Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14.03.2008

LSG Baden-Württemberg: getrennt leben, getrenntleben, eheähnliche gemeinschaft, diabetes mellitus, trennung, stadt, veranlagung, wohnfläche, heizung, wohngemeinschaft

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.3.2008, L 8 AS 1358/07
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedarfsgemeinschaft - dauernd getrennt lebende Ehegatten - Vermutung - räumliche Trennung
Leitsätze
Leben die Ehegatten nicht räumlich getrennt, spricht eine Vermutung gegen ein dauerndes
Getrenntleben (Anschluss an LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 26.08.2005 - L 13 AS 3390/05 ER-B - und vom 02.05.2007 - L 13 AS
948/07 ER-B - mwN).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ohne
Anrechnung von Einkommen streitig.
2
Der 1948 geborene Kläger ist mit der Beigeladenen verheiratet. Er bezog bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe unter Anrechnung von Einkommen
der Beigeladenen. Am 17.11.2004 beantragte er Leistungen nach dem SGB II. Zum Familienstand gab er an, er sei seit dem Jahr 2003 dauernd
getrennt lebend. Der Kläger legte einen Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes R. vor (Grad der Behinderung 80, Merkzeichen „G“
seit 22.05.2003) sowie, unter Vorlage von Befundberichten, eine - geänderte - ärztliche Bescheinigung des Dr. M. zur Anerkennung eines
Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung wegen eines Diabetes mellitus Typ IIa (Diabeteskost); außerdem wird in dieser Bescheinigung
eine diabetische Polyneuropathie und ein Zustand nach Zehenamputation genannt. Der Kläger gab bei der Antragstellung an, in einer Wohnung
mit 45 m² Wohnfläche mit einer Kaltmiete von monatlich 210,00 EUR zu wohnen. Im Wohngebäude des Klägers ist außerdem die Beigeladene
seit 24.09.1983 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der Kläger verfügt über kein eigenes Einkommen und über kein zu verwertendes Vermögen.
3
Mit Bescheid vom 01.02.2005 bewilligte die Agentur für Arbeit R. (AA) dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem
SGB II, zunächst für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von monatlich 693,45 EUR (Regelleistung 345 EUR, Mehrbedarf für
kostenaufwändige Ernährung 51,13 EUR und Kosten für Unterkunft und Heizung 297,32 EUR, die seit 01.07.2005 in die Zuständigkeit der Stadt
S. fallen).
4
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er die Höhe der Leistung für den Mehrbedarf für kostenaufwändige
Ernährung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Wiedereingliederung in das Arbeitsleben, Leistungen für die Kfz-Versicherung sowie
die Befreiung von der GEZ beanstandete. Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2005 von der AA zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 11.04.2005 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage (S 6 AS 1124/05), die er in der mündlichen Verhandlung
am 31.01.2007 zurücknahm.
5
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 03.05.2005 wurden dem Kläger mit Bescheid der AA vom 25.05.2005 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 693,45 EUR und für die Zeit vom 01.07.2005 bis
30.11.2005 in Höhe von monatlich 396,13 EUR weiter gewährt.
6
Auf einen telefonischen Hinweis vom 05.07.2005 stellte die AA Ermittlungen dahin an, ob der Kläger von seiner Frau dauernd getrennt lebt. Die
Vermieterin teilte nach einem Aktenvermerk der AA vom 05.07.2005 auf telefonische Rückfrage mit, dass die Eheleute K. in der E.str. 42 eine
Wohnung mit 108 m² Wohnfläche bewohnten. Eine kleine Wohnung im EG mit ca. 45 m² Wohnfläche sei von der Tochter bis Sommer 2004
bewohnt worden und seit 01.10.2004 fremd vermietet worden. Die Ehefrau des Klägers arbeite und sei nicht hilfebedürftig. Die Eheleute seien
gemeinsam zur Abfallgebühr veranlagt. Am 29.07.2005 führte die AA einen Hausbesuch in der Wohnung des Klägers durch. Nach dem hierzu
gefertigten Aktenvermerk vom 01.08.2005 habe der Kläger erklärt, dass er seit zwei Jahren von seiner Ehefrau getrennt lebe, aber dennoch in
der ehelichen Wohnung wohne. Er benutze Bad und Küche mit. Gefragt, warum er sich nach der Trennung keine neue Wohnung genommen
habe, habe der Kläger erklärt, er sei froh, dass ihm die Wäsche gewaschen werde. Seine Frau habe einen Freund, der ständig bei ihr sei.
