Urteil des LG Wiesbaden vom 30.04.2010

LG Wiesbaden: private unfallversicherung, gesundheitsschädigung, strangulation, tod, arztbericht, anzeichen, tagesmutter, invalidität, absicht, unfreiwilligkeit

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Gericht:
LG Wiesbaden 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 O 215/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 178 Abs 2 VVG, § 180a VVG
vom 30.06.1967
Private Unfallversicherung: Beweiswürdigung im
Zusammenhang mit der Leistungsfreiheit des Versicherers
wegen Selbsttötungsversuch des Versicherten
Orientierungssatz
1. Ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt vor, wenn die versicherte
Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis)
unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Die Unfreiwilligkeit wird vermutet, die
beklagte Versicherung hat den Nachweis für eine freiwillige Selbstschädigung zu
erbringen (§ 180a VVG a.F.).
2. Da es für die Frage, ob eine versicherte Person einen Suizid begehen wollte, keinen
direkten Beweis für seine inneren Absichten gibt, ist in einer abwägenden umfassenden
Gesamtschau aller objektiven und erkennbaren subjektiven Momente eine Prüfung
vorzunehmen. Hierbei sind Erfahrungssätze und Hilfstatsachen zu verwerten.
3. Menschliches Verhalten lässt sich nicht in dem Sinn typisieren, dass anhand des Typs
sicher vorhersehbar ist, wie ein Mensch in einer gegebenen Situation reagieren wird.
Insbesondere lassen statische Wahrscheinlichkeiten keinen sicheren Schluss darauf zu,
wie eine bestimmte Person sich verhält bzw. was sie mit ihrem Verhalten beabsichtigt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil
vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten seit dem Jahr 1993 eine
Kinderunfallversicherung. Die AUB 94 waren Vertragsbestandteil. Versicherte
Person war der am … geborene Sohn X der Klägerin.
Die Klägerin macht mit der Klage Ansprüche aus einem Ereignis vom ... geltend.
An diesem Tag wurde X, der zu dieser Zeit von einer dritten Person betreut wurde,
im Badezimmer der Familienwohnung aufgefunden. X hatte einen
Bademantelgürtel um den Hals geschlungen, der an einer Heizung in 2,20m Höhe
befestigt war. Die Füße waren mit einem weiteren Bademantelgürtel
zusammengebunden. Die Hände waren auf dem Rücken mittels eines
Schlüsselbandes fixiert. Die Badezimmertür war von innen abgeschlossen. Die
Betreuungsperson hatte die Tür von außen mit einem Geldstück geöffnet,
nachdem X 30 Minuten im Bad verbracht hatte und auf Rufen seines Namens nicht
antwortete.
Die Klägerin hatte dieses Ereignis zunächst telefonisch am 23.12.2005 der
Beklagten gemeldet. Mit Schreiben gleichen Datums übersandte die Beklagte ein
Formular für die Schadensanzeige, das die Klägerin unter dem 28.03.2006
zurücksandte.
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In ihrer Schadensanzeige teilte die Klägerin folgendes mit:
„X ist gegen 13 Uhr ins Badezimmer gegangen, er war noch im Schlafanzug und
hatte seine Anziehsachen dabei. Die Tagesmutter saß auf dem Balkon, wir wohnen
in einer kleinen Dreizimmerwohnung. Im Badezimmer hat er einen
Selbstfesselungsversuch unternommen und sich dabei stranguliert.“
Wegen der weiteren Einzelheiten der Schadensanzeige wird auf die Anlage B 3 (Bl.
87 ff. d.A.) Bezug genommen.
Ausweislich der Ausführungen des ermittelnden Polizeibeamten Y vom … wurde
um 13.31 Uhr durch die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums … ein Vorfall
gemeldet, wonach sich eine männliche Person an der Wohnanschrift der Klägerin
erhängt habe. Die daraufhin dorthin entsandte Polizeistreife fand den Sohn der
Klägerin auf dem Boden des Wohnzimmers vor. Ein vor Ort befindlicher Notarzt
hatte Reanimationsmaßnahmen erfolgreich eingeleitet. Nach Angaben der
Aufsichtsperson für X sei der Vormittag ohne Besonderheiten verlaufen. Gegen 13
Uhr habe X sein Zimmer verlassen und das Bad der Wohnung aufgesucht.
