Urteil des LG Wuppertal vom 17.02.2006

LG Wuppertal: implantation, gebühr, abrechnung, anhörung, vergütung, bestandteil, verordnung, honorarforderung, abweisung, ergänzung

Landgericht Wuppertal, 10 S 126/05
Datum:
17.02.2006
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 S 126/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Mettmann, 25 C 482/04
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das angefochtene Urteil des
Amtsgerichts Mettmann unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 243,21 EUR nebst 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Juli 2001 zu
zahlen.
Die weitergehende Klage und die im zweiten Rechtszug erweiterte
Klage werden abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges werden wie folgt verteilt:
bis zum 16. Juli 2004 tragen der Kläger 82 % und die Beklagte 18 %,
ab dem 17. Juli 2004 der Kläger 71 % und die Beklagte 29 %.
Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden zu 74 % dem Kläger und
zu 26 % der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
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I.
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Mit der Klage verlangt der Kläger Zahlung restlichen Arzthonorars von der Beklagten für
erbrachte privatärztliche chirurgisch-orthopädische Leistungen während ihres
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Aufenthaltes im evangelischen Fachkrankenhaus in S in der Zeit vom 04. bis zum 23.
März 2001. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil, auf dessen
tatsächliche Feststellungen die Kammer gemäß § 540 I Nr. 1 ZPO Bezug nimmt, hat der
Kläger Berufung eingelegt, mit der er seinen zuletzt gestellten Klageantrag, die Beklagte
zu verurteilen, an ihn 849,31 EUR zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab
dem 31. Juli 2001 zu zahlen, weiterverfolgt.
In der Berufungsbegründung hat der Kläger die Klage wegen einer vorgenommenen
Korrektur seines Rechenwerks um 66,32 EUR erweitert.
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II.
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Die zulässige Berufung ist teilweise begründet, im übrigen unbegründet. Die in der
zweiten Instanz erweiterte Klage unterliegt der Abweisung.
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1. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten aufgrund der zwischen ihnen zustande
gekommenen Wahlleistungsvereinbarung vom 04. März 2001 (Anlage K 1) ein
Anspruch auf Zahlung restlichen Arzthonorars in Höhe von 243,21 EUR zu.
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Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der Honoraranspruch des Klägers gemäß
§ 12 I GOÄ fällig. Denn der Kläger hat der Beklagten eine der Verordnung der GOÄ
entsprechende förmliche Rechnung erteilt. Inhaltliche Richtigkeit ist nicht
Voraussetzung der Fälligkeit. Die Kammer schließt sich insoweit der in dem Kommentar
zu EBM und GOÄ von Wezel/Liebold vertretenen Auffassung an (Kommentierung zu
§ 12 I GOÄ in Band 2).
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Für die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Kläger berechtigt ist, Gebühren
nach den Gebührenziffern 2255 (Faktor 3,4), 2255 (Faktor 2,3), 2103, A 2257, A 2344
und A 2404 in Höhe von insgesamt 915,63 EUR zu berechnen, ist von folgenden
rechtlichen Voraussetzungen auszugehen (vgl. Urteil des BGH vom 13. Mai 2004,
III ZR 344/03):
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Nach § 4 II Satz 1 GOÄ kann der Arzt Gebühren, die nach Abs. 1 Vergütungen für die im
Gebührenverzeichnis genannten ärztlichen Leistungen sind, nur für selbständige
ärztliche Leistungen berechnen. Auch soweit das Gebührenverzeichnis eine bestimmte
Leistung nicht aufführt, ist die in § 6 II GOÄ vorgesehene Analogberechnung, d.h. die
Heranziehung einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des
Gebührenverzeichnisses, nur für selbständige ärztliche Leistungen eröffnet. Prinzipiell
kommen alle im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistungen als selbständige
ärztliche Leistungen in Betracht. Für die Frage, welche von mehreren gleichzeitig oder
im Zusammenhang erbrachten Leistungen selbständig berechnungsfähig sind, ist –
neben Berechnungsbestimmungen im Gebührenverzeichnis selbst – vor allem § 4 II a
GOÄ in der Fassung der 4. Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte
vom 18. Dezember 1995 zu beachten. Nach dieser Bestimmung kann der Arzt für eine
Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach
dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere
Leistung eine Gebühr berechnet. Dies gilt auch nach § 4 II a Satz 2 GOÄ für die zur
Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch
notwendigen operativen Einzelschritte. In den dem Abschnitt L (Chirurgie, Orthopädie)
des Gebührenverzeichnisses vorangestellten allgemeinen Bestimmungen werden Inhalt
und Tragweite dieses als Zielleistungsprinzip bezeichneten Grundsatzes näher
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verdeutlicht. Es heißt dort: "Zur Erbringung der in Abschnitt L aufgeführten typischen
operativen Leistungen sind in der Regel mehrere operative Einzelschritte erforderlich.