7
Die AA nahm einen der Stadt S. vorgelegten Untermietvertrag zwischen dem Kläger und der Beigeladenen vom 31.07.2005 zu den Akten, der
eine mündliche Vereinbarung vom Juni 2003 schriftlich festhalten soll. Nach diesem Vertrag wurden dem Kläger zur ausschließlichen
Eigennutzung zwei möblierte Zimmer (Nr. 2 [12,5 m²] sowie Nr. 4 [9,5 m²]) zur Verfügung gestellt mit Nutzungsrechten der Küche, einschließlich
Elektrogeräte, der sanitären Einrichtungen (Bad, Dusche, WC) sowie des Esszimmers (soweit kein Eigenbedarf besteht). Der Vertrag enthielt
weiter Regelungen zu Reinigungsarbeiten. Als Mietzins wurde ab August 2005 eine von 300 EUR auf 275,00 EUR reduzierte Miete
einschließlich aller Nebenkosten vereinbart (bei einem Mietrückstand für den Monat Juli in Höhe von 300 EUR). Außerdem gelangte eine
schriftliche Erklärung des Klägers gegenüber der Stadt S. vom 13.12.2004 in Kopie zu den Akten der AA, in der der Kläger erklärte, seit
01.07.2004 von seiner Ehegattin dauernd getrennt zu leben.
8
Mit Schreiben vom 18.08.2005 hörte die AA den Kläger zur beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung erbrachter Leistungen an. Der Kläger
äußerte sich mit Schreiben vom 05.09.2005 dahin, dass die im Anhörungsschreiben gemachte Unterstellung, er habe falsche Angaben bei der
Antragstellung gemacht, auf Falschinformationen, Vermutungen und Annahmen beruhten und stellte die Sachlage zum Mietverhältnis, zur
Mietwohnung, zur Nutzung der Räumlichkeiten, zum Hausbesuch, zum Trennungsgrund aus seiner Sicht dar. Insbesondere führte der Kläger
aus, er lebe seit der Trennung von seiner Frau mit ihr ausschließlich in einer Wohngemeinschaft. Eine Scheidung sei absurd und unakzeptabel,
da er seiner Frau seine Rente als Ausgleichzahlungen für einen von ihm verschuldeten finanziellen Schaden seiner Frau, der Trennungsgrund
gewesen sei, zukommen lassen und nicht dem Staat schenken wolle. In einer eigenen Wohnung zu leben, sei für ihn wegen seiner
Diabeteserkrankung und deren Folgen problematisch. Nach einer Aufforderung durch die AA legte der Kläger Einkommensbescheinigungen
seiner Ehefrau für die Monate Februar 2005, Mai 2005 und August 2005 vor (Blätter 93 bis 95 der Verwaltungsakte).
9
Mit Änderungsbescheid vom 20.10.2005 gewährte die AA Regelleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2005 bis 30.11.2005 nicht
mehr (Leistung monatlich 0,00 EUR). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 01.11.2005 Widerspruch ein. Er hielt zur
Begründung an seinem Vorbringen fest, keine falschen Angaben gemacht zu haben. Einen Antrag des Klägers auf Fortzahlung von Leistungen
lehnte die AA mit Bescheid vom 22.11.2005 für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.05.2006 ab (Leistung monatlich 0,00 EUR). Gegen diesen
Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 12.12.2005 Widerspruch ein.
10 Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2005 wies die AA die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 20.10.2005 und 22.11.2005
zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei über die Leistungen nach dem SGB II ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung zu
entscheiden. Die Ehefrau des Klägers gehöre zur Bedarfsgemeinschaft. Das anzurechnende Einkommen der Ehefrau des Klägers betrage für
den Monat November 2005 988,95 EUR und für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.05.2006 monatlich 940,40 EUR. Dieses Einkommen übersteige
jeweils den Bedarf. Mangels Hilfebedürftigkeit bestehe kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
11 Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsschreiben vom 20.10.2005, zu dem sich der Kläger in seinem Widerspruchsschreiben vom 01.11.2005
äußerte) nahm die AA mit Bescheid vom 04.01.2006 außerdem die Bewilligung von Leistungen ab 01.01.2005 ganz zurück und forderte den
Kläger zur Erstattung der in der Zeit vom 01.01.2005 bis 30.09.2005 gezahlten Leistungen in Höhe von 3.590,37 EUR auf.
