Urteil des LG Wuppertal vom 17.11.2005
LG Wuppertal: gebühr, hauptsache, rückwärtsfahren, ermessensausübung, reparatur, bestätigung, beratung, fahrzeug, geschädigter, vollstreckbarkeit
Landgericht Wuppertal, 9 S 101/05
Datum:
17.11.2005
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 S 101/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Wuppertal, 35 C 66/05
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Wuppertal vom 14. März 2005 teilweise abgeändert und insgesamt wie
folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Hauptsache wegen eines Betrages von
23,76 € teilweise erledigt ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger zu 58 %,
die Beklagte zu 42 %. Die Kosten des zweiten Rechtszuges trägt der
Kläger.
Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages
abzuwenden, wenn nicht jeweils der Gegner vor
Vollstreckungsmaßnahmen Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
G r ü n d e
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Die Parteien streiten darum, in welcher Höhe dem Kläger die Geschäftsgebühr aus § 14
RVG i. V. m. 2400 VV zusteht, nachdem der Kläger seinen Mandanten in einem
Unfallereignis beraten und dessen Ansprüche bei der Beklagten durchgesetzt hatte.
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Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540
ZPO verwiesen wird, hat das Amtsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger die
Gebühr zu zahlen, die sich nach dem 1,3-fachen Wert, der sich aus § 13 RVG ergibt,
bemisst. Ferner hat es dem Kläger 19,50 € vorgerichtliche Kosten zugesprochen und
festgestellt, dass die Hauptsache teilweise erledigt sei. Denn die Beklagte hatte
vorprozessual nur 0,8 der Geschäftsgebühr bezahlt, diese aber nach Zustellung des
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Mahnbescheids auf 1,0 erhöht.
Mit der Berufung wehrt sich die Beklagte nicht mehr gegen die Feststellung, dass die
Hauptsache teilweise erledigt sei, hält aber an ihrer Ansicht fest, dass der Kläger nicht
mehr als eine volle Gebühr geltend machen könne und beantragt deshalb, insoweit die
Klage abzuweisen, was dann auch die Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Kosten
berührt. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, so dass entsprechend das angefochtene Urteil
abzuändern ist.
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Die Parteien streiten nicht darum, dass dem Kläger nach der Abtretung durch den
Geschädigten seine Rechtsanwaltsgebühren zu ersetzen sind. Sie streiten lediglich
über die zutreffende Höhe der Geschäftsgebühr, die als Rahmengebühr ausgestattet ist.
Wie diese Gebühr der Höhe nach festzusetzen ist, hat im Grundsätzlichen das
Amtsgericht zutreffend dargelegt, so dass darauf verwiesen werden kann. Danach ist die
Ermessensausübung des Rechtsanwaltes bindend, wenn ihm keine Ermessensfehler
unterlaufen sind, wobei ihm ein Spielraum von etwa 20 % zuzubilligen ist.
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Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt dazu, dass der Kläger keine
höhere als die einfache Gebühr verlangen kann. Der Ansicht des Klägers, dass sich aus
dem Zusatz in Nr. 2400 VV ergebe, dass in Verkehrsunfällen grundsätzlich 1,3
Gebühren gefordert werden könnten, kann nicht gefolgt werden. § 14 RVG stellt nicht
auf bestimmte Rechtsgebiete ab, sondern fordert eine Bestimmung der Gebühr unter
Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles. Bezüglich der Bedeutung der
Angelegenheit und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten
ergeben sich hier keine vom Durchschnitt abweichende Kriterien, allenfalls ist zu
berücksichtigen, dass der geltend gemachte Schadensbetrag eher niedrig als hoch
einzustufen ist. Deshalb sind bei der Ermessensausübung des Anwalts der Umfang und
die Schwierigkeit seiner Tätigkeit maßgeblich heranzuziehen. Insoweit ist von der
Darstellung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 17. Februar 2005 (Bl. 90 GA)
auszugehen, da er dort schildert, welche Probleme er mit dem Mandanten zu
besprechen und zu bewältigen hatte. Dem ist die Beklagte nicht konkret
entgegengetreten. Danach steht fest, dass der Mandant den Kläger am Unfalltage, dem
02.08.2004, angerufen und vom Unfallgeschehen berichtet hat. Der Rat, einen
Sachverständigen einzuschalten, konnte telefonisch erledigt werden und wurde befolgt.
Bereits am nächsten Tag bestätigte die Beklagte unaufgefordert ihre Einstandspflicht.
