Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.01.2004

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Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 13.01.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Freiburg S 11 KR 3382/02
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 2925/03
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts F. vom 16. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für eine Haartransplantation mit Mini- und Mikrotransplantaten.
Die 1953 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflichtversichert. Sie leidet infolge der Excision eines Basalioms an
einer 8 x 9 cm kahlen Stelle im Kopfbereich.
Am 04.06.2002 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Bescheinigung der Hautärztin Dr. S. die Übernahme der
Kosten einer Haartransplantation mit Mini- und Mikrotransplantaten. Ausweislich der Bescheinigung sind
voraussichtlich drei Operationen mit ca. jeweils 400 bis 450 Transplantaten erforderlich. Die Operationen würden im
Abstand von jeweils 6 Monaten durchgeführt. Die Kosten pro operativer Sitzung (400 Transplantate) würden sich auf
2.000,- EUR belaufen.
Die Beklagte hörte Dr. E. beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in F ... Dieser führte in seiner
sozialmedizinischen Beratung aus, es liege bei der Klägerin eine stigmatisierende Veränderung des Körperäußeren an
den Präsentationsflächen der Persönlichkeit vor, die als behandlungsbedürftige Krankheit angesehen werden könne.
Die Haartransplantation sei eine Korrekturmöglichkeit, die Langzeiterfolge seien allerdings uneinheitlich und die
Kosten erheblich. Die Maßnahme überschreite im Regelfall das Maß des medizinisch Notwendigen. Alternativ könne
die Versorgung mit einem Haarteil oder einer Perücke in Erwägung gezogen werden. Sei eine Perücke bei bestimmten
Lokalisationen einer Alopezie nicht einsetzbar, könne eine Haartransplantation sinnvoll sein, sofern keine operative
Behandlung mittels Dehnungsplastik (über EBM abrechenbar) und keine Transplantation von haartragenden
Hautimplantaten (über Ziff. 2155 des EBM abrechenbar) in Frage käme.
Hierzu äußerte sich für die Klägerin Dr. S. dahingehend, dass bei der Versorgung mit einer Perücke beachtet werden
müsse, dass die Klägerin bei den schon existierenden posttraumatischen Belastungen durch das Tragen einer
Perücke im täglichen Leben zusätzlich sehr belastet werde. Außerdem müsse man berücksichtigen, dass bei
jüngeren Patienten der gesamte Kostenaufwand für die Korrekturen der Perücken im Laufe der Jahre höher sei als die
Kosten für eine Transplantation. Eine Dehnungsplastik komme bei der Klägerin wegen sehr starker
Spannungsverhältnisse nicht in Frage. Die Transplantation von haartragenden Hautimplantaten führe zu sog.
Büscheleffekten mit sehr schlechtem kosmetischem Ergebnis, weswegen sie eine Haartransplantation mit Mikro- und
Minitransplantaten empfehle.
Die Beklagte hörte hierzu noch einmal den MDK. Für diesen teilte Dr. A. mit, die Versorgung mit einem Haarteil/einer
Perücke sei seines Erachtens ausreichend. Das Argument der Wirtschaftlichkeit treffe bei der Klägerin nicht zu, da
sie sich bereits im 50. Lebensjahr befinde.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 15.07.2002 ab.
Ihren dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass sie sich wegen der
Kahlheit in einer sehr schlechten Verfassung befinde. Eine Perücke könne sie nicht akzeptieren, da zum einen die
gesunden Haare darunter brüchig würden und zum anderen sie noch viel zu jung dafür sei. Im übrigen sei eine
Perücke, aufgrund der notwendigen Erneuerungen letztendlich teurer als eine einmalige Transplantation. Ergänzend
legte die Klägerin noch ein weiteres Attest des Prof. Dr. P., Universitäts-Hautklinik F., das im Wesentlichen der von
Dr. S. vorgelegten Bescheinigung entspricht, vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2002 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Die beantragte Leistung widerspreche dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Kasse dürfe daher keine
Kosten übernehmen.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Sie stellte erneut auf einen Kostenvergleich
zwischen der Versorgung mit Perücken und der beantragten Haartransplantation ab. Die beantragte
Haartransplantation überschreite nicht das medizinisch Notwendige. Nur mit dieser Transplantation könne der
angestrebte Behandlungserfolg erreicht werden. Außerdem handele es sich um eine im Wesentlichen etablierte
Behandlungsmethode mit zuverlässigen Behandlungserfolgen. Die Versorgung mit einem Haarteil oder einer Perücke
sei für sie aufgrund ihrer psychischen Verfassung aber auch der Tatsache, dass ihre gesunden Haare unter der
Perücke ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen würden, nicht akzeptabel.
