Urteil des LG Wiesbaden vom 15.05.2009

LG Wiesbaden: grundsatz der freien beweiswürdigung, polizei, fahrzeug, kollision, tatsachenfeststellung, glaubwürdigkeit, beweismittel, rechtshängigkeit, freiheit, kennzeichen

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Gericht:
LG Wiesbaden 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 S 54/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 286 Abs 1 ZPO, § 513 Abs 1
ZPO, § 529 Abs 1 ZPO, § 546
ZPO
Neueinstieg des Berufungsgerichts in die Beweisaufnahme
bei fehlerhafter Beweisaufnahme des Erstgerichts
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom
02.11.2007 – 91 C 2385/07 (76) – abgeändert. Die Beklagten werden als
Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.060,82 EUR nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus jährlich seit dem
25.05.2007 zu zahlen.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1) als Fahrerin und Halterin und die Beklagte
zu 2) als Kfz-Haftpflichtversicherer im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall
auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin ist Eigentümerin des PKW Mazda MX 5 mit dem amtlichen
Kennzeichen … – … 178. An eben diesem Kraftfahrzeug stellte der Kfz-
Sachverständige B. H. unter dem 04.01.2007 einen Frontschaden fest, für dessen
Instandsetzung dem Gutachten zufolge 775,62 EUR netto aufzuwenden sind.
Wegen der Einzelheiten wird auf das als Anlage zu der Klageschrift vom 03.05.2007
vorgelegte Schadensgutachten des Kfz-Sachverständigen B. H. vom 04.01.2007
verwiesen. Für die Erstattung des Gutachtens stellte der Kfz-Sachverständige B. H.
der Klägerin 194,45 EUR in Rechnung. Mit Schreiben vom 13.04.2007 lehnte es die
Beklagte zu 2) ab, den Schaden zu regulieren.
Die Klägerin behauptet, der an ihrem PKW von dem Kfz-Sachverständigen B. H. in
dessen Gutachten vom 04.01.2007 festgestellte Frontschaden resultiere aus einer
Kollision mit dem PKW der Beklagten zu 1), einem Ford Fiesta mit dem amtlichen
Kennzeichen … – … 222. Die Beklagte zu 1) habe nämlich am 24.12.2006 gegen
14.35 Uhr beim Einparken ihres PKW in der Ph…straße in W… auf Höhe der
Hausnummer 9 den am Straßenrand geparkten klägerischen PKW dadurch
beschädigt, daß sie in Rückwärtsfahrt mit dem Heck ihres PKW gegen den
vorderen Stoßfänger des klägerischen PKW gestoßen sei. Zwar sei sie, die
Klägerin, hierbei nicht zugegen gewesen. Den Vorfall beobachtet habe aber die
Zeugin H. D., die zur fraglichen Zeit auf dem Balkon ihrer im Erdgeschoß in der
Ph…straße 10 belegenen Wohnung gestanden habe. außerdem habe der Zeuge
S. H. ein oder zwei Tage später vom Balkon der klägerischen Wohnung aus ein
Gespräch der Beklagten zu 1) mit deren Sohn und einem weiteren Mann auf der
Straße mitgehört, bei welchem die Beklagte zu 1) geäußert habe, daß sie beim
Rückwärtsfahren gegen den PKW der Klägerin gestoßen sei und daß es dabei doch
heftig gebumst habe. Neben den Kosten der Wiederherstellung ihres PKW und den
Gutachterkosten könne sie, die Klägerin, als Schadensersatz auch eine
Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR sowie die Erstattung der vorgerichtlich
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Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR sowie die Erstattung der vorgerichtlich
angefallenen und nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren verlangen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.060,82
EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, die Schäden, die der Sachverständige B. H. an dem PKW der
Klägerin festgestellt habe, resultierten jedenfalls nicht aus einer von der Beklagten