Sind diese Einzelschritte methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen
Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung, so können sie nicht gesondert
berechnet werden."
Unter Berücksichtigung vorstehender rechtlicher Grundsätze für die Berechnung von
Arzthonoraren kann der Kläger für die chirurgisch-orthopädisch erbrachten Leistungen
gegenüber der Beklagten die Gebührenziffern 2255 (Faktor 2,3), 2103 und A 2344
berechnen, nicht aber die Positionen 2255 (Faktor 3,4), A 2257 und A 2404.
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Zu den einzelnen Gebührenziffern ist folgendes auszuführen:
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1. zu 2255 (Faktor 2,3) Der Kläger ist zur Abrechnung dieser Gebührenziffer berechtigt.
Die von ihm vorgenommene Anlagerung des Knochengewebes gehört nach den
Ausführungen des Sachverständigen Dr. C nicht regelhaft zur Zielleistung einer TEP-
Implantation, die nach 2153 GOÄ abzurechnen ist. Sie geht deshalb nicht in dieser
Gebührenziffer (2153) auf.
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2. zu 2103 Die Berechnung dieser Gebührenziffer durch den Kläger ist nicht zu
beanstanden. Der Sachverständige Dr. C hat dazu ausgeführt, daß die Maßnahmen des
Klägers zur Beseitigung der Beugefehlstellung (Anlegen eines hinteren medio-dorsalen,
medio-lateralen, II. gradigen Release mit dem elektrischen Messer, Abschaben der
Gelenkkapsel von der Tibia und von der hinteren Femurresektionshälfte) nicht dem
Zielleistungsprinzip der Knietotalendoprothesenimplantation unterliegen, weil nicht bei
jeder Knietotalendoprothesenimplantation die vom Kläger zur Beseitigung der
Beugefehlstellung erbrachten Leistungen ausgeführt werden müssen.
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3. zu A 2344 Der Kläger hat für den von ihm ausgeführten Patellarückflächenersatz zu
Recht eine Vergütung gemäß A 2344 GOÄ gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. C ist ein ausgeführter
Patellarückflächenersatz kein methodisch notwendiger Bestandteil der Implantation
einer Kniegelenkendoprothese nach 2153 GOÄ.
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4. zu 2255 (Faktor 3,4) Der Kläger ist nicht berechtigt, gegenüber der Beklagten diese
Gebührenziffer in Ansatz zu bringen. Denn nach den Feststellungen des
Sachverständigen Dr. C erlaubt die Darstellung der Knochenspanauffüllung im
Operationsbericht des Klägers vom 05. März 2001 nur die einmalige Abrechnung dieses
Gebührentatbestandes, weil sich aus dem Operationsbericht keine Anhaltspunkte für die
Berechtigung des Klägers ergeben, die Gebührenziffer 2255 wegen erhöhten
Zeitaufwandes mit dem Faktor 3,4 neben derselben Gebühr mit dem Faktor 2,3 zu
berechnen.