12 Gegen den Widerspruchsbescheid vom 21.12.2005 erhob der Kläger am 26.01.2006 Klage beim SG (S 8 AS 335/06), die das SG durch
Beschluss vom 23.02.2006 zum Klageverfahren S 6 AS 1124/05 verband.
13 Der Kläger trug zur Begründung der Klage vor, der Widerspruchsbescheid vom 21.12.2005 sei bei ihm am 02.01.2006 eingegangen. In der
Sache hielt der Kläger an seinem bisherigen Vorbringen fest. Ergänzend führte er zur weiteren Begründung aus, er wäre aus der ursprünglich
gemeinsamen Wohnung längst ausgezogen. Er verfüge jedoch nicht über die für einen Umzug und die Beschaffung der Grundausstattung
notwendigen finanziellen Mittel. Eine zunächst erfolgte Zusage auf Unterstützung eines Umzuges werde nicht mehr aufrechterhalten. Seine
Ehefrau habe als alleinstehend die Steuerklasse V. Zu seinen Angaben zum Getrenntleben trug er vor, er habe, um Kürzungen des
Arbeitslosengeldes zu umgehen, auf Empfehlung eines Sachbearbeiters der AA im Juli 2003 sein Getrenntleben der Stadt S. gemeldet und dort
eintragen lassen. Eine entsprechende Mitteilung habe er auch dem Sozialamt gemacht. Die Prüfung durch das Sozialamt habe ergeben, dass er
offiziell nicht mehr als getrennt lebend gemeldet sei, sondern der Antrag zurückgezogen worden sei, wovon weder er noch seine Frau wüssten.
Eine vom Sozialamt verlangte Scheidung lehne er kategorisch ab. Er wasche und bügle seine Wäsche selbst. Die hauswirtschaftliche Arbeit sei
aufgeteilt. Zwar gebe es Überschneidungen, jedoch könne von einer Übernahme der Hausarbeiten durch seine Frau, die ganztags arbeite, keine
Rede sein. Wegen seiner Diabeteserkrankung sei er auf fremde Hilfe angewiesen, was das Rufen eines Notarztes anbelange. Deshalb werde er
auf jeden Fall versuchen, selbst nach einem Umzug, in einer Wohngemeinschaft zu leben. Eine Wundbehandlung müsse durch Fachkräfte
erfolgen. Die Beklagte verdrehe bei ihrer ablehnenden Haltung bewusst Fakten. Er wolle seine Verbindlichkeiten gegenüber den durch ihn
geschädigten Personen, zu denen auch seine Frau gehöre, schnellstmöglich begleichen, woran er mangels der Zahlung von Unterstützung
durch die Beklagte gehindert werde. Er schulde seiner Frau die vereinbarte Miete. Der Kläger legte eine Erklärung gegenüber der AA vom
13.07.2003 vor, in der er angab, von seiner Frau seit Juli 2003 getrennt zu leben.
14 Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie führte aus, der Kläger habe zum Zeitpunkt des Getrenntlebens unterschiedliche Angaben gemacht,
woraus deutlich werde, dass er nicht in der Lage sei, den Zeitpunkt einer angeblichen Trennung zu präzisieren. Vom Vorliegen einer
Wohngemeinschaft könne nach den vom Kläger gemachten Angaben und den Wohnverhältnissen nicht ausgegangen werden. Zwischen dem
Kläger und seiner Ehefrau habe im streitigen Zeitraum zumindest eine eheähnliche Gemeinschaft bestanden.
