Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2003

LSG Bwb: besondere härte, arbeitserlaubnis, ausländer, arbeitsmarkt, vorrang, hauptsache, erlass, sozialhilfe, besitz, aufenthalt

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Beschluss vom 24.06.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Heilbronn S 3 AL 899/03 ER-B
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 13 AL 1666/03 ER-B
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. April 2003 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist statthaft (vgl. § 172 Abs. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) und auch sonst zulässig.
Mit der Beschwerde erstrebt die Klägerin, dass die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird,
ihr bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache eine Arbeitsgenehmigung als Reinigungskraft für
wöchentlich 10 Stunden bei der Industrievertretungen GmbH in H. zu erteilen. Die Beschwerde ist sachlich nicht
begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf Erlass einer hierauf gerichteten einstweiligen
Anordnung abgelehnt.
Der Erlass der einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt einen
Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Der Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn bei der im
Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, wobei auch
wegen der mit der einstweiligen Regelung verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache ein strenger Maßstab
anzulegen ist (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Buchholz 310 § 123 Nr. 15). Vorliegend ist ein
Anordnungsanspruch zu verneinen, denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin mit ihrem Begehren auf
Erteilung einer Arbeitserlaubnis für eine Beschäftigung als Reinemachefrau mit wöchentlich 10 Stunden bei
Industrievertretungen GmbH in H. unterliegen wird.
Prüfungsmaßstab sind die §§ 284 f des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) sowie die Regelungen der
Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV)
vom 17. September 1998 (BGBl. I S. 2899), zuletzt in der Fassung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung
von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2787). Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 SGB III
besteht für ausländische Arbeitnehmer - von hier nicht einschlägigen supranationalen Regelungen abgesehen -
grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot mit Genehmigungsvorbehalt (vgl. BSGE 43, 143, 155; BSG Urteil vom 26.
März 1998 - B 11 AL 75/97 R - DBlR 4444a, AFG/§ 19). Zwischenstaatliche Vereinbarungen zugunsten der Klägerin,
die nicht die deutsche, sondern die kongolesische Staatsangehörigkeit besitzt, sind nicht vorhanden; ebenso wenig
greifen die sonstigen Regelungen in § 284 Abs. 1 Satz 2 SGB III und § 9 ArGV ein. Deshalb benötigt sie zur
Beschäftigungsaufnahme eine Arbeitsgenehmigung; daran ändert nichts, dass es sich um eine Beschäftigung in
geringfügigem Umfang handelt. Derzeit sind die Voraussetzungen für die von der Klägerin im Zugunstenverfahren
nach § 44 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch erstrebte Arbeitserlaubnis nach § 285 Abs. 1 Satz 1 SGB III
nicht gegeben; bei summarischer Prüfung zu verneinen sind auch die Voraussetzungen für eine Arbeitserlaubnis aus
Härtegesichtspunkten nach § 1 Abs. 2 ArGV. Der Senat lässt dabei offen, ob der von der Klägerin ursprünglich in
Aussicht genommene Arbeitsplatz noch vorhanden oder nicht schon anderweitig besetzt ist; bereits am 25. November
2002 stand nämlich lediglich noch ein Arbeitsplatz für eine Beschäftigung als Reinemachefrau für wöchentlich 5
Stunden zur Verfügung.
1. Soweit Prüfungsmaßstab für die Arbeitserlaubnis § 285 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist, lässt sich derzeit lediglich
feststellen, dass die Klägerin nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer
beschäftigt werden soll (vgl. § 285 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III). Wegen fehlender näherer Begründung nicht
nachvollziehen lässt sich, inwiefern sich nach § 285 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III durch die geringfügige
Beschäftigung, welche die Klägerin anstrebt, nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben. Die Beklagte
hat den auf eine Arbeitserlaubnis gerichteten Zugunstenantrag unter Hinweis auf diese Vorschrift abgelehnt und
ausgeführt, dass wegen eines überdurchschnittlichen Stellenmangels für geringfügige Beschäftigungen im
Arbeitsamtsbezirk H. derzeit keine Arbeitserlaubnisse erteilt würden. Dies kann nur so verstanden werden, dass die
Beklagte nachteilige Auswirkungen im Sinn des § 285 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III bejaht oder zwar, ebenso wie einen
Vorrang deutscher oder diesen gleichgestellten Arbeitnehmer (vgl. § 285 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III), verneint, von
dem ihr eingeräumten Ermessen aber in der Weise Gebrauch macht, dass sie Arbeitserlaubnisse für geringfügige
Beschäftigungen generell nicht erteilt. Auch wenn der Beklagten bei der Entscheidung, ob sich durch die
Beschäftigung des Ausländers gegenwärtig und zukünftig nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt,
insbesondere dessen spezielle nach Beschäftigungsstruktur, Regionen und Wirtschaftszweige aufgeteilte Teilbereiche
ergeben, kein Beurteilungsspielraum zukommt, muss die Begründung der über kein Lenkungsmandat verfügenden
Beklagten in den Verwaltungsentscheidungen nachvollziehbar und dem Adressaten sowie dem Gericht eine Prüfung
ermöglichend erkennen lassen, weshalb sich aus der Beschäftigung gegenwärtig und zukünftig nicht schon von § 285
Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB III erfasste Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben. Diesen Anforderungen werden
Bescheid und Widerspruchsbescheid nicht gerecht; ebenso wenig hat die Beklagte, sofern sie § 285 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 SGB III hat verneinen wollen, ausreichend begründet, weshalb sie trotz eines fehlenden Vorrangs deutscher oder
diesen gleichgestellter Arbeitnehmer bei dem überdurchschnittlichen Mangel an Stellen für eine geringfügige
Beschäftigung generell keine Arbeitserlaubnis für solche Stellen erteilt. Damit spricht zwar viel dafür, dass die
Anfechtungsklage derzeit begründet ist; gleiches gilt wegen fehlender und im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes auch nicht herzustellender Spruchreife und der zu verneinenden Ermessensreduzierung auf Null aber
nicht für die damit verbundene Verpflichtungsklage.
