Urteil des LG Zweibrücken vom 16.01.2004

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Strafrecht
LG
Zweibrücken
16.01.2004
4 StVK 3/04
Zur Rechtmäßigkeit der Organisationshaft
Aktenzeichen: 4 StVK 3/04 (4062 VRs 2918/03 StA Zweibrücken)
Vom 16. Januar 2004
LANDGERICHT ZWEIBRÜCKEN
Beschluss
In dem Strafvollstreckungsverfahren
b e s c h l o s s e n :
Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. Januar 2004 nachträglich gem. § 67 Abs. 2 und 3 anzuordnen,
dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Landgerichts wegen der unerlaubten Einfuhr und des unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 7 Fällen u.a. zu der
Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren 6 Monaten verurteilt. Ferner wurde die Unterbringung des Verurteilten
in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Eine besondere Bestimmung, dass die Strafe vor der Maßregel
zu vollziehen sei, wurde nicht getroffen.
Der Verurteilte blieb auch nach Rechtskraft des Urteils in der JVA Zweibrücken. Mit Schreiben vom
27.11.2003 bat die Staatsanwaltschaft die Fachklinik schnellstmöglich den frühest möglichen
Aufnahmetermin mitzuteilen. Die Fachklinik teilte mit Schreiben vom 11.12.2003 mit, dass eine
Aufnahme des Verurteilten erst am 16.03.2004 möglich sei. Das Klinikum weigerte sich mit Schreiben vom
01.12.2003, die Maßregel zu vollziehen, weil sie nach dem Vollstreckungsplan für die Unterbringung des
drogenabhängigen Verurteilten nicht zuständig sei. Zwar erklärte der Chefarzt der Klinik sich in einem
Telefonat mit dem Vollstreckungsdezernenten der Staatsanwaltschaft bereit, einen anderen - lediglich
alkoholabhängigen Verurteilten von der Fachklinik im Austausch mit dem Verurteilten zu übernehmen.
Diese Möglichkeit scheiterte allerdings, weil die Fachklinik am 11. 12. 2003 erklärte, sie verfüge nicht über
einen geeigneten Tauschpartner. Des weiteren fragte die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom
11.12.2003 bei dem Ministerium der Justiz an, ob im Bundeslandoder notfalls in anderen Bundesländern
zeitnah eine Unterbringung ermöglicht werden könne. Das Landesamt für Soziales, Jugend und
Versorgung bat mit Schreiben vom 17.12.2003 die Klinik für forensische Psychiatrie dafür Sorge zu tragen,
dass der Verurteilte spätestens zum 29.01.2004 in dieser Klinik aufgenommen werden kann. Aufgrund
einer beträchtlichen Überbelegung, konnte die Klinik für forensische Psychiatrie dem Landesamt für
Soziales, Jugend und Versorgung mit Schreiben vom 05.01.2004 erst einen Aufnahmetermin zum
05.02.2004 zusichern. Daraufhin setzte sich das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung
nochmals mit Schreiben vom 09.01.2004 mit der Klinik für forensische Psychiatrie in Verbindung. In
diesem Schreiben wurde die Klinik wiederum gebeten, eine Aufnahme des Verurteilten vor dem
29.01.2004 durchzuführen.
Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 14.01.2004 (BI. 52 ff d.A.) den Antrag gestellt, nachträglich
gern. § 67 Abs. 2 und 3 anzuordnen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist.
Darüber hinaus ist die Staatsanwaltschaft unabhängig von dem gestellten Antrag der Auffassung, dass die
Strafvollstreckungskammer aufgrund ihrer Befassung mit der Sache über die Freilassung des Verurteilten
zu. entscheiden habe, sofern sie der Ansicht sei, dass die Fortdauer der Organisationshaft unzulässig ist.
Nach § 67 Abs. 3 StGB kann die Strafvollstreckungskammer eine Anordnung nach Abs. 2 treffen, wenn
Umstände in der Person des Verurteilten vorliegen, welche die Abweichung angezeigt erscheinen lassen.
Eine nachträgliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 3 StGB ist nur möglich,
wenn dadurch der Maßregelzweck leichter erreichbar wird (vgl. OLG Hamburg MDR 93, S. 1100 m.w.N.).
Zwar ergibt sich dieses Erfordernis nicht aus dem Wortlaut des § 67.Abs. 3 StGB; doch zeigen der
systematische Zusammenhang mit der Regelung des § 67 Abs. 2 StGB und der in der Grundregel des §
67 Abs. 1 StGB ausgedruckte Normzweck, dem Maßregelvollzug möglichst den Vorrang zukommen zu
lassen, auch, dass. auch das Vollstreckungsgericht nach Abs. 3 die regelmäßige Reihenfolge nur im Inter-
esse einer erleichterten Erreichung des Maßregelziels ändern
darf (OLG Hamburg, MDR 93, S. 1100).
