Urteil des LG Wuppertal vom 15.07.2010

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Landgericht Wuppertal, 9 S 20/08
Datum:
15.07.2010
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 S 20/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Wuppertal, 35 C 396/07
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 10. Dezember 2007
verkündete Urteil des Amtsgerichts Wuppertal abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 648,99 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
29. März 2007 sowie 120,67 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erstattung restlicher Mietwagenkosten in Anspruch
aufgrund eines Verkehrsunfall, der sich am 12.10.2005 in pp ereignet hat und der durch
alleiniges Verschulden des Fahrers des anderen Fahrzeugs verursacht wurde, das bei
der Beklagten haftpflichtversichert ist. Die Beklagte leistete auf die gemäß der
Mietwagenrechnung von dem Kläger gezahlten 1.280,00 EUR einen Betrag von nur
631,01 EUR unter Zugrundelegung der Tarife aus der "Schwacke-Liste
Automietpreisspiegel 2003"; die sich ergebende Differenz ist Gegenstand des
vorliegenden Rechtsstreits. Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil, auf
dessen tatsächliche Feststellungen gem. § 540 ZPO Bezug genommen wird, die Klage
vollumfänglich abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, es sei
der Normaltarif der "Schwacke-Liste Automietpreisspiegel 2003" der im Rahmen der
Schätzung gem. § 287 ZPO vorzunehmenden Berechnung der erforderlichen
Mietwagenkosten zugrunde zu legen. Auf die Besonderheiten des Falles komme es
nicht an, weil der Kläger ausschließlich den Normaltarif der "Schwacke-Liste
Automietpreisspiegel 2006" geltend mache. Die "Schwacke-Liste Automietpreisspiegel
2006"sei aber schon wegen des vor deren Erhebungszeitraum liegenden Unfalls nicht
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anwendbar; sie stelle im übrigen auch keine zuverlässige Schätzungsgrundlage dar.
Die sich gegen die Klageabweisung wendende Berufung des Klägers, mit der er sein
Klagebegehren vollumfänglich weiter verfolgt, hat in der Sache Erfolg.
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Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gem. §§ 7, 18 StVG, 3 PflVersG a. F. einen
Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der ihm entstandenen vollen Mietwagenkosten.
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Im Gegensatz zur Ansicht des Amtsgerichts hat der Kläger seinen Klageanspruch nicht
allgemein auf die Geltendmachung des Normaltarifs der "Schwacke-Liste
Automietpreisspiegel 2006" beschränkt. Die Äußerung seiner Prozessbevollmächtigten
in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 22.10.2007: "Insoweit
berechnet die Klägerseite hier nur Normaltarif" (S. 2 des Protokolls, Bl. 37 d.A.) war
vielmehr dem eindeutigen Zusammenhang nach so zu verstehen, dass es
diesbezüglich lediglich um eine Erklärung der Berechnung der Vergleichswerte anhand
der Schwacke-Liste ging, nicht um die grundsätzliche Berechnung der Klageforderung
an sich. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der Kläger nachfolgend ausdrücklich
noch dazu vorgetragen hat, dass er bei der Anmietung (also auch Auswahl des
günstigsten Angebots) wegen geplanter Urlaubsfahrt unter Zeitdruck stand (S. 3 des
Protokolls, Bl. 38 d.A.). Allein für die Frage der Anwendung des Normaltarifs nach der
Schwacke-Liste wäre dieser Umstand ohne Bedeutung gewesen.
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Zur Ermittlung des Umfanges der Schadensersatzforderung des Klägers kommt es
daher im Rahmen der allgemeinen Schadensersatzregelung umfassend auf die
Umstände des Einzelfalles an.