2. Zu verneinen sind schließlich die Voraussetzungen für eine Arbeitserlaubnis wegen besonderer Härte. Gemäß der
auf der Grundlage des § 288 SGB III ermächtigungskonform erlassenen Bestimmung des § 1 Abs. 2 ArGV kann die
Arbeitserlaubnis abweichend von § 285 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB III auch dann erteilt werden, wenn die
Versagung unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles eine besondere Härte bedeuten
würde. Für den aufenthaltsrechtlichen Status reicht der Besitz einer Aufenthaltsgestattung aus (§ 5 Nr. 2 ArGV), wenn
- wie hier - der Ausländer nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Zu dem früher
maßgeblichen Auffangtatbestand des § 2 Abs. 7 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) war anerkannt, dass es sich
bei den "besonderen Verhältnissen des Ausländer" und der "Härte" um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt (vgl.
BSGE 43, 153, 158; 54, 14, 21); an dieser außerhalb des Ermessensbereichs liegenden vollen richterlichen
Nachprüfbarkeit der zur tatbestandlichen Festlegung verwendeten Begriffe hat sich durch die Fassung des § 1 Abs. 2
ArGV nichts geändert, so dass auf die bisherige Rechtsprechung auch nach der neuen Rechtslage zurückgegriffen
werden kann (vgl. Senatsurteile vom 10. August 1999 - L 13 AL 1482/98 - [unveröffentlicht] und vom 12. September
2000 - L 13 AL 2570/99 - veröffentlicht in Juris; ebenso Eicher/Spellbrink in Kasseler Handbuch des
Arbeitsförderungsrechts, § 26 Rz 64). Die Auslegung hat sich demnach am Zweck einer solchen Arbeitserlaubnis
unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertordnung auszurichten (vgl. zum Folgenden BSGE 54, 14, 21
f.). Danach soll einem Ausländer aus besonderen sozialen Gründen die Arbeitsaufnahme ermöglicht werden, obwohl
dies den hierdurch entstehenden negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt mit dem grundsätzlichen Vorrang der
deutschen und der ihnen gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmer widerspricht. Dementsprechend können die für
ausländische Arbeitnehmer allgemein gültigen Verhältnisse einen besonderen Härtefall nicht begründen und besondere
Verhältnisse nur, wenn sie stärkeres Gewicht haben als der Vorrang der deutschen und der ihnen gleichgestellten
Arbeitnehmer (vgl. auch BSG SozR 4210 § 2 Nr. 10 S. 15; BSG, Urteil vom 22. September 1988 - 7 RAr 108/87 -
DBlR 3416a, AFG/ §103). Insoweit kann an die Wertung, die den Fallgruppen des § 286 SGB III und des § 2 Abs. 5 -
5 ArGV zugrunde liegt, angeknüpft werden (vgl. Senatsurteile vom 10. August 1999 und 12. September 2000 a.a.O.;
zum früheren Rechtszustand ferner BSGE 54, 14, 22; 65, 126, 128; BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr
129/89 - DBlR 3739, AFG/§ 19). Demnach müssen besonders gelagerte Verhältnisse vorliegen, die im Einzelfall den
Arbeitsmarktvorbehalt und den Vorrang der deutschen und der ihnen gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmer
zurücktreten lassen; dies ist nicht schon bei langjährigem Aufenthalt im Inland, dem Angewiesensein auf Leistungen
der Sozialhilfe oder bestehenden Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Familienangehörigen der Fall (vgl. BSGE 54,
14, 22; BSG, Urteil vom 11. Februar 1988 - 7 RAr 72/86 - DBlR 3326, AFG/§ 19; BSGE 65, 126, 128; BSG, Urteil vom
26. September 1989 - 11 RAr 51/88 - DBlR 3566, AFG /§ 19). Da § 286 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III an die
Existenzgrundlage anknüpft, ist es im Allgemeinen nicht besonders hart, wenn dem Ausländer eine Arbeitserlaubnis
versagt wird, mit deren Hilfe er sich erst in den Arbeitsmarkt eingliedern will (vgl. BSGE 54, 14, 22; 65, 126, 128).
