Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.06.2009

LSG Baden-Württemberg: satzung, zahnärztliche behandlung, gleichbehandlung im unrecht, genehmigung, prämie, systematische auslegung, historische auslegung, krankenversicherung, verordnung

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.6.2009, L 1 A 4797/08
Krankenversicherung - Ausgestaltung von Wahltarifen - Prämienzahlung bei Nichtinanspruchnahme von
Leistungen - Alles-oder-Nichts-Prinzip
Leitsätze
In der Beitragssatzung einer gesetzlichen Krankenkasse kann nach § 53 Abs. 2 SGB V die Gewährung einer
Prämienzahlung („Gesundheitsbonus“) wegen der Nichtinanspruchnahme von Leistungen nur dann erfolgen, wenn
mit Ausnahme der in der Vorschrift genannten prämienunschädlichen Leistungen keinerlei Leistungen zu Lasten
der Krankenkasse in Anspruch genommen werden (Prinzip des „Alles oder Nichts“).
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 06.08.2008 geändert und die
Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Genehmigung einer Satzungsänderung der Klägerin über die Ausgestaltung
von Wahltarifen nach § 53 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im Streit. Konkret geht es um die Frage,
ob die Beitragserstattung („Prämie“) an Versicherte bei der Nichtinanspruchnahme von Leistungen bzw. nur
geringfügiger Inanspruchnahme von Leistungen um pauschale Beträge statt um die tatsächlich angefallenen
Kosten gemindert werden kann.
2
Die Klägerin ist eine bundesweit tätige geschlossene Betriebskrankenkasse und unterliegt als rechtsfähige
Körperschaft des öffentlichen Rechts der Rechtsaufsicht durch die Beklagte nach den §§ 187 ff.
Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Der Sitz der Klägerin ist in Stuttgart.
3
Mit Schreiben vom 09.05.2007 fragte die Klägerin bei der Beklagten an, ob der beabsichtigte 24. Nachtrag zu
ihrer Satzung als genehmigungsfähig angesehen werde. In § 8c der Satzung der Klägerin werden die
grundsätzlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Wahltarifs und die Möglichkeit einer
Prämienzahlung geregelt. In Absatz 2 sollte durch die Änderung geregelt werden, dass bestimmte Leistungen
(insbesondere Leistungen der Prävention, Selbsthilfe und Vorsorgeleistungen sowie die Behandlung von
Kindern) unschädlich für die Leistung einer Prämie sein sollten. In dem beabsichtigten neuen Abs. 2 Satz 3
sollte vorgesehen werden, dass eine ärztliche oder zahnärztliche Behandlung mit der Verordnung von Arznei-,
Heil- oder Hilfsmitteln im Kalenderjahr die Prämienzahlung nach Abs. 3 der Vorschriften um 40 EUR bzw. zwei
Verordnungen im Kalenderjahr die Prämie entsprechend um 80 EUR minderten; jede weitere Verordnung solle
eine Prämienzahlung ausschließen. Die pauschale Kürzung der Prämie gelte bereits nach der Satzung der
AOK Baden-Württemberg (unter Hinweis auf § 17 k Abs. 3 dieser Satzung). Man befinde sich mit der AOK
Baden-Württemberg in unmittelbarem Wettbewerb, so dass auf eine Gleichbehandlung hinsichtlich der
Genehmigungspraxis großer Wert gelegt werde.
4
Mit Schreiben vom 21.05.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie großes Verständnis dafür habe,
dass diese aufgrund des Wettbewerbs den Versicherten dieselbe Satzungsregelung anbieten wolle wie einzelne
landesunmittelbare (der Landesaufsicht unterliegende) Kassen. Die vorgelegte Regelung sei jedoch nicht
genehmigungsfähig. Statt einer pauschalierten Prämienminderung habe die Kasse die konkreten Kosten zu
berücksichtigen, welche das Mitglied verursacht habe; anderenfalls wäre die Voraussetzung in § 53 Abs. 2
Satz 1 SGB V, dass das Mitglied Leistungen zu Lasten der Kasse nicht in Anspruch genommen habe, nicht
erfüllt.