15 Mit Urteil vom 31.01.2007 wies das SG die Klage des Klägers ab. Es führte zur Begründung aus, der in einer Ehe lebende Hilfebedürftige trage
die Feststellungslast dafür, dass ein dauerndes Getrenntleben der Eheleute nicht festgestellt werden könne. Von einem dauernden
Getrenntleben habe sich die Kammer nicht überzeugen können. Objektive Anzeichen für die Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft seien nicht zu
erkennen. Der insoweit beweispflichtige Kläger habe damit das Fehlen einer Bedarfsgemeinschaft nicht nachgewiesen. Entscheidend für diese
Beurteilung seien insbesondere die nicht nachvollziehbaren Widersprüche in den Angaben des Klägers zum Zeitpunkt der Trennung. Für ein
Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft spreche auch die Begründung des Klägers für die kategorische Ablehnung einer
Ehescheidung. Es seien auch keine ernsthaften Bemühungen des Klägers erkennbar, sich eine eigene Wohnung zu suchen.
16 Gegen das dem Kläger am 17.02.2007 zugestellte Urteil hat er am 14.03.2007 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, er vertrete
nach wie vor die Auffassung, dass unter Zugrundelegung des Gesamtbildes der objektiven Verhältnisse davon auszugehen sei, dass zwischen
ihm und seiner Ehefrau keine häusliche bzw. eheähnliche Gemeinschaft mehr bestehe, die die Annahme einer Bedarfgemeinschaft rechtfertigen
könne. Vielmehr lebe er mit seiner Ehefrau lediglich in einer reinen Wohngemeinschaft. Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das
SG auf seine umfangreichen Stellungnahmen und Einwendungen nicht in der gebotenen Weise eingegangen sei. Der Kläger hat den Verlauf
des Auseinanderlebens mit seiner Ehefrau geschildert. Er hat weiter ausgeführt, die Entscheidung des SG halte nach seiner Auffassung auch
einer Überprüfung, was die Qualität seines Zusammenlebens mit seiner Ehefrau anbelange, nicht stand. Die Rüge des SG, er habe sich nicht
ernsthaft um eine neue Wohnung bemüht, sei so nicht haltbar. Erfolgversprechende Initiativen seien bislang ausschließlich wegen einer nicht
angemessenen Unterstützung durch das Sozialamt, insbesondere durch Frau W., gescheitert. Aufgabe des SG wäre gewesen, den
entscheidungserheblichen Sachverhalt durch die Vernehmung von Frau W. als Zeugin einer tragfähigen Aufklärung zuzuführen. Gerade das
Verhalten von Frau W. habe dazu geführt, dass die Beklagte ein völlig verzerrtes Bild von der tatsächlichen Gestaltung seiner Verhältnisse zu
seiner Ehefrau bekommen habe. Es werde angeregt, die unterlassene Beweiserhebung nachzuholen.
17 Der Kläger beantragt,
18
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. Januar 2007 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Oktober 2005 und 22.
November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm
Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. November 2005 bis 31. Mai 2006 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
19 Die Beklagte beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21 Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
22 Der Senat hat den Kläger und die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung zu den Modalitäten ihres Zusammenlebens angehört.
23 Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten, insbesondere des Klägers, wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie auf ein Band Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
24 Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 SGG). Insbesondere übersteigt der Wert des
Beschwerdegegenstandes 500 EUR. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte im streitigen Zeitraum vom
01.11.2005 bis 31.05.2006 kein Anspruch auf (Regel)Leistungen nach dem SGB II zu, da er nicht hilfebedürftig ist. Das angefochtene Urteil des
SG ist nicht zu beanstanden.
25 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur eine Klage des Klägers und nicht auch eine Klage seiner Ehefrau. Zwar folgt aus dem im
sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Meistbegünstigungsprinzip, dass für eine Übergangszeit bis zum 30.06.2007 Klageanträge in
Erweiterung der üblichen Auslegungskriterien danach zu beurteilen sind, in welcher Weise die an einer Bedarfsgemeinschaft beteiligten
Personen die Klage hätte erheben müssen, um die für die Bedarfsgemeinschaft gewünschten (höheren) Leistungen zu erhalten. Dies gilt aber
nicht, wenn - wie hier - das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft bestritten wird (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, SozR 4-4200 § 22
Nr. 1).
26 Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens sind weiter nur die Bescheide der Beklagten vom 20.10.2005 und 22.11.2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2005. Nicht mehr Gegenstand der Berufung des Klägers ist der Änderungsbescheid der Beklagten vom
01.02.2005, nachdem der Kläger beim SG in der mündlichen Verhandlung am 31.01.2007 seine hiergegen gerichtete Klage insoweit
zurückgenommen hat. Ebenso nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom
04.01.2006, der sich auf den vorliegend nicht streitgegenständlichen Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.09.2005 bezieht und damit nicht
gemäß § 96 SGG (analog) Gegenstand des Klage- bzw. des Berufungsverfahrens wurde. Dem entspricht auch der Berufungsantrag des Klägers.