Die Beklagte wies darauf hin, dass die beantragte Maßnahme eine außervertragliche Behandlungsmethode sei, die
nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werde. Der Bundesausschuss der Ärzte und
Krankenkassen habe sich bisher zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen dieser Methode nicht geäußert.
Die Abrechnung sei ausgeschlossen.
Auf Nachfrage teilte die Klägerin mit, dass es sich bei der beantragten Maßnahme um eine ambulante Behandlung
handele.
Mit Urteil vom 17.06.2003, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 02.07.2003, wies das SG die
Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die vorliegend streitige Haartransplantation sei keine Leistung der
gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit
der Folge der Erbringbarkeit und Abrechenbarkeit dieser Leistung sei in der vertragsärztlichen Versorgung nicht
erfolgt.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.07.2003 Berufung eingelegt. Es komme nicht darauf an, ob es sich um eine neue
Behandlungsmethode handele. Entscheidend sei, dass sie einen Anspruch auf die beantragte Maßnahme habe. Aus
medizinischer Sicht, insbesondere unter Berücksichtigung der psychischen Folgeschäden, sei eine Versorgung mit
einem Haarteil oder einer Perücke nicht ausreichend. Die geplante Transplantation stelle auch die einzig
erfolgversprechende Behandlungsmaßnahme dar. Eine Dehnungsplastik komme wegen der sehr starken
Spannungsverhältnisse nicht in Frage.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts F. vom 17. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 15. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2002 zu verurteilen, die Kosten für
die Transplantation mit Mini- und Mikrotransplantaten in Höhe von 3.000,-EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat eine Auskunft des Arbeitsausschusses "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen eingeholt. Danach hat sich der Bundesausschuss mit dem Verfahren der Mini- und Mikro-
Haartransplantation im Bereich der Kopfhaut bisher nicht befasst und es liegt auch kein Antrag zur Überprüfung dieser
Methode auf Nutzen, medizinische Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit gemäß § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes
Buch (SGB V) für die ambulante vertragsärztliche Versorgung vor. Eine Beratung dieser Methode sei zur Zeit
ebenfalls nicht vorgesehen. Unterlagen, die erkennen ließen, ob diese Methode den für die vertragsärztliche
Versorgung gesetzlich vorgegebenen Kriterien diagnostischer oder therapeutischer Nutzen, medizinische
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit genügen würden, würden nicht existieren.
Ergänzend hat sich der Senat an Dr. W. von der Geschäftsführung des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 3
SGB V gewandt. Dieser hat in seiner Stellungnahme im Wesentlichen ausgeführt, dass zur Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenkassen für den Fall, dass es sich um einen krankhaften, pathologischen Haarausfall handele,
die Übertragung von Hautstücken mitsamt der Hautwurzeln gehöre. Dies könne nach Nr. 2152 EBM, allerdings auch
für die Übertragung mehrer Hautstücke mit Haarwurzeln je Sitzung nur einmal, berechnet werden.
Die Beklagte hat sich hierzu dahingehend geäußert, dass gegen die Abrechnung von vertraglichen Maßnahmen der
Haartransplantation über die Abrechnungs-Nr. 2152 EBM keine Bedenken bestünden.
Die Klägerin hat die Transplantationen am 15.12.2002 und 24.08.2003 vornehmen lassen. Die hierfür von Dr. S.
erteilten Rechnungen vom 15.12.2002 in Höhe von 2.000,-EUR und vom 24.08.2003 in Höhe von 1.000,-EUR wurden
vorgelegt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakten der Beklagten, den der Akten beider Rechtszüge und die Niederschrift über die mündliche
Verhandlung am 13.01.2004 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf eine Haartransplantation mit Mini- und Mikrotransplantaten.
Die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um einen Anspruch auf Krankenbehandlung zu begründen, sind im
Urteil des SG zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen.
Danach sind Behandlungsmaßnahmen und auch der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V von der
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, wenn es sich um eine neue
Behandlungsmethode, die -noch- nicht anerkannt ist, handelt.
Unter einer neuen Behandlungsmethode versteht die Rechtsprechung ein medizinisches Vorgehen, dem ein eigenes
theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das es von anderen Therapieverfahren unterscheidet und
seine systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. BSG, Urteil vom
19.02.2002 - B 1 Kr 16/00 R -).