zu 1) verursachten und verschuldeten Kollision, weil es einen Kontakt zwischen den
beiden hier interessierenden Kraftfahrzeugen in Wahrheit nicht gegeben habe. Es
treffe zwar zu, daß die Beklagte zu 1) am Nachmittag des 24.12.2006 mit ihrem
PKW in die Ph…straße eingebogen sei und dort zunächst in etwa auf Höhe der
Hausnummer 21 einzuparken versucht habe. Hierbei sei es denn auch zu einem
leichten Kontakt mit einem anderen PKW gekommen, wodurch dieser allerdings
nicht beschädigt worden sei. Da die erste Parklücke sich als zu klein erwiesen
habe, sei die Beklagte zu 1) weitergefahren. Zuvor habe sie ihre beiden
Begleiterinnen, die Zeuginnen I. S. und R. H., aussteigen lassen. Auf Höhe der
Hausnummer 9 habe die Beklagte zu 1) sodann auf der linken Straßenseite
problemlos in eine ausreichend große Parklücke einparken können. Zu einem
Kontakt mit dem PKW der Klägerin sei es dabei nicht gekommen. Denn während
die Beklagte zu 1) rückwärts eingeparkt sei und die Zeugin R. H. auf dem
Bürgersteig neben dem PKW der Beklagten zu 1) gewartet habe, habe die Zeugin
I. S. in der Parklücke hinter dem PKW der Beklagten zu 1) gestanden. Zum
Zeichen dafür, daß der Wagen nun gut stehe, habe die Zeugin I. S. auf das Heck
des PKW der Beklagten zu 1) geklopft, wodurch ein lautes, gut wahrnehmbares und
blechernes Geräusch entstanden sei. Nach dem Aussteigen habe die Beklagte zu
1) sodann noch geäußert, daß es für sie ungewohnt sei, wenn in der Parklücke
jemand hinter ihrem PKW stehe, während sie einparke, woraufhin die Zeugin I. S.
erwidert habe, daß sie es bei der Zeugin R. H. immer so mache.
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die in
der ersten Instanz gewechselten Schriftsätze und die zugehörigen Anlagen
verwiesen.
Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H. D., I. S.,
R. H., S. H. und D. L. Wegen des Ergebnisses der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vor dem
Erstgericht vom 28.09.2007 verwiesen.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 02.11.2007 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, daß die für den Schadenseintritt
an ihrem PKW beweisbelastete Klägerin den ihr obliegenden Beweis einer
Schadensherbeiführung durch die Beklagte zu 1) nicht habe führen können. Zwar
habe die Zeugin H. D. den klägerischen Vortrag die Schadensentstehung
betreffend nachvollziehbar und vorstellbar bestätigt. Ebenso nachvollziehbar und
vorstellbar seien aber die Bekundungen der Zeuginnen I. S. und R. H., wonach es
beim Einparken gerade zu keinem Kontakt des PKW der Beklagten zu 1) mit dem
dahinter stehenden PKW gekommen sei. Den nachvollziehbaren und vorstellbaren
Bekundungen des Zeugen S. H. zu den von diesen gemachten Wahrnehmungen
stünden schließlich die ebenfalls nachvollziehbaren und vorstellbaren
Bekundungen des Zeugen D. L. gegenüber. Da die Aussagen aller Zeugen in sich
schlüssig, nachvollziehbar und vorstellbar seien, Anhaltspunkte dafür, daß dem
einen Zeugen mehr zu glauben sei als dem anderen, aber nicht ersichtlich seien,
insbesondere aus der Bekanntschaft oder Verbindung der Zeugen zu der einen
oder anderen Partei aber keine Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des
jeweiligen Zeugen gezogen werden könnten, weil alle Zeugen entweder mit der
einen oder der anderen Partei bekannt seien oder sogar in deren Lager stünden,
gehe das sich hieraus ergebende non liquet zu Lasten der beweisbelasteten
Klägerin, die das Amtsgericht nicht davon habe überzeugen können, daß die
streitgegenständlichen Schäden auf den Betrieb des PKW der Beklagten zu 1)
zurückzuführen seien.
Mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung verfolgt
die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter. Sie macht geltend, das
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die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter. Sie macht geltend, das
angefochtene Urteil könne keinen Bestand haben, weil es auf einer bemerkenswert
fehlerhaften Beweiswürdigung beruhe, auf Grund welcher das Erstgericht zu
Unrecht zu einem non liquet gelangt sei. Das Amtsgericht habe zum einen die
Unvereinbarkeit des Beklagtenvorbringens und der Bekundungen der
informatorisch angehörten Beklagten zu 1) einerseits mit den Einlassungen der
Beklagten zu 1) gegenüber der Polizei andererseits verkannt und – ungeachtet
eines entsprechenden Hinweises der Klägerin – außer acht gelassen, daß die
Beklagte zu 1) den streitgegenständlichen Unfall gegenüber der Polizei freimütig
eingeräumt habe; von zwei Einparkversuchen der Beklagten zu 1) sei aber
gegenüber der Polizei noch gar nicht die Rede gewesen. Zum anderen habe das
Erstgericht nicht erkannt, daß die Aussagen der Zeuginnen I. S. und R. H.
unverkennbar aufeinander abgestimmt gewesen seien, anderenfalls unerklärlich
bliebe, wieso die Zeuginnen I. S. und R. H., die den Einparkvorgang auf Höhe der
Hausnummer 9 entsprechend dem Beklagtenvorbringen vorgeblich in allen
Einzelheiten, den vorausgegangenen und abgebrochenen Einparkversuch auf
Höhe der Hausnummer 21 entweder überhaupt nicht oder aber erst auf Nachfrage
erinnerten. Weiterhin habe das Amtsgericht verkannt, daß die Aussage des
Zeugen D. L. letztlich unbrauchbar sei. Der Zeuge D. L. habe sich nämlich
einerseits auf fehlendes Erinnerungsvermögen berufen und hierbei kundgetan, daß
er sich an eine Unterredung mit der Beklagten zu 1) und einem älteren Herrn vor
dem Haus letztlich nicht erinnern könne; andererseits habe sich der Zeuge D. L. in
der Lage gesehen auszuschließen, daß die Beklagte zu 1) im Rahmen eines
solchen Gesprächs ihm gegenüber die klägerischerseits behauptete Kollision
eingeräumt haben könnte. Schließlich habe das Erstgericht in nicht
nachvollziehbarer Weise außer acht gelassen, daß die Aussagen der Zeugen H. D.
und S. H. sich letztlich auch in den Einlassungen der Beklagten zu 1) gegenüber
der Polizei bestätigt finden, weshalb das angefochtene Urteil auch deshalb keinen
Bestand haben könne.
Die Klägerin beantragt:
Das Urteil des Amtsgerichtes Wiesbaden vom 02.11.2007, Az. 91 C 2385/07-
76, wird abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die
Klägerin 1.060,82 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, das Amtsgericht habe die Klage mit Recht abgewiesen,
indem es ein non liquet angenommen habe. Zu diesem Ergebnis sei das
Erstgericht nachvollziehbar auf Grund zutreffender Würdigung der erhobenen
Beweise gelangt. Die von der Klägerin aufgezeigten Widersprüche seien in
Wahrheit keine. Gegenüber der Polizei habe die Beklagte zu 1) nichts anderes als
den Kontakt mit einem anderen PKW eingeräumt, der hierdurch allerdings nicht
beschädigt worden und der mit dem klägerischen PKW nicht identisch sei. Auch
treffe nicht zu, daß die Zeuginnen I. S. und R. H. sich abgesprochen hätten.
Kennzeichnend für abgesprochene Zeugenaussagen sei ein viel höheres Maß an
Übereinstimmung als das von der Klägerin bemängelte. Es sei auch nicht weiter
verwunderlich, wenn sich die eine oder andere Zeugin an das eine oder andere
Detail nur auf Nachfrage oder aber überhaupt nicht habe erinnern können. Dies
spreche eher für deren Glaubwürdigkeit und gegen die klägerischerseits
unterstellte Absprache. Umgekehrt sei das Verhalten der Zeugin H. D.
entsprechend ihren Bekundungen alles andere als nachvollziehbar und ihre
Aussage deshalb zumindest ebenso fragwürdig wie entsprechend der
Berufungsbegründung die Aussagen der beklagtenseits benannten Zeugen. Da
das Erstgericht alle angebotenen Beweismittel berücksichtigt und die angebotenen
Beweise erhoben sowie zutreffend gewürdigt habe, könne der Berufung nach allem
kein Erfolg beschieden sein.
Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die
in der zweiten Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H. D., S. H., I. S.,
R. H., D. L. und A. G. sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der
öffentlichen Sitzung vom 24.06.2008 sowie auf das Gutachten des Dipl.-Ing. P. H.
vom 24.08.2008 verwiesen.
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Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil konnte keinen
Bestand haben, weil es auf einer Rechtsverletzung und hieraus resultierend auf
einer unvollständigen und unrichtigen Tatsachenfeststellung beruht (§§ 513, 529,
546 ZPO), auf Grund welcher in der Berufungsinstanz eine erneute
Tatsachenfeststellung geboten war (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Diese führte nach
erneuter Vernehmung der Zeugen H. D., S. H., I. S., R. H. und D. L. sowie nach
erstmaliger Vernehmung der Zeugin A. G. und schließlich nach Einholung des
bereits erstinstanzlich beiderseits beantragten Sachverständigengutachtens zu
der aus der Urteilsformel ersichtlichen Entscheidung der Kammer.
Das angefochtene Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung. Indem das
Amtsgericht allein nach Vernehmung der Zeugen H. D., I. S., R. H., S. H. sowie D.
L. und nach Würdigung ihrer Aussagen sich in der Lage sah, ein non liquet
anzunehmen, hat es die Vorschriften des § 286 ZPO verletzt. Zwar ist die
Beweiswürdigung des Erstgerichts grundsätzlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie
wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat, in sich widersprüchlich
ist oder Beweisregeln, Denkgesetzen, Naturgesetzen oder Erfahrungssätzen
zuwiderläuft. Denn grundsätzlich ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr.
1 ZPO an die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Erstgerichts
gebunden. Bei einem Angriff auf die Beweiswürdigung muß die Berufung
dementsprechend Anhaltspunkte aufzeigen, die derart gewichtige Zweifel an den
erhobenen Beweisen und deren Würdigung aufzeigen, daß ein Neueinstieg in die
Beweisaufnahme sich förmlich aufdrängt (§§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1, 546 ZPO –
vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 546, Rdnr. 11 f.; Ball, in: Musielak,
ZPO, 3. Aufl., § 546, Rdnr. 9 f.). So liegt der Fall aber hier. Die
Tatsachenfeststellung erster Instanz ist nicht frei von Fehlern nach Art der
vorgeschilderten. Indem das Amtsgericht es lediglich bei der Vernehmung der
Zeugen und der Würdigung ihrer Aussagen bewenden ließ, im übrigen aber weder
deren Bekundungen im Lichte der Akten des Regierungspräsidiums K. zu
983.408442.0, deren Beiziehung von der Klägerin erstinstanzlich beantragt worden
war, würdigen noch das erstinstanzlich von beiden Seiten beantragte
Sachverständigengutachten im Sinne eines Kompatibilitätsgutachtens einholen
mochte, hat es § 286 ZPO verletzt. Ohne die vorherige Erhebung aller
angebotenen Beweismittel hätte das Erstgericht aber nicht zu dem von ihm
angenommenen non liquet gelangen dürfen. Die Vorgehensweise des
Amtsgerichts ist auch nicht von dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung
gedeckt, wie er in § 286 Abs. 1 ZPO verankert ist. Denn Freiheit der
Beweiswürdigung heißt nicht Freiheit in der Beweiserhebung. Wo eine
entscheidungserhebliche Frage streitig ist, sind die hierfür angebotenen Beweise,
sofern sie zur Beweisführung zulässig, geeignet und von der beweisbelasteten
Partei beziehungsweise gegenbeweislich von deren Gegner angeboten sind, zu
erheben. Erst nach dieser Beweiserhebung ist Raum für die richterliche
Beweiswürdigung, die dann aber das gesamte Verhandlungsergebnis zu umfassen
hat (Greger, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 286, Rdnr. 12). Zu einer umfassenden