Nachdem er nach ca. einer halben Stunde nicht wieder aus dem Bad gekommen
sei und auf Rufen nicht reagiert habe, habe die Aufsichtsperson die von innen
verschlossene Badezimmertür mittels eines Geldstücks von außen geöffnet und
den Jungen erhängt am Heizkörper vorgefunden. Zu diesem Zeitpunkt sei ein
blauer Bademantelgürtel um seinen Hals geschlungen gewesen. Ein weißer
Bademantelgürtel sei um die Fußgelenke gelegt und die Hände mittels eines roten
Schlüsselbandes auf dem Rücken fixiert gewesen. Die Aufsichtsperson habe den
blauen Bademantelgürtel mittels eines Küchenmessers durchgeschnitten und den
Notarzt alarmiert. Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung fanden sich nicht. Auf
die Anlage zur Klageschrift (Bl. 51 f d.A.) wird Bezug genommen.
Seit dem Vorfall vom … liegt X im Koma, es besteht ein 100 %iger Hirnschaden.
Auf den auszugsweise vorliegenden Arztbericht der behandelnden … Kliniken …
(Bl. 91 d.A.) wird ergänzend Bezug genommen. Ferner wird auf die Polizeiberichte
vom … (Bl. 51 f. d.A.) und … (Bl.93 d.A.) Bezug genommen. Der Vater von X war
ca. 2 Jahre vor dem Vorfall nach langer Herzerkrankung verstorben. In der Folge
war X traurig und mitgenommen.
Die Beklagte lehnte ihre Einstandspflicht mit Schreiben vom 2.5.2006 ab und
berief sich darauf, es habe eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung im Sinne von
§ 1 Abs. 3 AUB nicht vorgelegen. Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens vom
2.5.2006 wird auf die Anlage B 6 (Bl.94 d.A.) Bezug genommen. Im Jahr 2007 ließ
die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten nochmals Invalidität bei der
Beklagten anzeigen, die sich bereit erklärte, die Sache nochmals zu überprüfen. In
diesem Zusammenhang erhielt sie den Arztbericht Dr. A vom …, wegen dessen
Inhalts auf die Anlage B 7 (Bl. 95 d.A.) Bezug genommen wird. Die Beklagte
wiederholte daraufhin mit Schreiben vom 23.11.2007 (Anl. B 8, Bl. 96 f. d.A.) ihre
Leistungsablehnung. Vorstandsbeschwerden der Klägerin in den Jahren 2008 und
2009 blieben ohne Erfolg.
Die Klägerin behauptet, bei dem Vorfall vom … handele es sich um ein
Unfallereignis, das die Beklagte zur Leistung verpflichte. Aus dem Verhalten von X
vor dem Vorfall vom …, dem Hergang und der Auffindesituation ergebe sich kein
Anhaltspunkt für eine Suizidabsicht. Gegen die Freiwilligkeit des Hergangs spreche
eine statistische Feststellung, wonach Kinder/Jugendliche einen Suizid minutiös
vorher planen und ein spontaner Suizid ohne Vorankündigungen ausgeschlossen
sei. Auch der Auffindeort spreche gegen eine Suizidabsicht, da insbesondere
Jungen zur Verwirklichung einer solchen Absicht einen entfernten Ort außerhalb der
Wohnung suchten, um ein Auffinden auszuschließen. Bei Kindern/Jugendlichen
gebe es äußere Anzeichen für einen geplanten Suizid, nämlich dessen
Ankündigung, oder Schuleschwänzen, von zu Hause weglaufen, Ess- und
Magersucht, Diebstähle, Abbrechen von Freundschaften, Verschenken von
Lieblingssachen, Interessenlosigkeit an Hobbys etc. Dies alles habe bei X nicht
vorgelegen. Auch auf dem Computer von X, der systematisch untersucht worden
sei, habe es keine Ankündigungen oder Anzeichen für eine Suizidabsicht gegeben.
