Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 01.10.2009

LSG Baden-Württemberg: ratenzahlung, anhörung, einkünfte, verzug, zahlungsaufforderung, meinung, zivilprozessordnung, widerruf, verpachtung, vermietung

LSG Baden-Württemberg Beschluß vom 1.10.2009, L 11 R 898/09 PKH-B
Sozialgerichtliches Verfahren - Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe -
Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 124 Nr 4 ZPO - Zahlungsverzögerung wegen nachträglicher Verschlechterung der
Vermögensverhältnisse
Leitsätze
1. Gegen einen Beschluss, mit dem das SG die Bewilligung von PKH nach § 124 Nr 4 ZPO aufgehoben hat, ist die Beschwerde nicht nach § 172 Abs
3 Nr 2 SGG ausgeschlossen
(Anschluss an LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.06.2008, L 5 B 163/08 AS, NZS 2009, 64).
2. Zu den Voraussetzungen für eine Aufhebung der PKH-Bewilligung nach § 124 Nr4 ZPO, wenn die Zahlungsverzögerung auf eine nachträgliche
Verschlechterung der Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Januar 2009 wird aufgehoben.
Gründe
I.
1
In dem noch anhängigen Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) macht der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von
Rente wegen Erwerbsminderung geltend. Mit einem am 5. Februar 2008 beim SG eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten
begründete der Kläger die Klage und beantragte gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren. Durch
Beschluss vom 18. Juni 2008 gewährte das SG dem Kläger PKH mit monatlicher Ratenzahlung in Höhe von 60,- EUR. Damals verfügte der
Kläger über Einkünfte in Höhe von 1.312,- EUR (Arbeitslosengeld in Höhe von 622,50 EUR monatlich sowie Mieteinnahmen in Höhe von
monatlich 690,- EUR), denen monatliche Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 773,- EUR gegenüberstanden. Der Zeitpunkt, ab wann der Kläger
die Raten zu zahlen hatte, wurde im Beschluss des SG nicht festgelegt.
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Die Landesoberkasse forderte den Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 2008 auf, die festgesetzten Raten ab 15. Juli 2008 auf ein bestimmtes
Konto zu überweisen. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach; er zahlte bislang überhaupt keine Raten. Deshalb forderte - nach
vorherigen Mahnungen durch die Landesoberkasse - das SG den Kläger mit einem an ihn gerichteten Schreiben vom 30. Oktober 2008 auf, die
rückständigen Raten in Höhe von 240,- EUR unverzüglich zu zahlen. Nachdem ein Zahlungseingang nicht feststellbar war, hob das SG mit
Beschluss vom 22. Januar 2009, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 27. Januar 2009, die Bewilligung von PKH mit der
Begründung auf, der Kläger habe trotz entsprechender Zahlungserinnerungen der Landesoberkasse und nach erfolgter Anhörung seitens des
Gerichts mit dem Hinweis auf die drohende Aufhebung der Bewilligung weder die rückständigen Raten beglichen noch Umstände mitgeteilt, die
hätten erkennen lassen, dass er unverschuldet mit der Ratenzahlung in Rückstand geraten wäre.
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Mit seiner dagegen am 5. Februar 2009 beim SG eingelegten Beschwerde hat der Kläger geltend gemacht, er habe seit Mai 2008 kein
Einkommen mehr, beziehe insbesondere keine Hartz IV-Leistungen und auch kein Arbeitslosengeld mehr. Er werde von seinen Geschwistern
unterstützt. Er selbst wohne in einer Scheune, das vordere kleine Haus habe er an seinen Bruder vermietet. Ergänzend hat sein Bevollmächtigter
unter Vorlage eines Leistungsnachweises der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass der Leistungsbezug von Arbeitslosengeld am 30. Juli
2008 geendet habe. Deswegen habe sich seine Leistungsfähigkeit erheblich verschlechtert. Er habe parallel zu dem Beschwerdeverfahren
deswegen beim SG die Gewährung von PKH ohne Ratenzahlung beantragt.
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Der Kläger beantragt,
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den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Januar 2009 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Akten des
SG verwiesen.
II.
7
Die Beschwerde des Klägers ist nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG
ausgeschlossen. Mit der Neufassung des § 172 SGG mit Wirkung ab 1. April 2008 intendierte der Gesetzgeber, zur Entlastung der
Landessozialgerichte die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH nur noch dann zuzulassen, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache
vom Gericht verneint wurden (BR-Drs 820/07, Teil B, zu Nr. 29). Hat das Gericht hingegen die persönlichen und wirtschaftlichen
Voraussetzungen verneint, ist die Beschwerde gegen diese Entscheidung nicht statthaft. Der Ausschluss der Beschwerde bezieht sich damit nur
auf die Ablehnung von PKH, wenn das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint. Vorliegend hat das
SG aber dem Kläger PKH unter Ratenzahlung gewährt und diese nur deswegen aufgehoben, weil der Kläger mit der Ratenzahlung in Verzug
geraten ist. In einem solchen Falle ist die Beschwerde nicht ausgeschlossen. Eine Aufhebung der Bewilligung von PKH wird vom Wortlaut des §
172 Abs. 3 Nr. 2 SGG, der insoweit eindeutig und deshalb einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich ist, nicht erfasst. Eine analoge
Anwendung der Regelung kommt nicht in Betracht, da weder eine planwidrige Lücke ersichtlich ist noch gleichartige Sachverhalte vorliegen. Die
Ablehnung eines Anspruchs auf PKH ist nicht vergleichbar mit der Aufhebung einer bereits bewilligten PKH (ebenso LSG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 16. Juni 2008, L 5 B 163/08 AS, NZS 2009, 64). Dies wird u.a. daran deutlich, dass die Aufhebung der PKH-Bewilligung in § 124
ZPO an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist.