27 Über Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II ist vorliegend nicht zu befinden, da sie im streitigen Zeitraum
unstreitig nicht (mehr) im Zuständigkeitsbereich der Beklagten liegen.
28 Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr
vollendet und (nach der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung) das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig im Sinne des § 8
SGB II und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten als Alg II
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II in
der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der
mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden
Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners
zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Zur Berechnung des individuellen Leistungsanspruchs des Klägers ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3
SGB II einerseits der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft und andererseits deren Gesamteinkommen zu ermitteln (BSG, Urteil vom
23.11.2006, B 11b AS 1/06 R, SozR 4-4200 § 20 Nr. 3). Nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 3 SGB II (in der bis zum 31.07.2006 geltenden
Fassung) gehören zur Bedarfsgemeinschaft der erwerbsfähige Hilfebedürftige und (u.a.) als sein Partner der nicht dauernd getrennt lebende
Ehegatte.
29 Der Senat hat, ebenso wie das SG, keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme der Beklagten, dass der Kläger und seine Ehefrau
nicht dauernd getrennt leben und damit zwischen beiden eine Bedarfsgemeinschaft besteht.
30 Unter welchen Voraussetzungen von einem dauernden Getrenntleben auszugehen ist, definiert das Sozialgesetzbuch nicht. Soweit das
Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in § 1567 Abs. 1 eine Legaldefinition enthält, ist diese angesichts ihrer klaren Ausrichtung auf das
Scheidungsverfahren, vor allem im Hinblick auf die in ihr enthaltenen subjektiven Komponenten, nicht ohne weiteres auf andere Bereiche,
insbesondere nicht das Steuer- und Sozialrecht, übertragbar. Der Begriff des "nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten" ist in Anlehnung an
die seit dem 30.06.1979 die steuerliche Zusammenveranlagung von Ehegatten regelnde Bestimmung des § 26 Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) auszulegen, wobei - soweit im Einzelnen mit dem Sinn und Zweck der Regelungen des SGB II vereinbar - auf
die finanzgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Denn in Anlehnung an § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. BT-Drs. 8/2624 S. 30
zu Nr. 46) hatte der Begriff des dauernd Getrenntlebens mit dem Fünften Änderungsgesetz zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 23.07.1979
(BGBl. I S. 1189) bereits Eingang in den - zwischenzeitlich wieder außer Kraft getretenen - § 138 Abs. 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes und
schließlich in § 193 SGB III gefunden. Der Gesetzgeber hat für den Bereich des Sozialrechts bereits dort jeweils geregelt, dass für die
Arbeitslosenhilfe im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung das Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten als
Einkommen zu berücksichtigen ist.
31 Damit ist von einem dauernden Getrenntleben dann auszugehen, wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und
Wirtschaftsgemeinschaft endgültig aufgehoben worden ist, wobei insoweit Lebensgemeinschaft die räumliche, persönliche und geistige
Gemeinschaft der Ehegatten bedeutet, während unter Wirtschaftsgemeinschaft die gemeinsame Erledigung der die Ehegatten gemeinsam
berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens zu verstehen ist. Leben Ehegatten zwar für nicht absehbare Zeit räumlich
voneinander getrennt und halten sie die eheliche Wirtschaftsgemeinschaft dadurch aufrecht, dass sie die sie berührenden wirtschaftlichen
Fragen gemeinsam erledigen und gemeinsam über die Verwendung des Familieneinkommens entscheiden, so kann dies - ggf. zusammen mit
anderen Umständen - dazu führen, dass ein nicht dauerndes Getrenntleben anzunehmen ist. Der Beurteilung sind in erster Linie äußerlich
erkennbare Umstände zugrunde zu legen, wobei dem räumlichen Zusammenleben der Ehegatten besondere Bedeutung zukommt. Bei einem zu
bejahenden dauernden Getrenntleben wird regelmäßig auch mindestens einem Ehegatten der Wille zur Fortsetzung der ehelichen
Lebensgemeinschaft fehlen, was das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung (BVerwGE 97, 344, 348) zum Getrenntleben im Sinn
von § 28 des bis 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gefordert hatte. Leben die Ehegatten nicht räumlich getrennt, spricht
eine Vermutung gegen ein dauerndes Getrenntleben (vgl. zum Vorstehenden LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 26.08.2005 - L 13 AS
3390/05 ER-B - und vom 02.05.2007 - L 13 AS 948/07 ER-B -, m.w.N.).