5
Mit der Satzungsänderung vom 31.05.2007 nahm die Klägerin die von der Beklagten zu anderen
Änderungswünschen geäußerte Kritik der Beklagten auf und setzte diese um; allerdings beschloss sie
entgegen den Ausführungen der Beklagten mit einem 24. Nachtrag zu ihrer Satzung einen neuen § 8a Abs. 3,
der folgenden Wortlaut hat:
6
„Die Inanspruchnahme folgender Leistungen wird wie folgt auf die Prämienzahlung angerechnet:
7
Ärztliche oder zahnärztliche Behandlung mit einer Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln im
Kalenderjahr mindert die Prämienzahlung nach Abs. IV um 40 EUR, zwei entsprechende Verordnungen
im Kalenderjahr mindern die Prämie um 80 EUR. Jede weitere Verordnung schließt eine
Prämienzahlung aus.“
8
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25.09.2007 lehnte die Beklagte unter anderem die Genehmigung
des neuen Abs. 3 des § 8a der Satzung in der Fassung des 24. Nachtrages ab. Eine Krankenkasse könne
nach § 53 Abs. 2 SGB V in ihrer Satzung eine Prämienzahlung vorsehen, wenn Versicherte und ihre nach § 10
mit versicherten Angehörigen in diesem Kalenderjahr Leistungen zu Lasten der Krankenkasse nicht in
Anspruch genommen hätten. Die nicht zu berücksichtigenden Leistungen seien im Gesetz abschließend
genannt. Darüber hinaus seien die Leistungen vollständig zu erfassen. Auch mit Blick auf das
Selbstfinanzierungsgebot nach § 53 Abs. 9 SGB II (gemeint: SGB V) sei es nicht vertretbar, wenn über diese
Ausnahmen hinaus weitere Leistungen bei der Anrechnung ausgeklammert oder nur mit Pauschalbeträgen
angerechnet würden; die tatsächlich entstandenen Kosten seien insoweit zu erfassen und auch heranzuziehen.
9
Am 22.10.2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Die Beklagte habe mit der
Versagung der beantragten Genehmigung ihr Aufsichtsrecht überschritten und ermessensfehlerhaft gehandelt.
Im Rahmen der gesetzlich festgelegten Satzungsautonomie sei es der Klägerin allein überlassen, innerhalb der
gesetzlichen Vorgaben ausgestaltende Regelungen zu den in § 53 Abs. 2 SGB V normierten Wahltarifen zu
bestimmen. In der Gesetzesbegründung zu der Vorschrift in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des
Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung heiße es, dass die Wahlfreiheit für Versicherte in der
gesetzlichen Krankenversicherung erhöht werden solle, da diese Voraussetzung für mehr Transparenz und
Wettbewerb zwischen den Krankenkassen sei. Die Begründung der Beklagten sei in sich widersprüchlich, wenn
sie darauf hinweise, dass über die gesetzlich genannten Ausnahmen keine Leistungen bei der Anrechnung
ausgeklammert oder nur mit Pauschalbeträgen angerechnet werden könnten, andererseits aber die tatsächlich
entstandenen Kosten heranzuziehen seien. Denn das Selbstfinanzierungsgebot des § 53 Abs. 9 SGB V sehe
gerade vor, dass die Wahltarife sich aus Einsparungen und Effizienzsteigerungen finanzieren sollten. Dazu
trügen gerade auch Pauschalbeträge bei, die unter anderem auch Verwaltungsvereinfachungen nach sich
zögen. Die versichertengenaue Erfassung der tatsächlich entstandenen Kosten erfordere die Schaffung
umfangreicher organisatorischer Voraussetzungen, die nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprächen, den
Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu stärken. In der vorliegenden Satzungsbestimmung sei daher kein
Verstoß gegen höherrangiges Recht zu sehen. Die Klägerin habe auch vorab mit Schreiben vom 09.05.2007
auf die unterschiedliche Genehmigungspraxis zwischen der Beklagten und der Länderebene hingewiesen und
um Gleichbehandlung insbesondere wegen des Wettbewerbsaspektes gebeten. Die Aufsichtsbehörden träfen
sich regelmäßig zu einem Erfahrungsaustausch entsprechend § 90 Abs. 4 SGB IV, damit es hinsichtlich der
Genehmigungs- und Aufsichtspraxis nicht zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen komme. Insofern habe
das Ministerium für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg der AOK Baden-Württemberg jedoch einen nicht
hinnehmbaren Wettbewerbsvorsprung verschafft, indem eine gleichlautende Regelung dort genehmigt worden
sei. Die Beklagte sei als Aufsichtsbehörde auf eine Rechtsaufsicht beschränkt und dürfe fachaufsichtlich nicht
Umfang und Zweckmäßigkeit von Maßnahmen zum Gegenstand ihrer staatlichen Überwachungstätigkeit
machen (unter Berufung auf BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R -).
