Urteil des LG Wuppertal vom 29.10.2009

LG Wuppertal (vvg, kläger, diabetes mellitus, frist, vorschrift, versicherungsfall, bezug, abschaffung, darlehensvertrag, forderung)

Landgericht Wuppertal, 7 O 85/09
Datum:
29.10.2009
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 O 85/09
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages
vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 15.11.2005 eine
Restschuldarbeitsunfähigkeitsversicherung, der die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen (AVB) für die Restschuld-Arbeitsunfähigkeitsversicherung
zugrunde liegen. Wegen der Einzelheiten der AVB wird auf die Anlage B 2 zur
Klageerwiderung Bezug genommen. Das Versicherungsverhältnis dient der
Absicherung der Darlehensverpflichtungen des Klägers gegenüber der C AG.
2
Ab dem 20.06.2006 wurde der Kläger für seine Tätigkeit als Lagerarbeiter arbeitsunfähig
krankgeschrieben. Die Krankschreibung erfolgte wegen der Diagnose "Myasthenia
gravis". Hierbei handelt es sich um eine seltene Muskelschwächeerkrankung. Ferner
leidet der Kläger an einer koronaren Herzkrankheit und an einem Nebennierenadenom.
Dass der Kläger arbeitsunfähig krankgeschrieben war, erfuhr die Beklagte erstmalig im
August 2008.
3
Im Rahmen der Überprüfung ihrer Leistungspflicht erfuhr die Beklagte, dass der Kläger
mit Bescheid vom 16.10.2007 als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von
100 % anerkannt worden ist. Aus der Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des
Klägers durch die BKK Aktiv ging ferner hervor, dass dieser seit dem Jahr 2003 – und
auch im März 2005 – wegen den Erkrankungen "Diabetes mellitus" und "arterielle
Hypertonie" behandelt worden ist.
4
Nach Erhalt der Unterlagen des Klägers teilte die Beklagte mit Schreiben vom
5
26.08.2008 mit, dass ein Anspruch auf Zahlung von Versicherungsleistungen im
vorliegenden Fall nicht bestehe. Zugleich wurde der Kläger auf die 6-Monats-Frist nach
§ 12 Abs. 3 VVG a. F. hingewiesen und über die Konsequenzen des Fristablaufs
belehrt. Zur Ablehnungsbegründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, dass eine
Leistungspflicht deshalb nicht bestehe, weil die Arbeitsunfähigkeit durch eine vor
Versicherungsbeginn bekannte Erkrankung verursacht worden sei.
Mit Schreiben vom 08.10.2008 zeigten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die
Wahrnehmung dessen rechtlicher Interessen an. Zugleich wurde die Beklagte noch mal
ausdrücklich, auch unter Bezugnahme auf das Schreiben der Beklagten vom
26.08.2008, darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen Beruf seit dem 01.09.2007
nicht mehr ausüben könne. Mit Schreiben vom 13.10.2008 legte die Beklagte daraufhin
ihre Rechtslage erneut dar und bekräftigte unter Verweis auf ihr Schreiben vom
26.08.2008 ihre Leistungsverweigerung.
6
Mit der am 04.03.2009 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 16.07.2009
zugestellten Klage begehrt der Kläger Freistellung von der gegen ihn gerichteten
Forderung aus dem Darlehensvertrag mit der C AG. Er vertritt die Auffassung, die
Beklagte könne sich nicht wirksam auf einen Ausschluss nach § 12 Abs. 3 VVG a. F.
berufen, da diese Vorschrift bei Altverträgen seit dem 01.01.2008 nicht mehr anwendbar
sei. Da im Übrigen entgegen der Auffassung der Beklagten eine unbefristete
Berufsunfähigkeit nicht vorläge, könne sich diese auch nicht wirksam auf ein
Leistungsverweigerungsrecht berufen.
