der dortigen auf § 48 SGB X gestützten Aufhebungsbescheide nicht den gegenstandlos gewordenen Bescheid, der genannt
war, sondern den maßgebenden Folgebescheid erfasst hätten. Dies kann nicht auf den hier vorliegenden Fall erstreckt werden, in dem ein
aufzuhebender Verwaltungsakt überhaupt nicht bezeichnet wurde (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05. März 2010 - L 4 P 4773/08).
31 Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie mit den hier angegriffenen Bescheiden das Rechtsverhältnis derart abändernd
gestaltet hat, dass es einer ausdrücklichen Aufhebung des vorangegangenen Beitragsbescheids nicht bedurft habe. Die Beklagte verkennt hier,
dass vorliegend die alleinigen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundlagen für die Neufeststellung von Beiträgen die §§ 45, 48 SGB X sind.
32 Die Beklagte war auch nicht befugt, die Beiträge rückwirkend ab 01. November 2005 etwa deshalb neu festzusetzen, weil es sich bei der
Festsetzung der Beiträge ab dem 01. Januar 2005 durch den Bescheid vom 01. Februar 2005 etwa um eine vorläufige Festsetzung gehandelt
hat. Denn unabhängig von der Frage, ob die Beklagte überhaupt in der hier vorliegenden Fallkonstellation berechtigt gewesen wäre, Beiträge
durch einen einstweiligen Verwaltungsakt festzusetzen (vgl allgemein hierzu Senatsurteil vom 09. Dezember 2008 - L 11 KR 3793/08 - mwN,
veröffentlicht in juris), liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei dem Bescheid vom 01. Februar 2005 um vorläufige
Beitragsfestsetzungen gehandelt hat. Der genannte Bescheid setzte dem Wortlaut nach - unter Beachtung des objektiven Empfängerhorizonts -
die Beiträge ohne die Einschränkung der Vorläufigkeit fest. Weder im Verfügungssatz noch in den übrigen Ausführungen kommt zum Ausdruck,
dass die Festsetzung der Beiträge nur vorläufig sein sollte. Die Beklagte behauptet auch nichts Gegenteiliges. Soweit im Bescheid vom 01.
Februar 2005 nicht näher bezeichnete „Anlagen“ genannt werden, die weder von der Klägerin noch von der Beklagten vorgelegt wurden, konnte
der Senat von weiteren Ermittlungen absehen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die „Anlagen“ Ausführungen zur Vorläufigkeit der
Beitragsfestsetzung enthielten (im Gegensatz zum „Merkblatt“ zum Bescheid vom 24. November 2005). Denn die Beklagte hat - wie bereits
dargelegt - während des gesamten Verfahrens zu keinem Zeitpunkt behauptet, in der Anlage etwas zur Vorläufigkeit geregelt zu haben. Zum
anderen ist schon fraglich, ob eine Anlage überhaupt (Verfügungs-)Bestandteil eines Verwaltungsaktes ist, wenn in diesem - wie hier - nicht
ausdrücklich auf die Anlage Bezug genommen wird (vgl BSG SozR 3-2600 § 319b Nr 1).
33 Der Bescheid vom 01. Februar 2005 entfaltet daher - auch wenn er keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, was sich lediglich auf den Lauf der
Rechtsbehelfsfrist auswirkt - nach Unanfechtbarkeit Bindungswirkung hinsichtlich der Beitragshöhe im hier streitigen Zeitraum. Da es sich mithin
bei dem Bescheid vom 01. Februar 2005 nicht um eine vorläufige Regelung gehandelt hat, hat sich dieser Bescheid auch nicht durch den Erlass
des Bescheids vom 24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2006 im Sinne von § 39 Abs 2 SGB X erledigt.
34 Vor diesem Hintergrund musste der Senat nicht entscheiden, ob die materiellen Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2, 3 SGB X
vorgelegen haben. Der angegriffene Bescheid war bereits aus den dargestellten Gründen aufzuheben.
35 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
36 Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.