10 Die Beklagte bekräftigte ihre Rechtsauffassung, dass § 53 Abs. 2 SGB V eine Prämienzahlung ausdrücklich
nur dann vorsehe, wenn abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen Leistungen zu Lasten der Krankenkasse
nicht in Anspruch genommen worden seien. Bei diesen Ausnahmen handele es sich grundsätzlich um
Leistungen ohne Verordnungsfolgen. Gemäß § 53 Abs. 9 SGB V müssten die Aufwendungen für jeden
Wahltarif aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen, die durch diese Maßnahmen erzielt
würden, finanziert werden (Selbstfinanzierungsprinzip). Die Gesetzesbegründung stelle darüber hinaus klar,
dass jeder Wahltarif für sich betrachtet diesen Anforderungen genügen, sich also selber tragen müsse. Eine
Quersubventionierung durch die übrigen Mitglieder sei grundsätzlich nicht zulässig (Bundestagsdrucksache
16/3100, S. 109). Die Krankenkassen hätten überdies regelmäßig und mindestens alle drei Jahre über die
durch die Wahltarife erzielten Einsparungen gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde Rechenschaft
abzulegen. Die beanstandete Regelung überschreite den satzungsrechtlichen Gestaltungsspielraum und sei
daher nicht genehmigungsfähig. Aus der Zusammenschau von Satz 1 und Satz 3 des § 53 Abs. 2 SGB V
ergebe sich, dass beim Wahltarif Prämienzahlung vom Gesetzgeber grundsätzlich das „Alles-oder-Nichts“-
Prinzip vorgesehen sei. Die Kombination einer Inanspruchnahme prämienrelevanter Leistungen mit einer
Beitragserstattung werde vom Gesetz nicht vorgesehen. Dies ergebe sich neben dem Wortlaut des Gesetzes
auch aus der erforderlichen Abgrenzung zu Selbstbehalttarifen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB V, bei denen
eine Verringerung der Prämie bei Inanspruchnahme selbstbehaltrelevanter Leistungen bei Zugrundelegung der
tatsächlichen entstandenen Kosten möglich wäre. Anders als bei dem Prämienzahlungstarif setze sich der
Versicherte im Rahmen von Selbstbehalttarifen einem begrenzten finanziellen Risiko aus, da er
Behandlungskosten insoweit selbst zu tragen habe. Genau dieses Risiko bestehe aber in der beanstandeten
Tarifgestaltung nicht. Darüber hinaus sei die Tarifgestaltung auch mit den in § 53 Abs. 9 SGB V enthaltenen
Selbstfinanzierungsprinzip nicht vereinbar, da die Solidar- und Systemverträglichkeit der Wahltarife nicht
gewahrt würde. Nur der Prämienverlust, wie die Beklagte ihn fordere, könne eine unzulässige
Quersubventionierung durch die Beiträge der übrigen Versicherten effektiv vermeiden. Die Verweigerung der
Genehmigung stelle auch vorliegend eine reine Rechtskontrolle und damit keine Überschreitung der
Kontrollbefugnisse der Beklagten dar. Zwar sei den Krankenkassen mit der Änderung des § 53 SGB V ein
neuer Gestaltungsspielraum eröffnet worden. Der Beklagten komme damit jedoch die Aufgabe zu, unter
Berücksichtigung der sozialversicherungsrechtlichen Besonderheiten die System- und Solidarverträglichkeit der
Wahltarife im Interesse aller Versicherten sicher zu stellen. Einzuräumen sei, dass die unterschiedliche
Genehmigungspraxis im Verhältnis beispielsweise zu Baden-Württemberg mit Blick auf den Wettbewerb nicht
als optimal empfunden werden könne. Als Folge des föderalen Staatsaufbaus sei dies jedoch hinzunehmen.
Die Beklagte könne ihre Genehmigungspraxis allein am geltenden Recht ausrichten und habe keinen Einfluss
auf andere ihres Erachtens nach fehlerhaften Genehmigungen.
11 Das SG hat zunächst die Frage der örtlichen Zuständigkeit aufgeworfen, woraufhin die Klägerin ihre Satzung
vorgelegt hat. In § 1 Abs. 1 ihrer Satzung ist festgelegt, dass der Sitz der Betriebskrankenkasse in Stuttgart
ist.
12 Am 03.04.2008 hat das SG einen Erörterungstermin durchgeführt. Unter anderem gab der Klägervertreter hierin
an, dass eine Querfinanzierung durch eine laufende Kontrolle mit der ggf. erforderlichen Konsequenz, die
entsprechende Tarifstelle zu streichen, gewährleistet werde. Im Anschluss an den Erörterungstermin legte die
Klägerin zur weiteren Information ihren Geschäftsbericht für das Jahr 2006 vor.