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Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 124 Nr. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht die
Bewilligung der PKH aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate im Rückstand ist. Obwohl die Vorschrift
ihrem Wortlaut nach nur einen „Rückstand“ voraussetzt, nimmt die herrschende Meinung an, dass damit ein - schuldhafter - Verzug gemeint ist
(vgl. zum Folgenden auch BGH, Beschluss vom 9. Januar 1997, IX ZR 61/94, NJW 1997 1077). Ein Widerruf ist jedenfalls dann unzulässig, wenn
die Nichtzahlung der Raten nicht auf einem Verschulden des Bedürftigen beruht. Davon ist hier aber auszugehen.
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Im vorliegenden Falle hatte der Kläger Raten ab 15. Juli 2008 zu entrichten. Ist im PKH-Bewilligungsbeschluss kein konkreter Termin für den
Beginn der Ratenzahlungen festgelegt, hat der Berechtigte sie von dem Tag an zu leisten, ab dem ihm die Aufforderung der Staatskasse zugeht,
sie auf ein bestimmtes Konto zu überweisen (Thüringer LSG, Beschluss vom 15. November 2004, L 6 B 59/04 SF, zit. nach juris). Dieser
Verpflichtung ist der Kläger unstreitig nicht nachgekommen.
10 Im Aufhebungsverfahren nach § 124 Nr. 4 ZPO kann aber ein Hinweis des Beteiligten auf die Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage als
Abänderungsantrag gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 120 Abs. 4 ZPO zu deuten sein. Ein solches Begehren kann der Aufhebung der
PKH dann entgegengehalten werden, wenn die Zahlungsverzögerung auf eine Verschlechterung der Einkommensverhältnisse des Bedürftigen
zurückzuführen ist. Hat der Beteiligte hingegen die Raten schon zu einer Zeit nicht gezahlt, als er noch leistungsfähig war, bleibt es bei der
Anwendung des § 124 Nr. 4 ZPO auch dann, wenn er danach leistungsunfähig wird (OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. März 2007, 10 WF
245/06, zit. nach juris). Diese Auffassung, der sich der Senat im Grundsatz anschließt, bedarf aber der Modifizierung in den Fällen, in denen sich
die wirtschaftliche Lage des Begünstigten so rasch verschlechtert hat, dass er noch nicht einmal in der Lage war, drei Monatsraten zu entrichten.
Da eine Aufhebung der PKH-Bewilligung voraussetzt, dass der Kläger länger als drei Monate mit der Zahlung einer Rate im Rückstand ist und
dieser Rückstand verschuldet sein muss, können die Aufhebungsvoraussetzungen nur erfüllt sein, wenn der Begünstigte überhaupt in der Lage
gewesen wäre, mindestens drei Monatsraten zu entrichten. Dazu war der Kläger aber nicht in der Lage.
11 Seine wirtschaftliche Lage hat sich nach der Bewilligungsentscheidung im Juni 2008 insofern geändert, als bereits im Juli 2008 die Bewilligung
von Arbeitslosengeld endete. Danach hatte der Kläger lediglich noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wie sich aus der vorgelegten
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 6. Juni 2009 sowie der Entgeltbescheinigung der Bundesagentur für
Arbeit vom 23. April 2009 ergibt. Nach dem Beschluss des SG vom 18. Juni 2008 verfügte der Kläger damals über ein verfügbares Einkommen
von maximal 200 EUR. Bei Wegfall des Arbeitslosengeldes und ansonsten gleichen Vermögensverhältnissen führt dies dazu, dass PKH ab
August 2008 ohne Ratenzahlung zu gewähren gewesen wäre. Die ab August 2008 eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des
Klägers führte dazu, dass eine Aufhebung der PKH-Bewilligung nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 124 Nr. 4 ZPO ausscheidet. Zwar hätte
der Kläger einen wesentlichen Teil seiner Angaben bereits nach der ersten Zahlungsaufforderung der Landesoberkasse machen können. Das
allein lässt seine Nichtzahlung jedoch nicht schon als schuldhaft erscheinen.
12 Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Kläger vor der Aufhebung der Bewilligungsentscheidung nicht rechtswirksam angehört worden
ist. Sowohl die Zahlungsaufforderung der Landesoberkasse als auch die Anhörung durch das SG erfolgten gegenüber dem Kläger persönlich,
obwohl der Kläger durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Nach § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG sind, wenn ein Bevollmächtigter bestellt ist,
Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Dies gilt in Verfahren zur Überprüfung von PKH-Bewilligungen zumindest in den Fällen, in denen -
wie hier - die Überprüfung noch während des anhängigen Hauptsacheverfahrens erfolgt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. November
2006, 9 Ta 203/06, zit. nach juris). Außerdem hätte vor der Aufhebung der Bewilligung eine Anhörung des beigeordneten Rechtsanwalts erfolgen
müssen, da er zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung noch gebührenrechtlich (zB in Bezug auf eine Terminsgebühr nach VV Nr. 3104)
hätte betroffen sein können (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2000, 6 WF 168/00, zit. nach juris). Ob die Anhörung im
Beschwerdeverfahren nachgeholt werden könnte, braucht hier nicht entschieden zu werden.
13 Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
14 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).