Urteil des LG Wuppertal vom 02.12.2010

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Landgericht Wuppertal, 16 S 97/09
Datum:
02.12.2010
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
16. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 S 97/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Wuppertal, 31 C 528/09
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Wuppertal vom 19.11.2009 (31 C 528/09) unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
811,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 18.6.2008 sowie weitere 120,66 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
19.12.2008 zu zahlen. Die Beklagte zu 2. wird darüber hinaus verurteilt,
an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 120,66 € für den 18.12.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 75 % und die
Beklagten als Gesamtschuldner 25 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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(Von der Wiedergabe des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2 in Verbindung mit
§§ 313a Abs. 1 Satz 1, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.)
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Die Berufung der Beklagten hat überwiegend Erfolg und führt zu einer Abänderung der
angefochtenen Entscheidung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Zu Unrecht
hat das Amtsgericht eine volle Haftung der Beklagten bejaht. Die Beklagten haften
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vielmehr nur für 50 % des Schadens der Klägerin, sodass nach der bereits erfolgten
Zahlung der Beklagten zu 2. in Höhe von 1.622,04 € von ihnen lediglich noch 811,01 €
an die Klägerin zu zahlen sind.
Zutreffend ist das Amtsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Parteien gemäß
§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 bis 3, 18 Abs. 1 und 3 StVG, bei der Beklagten zu 2. in
Verbindung mit § 115 Abs. 1 VVG, jeweils dem Grunde nach für das
Verkehrsunfallereignis vom 19.04.2008 haften. Es liegt weder ein Fall höherer Gewalt
im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG vor noch handelte es sich für einen der Unfallbeteiligten
um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG oder fehlte es
am Verschulden der Fahrzeugführer gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG. Demnach hängt
gemäß §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG die Verpflichtung zum Ersatz sowie der
Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen ab, insbesondere davon,
inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht
worden ist. Für die Frage des Umfangs der jeweiligen Haftung sind die
Verursachungsbeiträge und Verschuldensanteile gegeneinander abzuwägen. Bei
dieser Abwägung sind zu Lasten einer Partei nur die unstreitigen, zugestandenen oder
bewiesenen Tatsachen zu berücksichtigen. Sie führt vorliegend dazu, dass der
Schaden der Klägerin zur Hälfte von den Beklagten zu tragen ist.
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Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Klägerin ist vorliegend nicht nennenswert höher
als die des von der Beklagten zu 1. gesteuerten Fahrzeugs. Zwar unternahm der Fahrer
des Wagens der Klägerin mit dem Linksabbiegen ein im Vergleich mit dem
Geradeausverkehr gefährlicheres Fahrmanöver, welches die Betriebsgefahr regelmäßig
erhöht. Die Beklagte zu 1. fuhr jedoch mit ihrem Fahrzeug nicht im Gegenverkehr,
sondern unternahm mit höherer Geschwindigkeit auf nasser Fahrbahn ihrerseits ein
gefährliches Fahrmanöver, welches – jedenfalls dem äußeren Ablauf nach –
Ähnlichkeiten mit einem Überholvorgang aufwies, jedoch kein Überholen bezweckte.
Letzteres war vor dem Amtsgericht zuletzt unstreitig. Dass die Beklagten nunmehr in der
Berufungsinstanz wieder offen lassen wollen, ob die Beklagte zu 1. ein Überholen des
Fahrzeugs der Klägerin beabsichtigte, ist nicht nur nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als
verspätet nicht mehr zuzulassen, sondern angesichts der eindeutigen Erklärung der
informatorisch angehörten Beklagten zu 1. vor dem Amtsgericht ohne nähere
Erläuterung auch mit der prozessualen Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO nicht zu
vereinbaren und damit unbeachtlich.
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Nicht nur die reinen Betriebsgefahren, sondern auch die gegeneinander abzuwägenden
Verschuldensanteile sind als etwa gleich hoch zu bewerten.