Mit dieser Bestätigung erschien der Mandant dann am 06.08.2004 beim Kläger und
schilderte dort dann ausführlich das Unfallgeschehen. Angesichts der Tatsache, dass
die Unfallgegnerin beim Rückwärtsfahren das Fahrzeug des Mandanten beschädigt
hatte und die Beklagte ihre Einstandspflicht bereits bestätigt hatte, ergaben sich zum
Grunde keinerlei Schwierigkeiten bei der rechtlichen Beratung. Am selben Tag fertigte
der Kläger dann das Anspruchsschreiben, das den vom Sachverständigen ermittelten
Nettobetrag für die Reparatur, dessen Kosten und eine Auslagenpauschale beinhaltete.
Ebenfalls noch im August erfolgte sodann die Regulierung durch die Beklagte. Dass
sodann der Mandant Y noch einmal beim Kläger erschien und sich erkundigte, warum er
nur den Nettobetrag und nicht den Bruttobetrag für die Reparatur ersetzt bekomme, war
schon überflüssig. Hatte doch der Kläger schon in seinem Anspruchsschreiben vom
06.08.2004 nur den Nettobetrag geltend gemacht und hätte die Gründe dafür unschwer
seinem Mandanten erläutern können. Dass § 249 BGB im Absatz 2 Satz 2 seit dem
01.08.2002 geändert worden ist, war dem Kläger als selbstverständlich bekannt und
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bedurfte keiner tiefschürfenden rechtlichen Überlegung.
Der geschilderte Hergang der Schadensregulierung erweist sich als einfach, er hatte
keinen besonderen Umfang. Die Tätigkeit des Klägers erschöpfte sich darin, dass er
das nicht schwer einzuordnende Unfallgeschehen anhörte und die selbstverständlichen
Folgen daraus zog. Dies zeigt auch das Anspruchsschreiben vom 6. August 2004, das
kaum mehr als eine Seite benötigte. Zeitnah und ohne weiteres Nachfassen regulierte
die Beklagte.
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Wenn der Kläger damit argumentiert, nach der geltenden Rechtslage dürfe ein
Geschädigter immer einen Anwalt einschalten, weil für ihn als Laien die Sache eben
nicht so einfach rechtlich zu beurteilen sei, verkennt er, dass § 14 RVG nicht auf die
Schwierigkeiten beim Mandanten abstellt, sondern auf die Schwierigkeiten, die der Fall
dem Rechtsanwalt bereitet. Der Gesetzgeber hat nunmehr festgelegt, dass der Anwalt
bei einfachst gelegenen Sachverhalten nur eine halbe Gebühr verdient, dass bei
durchschnittlichen Fällen die Schwelle von 1,3 Gebühren nicht überschritten werden
kann und dass eine Erhöhung nur bei umfangreichen oder schwierigen Tätigkeiten
möglich ist.
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Im Streitfall ergaben sich zum Haftungsgrund überhaupt keine rechtlichen Probleme,
weil sowohl vom Unfallablauf (Rückwärtsfahren) als auch von der Bestätigung durch die
Beklagte die volle Haftung des Unfallgegners feststand. Dass dem Mandanten dann
dementsprechend der volle Reparaturnettobetrag und die Erstattung der
Sachverständigenkosten sowie eine angemessene Auslagenpauschale gewährt
werden mussten, bedurfte auch keiner schwierigen rechtlichen Beurteilung, was die
problemlose Regulierung durch die Beklagte beweist.
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Wenn das Amtsgericht - insoweit zutreffend - ausführt, was ein Rechtsanwalt bei
Unterbreitung eines Schadensfalles normalerweise alles zu berücksichtigen hat, so mag
das richtig sein. Das Amtsgericht hat aber nicht hinreichend beachtet, dass diese
generalisierende Betrachtungsweise den Anforderungen des § 14 RVG nicht gerecht
wird, der eben verlangt, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt.
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Hat aber die Klage keinen Erfolg, so kann der Kläger auch nicht die zugesprochenen
Nebenkosten verlangen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Wie dies aus dem Vortrag der Parteien und den von ihnen jeweils in Bezug
genommenen und teilweise vorgelegten widerstreitenden Gerichtsentscheidungen und
Stellungnahmen der Anwaltskammern ergibt, herrscht zurzeit ein heftiger Streit über die
hier entschiedene Frage, so dass nach § 543 Abs. 2 ZPO die Revision gegen dieses
Urteil zuzulassen ist.
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Streitwert: unter 300,00 €
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