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Der Geschädigte kann nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen
Herstellungsaufwand die Kosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich
denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf. Er ist
dabei ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die
Hand nimmt, nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm
Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der
Schadensbehebung zu wählen. Der Geschädigte verstößt allerdings nicht stets gegen
seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, wenn er ein Kraftfahrzeug zu einem
Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem Normaltarif teurer ist. Selbst wenn der
Unfallersatztarif nämlich objektiv nicht im geltend gemachten Umfang zur Herstellung
"erforderlich” gewesen sein sollte, kann der Geschädigte im Hinblick auf die gebotene
subjektbezogene Schadensbetrachtung den übersteigenden Betrag ersetzt verlangen,
wenn ihm ein günstigerer "Normaltarif” nicht ohne weiteres zugänglich war (BGH NJW
2005,1043 u. 1933). Hierfür hat der Geschädigte darzulegen und erforderlichenfalls zu
beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und
Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter
zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt
- zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war (BGH NJW
2006, 360 u. 1508).
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Im vorliegenden Fall führten gerade die Besonderheiten der Situation des Klägers dazu,
dass ihm keine andere Möglichkeit offenstand, als auf das Angebot der Mietwagenfirma
U einzugehen.
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Wie die Zeugin E, die Ehefrau des Klägers, in der Beweisaufnahme zweiter Instanz
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überzeugend bestätigt hat, hatten der Kläger und sie eigentlich vor, am Tag des Unfalls
nachmittags in Urlaub nach L an der Mosel zu fahren. Die Fahrt, auf der der Unfall
passierte, sollte lediglich einer letzten Besorgung unmittelbar vor Antritt der Urlaubsfahrt
dienen. Als der Kläger und seine Frau aber schließlich nach dem gegen 17.00 Uhr
stattgefundenen Unfall nach der Unfallaufnahme mit dem beschädigten Pkw in der
Werkstatt angekommen waren und erfahren hatten, dass dieser nicht mehr fahrbereit
und nicht in kurzer Zeit instandzusetzen war, war es bereits so spät, dass kein
Mietwagen mehr zu bekommen war. Trotz der fortgeschrittenen Zeit war jedoch die
Mietwagenfirma U noch zu erreichen. Diese konnte zwar am selben Tag auch kein
Fahrzeug mehr zur Verfügung stellen, erklärte sich jedoch bereit, ein Automatikfahrzeug,
auf das der Kläger wegen seiner Behinderung angewiesen war, am nächsten Tag
morgens früh zum Kläger nach Hause zu bringen. Dabei musste der Kläger sogar darauf
verzichten, wie geplant die Fahrräder mit in Urlaub zu nehmen, weil der Fahrradträger
des Klägers auf der Anhängerkupplung befestigt werden musste, der Mietwagen jedoch
über keine Anhängerkupplung verfügte. Dies traf ihn besonders, weil er aufgrund seiner
Behinderung nicht wandern konnte und deswegen im Urlaub mit seiner Frau
Wegstrecken gerne mit dem Fahrrad zurücklegte.
In dieser Situation musste der Kläger nicht noch mehr Urlaubszeit und –freude opfern,
um sich am nächsten Morgen nach Geschäftsbeginn nach weiteren
Mietwagenangeboten zu erkundigen. Vielmehr durfte er bei dieser Sachlage das einzig
ihm zu dieser Zeit zur Verfügung stehende Angebot annehmen, das es ihm erlaubte,
sofort am frühen Morgen des Tages nach dem Unfall ohne weitere Verzögerungen in
Urlaub zu fahren, nachdem er die Urlaubsfahrt wegen des Unfalls bereits am
vorhergehenden Tag nicht hatte antreten können.
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Nach alledem haftet die Beklagte für die gesamten dem Kläger entstandenen
Mietwagenkosten.
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Aus Verzugsgesichtspunkten hat die Beklagte auch die nicht erstattungsfähigen
Rechtsanwaltskosten in geltend gemachter Höhe zu erstatten; die Zinsforderungen
rechtfertigen sich ansonsten aus den §§ 286 ff BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen.
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Streitwert: 648,99 EUR
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