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Zu Lasten der Klägerin sind insbesondere ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO
sowie ein solcher gegen § 9 Abs. 5 StVO zu berücksichtigen. Den für eine Verletzung
der doppelten Rückschaupflicht sowie der Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO des
Fahrers ihres Wagens sprechenden Anscheinsbeweis vermochte die Klägerin nicht zu
erschüttern. Nach dem Ergebnis des vom Amtsgericht eingeholten
Sachverständigengutachtens war der Wagen der Beklagten zu 1. für den Fahrer des
Fahrzeugs der Klägerin vor dem Abbiegevorgang sichtbar und es hätte der
Zusammenstoß durch Zurückstellen des Abbiegens vermieden werden können
(Seite 12 und 14 des Gutachtens). Das Gericht hat an der Richtigkeit dieser
sachverständigen Feststellungen keinen Zweifel, zumal Fehler des Gutachtens auch
von den Parteien nicht aufgezeigt werden. Die Aussage des vom Berufungsgericht
nochmals vernommenen Zeugen Q steht den Feststellungen des Sachverständigen
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nicht entgegen. Das Gericht vermochte keine hinreichende Gewissheit darüber zu
erlangen, dass die Erinnerungen des Zeugen bezüglich der Beachtung der doppelten
Rückschaupflicht heute noch zuverlässig sind. Zum einen hat der Zeuge ausweislich
des amtsgerichtlichen Sitzungsprotokolls im Rahmen der dortigen Beweisaufnahme
nicht erwähnt, zweifach Rückschau gehalten zu haben, so dass es der Aussage an
Konstanz fehlt, zum anderen ist aus der Erinnerungspsychologie bekannt, wie
unzuverlässig Erinnerungen von Zeugen oftmals sind, ohne dass den Zeugen dies
vorzuwerfen wäre. Das gilt insbesondere für Routinehandlungen, die oftmals nahezu
von selbst ablaufen und bezüglich derer später eine unbewusste Tendenz besteht,
davon auszugehen, dass kein Fehler gemacht wurde. Um eine solche geht es bei der
Rückschau. Wenn der Zeuge Q tatsächlich unmittelbar vor dem Abbiegen nochmals
aufmerksam nach hinten geschaut hätte, wäre nicht zu erklären, wie es zu dem Unfall
kommen konnte. In diesem Fall hätte er nämlich das herannahende, in linksgerichteter
Fahrtrichtung befindliche Fahrzeug der Beklagten zu 1. angesichts der örtlichen
Verhältnisse, die durch die in der Akte befindlichen Lichtbilder gut dokumentierten
werden, sehen müssen. Nicht ohne Widerspruch zu seiner sonstigen Aussage hat er im
Übrigen selbst angegeben, dass er das andere Fahrzeug eigentlich die ganze Zeit
wahrgenommen hat. Träfe dies zu, wäre der Unfall noch weniger verständlich.
Weitere der Klägerin zuzurechnende Verkehrsverstöße sind hingegen weder unstreitig
oder zugestanden noch bewiesen. Dies gilt konkret für Verstöße gegen §§ 9 Abs. 1
Satz 1, 9 Abs. 1 Satz 2, 10 und 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, im Fall des § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO
i.V.m. Zeichen 298 zu § 41 Abs. 1 StVO. Insbesondere vermochten die Beklagten mit
Blick auf die Angaben des Zeugen Q nicht zu beweisen, dass der Fahrer des Wagens
der Klägerin das Abbiegen zu spät angekündigt hat und unter Missachtung einer
Sperrfläche nach links abgebogen ist. Bezüglich Letzterem wäre ohnehin fraglich, ob
die Beklagten hieraus etwas für sich ableiten könnten. Dem Schutz des nachfolgenden
Verkehrs dient eine Sperrfläche nämlich in der Regel nicht.