13 Durch Urteil vom 06.08.2008 ohne mündliche Verhandlung hat das SG daraufhin die Beklagte unter Aufhebung
des angegriffenen Bescheides verpflichtet, über den vom Verwaltungsrat der Klägerin am 31.05.2007
beschlossenen 24. Satzungsnachtrag zur Satzung vom 26.04.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu bescheiden. Außerdem habe die Beklagte die Gerichtskosten und die außergerichtlichen
Kosten und Auslagen der Klägerin zu tragen. Streitgegenstand der kombinierten Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage sei die Frage, ob die Beklagte eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die
Verweigerung der Genehmigung getroffen habe. Die Beklagte habe jedoch nicht in einer für das Gericht
nachvollziehbaren Weise dargetan, weshalb die Versagung der Genehmigung der einzig gangbare Weg
gewesen wäre, in Übereinstimmung mit der für die Zeit vom 01.04.2007 bis 31.12.2008 geltenden Rechtslage
zu handeln. Die Genehmigungsbefugnis der Beklagten hinsichtlich der Rechtsaufsicht ergebe sich aus § 195
SGB V. Der rechtliche Rahmen dieser Rechtsaufsicht sei nicht eindeutig geregelt, doch es sei vor dem
Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltung davon auszugehen, dass die Beklagte sich
insoweit auf eine reine Rechtskontrolle zu beschränken habe (unter Berufung auf BSG, Urteil vom 24.04.2002 -
B 7/1 a 1/00R -). Hierdurch werde die Beklagte darauf beschränkt, lediglich eindeutig rechtswidrige
Satzungsbestimmungen durch Versagung der erforderlichen Genehmigung zu beanstanden. Es sei nämlich
denkbar, dass innerhalb des Gestaltungsspielraums der Krankenkassen unterschiedliche Lösungen bereit
stünden, welche mit höherem Recht vereinbar und daher nicht zu beanstanden seien (BSG a.a.O.). Insoweit
seien lediglich die maßgeblichen gesetzlichen Wertungen zu beachten. Erklärtes Ziel der Umgestaltung des
Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch das GKV-WSG sei neben anderen als Ausgleich eines für
die Zukunft angestrebten einheitlichen Beitragssatzes eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen
Krankenversicherungsträger untereinander gewesen. Da den Krankenkassen weitgehend die Tarifhoheit
genommen werde, sei der Rückgriff auf ein anderes Instrumentarium das notwendige Korrelat. Die durch die
umstrittene 24. Satzungsänderung der Klägerin vom 31.05.2007 vorgesehene Regelung sei eine Mischform der
Möglichkeiten aus § 53 Abs. 2 und Abs. 3 SGB V. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht könne in dieser
Mischform nicht gesehen werden, insbesondere könne das von der Beklagten angeführte „Alles-oder-Nichts“-
Prinzip im SGB V nicht verortet werden. Die Entscheidung der Beklagten sei mit dem Wegfall dieses
Hauptarguments nicht mehr tragfähig. Insoweit könne offenbleiben, ob der Bescheid vom 25.09.2007 nicht
bereits deshalb rechtswidrig sei, da sein knapper Begründungsteil bei Auslegung des Wortlautes an keiner
Stelle zu erkennen gebe, dass und ggf. welches Ermessen die Beklagte ausgeübt habe. Immerhin habe die
Beklagte in Form der Klageerwiderung vom 14.12.2007 ihren Standpunkt näher erläutert, was ein Nachschieben
von Gründen darstellen könnte, dessen Statthaftigkeit indes vom SG offengelassen wurde. Jedenfalls sei
bereits in dem Begleitschreiben vom 21.05.2007 auf die Anfrage der Klägerin vom 09.05.2007 der
Rechtsstandpunkt der Beklagten ausreichend klargemacht worden. Die weiteren von der Beklagten angeführten
Gründe für die Nichtgenehmigung genügten nicht. Die Behauptung der Klägerin, die gewählte Form der
Prämienbewilligung unter pauschaler Betrachtungsweise trage zu einer kostengünstigeren Verwaltungseffizienz
bei, sei nachvollziehbar. Die von der Beklagten behauptete Unzulänglichkeit des Zahlenmaterials stünde dem
nicht entgegen. Auf eine Gleichbehandlung mit der AOK Baden-Württemberg könne die Klägerin sich indes
nach Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) deswegen nicht erfolgreich berufen, da dies nur möglich wäre,
wenn entweder die Aufsichtspraxis des Bundes oder diejenige des Landes Baden-Württemberg rechtswidrig
wären. Die Beklagte sei daher verpflichtet, eine Lösung zusammen mit der Klägerin zu finden, welche dem
Grundgedanken des 24. Satzungsnachtrags der Klägerin angemessen Rechnung trage. Das Urteil ist der
Beklagten am 18.09.2008 zugestellt worden.