Den Tod des Vaters habe X verarbeitet. Er habe sich weder stranguliert, noch sich
strangulieren wollen.
Obliegenheitsverletzungen seien der Klägerin nicht vorzuwerfen, da sie jedenfalls
nicht schuldhaft gehandelt habe. Sie sei nach dem Vorfall wegen
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nicht schuldhaft gehandelt habe. Sie sei nach dem Vorfall wegen
posttraumatischer Belastungsstörungen erkrankt gewesen. Diese hätten dazu
geführt, dass sie nicht mehr Herr der Lage und praktisch willenlos gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 184.296,50 € nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit 16.8.2007 zu zahlen,
die Beklagte ferner zu verurteilen, an die Klägerin für die
außergerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten 3.127,92 €
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 14.12.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, es habe kein unfreiwilliges Ereignis vorgelegen, weshalb
schon nicht von einem Unfall im Sinne der Regelung des § 1 Abs. 3 AUB 94
auszugehen sei. Die Unfreiwilligkeitsvermutung sei hier durch Indizienbeweis
widerlegt worden. Insofern seien die einzelnen Umstände in ihrer Gesamtschau zu
würdigen. Für eine suizidale Absicht spreche hier das Versterben des Vaters knapp
2 Jahre vor dem Ereignis. In dessen Folge sei X nämlich –unstreitig- traurig und
mitgenommen gewesen, was sich aus dem Arztbericht Dr. B vom … ergebe (Anl.
B 4, Bl. 91 d.A.). Gleiches folge auch aus dem Arztbericht Dr. A vom …. Hinzu
komme die Auffindesituation. Ein unfreiwilliger Vorgang lasse sich zu dieser
Auffindesituation nämlich nicht erklären. Darüber hinaus liege ein vom
Versicherungsschutz ausgeschlossener Eingriff gem. § 2 Abs. 2 AUB 94 vor.
Hierunter sei nämlich auch eine bewusste Strangulierung oder Selbstfesselung zu
subsumieren.
Zudem sei die Beklagte nicht zur Leistung verpflichtet, da der Klägerin
Obliegenheitsverletzungen vorzuwerfen seien. Sie habe die Beklagte weder
unverzüglich von einem Unfall unterrichtet, noch die Unfallanzeige
wahrheitsgemäß ausgefüllt und umgehend zurückgesandt. Auch lägen die
Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätsleistung gem. § 7 Abs. 1 AUB 94,
nämlich Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall und
Feststellung der Invalidität innerhalb von 24 Monaten seit dem Unfall nicht vor.
Insoweit wird auf den Vortrag der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.1.2010 (Bl. 72
ff. d.A.) Bezug genommen.
Insgesamt wird wegen des weiteren Parteivorbringens ergänzend auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet, der Klägerin steht kein Zahlungsanspruch gegen die
Beklagte aus dem Vorfall vom … zu.
Die aufgrund des streitgegenständlichen Vorfalls eingetretene Invalidität von X
sowie der Krankenhausaufenthalt ist nicht Folge eines Unfalls gewesen. Ein Unfall
im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person
durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis)
unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Die Unfreiwilligkeit eines
Ereignisses wird vermutet, die Beklagte hat den Nachweis für eine freiwillige
Selbstschädigung zu erbringen (§ 180 a VVG).
Diesen Nachweis hat die Beklagte erbracht. Da es für die Frage, ob X einen Suizid
begehen wollte, keinen direkten Beweis für seine inneren Absichten gibt, ist hier in
einer abwägenden umfassenden Gesamtschau aller objektiven und erkennbaren
subjektiven Momente eine Prüfung vorzunehmen (vgl. z.B. OLG Koblenz, Beschluss
vom 31.8.2006, Az. 10 U 1763/05). Hierbei sind Erfahrungssätze und
Hilfstatsachen zu verwerten. Aufgrund der Gesamtschau aller Umstände steht zur
Überzeugung des Gerichts fest, dass die Vermutung des § 180 a VVG widerlegt ist.