Besonders gelagerte Verhältnisse des Einzelfalls, die hier den Arbeitsmarktvorbehalt mit Vorrang der deutschen und
der ihnen gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmer zurücktreten und deshalb die Versagung einer
arbeitsmarktunabhängigen Arbeitserlaubnis als besondere Härte erscheinen ließen, sind bei der Klägerin nicht
gegeben. Sie hält sich erst seit Dezember 1999 im Bundesgebiet auf; seit 31. Dezember 2000 ist sie Mutter der
Tochter J. W.-M., die der Verbindung mit dem kongolesischen Staatsangehörigen Ja. W. entstammt, wobei weitere
Kinder nicht vorhanden sind. Ihre individuellen Verhältnisse unterscheiden sich indessen nicht von denen, unter denen
die Mehrzahl ausländischer Arbeitswilliger ohne Arbeitserlaubnis zu leben hat, was auch für das von ihr angeführte
Angewiesensein auf Sozialhilfe gilt. Deshalb ist es ohne Belang, dass sich mit Hilfe der geringfügigen Beschäftigung
unter Berücksichtigung des Einkommens ihres Partners das Familieneinkommen erhöhen würde mit der Folge, dass
der sozialhilferechtliche Bedarf in stärkerem Maße von der Familie selbst gedeckt werden könnte. Das Fehlen eines
gesicherten Aufenthaltstitels (hier also insbesondere eine Aufenthaltsbefugnis) kann in diesem Zusammenhang nicht
herangezogen werden, nachdem § 286 Abs. 1 Satz 1 SGB III sowie § 2 Abs. 1 bis 5 ArGV ausdrücklich besondere
Regelungen bereithalten (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1987 - 7 RAr 67/86 - InfAuslR 1988, 6; BSG, Beschluss
vom 23. Januar 1992 - 7 RAr 74/91 - InfAuslR 1992, 106). Das im Einzelnen normierte Zusammenspiel zwischen
Aufenthaltsrecht und Arbeitserlaubnisrecht lässt es nicht zu, eine Arbeitserlaubnis unter Härtegesichtspunkten allein
deshalb zuzuerkennen, weil damit wiederum eine gegenwärtig ohnehin nicht zu erwartende Verbesserung des
aufenthaltsrechtlichen Status erlangt werden könnte (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Dezember 1998 - L 13 AL 425/97
ER-B -). Selbst wenn der Tochter einer Aufenthaltsbefugnis erteilt würde, ist auch nach Wegfall des
Versagensgrundes des § 11 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) völlig offen, ob der Klägerin ebenfalls eine
Aufenthaltsbefugnis erteilt werden könnte (Schriftsatz der Stadt N. als Ausländerbehörde vom 5. Dezember 2002).
Auch wenn wegen des zugunsten des Kindes nach § 53 Abs. 6 AuslG festgestellten Abschiebehindernisses insoweit
und solange auch ein Abschiebehindernis zugunsten der Klägerin bestünde, so kann doch nicht damit gerechnet
werden, dass die Klägerin auch bei erfolglosem Ausgang des Asylverfahrens auf nicht absehbare Zeit im Inland
erlaubt wird bleiben können (vgl. hierzu BSGE 65, 126, 130; BSG DBlR 3739, AFG/§ 19, ferner BSGE 84, 253, 255);
ein Abschiebehindernis auf unabsehbare Zeit liegt nicht schon dann vor, wenn sich die dafür maßgebliche Situation
insoweit nicht abschätzen lässt (vgl. BSGE 82, 23, 26 f). Weitere Umstände des Einzelfalls, die hier für sich allein
oder im Zusammenwirken mit anderen Umständen eine besondere Härte im Sinne des § 1 Abs. 2 ArGV begründen
könnten, sind nicht ersichtlich. Dazu zählt insbesondere nicht, dass es sich bei der angestrebten Beschäftigung
lediglich um eine solche geringfügigen Umfangs handelt, mit der das allein vom Lebenspartner erzielte
Familieneinkommen aufgebessert werden soll. Die geringere zeitliche Dauer der angestrebten Beschäftigung ist kein
Grund, geringe Anforderungen an das Vorliegen eines Härtefalls zu stellen, da sonst regelmäßig für geringfügige
Beschäftigungen eine Arbeitserlaubnis erteilt werden müsste; abgesehen davon trifft gerade der Verlust einer lediglich
geringfügigen Beschäftigung den Ausländer nicht besonders hart.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.