Würdigung ist das Gericht aber nicht lediglich berechtigt, sondern sogar
verpflichtet; es verstößt deshalb gegen § 286 ZPO, wenn es angebotene Beweise
übergeht oder aber Beweismittel nur unvollständig würdigt (Greger, in: Zöller, ZPO,
25. Aufl., § 286, Rdnr. 2). Hätte das Amtsgericht das von beiden Seiten beantragte
Sachverständigengutachten im Sinne eines Kompatibilitätsgutachtens eingeholt
und bei der Würdigung der erhobenen Beweise insbesondere auch die Akten des
Regierungspräsidiums K. zu 983.408442.0 berücksichtigt, hätte es bei der
Würdigung der einzelnen Zeugenaussagen es nicht bei dem lakonischen
Bemerken belassen müssen, wonach die einzelnen Aussagen in sich schlüssig,
nachvollziehbar und vorstellbar seien. Abgesehen davon, daß dem Kriterium der
Vorstellbarkeit oder Nachvollziehbarkeit hinsichtlich des Wahrheitsgehalts einer
Zeugenaussage allenfalls untergeordnete Bedeutung zukommen dürfte, bleibt zu
konstatieren, daß zu einer nicht zu beanstandenden Tatsachenfeststellung erster
Instanz hier insbesondere der Abgleich der Zeugenaussagen mit einem
Sachverständigengutachten und dem Inhalt der Ermittlungsakten gehört hätte.
Beides war in der Berufungsinstanz nachzuholen. Da das Berufungsgericht
grundsätzlich die von ihm selbst erhobenen Beweise frei würdigen, im übrigen aber
die von dem Erstgericht erhobenen Beweise nur auf Fehler nach Art der
vorgeschilderten überprüfen darf, war vorliegend in der zweiten Instanz nicht nur
dem erstinstanzlich ohne jede Begründung übergangenen Beweisantritt betreffend
die Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen, sondern
insbesondere auch die Beweiserhebung durch Vernehmung der beiderseits
benannten Zeugen zu wiederholen.
22 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen H. D., S.
H., I. S., R. H., D. L. und A. G. sowie durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens und schließlich vor dem Hintergrund des gesamten
Inhalts der Verhandlungen, einschließlich der beigezogenen Akten des
Regierungspräsidiums K. zu 983.408442.0, steht zur Überzeugung der Kammer
fest, daß die von dem Sachverständigen B. H. in dessen Gutachten vom
04.01.2007 näher beschriebenen Schäden an dem PKW der Klägerin darauf
zurückzuführen sind, daß die Beklagte zu 1) mit dem von ihr gelenkten PKW am
24.12.2006 beim Einparken in Rückwärtsfahrt mit dem Heck ihres Autos gegen die
Front des klägerischen PKW stieß. Daß es – entgegen den anders lautenden
Beteuerungen der Beklagten zu 1) – zu einem Kontakt zwischen dem
Kraftfahrzeug der Beklagten zu 1) und demjenigen der Klägerin gekommen sein
muß, folgt zur Überzeugung der Kammer in einer keinen vernünftigen Zweifel
zulassenden Weise aus den Feststellungen des gerichtlich bestellten
Sachverständigen in dessen Gutachten vom 24.08.2008. Hiernach sind die in der
Akte des Regierungspräsidiums K. zu 983.408442.0 an dem Mazda der Klägerin
und dem Ford Fiesta der Beklagten zu 1) dokumentierten Beschädigungen
kompatibel. Nach einer ersichtlich sorgfältigen Auswertung des Bildmaterials und
nach einer Gegenüberstellung der beiden Kraftfahrzeuge in der Ph…straße in W.
am 21.08.2008 gelangte der gerichtlich bestellte Sachverständige zu dem
Ergebnis, daß der Schaden am Fahrzeug der Klägerin sowohl in der Höhe als auch
in der Form mit der Höhe und der Form der hinteren Stoßstange des Fahrzeugs
der Beklagten zu 1) korrespondiert, woraus dem Sachverständigen zufolge der
Schluß zu ziehen ist, daß der Schaden am Fahrzeug der Klägerin durch die hintere
Stoßstange des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) erzeugt worden sein kann. Die
Kammer verkennt nicht, daß damit über den klägerischerseits behaupteten und
beklagtenseits bestrittenen Unfallhergang als solchen noch gar nichts gesagt ist.