Die Freiwilligkeit des Vorfalls vom … ist als erwiesen anzusehen, da sich ein
unfreiwilliger Vorgang nur durch eine Kette von Ungereimtheiten erklären ließe und
sich eine Erklärung für einen unfreiwilligen Hergang des Geschehens nicht finden
lässt (vgl. OLG Koblenz, aaO; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.8.2002, Az. 4 U
223/01).
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Schon die äußeren Umstände und der Geschehensablauf, der zu der
Gesundheitsschädigung von X geführt hat, sprechen zwingend dafür, dass es sich
nicht um einen Unfall im Sinne einer unfreiwillig erlittenen Gesundheitsschädigung
handelt. Vielmehr ist von dem Versuch einer freiwilligen Selbsttötung auszugehen.
X wurde im Badezimmer der Familienwohnung erhängt am Heizkörper
aufgefunden. Die Badezimmertür war von innen abgeschlossen. Ein blauer
Bademantelgürtel war um seinen Hals geschlungen und am Heizkörper in 2,20m
Höhe befestigt. Ein weißer Bademantelgürtel war um die Fußgelenke gelegt und
die Hände mittels eines roten Schlüsselbandes auf dem Rücken fixiert. Als Leiter
diente ein Wäschekorb, der weggeschoben war. Eine andere Erklärung als eine
beabsichtigte Selbsttötung ist nicht ersichtlich. X hatte sich selbst in eine Situation
gebracht, in der es ausgeschlossen war, dass er ohne fremde Hilfe den eigenen
Tod vermeiden konnte. Er war nicht in der Lage, sich mit eigener Kraft aus der
Strangulation des Bademantelgürtels zu befreien. Der als Leiter dienende
Wäschekorb war weggeschoben, sodass auch insoweit ausgeschlossen war, dass
er eine zum Tod führende Strangulation abwenden konnte. Die Möglichkeit des
rechtzeitigen Eintreffens von Hilfe etwa durch die Tagesmutter hatte er dadurch
verhindert, dass die Badezimmertür von innen abgeschlossen war. Zwar war das
Öffnen der Tür auch von außen mit Hilfe einer Münze möglich. Jedoch musste X
davon ausgehen, dass die Tagesmutter einerseits erst geraume Zeit nach dem
Abschließen der Tür überhaupt Anlass sah, nach ihm zu schauen, bzw. die Tür zu
öffnen. Zudem musste er annehmen, dass die Tagesmutter erst eine Münze
herbeiholen musste, um die Tür öffnen zu können. Als Motiv für eine beabsichtigte
Selbsttötung kommt in Betracht, dass der Vater des Jungen knapp zwei Jahre vor
dem Vorfall verstorben war. Aus dem Arztbericht Dr. B vom … (Anl. B 4) ergibt
sich, dass X nach dem Tod des Vaters nach Angaben der Klägerin traurig und
mitgenommen war. Zwar sei nach Angaben der Klägerin seit ca. ½ bis ¾ Jahr vor
dem Vorfall die emotionale und finanzielle Lage der Familie wieder stabil gewesen.
Dennoch erscheint es dem Gericht wahrscheinlich, dass X dennoch den Tod des
Vaters noch nicht vollständig überwunden hatte. Eine innere Erklärung für seine
Handlung ist deshalb durchaus vorhanden, auch wenn äußerlich keine Anzeichen
einer niedergeschlagenen Stimmung von X festzustellen war.
Den Beweisangeboten der Klägerin zu den aufgezeigten Umständen, die gegen
eine Selbsttötungsabsicht sprechen sollen, war nicht nachzugehen. Diese sind
sämtlich nicht in der Lage, den durch den Geschehensablauf erbrachten Nachweis
der Selbsttötungsabsicht zu erschüttern. Insbesondere die statistischen
Feststellungen, die die Klägerin aufführt, lassen keinen Anhaltspunkt auf die
psychische Situation von X vor dem Vorfall zu. Menschliches Verhalten lässt sich
nicht in dem Sinn typisieren, dass anhand des Typs sicher vorhersehbar ist, wie ein
Mensch in einer gegebenen Situation reagieren wird (OLG Düsseldorf, aaO; OLG
Koblenz, aaO). Menschliches Verhalten lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen.