14 Die Beklagte hat am 14.10.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des
SG stehe die Genehmigungserteilung nach § 195 Abs. 1 SGB V nicht im Ermessen der Beklagten, sondern es
handele sich um eine gebundene Entscheidung (unter Berufung auf BSG, Urteil vom 07.11.2000 - B 1 a 4/99 R
-). Eine nach dem juristischen Interpretationsmethoden vorgenommene Auslegung des § 53 Abs. 2 SGB V
komme zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin vorgesehene Satzungsbestimmung rechtswidrig und damit
unzulässig sei. Der Wortlaut des § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB formuliere als Voraussetzung die
Nichtinanspruchnahme von Leistungen, was sich mit der von der Beklagten trotz einer bis zu zweimaligen
Inanspruchnahme von Leistungen versprochenen Beitragserstattung nicht vereinbaren lasse. Hinzu komme der
Verstoß gegen das in § 53 Satz 9 SGB V geregelte Selbstfinanzierungsgebot, da die Leistungen lediglich
pauschal berechnet würden (unter Berufung auf Schlegel in Juris-PK, § 53 Rdnr. 53 f.). Die systematische
Auslegung des § 53 Abs. 2 SGB V führe zu demselben Ergebnis, da die vom SG für zulässig befundene
Mischform aus § 53 Abs. 1 und 2 SGB V (nicht: Abs. 3 SGB V) der Systematik der Wahltarife bzw. der
Regelungen des § 53 SGB V insgesamt widerspreche. Bei den absatzweise geregelten Tarifen in § 53 SGB V
handele es sich um selbständige Wahltarife, denen jeweils ein abgegrenzter Sachverhalt zugrunde liege. Eine
Mischform würde zu widersinnigen Ergebnissen führen, weil dann z.B. auch die Kombination der Absätze 2 und
3 (Prämie bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen sowie gleichzeitige Verpflichtung zur Teilnahme an
Leistungen im Rahmen eines strukturierten Behandlungsprogramms) zulässig wäre. Bereits der Gesetzgeber
habe im Übrigen entschieden, dass bestimmte Leistungen unschädlich sein sollten, was nicht beliebig
erweiterbar sei. Insoweit sei von einem abschließenden Katalog unschädlicher Leistungen auszugehen. Die
historische Auslegung schließlich zeige, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung in den
Nachfolgebestimmungen zum § 65 SGB V a. F. bewusst davon Abstand genommen habe, die in dieser
Vorschrift noch ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit einer anteiligen Beitragsrückzahlung zu normieren, da
ansonsten diese Regelung ebenfalls in § 54 SGB V a. F. bzw. § 53 Abs. 2 SGB V überführt worden wäre. Das
von der Klägerin angeführte Argument der Verwaltungseffizienz könne keinen Vorrang vor der Rechtmäßigkeit
der Satzungsregelung haben. Schließlich treffe das Argument auch nicht zu, da von der Klägerin insoweit
lediglich erfasst werden müsste, ob überhaupt Leistungen in Anspruch genommen worden sind und die
einzelnen Kosten insoweit nicht zu erfassen seien. Ein erheblicher Verwaltungsaufwand falle daher nicht an.
Die Festlegung von Pauschalbeträgen widerspreche außerdem insoweit vergleichbar mit dem Selbstbehalt dem
angestrebten Steuerungseffekt, da der Versicherte über seine tatsächlich verursachten Kosten im Unklaren
gelassen werde und Pauschalen stets eine Art Mischkalkulation beinhalteten bzw. auf Durchschnittswerten
beruhten, die auf das einzelne Mitglied nicht zutreffen müssten. Das Urteil des SG sei im Übrigen auch wegen
der unzutreffenden Kostenentscheidung aufzuheben, da die Beklagte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG von der
Tragung von Gerichtskosten befreit sei.
15 Die Beklagte beantragt,
16
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 06.08.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
17 Die Klägerin beantragt,
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die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
19 Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig, wozu sie auf die Ausführungen des SG verweist.
20 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf beigezogenen
Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
21 Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig und begründet.
Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung entschieden.
22 Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann nach § 54 Abs. 3 SGG mit der Klage die
Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das
Aufsichtsrecht überschreite. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens war vorliegend nach § 78 Abs. 1
Nr. 2 SGG entbehrlich, weil der angegriffene Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde erlassen
wurde.