32 Hiervon ausgehend ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner
Ehefrau (im hier streitigen Zeitraum) tatsächlich dauerhaft aufgehoben ist. Gegen die Richtigkeit des Vorbringens des Klägers spricht bereits,
dass der Kläger zum angeblichen „Trennungsdatum“ widersprüchliche Angaben gemacht hat, ohne diese Widersprüche plausibel zu erklären.
So hat er bei der Antragstellung am 17.11.2004 angeben, seit dem Jahr 2003 dauernd getrennt zu leben. Im Schreiben vom 13.12.2004 an die
Stadt S. nannte der Kläger dann als Trennungszeitpunkt den 01.07.2004. Wird sein hierzu gemachtes Vorbringen in der Klageschrift vom
26.01.2006 (S 8 AS 335/06) zugrunde gelegt, er lebe seit 3 ½ Jahren von seiner Ehefrau getrennt, ergibt sich als Trennungszeitpunkt ca. der Juli
2002. Hierauf hat die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren zutreffend hingewiesen. Bereits dieses wechselnde Vorbringen des Klägers lässt
durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass der Kläger tatsächlich entsprechend seinem Vorbringen von seiner Ehefrau dauerhaft getrennt
lebt. Allein aufgrund von Erklärungen des Klägers kann von einem solchen Sachverhalt nicht ausgegangen werden.
33 Gegen eine Aufhebung der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft spricht weiter, dass eine räumliche Trennung des Klägers von seiner Ehefrau
nicht nachgewiesen ist. Er lebt mit ihr weiterhin in der gemeinschaftlichen Wohnung. Der Kläger hat zwar der Stadt S. einen zwischen ihm und
seiner Frau als Vertragspartner verfassten Untermietvertrag vom 31.07.2005, der eine mündliche Vereinbarung von Juli 2003 schriftlich
festhalten soll, vorgelegt. Dieser Untermietvertrag ist jedoch vom Kläger selbst nicht unterzeichnet worden. Weiter sollen nach diesem Vertrag
zwei Zimmer (12,5 m² und 9,5 m²) mit Nutzungsrecht der Küche und der sanitären Einrichtungen (beanspruchte Wohnfläche 40 m²) zu einem
Mietzins in Höhe von 300 EUR, ab August 2005 in Höhe von 275 EUR, an den Kläger untervermietet sein. Diese Vereinbarungen stimmen
jedoch nicht mit den vom Kläger bei der Antragstellung am 17.11.2004 gemachten Angaben überein, wonach der Wohnflächenanteil 45 m² bei
einer Miete in Höhe von monatlich 210 EUR betragen soll. Dabei dürfte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine Wohnung im EG handeln,
die der Kläger aber nie bewohnt hat, wie sich insbesondere aus der vom Beklagten eingeholten telefonischen Auskunft der Vermieterin ergibt,
wie sie im Aktenvermerk vom 05.07.2005 festgehalten wurde. Dem entsprechen auch die Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten. Diese
widersprüchlichen Angaben sind nicht geeignet, ein Getrenntleben in der gemeinschaftlichen Wohnung glaubhaft zu machen.
34 Gegen eine Aufhebung der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft mit der Ehefrau des Klägers spricht zudem, dass der Kläger eine Scheidung
strikt ablehnt, wie das SG in seiner angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, und dass weiter auch nicht ersichtlich ist, dass seine
Ehefrau die Ehescheidung beabsichtigt. Ihr Hinweis in der mündlichen Verhandlung auf die mit einer Scheidung verbundenen Prozesskosten ist
angesichts der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, wenig überzeugend.