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Zu Lasten der Beklagten ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die
Beklagte zu 1. sowohl gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO als auch gegen § 3 Abs. 1 Satz 1
StVO verstoßen hat. Die Beklagte zu 1. hat weder einen ausreichenden
Sicherheitsabstand zum Fahrzeug der Klägerin eingehalten noch ist sie mit angepasster
Geschwindigkeit gefahren. Anderenfalls hätte die Beklagte zu 1. ihr ausweichendes
Fahrmanöver nach links auf regennasser Fahrbahn, welches sie im Rahmen ihrer
informatorischen Anhörung geschildert hat, nicht zu unternehmen brauchen. Es kommt
hinzu, dass sie – unstreitig – eine Fahrtroute nach links über die dort befindliche
Sperrfläche wählte und damit zugleich gegen den auch die Klägerin schützenden § 49
Abs. 3 Nr. 4 StVO i.V.m. Zeichen 298 zu § 41 Abs. 1 StVO verstieß. Diese Markierung
schützt, wo sie sich wie an der Unfallstelle faktisch wie ein Überholverbot auswirkt, auch
das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht mit einem von hinten links
herannahenden Fahrzeug rechnen zu müssen (vgl. BGH, Urt. v. 28.04.1987 – VI ZR
66/86, zitiert nach Juris). Weitere Verkehrsverstöße, welche sich die Beklagten
zurechnen lassen müssten, hat die Klägerin nicht bewiesen. Dies gilt nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme insbesondere für einen Verstoß gegen das
Überholverbot bei unklarer Verkehrslage gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Hierfür fehlt es
nicht nur an einem Nachweis für eine Überholensintention der Beklagten zu 1. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht vor allem nicht sicher davon
überzeugt, dass aus Sicht der Beklagten zu 1. eine unklare Verkehrslage im Sinne der
Vorschrift angenommen werden musste. Insoweit bestehen wiederum Zweifel an der
Verlässlichkeit der Erinnerungen des Zeugen Q an seine damalige Fahrweise, zumal
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etwa das Sachverständigengutachten eine Annäherung des Zeugen an den
Kollisionsort aus dem mittleren Bereich seines Fahrstreifens annimmt (vgl. Seite 14 des
Gutachtens).
Soweit das Amtsgericht nicht ganz bedenkenfrei die von der Klägerin geltend gemachte
Haftung der Beklagten für außergerichtliche Anwaltskosten dem Grunde nach bejaht hat
und die Beklagten dies in der Berufungsinstanz nicht mehr angreifen, zieht das Gericht
hieraus den Schluss, dass die Beklagten eine Zahlung von Anwaltsgebühren durch die
Klägerin nicht mehr bestreiten wollen. Insoweit bedurfte es allerdings der Korrektur des
Anspruchs der Höhe nach. Ein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten
als Kosten der Rechtsverfolgung aus § 823 Abs. 1 BGB steht der Klägerin nur aus dem
ihr noch zugesprochenen Betrag der Hauptforderung von 811,01 € und damit in Höhe
von insgesamt nur 120,66 € zu. Bei der Berechnung dieses Betrages war zu
berücksichtigen, dass sich bei der Berechnung der Anwaltsgebühren aus einem
Streitwert bis 900,- € die Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG auf 20 % der Gebühren
beläuft, was vorliegend einen Betrag von lediglich 16,90 € ausmacht.
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Der Zinsanspruch aus Haupt- und Nebenforderung ergibt sich dem Grunde und der
Höhe nach aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB. Der Zinslauf des ab
Rechtshängigkeit geltend gemachten Zinsanspruchs aus der Nebenforderung beginnt in
entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB ab dem auf die Zustellung der
Klageschrift folgenden Tag (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 518, 519), wobei vorliegend zu
berücksichtigen ist, dass die Zustellung an die Beklagten nicht am gleichen Tag
erfolgte.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4, 543 Abs. 2, 708
Nr. 10, 713 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden nicht.
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Streitwert für beide Instanzen: 3.244,07 €
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