23 Die Berufung ist begründet, weil die mit der Anfechtungsklage zugleich als Aufsichtsklage im Sinne von § 54
Abs. 3 SGG angefochtene Aufsichtsanordnung (vgl. BSGE 89, 213, SozR 3-2500 § 240 Nr. 42) der Beklagten
rechtmäßig ist.
24 Nach § 195 Abs. 1 SGB V bedarf die Satzung der Klägerin der Genehmigung durch die Beklagte als ihrer
Aufsichtsbehörde. Die Genehmigung der Satzung und auch der Satzungsänderung ist eine
Wirksamkeitsvoraussetzung. Es hat eine Rechts-, nicht jedoch eine Zweckmäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Die
Rechtsprüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob die Satzung bzw. die beschlossene Änderung der Satzung
verfahrensmäßig ordnungsgemäß zustande gekommen ist (vgl. dazu § 197 SGB V), den erforderlichen
Mindestinhalt hat (§ 194 Abs. 1 SGB V) und frei von einem Verstoß gegen höherrangiges Recht oder einer
Zwecküberschreitung ist. Sind diese drei Punkte zu bejahen, muss die Genehmigung erteilt werden, weil eine
Zweckmäßigkeitskontrolle durch die Aufsichtsbehörde nicht stattfindet (BSG SozR 3-3300 § 47 Nr. 1; Peters in
Kasseler Kommentar, § 195 SGB V Rdnr. 4; Schneider-Danwitz in jurisPK-SGB V, § 195 Rdnr. 16 ff.).
25 Nach § 53 Abs. 1 SGB V in der seit dem 01.04.2007 geltenden Fassung kann die Krankenkasse in ihrer
Satzung vorsehen, dass Mitglieder jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu
tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt); die Krankenkasse hat für diese Mitglieder
Prämienzahlungen vorzusehen.
26 Nach Absatz 2 der Vorschrift kann die Krankenkasse in ihrer Satzung auch für Mitglieder, die im Kalenderjahr
länger als drei Monate versichert waren, eine Prämienzahlung vorsehen, wenn sie und ihre nach § 10
mitversicherten Angehörigen in diesem Kalenderjahr Leistungen zu Lasten der Krankenkasse nicht in Anspruch
genommen haben. Die Prämienzahlung darf ein Zwölftel der jeweils im Kalenderjahr gezahlten Beiträge nicht
überschreiten und wird innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Kalenderjahres an das Mitglied gezahlt. Die im
dritten und vierten Abschnitt genannten Leistungen mit Ausnahme der Leistungen nach § 23 Abs. 2 und den §§
24 bis 24b sowie Leistungen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bleiben
unberücksichtigt.
27 Schließlich hat die Krankenkasse nach Abs. 3 der Vorschrift in ihrer Satzung zu regeln, dass für Versicherte,
die an besonderen Versorgungsformen nach § 63, § 73b, § 73c, § 137f oder § 140a teilnehmen, Tarife
angeboten werden. Für diese Versicherten kann die Krankenkasse eine Prämienzahlung oder
Zuzahlungsermäßigungen vorsehen.
28 Bereits das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz -
GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2003, 2190) sah getrennt in den §§ 53 und 54 SGB V die Möglichkeit der
Vereinbarung von Selbstbehalten und Beitragsrückerstattungen, vor welche nunmehr durch das GKV-WSG in
der Neuregelung des § 53 SGB V zusammengefasst worden sind.
29 Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG - vom 26.03.2007, BGBl I 2007, 378), mit dem § 53 Abs. 1 bis 3
SGB V mit Wirkung vom 01.04.2007 seine derzeit gültige Fassung erhalten hat, sollte angesichts der
Ineffizienzen und vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen des demographischen Wandels und des
medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts das Gesundheitswesen weiterentwickelt werden. Dies
sollte sowohl die Finanzierungsseite als auch die Angebotsstrukturen erfassen. Ausdrücklich sollten eine
Qualitäts- und Effizienzsteigerung durch eine Intensivierung des Wettbewerbs auf Kassenseite insbesondere
durch mehr Vertragsfreiheit der Kassen mit Leistungserbringern und Reformen der Organisation, wie z. B. die
Ermöglichung neuer Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Einführung des Gesundheitsfonds, erreicht
werden. Bürokratieabbau und mehr Transparenz auf allen Ebenen werden als weitere Motive des Gesetzgebers
genannt (BT-Drucks. 13/3100, S. 1).