35 Auch das sonstige umfangreiche Vorbringen des Klägers zum Mietverhältnis, zur Mietwohnung und deren Nutzung und zum Grund der
angeblichen Trennung enthält keine objektiv nachprüfbaren Tatsachen, die die Behauptung des Klägers, er lebe von seiner Ehefrau dauerhaft
getrennt, belegen können. Nicht glaubhaft ist vor allem das Vorbringen des Klägers, dass er eine Scheidung deshalb ablehne, weil er seine
Verbindlichkeiten gegenüber seiner Ehefrau begleichen wolle. Abgesehen davon, dass ihn daran eine Scheidung gewiss nicht hindern würde,
ist dies auch deshalb nicht glaubhaft, weil er im gleichen Atemzug betont, aufgrund seiner Erkrankung auf die Hilfe seiner Ehefrau angewiesen
zu sein.
36 Wenig überzeugend ist auch, dass sowohl der Kläger als auch die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Angaben
darüber machen konnten (oder wollten), ob die Beigeladene in den Jahren 2005 und 2006 einen Lohnsteuerjahresausgleich beantragt hat.
Immerhin wurden von ihrem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 1.894,16 EUR Steuern in Höhe von monatlich 263,68 EUR einbehalten, wie
sich aus den in der Verwaltungsakte enthaltenen Gehaltsabrechnungen ergibt. Es ist kaum vorstellbar, dass die Beigeladene keinen Versuch
unternommen hat, wenigstens einen Teil der Steuern vom Finanzamt zurückzuerhalten. Dabei hätte die Art der steuerlichen Veranlagung
durchaus Aufschluss darüber geben können, ob ein Getrenntleben anzunehmen ist oder nicht. Haben die Eheleute eine Zusammenveranlagung
gewählt, was nur möglich ist, wenn sie nicht dauernd getrennt leben (§ 26 Abs. 1 EStG), wäre auch im Sozialrecht von einem Zusammenleben
auszugehen. Denn es wäre ein vom Gesetz nicht gedeckter Wertungswiderspruch, steuerrechtlich von einem Zusammenleben und
sozialrechtlich von einem Getrenntleben auszugehen. Hat die Beigeladene dagegen eine getrennte Veranlagung gewählt, würde dies zwar nicht
zwingend auf ein Getrenntleben schließen lassen, weil auch Eheleute, die zusammen leben, eine getrennte Veranlagung wählen können. Es
könnte aber dann als Indiz für ein Getrenntleben gewertet werden, wenn die Beigeladene bei dieser Veranlagung Steuern zahlen müsste, die sie
bei einer Zusammenveranlagung nicht zu zahlen hätte. Sie würde dann um des Getrenntlebens willen finanzielle Nachteile in Kauf nehmen.
37 Der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe mit Bescheid vom 17.12.2007 von der Stadt S. einen Betrag von 1.311,- EUR
für die Erstausstattung einer Wohnung erhalten, ist für den hier zu beurteilenden Zeitraum unerheblich.
38 Die Beklagte hat, ausgehend von dem von der Ehefrau des Klägers nach den vorgelegten Verdienstbescheinigungen gleichbleibend erzielten
Bruttoverdienst in Höhe von 1.894,16 EUR (Nettoverdienst 1.220,40 EUR), das anzurechnende Einkommen der Ehefrau der Klägerin zutreffend
in Höhe von monatlich 988,95 EUR und ab 01.12.2005 in Höhe von monatlich 940,40 EUR errechnet. Hiergegen hat der Kläger im Übrigen
keine Einwendungen erhoben. Dieses gemäß § 19 Satz 3 SGB II vorrangig auf den Regelbedarf anzurechnende Erwerbseinkommen übersteigt
den Regelbedarf des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt monatlich 673,13 EUR (311 EUR x 2 gemäß § 20 Absatz 2 und 3 SGB II
in der bis zum 30.06.2007 geltenden Fassung zuzüglich Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung des Klägers in Höhe von monatlich 51,13
EUR gemäß § 21 Absatz 5 SGB II) deutlich.
39 Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Insbesondere ist nicht ersichtlich und dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen, dass die
vom Kläger benannte Zeugin zur weiteren Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes beitragen kann.
40 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hält es auch für sachgerecht, dass der Beigeladenen keine Kosten zu erstatten sind.
Zwar hat sie keinen förmlichen Antrag gestellt, sich der Sache bzw. ihrem Vorbringen nach aber auf Seiten des Klägers am Prozess beteiligt.
41 Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.