7
Der Kläger beantragt,
8
die Beklagte zu verurteilen, ihn von der gegen ihn gerichteten
Forderung aus dem Darlehensvertrag Nr. #####/#### vom 31.10.2005
mit der C AG, Q-Platz, ####1 N, rückwirkend seit dem 30.06.2008
freizustellen.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie vertritt die Auffassung, wegen der Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG a. F.
sei sie von ihrer Verpflichtung zur Leistung befreit.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
13
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14
Die Klage ist unbegründet.
15
Dem Kläger steht kein Anspruch auf die begehrte Freistellung zu, da die Beklagte
wegen der Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. leistungsfrei geworden ist.
16
I.
17
Es kann dahinstehen, ob vorliegend überhaupt vom Vorliegen eines
18
bedingungsgemäßen Versicherungsfalls auszugehen ist, da jedenfalls die Beklagte
gemäß § 12 Abs. 3 VVG a. F. leistungsfrei geworden ist.
1.
19
Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 12 Abs. 3 VVG a. F. auch im Jahr 2008 noch
anwendbar. Zwar ist durch Artikel 12 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 VVG-Reformgesetz vom
27.11.2007 mit dem Inkrafttreten des VVG 2008, mithin zum 01.01.2008, das alte VVG
insgesamt und damit auch § 12 Abs. 3 VVG a. F. außer Kraft getreten. Allerdings folgt
die Fortgeltung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. aus den im EGVVG geregelten
Übergangsvorschriften, und zwar aus Artikel 1 Abs. 1 EGVVG, wonach
Versicherungsverhältnisse, die, wie der streitgegenständliche Vertrag, bis zum
01.01.2008 entstanden sind, das alte VVG weiter anzuwenden ist.
20
Der in Artikel 1 Abs. 1 EGVVG bestimmte Grundsatz der Fortgeltung des alten VVG auf
Altverträge erfährt nach der Vorschrift des Artikel 1 Abs. 1 EGVVG nur insoweit
Einschränkungen, als diese in Artikel 1 Abs. 2 EG VVG und Artikel 2 bis 6 EGVVG
geregelt sind. Als § 12 Abs. 3 VVG a. F. betreffende Einschränkung einer Fortgeltung
auf Altverträge könnte daher allenfalls Artikel 1 Abs. 4 EGVVG in Betracht kommen, der
jedoch bereits nicht zu den Artikeln 1 Abs. 2 und Artikeln 2 bis 6 EGVVG gehört, die
nach dem eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers in Artikel 1 Abs. 1 EGVVG
allein die Ausnahme von dem in Artikel 1 Abs. 1 EGVVG geregelten Grundsatz
zulassen sollen, wonach auf Altverträge das alte VVG auch noch nach dem 31.12.2007
anzuwenden ist. Artikel 1 Abs. 4 EGVVG bestimmt nämlich, dass das alte VVG auf
Fristen nach § 12 Abs. 3 VVG a. F., die vor dem 01.01.2008 begonnen haben, auch
nach dem 01.01.2008 anzuwenden ist. Diese Vorschrift regelt aber lediglich den Ablauf
der im Jahr 2007 nach dem 30.06. noch in Gang gesetzten Ausschlussfristen auch nach
dem 31.12.2007 und stellt gerade keine Spezial- und Ausnahmevorschrift zu Artikel 1
Abs. 1 und 2 EGVVG dar. Dies ergibt sich schon daraus, dass Artikel 1 Abs. 4 EGVVG
gerade keine Erwähnung in Artikel 1 Abs. 1 EGVVG findet. Zudem soll Artikel 1 Abs. 4
EGVVG schon seinem Wortlaut nach – dem Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung –
überhaupt nicht die Frage regeln, ob die Ausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 VVG a. F.