30 Als spezielles Motiv für die Änderung des § 53 SGB V wird in den Materialien angegeben, dass die Wahlfreiheit
für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung erhöht werden solle, weil sie Voraussetzung für mehr
Transparenz und Wettbewerb zwischen den Krankenkassen sei. Speziell zu der Regelung in Absatz 2 der
Vorschrift wird jedoch lediglich ausgeführt, dass die bisherige Regelung zur Beitragsrückerstattung in den
Absatz 2 übernommen und insoweit redaktionell angepasst wird, als der Begriff „Beitragsrückerstattung“ nicht
mehr verwendet wird. Da die Krankenkassen keine Beiträge mehr erheben, könnten sie keine Beiträge
zurückerstatten. Es seien daher jetzt Prämienzahlungen vorgesehen (BT-Drucks. a.a.O. S. 108).
31 Der Neuregelung des § 53 SGB V liegt die Zielsetzung des Gesetzgebers zugrunde, die Versicherten zur
Nutzung der neuen Versorgungsformen anzuhalten und zu einem „sparsamen“ Umgang mit
Gesundheitsleistungen zu veranlassen. Hierbei wollte sich der Gesetzgeber nicht auf die Einsichtsfähigkeit der
Versicherten verlassen zu wollen, sondern die Inanspruchnahme besonders wirtschaftlicher
Versorgungsformen und sparsames „Konsumverhalten“ der Versicherten sollte sich auch für den einzelnen
Versicherten durch finanzielle Anreize individuell auswirken (Schlegel in: jurisPK-SGB V, § 53 Rdnr. 20).
32 Im Ergebnis stellt sich die beanstandete Regelung, nach der die erste ärztliche Behandlung mit einer
Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln im Kalenderjahr die Prämienzahlung (vormals:
Beitragserstattung) um 40 EUR mindert, die zweite solche Verordnung die Prämie um 80 EUR mindert und die
dritte eine Prämie ausschließt, als eine Kombination eines Wahltarifs „Beitragserstattung“ mit einem Wahltarif
„besonderes Behandlungsprogramm“ entsprechend § 53 Abs. 3 SGV (Anreiz zu kostensparendem Verhalten
durch Selektion/Verminderung der in Betracht kommenden Leistungen, hier wegen der Beschränkung auf zwei
Verordnungen von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln im Kalenderjahr auf die aus Sicht des Versicherten jeweils
wichtigsten Leistungen) und / oder einem Selbstbehalt nach § 53 Abs. 1 SGB V (Deutung der
Prämienminderung als pauschalierter Selbstbehalt eines geminderten KV-Beitrags) dar.
33 Insoweit ist festzustellen, dass diese 24. Satzungsänderung der Klägerin nicht dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“
des § 53 Abs. 2 SGB V entspricht. Zutreffend hat daher die Beklagte festgestellt, dass der Wortlaut des § 53
Abs. 2 SGB V deutlich für das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ spricht. Neben der Regelung eines Wahltarifs mit
einer Gestaltung nach § 53 Abs. 2 SGB V bestehen in den anderen Absätzen des § 53 SGB V noch andere
Wahltarif-Gestaltungsmöglichkeiten, die jeweils durch besondere Absätze mit eigenständigen Regelungen
getrennt sind. Auch wenn sich dem Gesetz ein ausdrückliches Verbot einer Mischform eines Wahltarifs, der
Elemente aus verschiedenen Absätzen des § 53 SGB V kombiniert, nicht entnehmen lässt, spricht die
Gesetzessystematik dagegen.
34 Für eine strikte Auslegung im Sinne der Beklagten spricht außerdem, dass der Gesetzgeber Ausnahmen von
der Prämienfeindlichkeit der Inanspruchnahme von Leistungen in § 53 Abs. 2 Satz 3 SGB V ausdrücklich
geregelt hat; in dem detaillierten Katalog sind Ausnahmen im Sinne der umstrittenen Regelung aber gerade
nicht enthalten.
35 Zwar trifft es zu, dass aufgrund der Schaffung des Gesundheitsfonds und des bundeseinheitlichen
Beitragssatzes der Wettbewerb nur noch über die Leistungen bzw. die Rückausnahmen (Prämien, Verzicht auf
Zuschläge etc.) vom einheitlichen Beitragssatz geführt werden kann. Auch ist einzuräumen, dass die
umstrittene Regelung der Zielsetzung des Gesetzgebers Rechnung tragen kann, wirtschaftliches Verhalten der
Versicherten zu fördern und zu belohnen. Die Zweckmäßigkeit der Regelung ist indes kein hinreichendes
Argument für deren Rechtmäßigkeit.