Hier wurde eine Haartransplantation mit Mini- und Mikrotransplantaten durchgeführt. Diese Methode unterscheidet sich
von den in Nr. 2152 und Nr. 2155 EBM-Ä vorgesehenen Transplantationen dadurch, dass keine haartragenden
Hautimplantate, sondern eine Vielzahl von einzelnen Haarwurzeln ohne ein Hautstück übertragen werden. Damit ist
die Methode der Übertragung von Mini- und Mikrotransplantaten "neu" im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V.
Ob eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse und damit dem in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderten Versorgungsstandard entspricht, soll nun nach
Wortlaut und Konzeption des Gesetzes nicht von Fall zu Fall durch die Krankenkasse oder das Gericht, sondern für
die gesamte ambulante Versorgung einheitlich durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als
fachkundiges Gremium entschieden werden, um so eine an objektiven Maßstäben orientierte und gleichmäßige Praxis
der Leistungsgewährung zu erreichen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003 - B 1 Kr 18/01 R -). Dabei hat der
Bundesausschuss nicht selbst über den medizinischen Nutzen der Methode zu urteilen. Seine Aufgabe ist es
vielmehr, sich einen Überblick über die veröffentlichte Literatur und die Meinung der einschlägigen Fachkreise zu
verschaffen und danach festzustellen, ob ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens
über die Qualität und Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsweise besteht. Die Richtlinien über die
Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien) vom 10.12.1999 tragen dieser
Aufgabenstellung Rechnung, indem sie im Einzelnen regeln, welche Unterlagen für die Überprüfung heranzuziehen
sind, nach welchen Kriterien die Bewertung zu erfolgen hat und welche Voraussetzungen für eine Anerkennung der
Methode erfüllt sein müssen.
Die Methode der Haartransplantation mit Mini- und Mikrotransplantaten ist nach der von der Geschäftsführerin des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen Arbeitsausschuss "ärztliche Behandlung" Dr. P. dem Senat
erteilten Auskunft weder geprüft noch abgelehnt worden. Es liegt auch kein Antrag zur Überprüfung dieser Methode
auf Nutzen, medizinische Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit gemäß § 135 Abs. 1 SGB V vor. Unterlagen, die
erkennen lassen würden, ob diese Methode den für die vertragsärztliche Versorgung gesetzlich vorgegebenen
Kriterien diagnostisch oder therapeutischer Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit genügen
würden, existieren nicht. Eine Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen liegt nicht
vor. Die Befürworter der Mini- und Mikrohaartransplantation sind bisher auch überhaupt noch nicht tätig geworden. Sie
haben beim Bundesausschuss weder angefragt, welche Unterlagen zu einer Beratung einzureichen sind, noch
Unterlagen eingereicht. Damit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Bundesausschuss über die
Anerkennung dieser Form der Transplantation ohne sachlichen Grund nicht oder nicht zeitgerecht entschieden hat,
denn dies setzt in jedem Fall einen hier nicht vorliegenden Prüfungsantrag oder eine fundierte Anregung voraus.
Nachdem eine Anerkennung durch den Bundesausschuss nicht vorliegt, kommt es auf den eingetretenen Erfolg der
Behandlung bei der Klägerin und darauf, dass es sich nach ihrem Vorbringen um die einzig erfolgreiche Behandlung
handelt, nicht mehr an. Eine Erstattung scheidet aus. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem
Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V herleiten. Die von der Klägerin in Anspruch genommene Leistung gehört von
vorn herein nicht zu den Leistungen, die die gesetzliche Krankenkassen zu gewähren haben und damit am
Wirtschaftlichkeitsgebot zu messen sind. Die Klägerin hat sich aus freien Stücken außerhalb des Systems der
gesetzlichen Krankenversicherung begeben. Für eine derartige Behandlung hat die Krankenkasse selbst dann nicht
einzustehen, wenn hierdurch keine höheren Kosten als im Rahmen des gesetzlichen Leistungssystems entstanden
wären. Damit erübrigt sich auch eine weitere Überprüfung, ob die Vergütung durch die nur pauschale
Rechnungsstellung durch Dr. S. überhaupt fällig geworden ist. Es kann, nachdem eine Erstattung nicht in Betracht
kommt, dahingestellt bleiben, ob Dr. S. noch eine der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) entsprechende Rechnung
vorlegen würde.
Die Berufung konnte, weil die Transplantation von Mini- und Mikrohaartransplantaten nicht zu den Leistungen der
Krankenversicherung gehört, keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.