Insbesondere lassen statistische Wahrscheinlichkeiten keinen sicheren Schluss
darauf zu, wie eine bestimmte Person sich verhält bzw., was sie mit ihrem
Verhalten beabsichtigt. Statistische Feststellungen lassen nur Rückschlüsse auf
statistische Wahrscheinlichkeiten zu. Nicht nachvollziehbar ist der Vortrag der
Klägerin, mit dem sie ausdrücklich bestreiten lässt, dass sich X strangulierte oder
erhängte bzw. dies beabsichtigte. „Strangulation“ ist der Überbegriff für Hängen,
Würgen, Erdrosseln und bezeichnet damit einen tatsächlichen Vorgang. Dass X
aufgrund der Strangulation die Gesundheitsschädigung erlitten hat, die zu seinem
noch immer andauernden Gesundheitszustand geführt hat, ist Gegenstand der
Begründung der Klageforderung. Die Klägerin hat selbst in der Unfallanzeige
angegeben, X habe einen Selbstfesselungsversuch unternommen und sich hierbei
stranguliert. Dies wurde auch mehrfach schriftsätzlich durch die Klägerin
vorgetragen (z.B. Schriftsatz vom 4.3.2010, Seite 4). Im Übrigen steht dies
anhand der Polizeiberichte und ärztlichen Feststellungen unzweifelhaft fest.
Die Klägerin hat keine auch nur im Entferntesten einleuchtende Erklärung dafür
angegeben, mit welchem zur Annahme einer Unfreiwilligkeit führenden
Hintergrund X gehandelt haben könnte. Das Versterben des Vaters mag kein
zwingendes Motiv für eine Suizidabsicht gewesen sein, ist aber jedenfalls ein
denkbarer Grund. Auch das Fehlen einer Ankündigung oder andere Anzeichen für
eine Selbsttötungsabsicht auf dem Computer von X spricht nicht gegen eine
solche Absicht. Das Fehlen eines Abschiedsbriefs ist kein Indiz gegen einen Suizid.
Auch die Äußerung der Polizeibeamten in dem Bericht vom …, es hätten sich
keine eindeutigen Hinweise auf einen Suizidversuch ergeben, sprechen nicht für
die Behauptung der Klägerin, es habe kein Suizidversuch stattgefunden. Die
Polizeibeamten begründeten diese Annahme nämlich damit, dass ein
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Polizeibeamten begründeten diese Annahme nämlich damit, dass ein
Abschiedsbrief nicht aufgefunden wurde und nach den Angaben der Klägerin keine
Auffälligkeiten im Verhalten von X bestanden hätten. Eine wie auch immer
geartete plausible Erklärung für den Vorfall habe sich auch für die Polizeibeamten
nicht gefunden.
Selbst wenn aber mit der Klägerin davon auszugehen wäre, dass X nicht mit
Suizidabsicht handelte, sondern ein Unfall vorlag, bestünde keine Leistungspflicht
der Beklagten. Ein Ereignis im Sinne von § 1 Abs. 3 AUB 94 ist nämlich dann nicht
versichert, wenn die versicherte Person Gesundheitsschädigungen dadurch
erleidet, dass sie Eingriffe an ihrem Körper vornimmt, § 2 Abs. 2 (2) AUB 94. Von
diesem Ausschlußtatbestand sind äußere physische Einwirkungen auf die Integrität
des Körpers umfasst. Hier hat X mit der Strangulation einen solchen Eingriff
vorgenommen. Zudem hat er durch die Fesselung und das Versperren der Tür
sowie das Wegschieben des als Leiter dienenden Wäschekorbs weitere Umstände
geschaffen, die den Eintritt der Strangulation und deren Unumkehrbarkeit
sicherstellten.
Nach alledem kann dahinstehen, ob der Klägerin auch die durch die Beklagte
angeführten Obliegenheitsverletzungen vorzuwerfen sind.
Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91
Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.