Allerdings sieht sich die Kammer insbesondere auf Grund der Bekundungen der
Zeugin H. D. in der Lage, die Feststellung zu treffen, daß die von dem gerichtlich
bestellten Sachverständigen in dessen Gutachten festgestellte
Schadenskompatibilität nicht etwa einem jenseits aller Lebenserfahrung,
Wahrscheinlichkeit und Plausibilität liegenden Zufall geschuldet war, welcher dem
Vortrag der Beklagten zufolge gerade darin bestehen müßte, daß die Beklagte zu
1) am Nachmittag des 24.12.2006 ihren im Heckbereich bereits beschädigten PKW
in der Ph…straße in W. vor einem anderen PKW abstellte, der seinerseits Schäden
im Frontbereich aufwies, die ohne weiteres mit denjenigen am Heck des Fahrzeugs
der Beklagten zu 1) in Einklang zu bringen wären, ohne daß es allerdings zu einer
wie auch immer gearteten Berührung zwischen den beiden Fahrzeugen
gekommen wäre. Das Gegenteil hat zur Überzeugung der Kammer als erwiesen zu
gelten. Auch wenn das klägerischerseits behauptete Geschehen allein auf
Grundlage des Sachverständigengutachtens nicht mit naturwissenschaftlich
unumstößlicher Gewißheit bewiesen werden kann, steht zur Überzeugung der
Kammer mit hinreichender Gewißheit – eine solche reicht für die
Überzeugungsbildung im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO regelmäßig aus – bei
Würdigung aller erhobenen Beweise fest, daß die Beklagte zu 1) – entgegen ihren
anders lautenden Beteuerungen – mit dem von ihr gelenkten PKW beim Einparken
gegen den PKW der Klägerin gestoßen ist und dabei diesen beschädigt hat. In
diese Richtung weisen die Bekundungen der Zeugin H. D. Diese hat aus Anlaß der
zweitinstanzlichen Vernehmung ihre auch schon erstinstanzlich getätigte Aussage
weitestgehend wiederholt und kundgetan, daß die Beklagte zu 1) beim Einparken
in Rückwärtsfahrt mit dem Heck ihres PKW gegen die Front des klägerischen PKW
stieß. Ebenso wie das Amtsgericht hält die Kammer diese Bekundungen für
glaubhaft und die Zeugin H. D. für glaubwürdig. Anders als das Amtsgericht ist die
Kammer allerdings nicht der Ansicht, daß die Aussage der Zeugin H. D. durch die
Bekundungen der Zeuginnen I. S. und R. H. gleichsam egalisiert wird. Einer solchen
Annahme stehen nach Ansicht der Kammer die Feststellungen des gerichtlich
bestellten Sachverständigen entgegen, durch welche die Aussage der Zeugin H.
