Urteil des LG Wuppertal vom 20.03.2001
LG Wuppertal: sittenwidrigkeit, einfluss, rechtsgeschäft, ware, dienstleistung, inkasso, telefonbuch, widerklage, nummer, entziehen
Landgericht Wuppertal, 16 S 263/00
Datum:
20.03.2001
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
16. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 S 263/00
Vorinstanz:
Amtsgericht Wuppertal, 35 C 108/00
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 12.10.2000 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Wuppertal (35 C 108/00) wird auf seine Kosten
zurückgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Das erstinstanzliche Gericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Klägerin gegen den
Beklagten ein Anspruch auf Vergütung gem. § 611 BGB in Höhe von 1.096,10 DM
zusteht.
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Der Vertrag ist nicht gem. § 138 BGB im Hinblick auf die dem Beklagten in Rechnung
gestellten Anrufe zu Sondernummern mit der Vorwahl 0190 sittenwidrig.
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Eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB erfordert, dass ein Rechtsgeschäft gegen
das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei der Begriff der
guten Sitten durch die herrschende, anerkannte Rechts- und Sozialmoral inhaltlich
bestimmt und diesbezüglich ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen ist.
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Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Telefonsex als sittenwidrig
anzusehen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während der BGH (BGH
NJW 1998, 2895) und die Oberlandesgerichte Düsseldorf (MMR 1999, 556) und
Stuttgart (MMR 1999, 482) die Sittenwidrigkeit von Telefonsex bejahen ist nach
Auffassung des LG Hamburg (NJW RR 1997, 178), des OLG Hamm (NJW 1995, 2797)
und nunmehr auch OLG Köln (MMR 2001, 43) nicht generell sittenwidrig.
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Zwar spricht vieles dafür, die Sittenwidrigkeit von Telefonsex zu verneinen. Nach
heutigen Wertvorstellungen kann allein der Umstand, dass bei Telefonssex Sexualität
zur Ware gemacht und kommerziell ausgenutzt wird, noch nicht die Sittenwidrigkeit
begründen.
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Auch der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 09.06.1998 (NJW 1998, 2895, 2896)
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Auch der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 09.06.1998 (NJW 1998, 2895, 2896)
ausgeführt, dass es eines besonderen Umstandes bedarf, um Telefonsex als
sittenwidrig erscheinen zu lassen. Es wurde gerade nicht allein als ausreichend
erachtet, dass ein bestimmtes Sexualverhalten des Kunden kommerziell ausgenutzt
wird. Vielmehr wurde in dem vom BGH zu entscheidenden Fall das
Sittenwidrigkeitsmoment gerade darin gesehen, dass die jeweilige Mitarbeiterin des
Anbieters von Telefonsex als Person herabgewürdigt und Aspekte des Jugendschutzes
beeinträchtigt werden.
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Als den für die Beurteilung von Telefonsex maßgeblichen Aspekt hat das OLG Köln
(Entscheidung vom 15.09.2000, MMR 2001, 43) nunmehr festgestellt, dass eine solche
Herabwürdigung der Operator nicht ohne weiteres vorliegt und auch Aspekte des
Jugendschutzes nach den aktuellen Vorkehrungen nicht verletzt sind.
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Die Sittenwidrigkeit von Telefonsex kann daher nur bejaht werden, wenn zugleich
schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit verletzt werden. Dies vermag die Kammer –
dem OLG Köln folgend- weder für Telefonsex im Allgemeinen noch für die von dem
Beklagten beanstandeten Anrufe zu Sondernummern feststellen.
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Insbesondere werden die Mitarbeiterinnen eines Anbieters von Telefonsex nicht in einer
der Prostitution oder der Peepshow vergleichbaren Weise zum bloßen Objekt
herabgewürdigt und ihre Intimsphäre zur bloßen Ware gemacht. Ein körperlicher oder
auch visueller Kontakt findet gerade nicht statt. Die Gesprächspartnerin des Kunden gibt
auch nicht ihren Intimbereich preis und kann sich gerade ohne Einfluss des Kunden
unangenehmen und entwürdigen Gesprächen entziehen.
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Vorliegend ist jedoch maßgebend darauf abzustellen, dass sich die Klägerin darauf
beschränkt, ihr Mobilfunknetz bereitzustellen. Der Umfang des Vertragsinhalts zwischen
der Klägerin und dem Beklagten bezog sich auf das Bereitstellen des Mobilfunknetzes,
wobei die Klägerin als Dienst die Nutzung anbietet. Es handelt sich bei den
Anschlüssen mit den 0190 Vorwahlnummern um Anschlüsse im Festnetz der deutschen
Telekom. Durch das Bereitstellen von Verbindungen zu diesen Anschlüssen, liegt
jedoch kein sittenwidriges Rechtsgeschäft der Klägerin vor. Eine Ver
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tragsbeziehung zwischen der Klägerin und den Telefonsexanbieten besteht nicht.
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Im Gegensatz zu dem vorbenannten Urteil des BGH betreibt die Klägerin kein Inkasso
für die Telefonsexanbieter, sondern stellte dem Beklagten lediglich die Kosten für die
Verbindung in das Festnetz der Telekom in Rechnung. Diese von der Klägerin
erbrachte Dienstleistung ist unabhängig von der Frage der Sittenwidrigkeit des
Vertragsbeziehung zwischen dem Kunden und dem Dienstleister –über die vorliegend
nicht zu entscheiden war- aber wertneutral. Es handelte sich lediglich um ein
Hilfsgeschäft, das nicht der objektiven Förderung und Ermöglichung des Telefonsexes
dienen soll (LG Hannover, Entscheidung vom 09.05.2000). Ein untergeordnetes
Hilfsgeschäft ist nämlich immer dann anzunehmen, wenn zwischen dem Netzbetreiber
und dem Telefonsexanbieter ein nur entfernter Zusammenhang besteht.
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Des weiteren ergibt sich gerade aus dem vom Beklagten vorgelegten Auszug aus dem
Telefonbuch, dass es sich bei dieser Vorwahlnummer nicht per se um Nummern von
Telefonsexanbietern handelt, sondern auch um andere allgemeine
Serviceeinrichtungen. Unter dieser Nummer werden zudem auch reine Dating-Lines
angeboten. Hierbei werden durch den Dienstanbieter verschiedene ihm unbekannte
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Gesprächspartner auf einer Plattform zusammengeschaltet. Der Dienstanbieter hat in
diesen Fällen auch keinerlei Einfluss darauf, welchen Inhalt die jeweiligen Gespräche
haben. Dies zeigt gerade, wie fließend die Grenze zwischen dem teilweise als
moralisch anstößig betrachteten Telefonsex und sonstigen Dating-Lines ist. Des
weiteren steht auch nicht fest, ob es sich im vorliegenden Fall überhaupt um
Telefonsexanbieter handelte.
Damit war auch die Widerklage als unbegründet abzuweisen. Auf die vom Beklagten
behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen kommt es folglich nicht an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Beschwerdewert bis zum 17.01.2001: DM 8.586,13
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ab dem 18.01.2001: DM 6.096,10
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Wilden
Klein
Fries
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