36 Sofern die Klägerin auf die Genehmigung einer vergleichbaren Regelung durch das Ministerium für Arbeit und
Soziales Baden-Württemberg in einer Satzungsänderung der AOK Baden-Württemberg hinweist, kann allein
hieraus und aus dem Gedanken der Chancengleichheit im Wettbewerb um die Versicherten kein Anspruch auf
Gleichbehandlung hergeleitet werden. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen kann sich wegen der Bindung der
Verwaltung an Gesetz und Recht (Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG) nicht auf eine rechtswidrige
Verwaltungspraxis gründen. Einen „Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht“ kennt die Rechtsordnung nicht
(BVerfGE 50, 142, 166; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 1 S. 10; BSG SozR 4-5533 Nr. 40 Nr. 2; BSG SozR 4-
4100 § 128 Nr. 8).
37 Das Insistieren der Beklagten auf eine Alles-oder-Nichts-Regelung in § 53 Abs. 2 SGB V für
Beitragserstattungen kann auch nicht als unzulässige Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten von
Satzungen der Krankenkassen angesehen werden, weil hierfür sinnvolle Rechtfertigungsgründe denkbar sind.
So könnte dem Gesetzgeber daran gelegen sein, die Tarifformen für die Versicherten überschaubar zu halten
und den Wettbewerb transparent zu halten, was durch die Zulassung beliebiger Mischformen nur schwer zu
erreichen wäre. Die Erhöhung der Transparenz auf allen Ebenen ist ein ausdrückliches Motiv des
Gesetzgebers bei der Neuregelung gewesen (BT-Drucks. 13/3100, S. 1).
38 Bei dieser Sachlage fällt entscheidend ins Gewicht, dass die von der Klägerin gewünschte Satzungsänderung
sich nur gegen die Wortlautgrenze von § 53 Abs. 2 SGB V einführen ließe. Die bei unklarem oder nicht
eindeutigem Wortlaut zur Auslegung gesetzlicher Bestimmungen heranzuziehenden Gesichtspunkte des
Bedeutungszusammenhangs, der Regelungsabsicht, des Sinnes und Zweckes des Gesetzes, der
Gesetzeshistorie oder des Gebots einer verfassungskonformen Auslegung sind nicht einschlägig, wenn der
eindeutige Wortsinn einer gesetzlichen Vorschrift dem entgegensteht; eine Auslegung gegen den klaren
Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung ist nicht möglich (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 10 EG 1/08 R - mit
Hinweis auf Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S 143 m.w.N. und auf
BVerfGE 54, 277, 299 f.; 59, 330, 334; 93, 37, 81).
39 Insoweit lässt sich auch nicht überzeugend argumentieren, dass in der umstrittenen Satzungsänderung
strukturell eine Prämienzahlung wegen der Nichtinanspruchnahme von Leistungen (über die zugelassenen
zweimalige Ausnahme hiervon) vorliegt. Denn die zweimalige Ausnahme von der im Gesetz vorgesehenen
Nichtinanspruchnahme von Leistungen bedeutet, dass gerade keine Nichtinanspruchnahme von Leistungen
mehr vorliegt.
40 Allerdings ist der von der Beklagten behauptete Verstoß gegen das in § 53 Abs. 9 SGB V enthaltene
Selbstfinanzierungsprinzip, wonach vorliegend die Solidar- und Systemverträglichkeit der Wahltarife nicht
gewahrt würde, nicht zwingend. § 53 SGB V arbeitet auch in seinen Absätzen 1 (Selbstbehalte) und 3
(besondere Versorgungssysteme) mit Pauschalen, die im Einzelfall nicht dazu führen, dass die konkret durch
eine Versicherten verursachten Kosten bei diesem wieder zum Ausgleich gebracht werden. Demnach sieht §
53 SGB V insoweit auch für alle Wahltarife vor, dass ein langfristiger Ausgleich für jeden einzelnen Wahltarif
dergestalt vorzunehmen ist, wonach jeder Wahltarif sich prinzipiell selbst finanzieren soll und
Quersubventionierungen ausgeschlossen werden. Nachdem dies offensichtlich vom Gesetzgeber für die mit
Pauschalen arbeitenden Wahltarife der Absätze 1 und 3 der Vorschrift für möglich erachtet wird, ist nicht
erkennbar, weshalb ein entsprechendes Verfahren der Kontrolle der Kostenentwicklung innerhalb eines
Wahltarifs auch für die von der Klägerin gewählte Neuregelung gemäß ihrer 24. Satzungsänderung nicht
möglich sein dürfte.
41 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO).
42 Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage zugelassen.