Das gegenwärtige Fehlen eines Platzes in einer Entziehungsanstalt im Sinne des § 64 StGB begründet
nicht die Annahme, der Zweck dieser Maßregel werde leichter dadurch erreicht, dass der Verurteilte
vorläufige Strafe teilweise vorweg verbüßt. Das Versäumnis des Landes, eine entsprechenden
Therapieplatz in oder außerhalb des Landes zu schaffen, kann nicht dazu führen, dass stattdessen das
größere Übel der
Freiheitsstrafe gegen den Verurteilten vollstreckt wird. So wie das Fehlen eines Therapieplatzes nicht zum
Absehen von der Maßregelanordnung nach § 64StGB bzw. zur Bestimmung einer abweichenden
Reihenfolge der Vollstreckung durch das erkennende Gericht nach § 67 Abs. 2 StGB führen darf (vgl. OLG
Hamburg, MDR 93, S. 1100 m.w.N), darf durch Platzmangel auch nicht die nachträgliche Änderung der
Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 3 StGB bestimmt werden.
Bei Fehlen eines Platzes in einer Anstalt erlaubt weder der Sicherungszweck der Maßregel den
(teilweisen) Vorwegvollzug der Strafe, noch begründet das Fehlen eines Platzes die Annahme, dass der
Zweck der Maßnahme durch den Vorwegvollzug leichter erreicht werden. Denn Bedürfnisse des
Vollzuges scheiden für eine Entscheidung nach Abs. 3 aus (Tröndle-Fischer StGB, § 67 Rn 10).
Im Hinblick darauf, dass es sich bei § 67 Abs. 3 StGB um eine Ausnahmevorschrift im Verhältnis zu § 67
Abs. 1 StGB handelt, ist zu fordern, dass Abs.3 eng ausgelegt wird. Allein die von der Staatsanwaltschaft
angeführte Fluchtgefahr (vgl. BI. 54 d.A.) rechtfertigt nicht diese als Umstände in der Person des
Verurteilten liegend anzusehen. Denn allein die Fluchtgefahr führt nicht dazu, dass der Maßregelzweck
leichter erreicht wird, was aber für eine nachträgliche Änderung unabdingbar ist. Denn die Umkehrung der
regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge muss nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig, sein, um den
Verurteilten dem Ziel der Maßregel näher zu bringen. Allein eine hypothetische Fluchtgefahr rechtfertigt
nicht die Überleitung in den Strafvollzug.
Soweit die Staatsanwaltschaft unabhängig von dem gestellten Antrag die Auffassung vertritt, dass die
Strafvollstreckungskammer aufgrund ihrer Befassung mit der Sache über die Freilassung des Verurteilten
zu entscheiden hat, sofern
sie der Ansicht ist, dass die Fortdauer der Organisationshaft unzulässig ist, weist die Kammer explizit
darauf hin, dass sie weder für die Entscheidung über die Fortdauer der Organisationshaft noch für die
Entscheidung über die Freilassung des Verurteilten vorliegend zuständig ist. Der Wortlaut des § 67 Abs. 3
StGB beschränkt sich allein darauf, dass die Strafvollstreckungskammer eine Anordnung nach Abs. 2
nachträglich treffen, ändern oder aufheben kann. Eine weitere Zuständigkeit auch nicht auf Grund
Sachzusammenhangs weist diese Vorschrift der Strafvollstreckungskammer nicht zu. Im Hinblick auf die
Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Organisationshaft und ggfs. Freilassung des
Verurteilten kann die Strafvollstreckungskammer nur auf Grund § 458 StPO zu einer Entscheidung berufen
werden. Allerdings sind Einwendungsberechtigte im Sinne von § 458 StPO lediglich der Verurteilte, sein
Verteidiger und Bevollmächtigter, auch der gesetzliche Vertreter (vgl. KIeinknecht-Meyer-Goßner, 45. Aufl.
§ 458 Rn. 5). Erhebt der Betroffene - wie bislang - keine Einwendungen gegen die Strafvollstreckung, so
kann die Vollstreckungsbehörde ihre eigenen Zweifel an der Zulässigkeit der Strafvollstreckung nicht ge-
richtlich klären lassen. Sie muss stets selbst entscheiden und es dem Betroffenen überlassen, sich mit
Einwendungen an das Gericht zu wenden. Insoweit kann es allerdings. angebracht sein, dass die
Strafvollstreckungsbehörde den Verurteilten auf die Möglichkeit von Einwendungen hinweist.
Einwendungen zugunsten des Verurteilten sind der StA auch als Strafvollstreckungsbehörde verwehrt
(vgl. Kleinknecht-Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. § 458, Rn 7 m.w.N.).