auch nach dem 31.12.2007 noch gesetzt werden kann, sondern lediglich den Ablauf
einer noch im Jahr 2007 gesetzten Frist im Jahre 2008 betreffen. Auch die Begründung
für die Einfügung dieser Vorschrift in das Übergangsrecht zum neuen VVG lässt einen
Bezug zu Ausschlussfristen, die erst im Jahr 2008 gesetzt werden, nicht erkennen. Denn
der Rechtsausschuss, auf dessen Initiative hin Artikel 1 Abs. 4 in das EGVVG eingefügt
worden ist, wollte mit dieser Vorschrift der Erkenntnis Rechnung tragen, dass Artikel 3
Abs. 4 EGVVG auf die beabsichtigte Abschaffung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. nicht
ausreichend Rücksicht nimmt. Aus Artikel 3 Abs. 4 EGVVG ist nämlich ersichtlich, dass
die Übergangsvorschriften für die Verjährung in Artikel 3 Abs. 1 – 3 EGVVG
entsprechend auf Fristen anzuwenden sind, die für die Geltendmachung eines Rechtes
maßgebend sind. Damit wird die entsprechende Anwendung des Artikel 3 Abs. 1 – 3
EGVVG aber auch für die Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. bestimmt, was
bedeuten könnte, dass in entsprechender Anwendung von Artikel 3 Abs. 2 EGVVG eine
im Jahr 2007 gesetzte Ausschlussfrist im Jahre 2008 wegen der Abschaffung durch das
VVG 2008 gar nicht mehr ablaufen könnte, weil man die Abschaffung einer Frist als die
radikalste Form der Kürzung begreifen könnte. Nur um diesem Problem zu begegnen,
hat der Gesetzgeber dies mit Artikel 1 Abs. 4 EGVVG regeln wollen. Dementsprechend
findet Artikel 1 Abs. 4 EGVVG in Artikel 1 Abs. 2 sowie Artikel 2 bis 6 EGVVG nach dem
eindeutigen Wortlaut keine Erwähnung. Von daher kann die Ausschlussfrist des § 12
21
Abs. 3 VVG a. F. auch noch nach dem 31.12.2007 wirksam gesetzt werden und muss
vom Versicherungsnehmer gewahrt werden, wenn er seinen geltend gemachten und
abgelehnten Anspruch nicht verlieren will (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 28.05.2009 – 2
O 353/08). Dies ergibt sich im Übrigen auch aus der Regelung in Artikel 1 Abs. 2
EGVVG. Nach dieser Übergangsvorschrift findet das alte VVG "insoweit weiter
Anwendung, als der Versicherungsfall – wie im vorliegenden Fall – bis zum 31.12.2008
eingetreten ist. Durch diese Formulierung ergibt sich, dass das alte VVG "auf die sich
hieraus", d. h. aus dem eingetretenen Versicherungsfall, "ergebende Rechte und
Pflichten der Vertragsparteien weiterhin ... anzuwenden ist."
2.
22
Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 VVG a. F., der nach den vorliegenden
Ausführungen anzuwenden ist, sind erfüllt.
23
Die Beklagte hat die erhobenen Ansprüche des Klägers mit Schreiben vom 26.08.2008
unter Hinweis auf die Folgen einer nicht rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung
abgelehnt. Weder der Inhalt noch die äußere Gestaltung der Belehrung gibt Grund zur
Beanstandung. Damit wurde die sechsmonatige Frist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. mit
Zugang des Schreibens bei dem Kläger, spätestens aber am 29.08.2008, in Lauf
gesetzt. Der Kläger hat insoweit nicht bestritten, dass ihm das Schreiben der Beklagten
vom 26.08.2008 im Rahmen der normalen Postlaufzeit, mithin am 29..08.2008,
zugegangen ist. Mithin wurde die Frist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. spätestens am
29.08.2008 in Lauf gesetzt. Bei Gericht eingegangen ist die Klage aber erst am
04.03.2009, also bereits nach Ablauf der in § 12 Abs. 3 VVG a. F. normierten Klagefrist.
24
Etwaige Verhinderungsgründe, die die verspätete Einreichung der Klage rechtfertigen
könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen, so dass die Klage – ohne dass es
noch darauf ankommt, ob tatsächlich ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall
eingetreten ist – abzuweisen ist.
25
II.
26
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
27
Streitwert: Bis 35.000,00 €.
28