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5. zu A 2257 Es besteht kein Anspruch des Klägers auf Honorarzahlung gegenüber der
Beklagten bezüglich dieser Gebührenziffer für das Aufmeißeln von überstehenden
Osteophyten an der inneren Kontur der Oberschenkelrollen (Erweiterung der
knöchernen "Notch"). Denn nach den Angaben des Sachverständigen Dr. C handelt es
sich bei den vom Kläger insoweit erbrachten Leistungen um einen methodisch
notwendigen Teilschritt bei der hier erfolgten Implantation der
Kniegelenktotalendoprothese, die nach der vom Kläger berechneten Gebührenziffer
2153 GOÄ vergütet wird.
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6. zu A 2404 Der Kläger kann keine Vergütung für die Entfernung eines vergrößerten
Hoffa-Fettkörpers gemäß § 2404 GOÄ gegenüber der Beklagten verlangen. Nach den
Ausführungen des Sachverständigen Dr. C unterliegt der Operationsschritt der
subtotalen Hoffaentfernung dem Zielleistungsprinzip der Kniegelenktotalendoprothesen-
implantation. Vorstehende Leistung ist damit von der vom Kläger berechneten
Gebührenziffer 2153 GOÄ mitumfasst.
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Soweit sich aus dem in der Berufungsinstanz durch den Kläger vorgelegten
Sachverständigengutachten des Prof. Dr. N2, eingeholt in dem vom Kläger geführten
Rechtsstreit 10 C 573/02 Amtsgericht S, ergibt, daß der Sachverständige in dem von
ihm zu beurteilenden Fall zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kläger zur
Abrechnung der Gebührenziffern A 2257 und A 2404 berechtigt war, ergibt sich nicht,
daß er auch im hiesigen Verfahren diese Gebührenziffern abrechnen kann. Denn das
Gutachten des Prof. Dr. N2 ist für das hiesige Verfahren kein Beweismittel, sondern nur
qualifizierter Parteivortrag. Hinzu kommt, daß der Sachverständige Dr. N2 eine
Operation zur Behandlung der Varusgonarthrose mit OP-Bericht zu begutachten hatte,
der Sachverständige Dr. C im vorliegenden Verfahren jedoch eine Pangonarthrose mit
OP-Bericht. Einen Antrag auf schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens
Dr. C oder auf dessen mündlichen Anhörung hat der Kläger nicht gestellt. Für eine
Anordnung der mündlichen Anhörung des Sachverständigen Dr. C von Amts wegen
bestand keine Veranlassung, weil der Sachverständige die Beweisfragen nach
Auffassung der Kammer ausführlich erörtert hat. Es bestand deshalb auch keine
Veranlassung, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, wie es die
Beklagte mit der Berufungserwiderung beantragt hat.
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Die restliche Honorarforderung des Klägers beläuft sich auf 494,94 EUR und errechnet
sich wie folgt:
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Gebührenziffer 2255 (Faktor 2,3) 198,41 EUR
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Gebührenziffer 2103 248,01 EUR
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Gebührenziffer A 2344 213,51 EUR
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abzüglich 25 % Minderung gemäß § 6 a GOÄ 164,98 EUR
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494,94 EUR.
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Im Hinblick auf die von der Beklagten erklärte hilfsweise Aufrechnung mit einer
Rückforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 I BGB unter dem
Gesichtspunkt der Leistungskondiktion bezüglich der bereits ausgeglichenen
Gebührenziffern 2112 GOÄ (gemäß § 6 a GOÄ geminderter Betrag: 226,45 EUR) und
2065 GOÄ (gemäß § 6 a GOÄ geminderter Betrag: 25,14 EUR) ist die Klageforderung in
Höhe von 251,59 EUR erloschen, § 389 BGB. Damit reduziert sich der restliche
Honoraranspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf 243,21 EUR (494,94 EUR
– 251,59 EUR). Der Sachverständige Dr. C hat im Rahmen der weiteren Erläuterung
seines Gutachtens ausgeführt, daß die Gebührentatbestände der Ziffern 2112 und 2065
GOÄ nicht vorgelegen haben. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.
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Die Zinsforderung ist gemäß §§ 242, 288 I a.F. BGB gerechtfertigt, weil die Beklagte
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Zahlung des restlichen Arzthonorars unwidersprochen am 31. Juli 2001 verweigert hat.
III.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 92 I, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 915,63 EUR.
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