D. bestätigt und die Bekundungen der Zeuginnen I. S. und R. H. als wenig
glaubhaft und die Zeuginnen selbst als unglaubwürdig entlarvt werden. Die
mangelnde Glaubwürdigkeit der Zeuginnen I. S. und R. H. folgt im übrigen zur
Überzeugung der Kammer auch aus dem Inhalt der von ihnen getätigten
Aussagen selbst, also ohne Rücksicht auf das Ergebnis des zweitinstanzlich
eingeholten Sachverständigengutachtens. So liegt es nach Ansicht der Kammer
jenseits aller Wahrscheinlichkeit und Plausibilität, daß die Zeugin I. S., wie von ihr
selbst und der Zeugin R. H. kundgetan, gleichsam zur Absicherung des
Einparkmanövers der Beklagten zu 1) in der Parklücke selbst gestanden haben
soll. Träfe dies zu, so bedeutete dies, daß die an dem Einparkmanöver Beteiligten,
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soll. Träfe dies zu, so bedeutete dies, daß die an dem Einparkmanöver Beteiligten,
namentlich die Beklagte zu 1) und die Zeugin I. S., und zwar ungeachtet des
vorausgegangenen mißglückten Einparkversuchs auf Höhe der Hausnummer 21,
es für vorzugswürdig hielten, wenn durch einen erneuten Fahrfehler der Beklagten
zu 1) bei dem zweiten Einparkversuch nicht etwa ein anderes Kraftfahrzeug,
sondern lediglich die Beine der Zeugin I. S. lädiert würden. Wenig glaubhaft
erscheint der Kammer auch das Bemühen der Zeuginnen I. S. und R. H. das
Einparkmanöver der Beklagten zu 1) in ihren Aussagen gleichsam vor einem
anderen PKW als demjenigen der Klägerin stattfinden zu lassen. Daß die
Zeuginnen insoweit jeweils von einem hellen Kombi sprachen, ist vor dem
Hintergrund des im übrigen alles andere als lückenlosen Erinnerungsvermögens
der beiden vorgenannten Zeuginnen zumindest bemerkenswert und läßt in der Tat
die Frage nach einer stattgefundenen Absprache zumindest nicht abwegig
erscheinen, zumal die Aussagen der Zeuginnen I. S. und R. H. insoweit auch in
Widerspruch zu dem Inhalt der Akten des Regierungspräsidiums K. stehen. Diesen
kann nämlich entnommen werden, daß im Mittelpunkt der polizeilichen
Ermittlungsarbeit ausnahmslos die Frage nach einer tatsächlichen oder
vermeintlichen Kollision zwischen den beiden hier interessierenden
Kraftfahrzeugen gestanden hatte. Der Einwand, daß das Einparkmanöver mit
Fahrzeugkontakt andernorts als auf Höhe der Hausnummer 9 und vor einem
anderen als dem PKW der Klägerin stattgefunden habe, ist gegenüber der Polizei
indessen noch nicht einmal von der Beklagten zu 1) als der unmittelbar
Betroffenen erhoben worden. Letzteres hätte aber nahegelegen, weil damit
jedenfalls feststünde, daß es zumindest nicht das klägerische Fahrzeug gewesen
sein könne, welches durch einen wie auch immer gearteten Fahrzeugkontakt
infolge eines mißglückten Einparkmanövers der Beklagten zu 1) beschädigt
worden sei. Derlei ist aber von der Beklagten zu 1) gegenüber der Polizei gerade
nicht geäußert worden. Nichts anderes ergibt sich aus den Erklärungen der
Beklagten zu 1) vor dem Erstgericht. Diese erscheinen zur Überzeugung der
Kammer vor dem Hintergrund des nunmehr vorliegenden
Sachverständigengutachtens und des Inhalts der Ermittlungsakten alles andere
als glaubhaft. Es ist schlechterdings kaum nachzuvollziehen, daß es der Beklagten
zu 1) gewissermaßen erst im Rahmen dieses Rechtsstreits eingefallen sein will,
daß sie am 24.12.2006 in der Ph…straße in W. nicht nur ein, sondern gleich zwei
Parkmanöver unternommen habe, namentlich auf Höhe der Hausnummer 21 und
sodann auf Höhe der Hausnummer 9, daß es weiter nur auf Höhe der
Hausnummer 21 zu einem Kontakt mit einem anderen PKW gekommen sein solle,
wodurch jener allerdings keineswegs beschädigt worden sein solle, und daß
schließlich das auf Höhe der Hausnummer 9 geparkte Fahrzeug der Klägerin durch
das zweite Einparkmanöver schon deshalb nicht beschädigt worden sein könne,
weil derlei die Zeugin I. S. durch ihr überaus umsichtiges Verhalten zu verhindern
gewußt habe. Die Kammer erblickt in eben dieser Darstellung nach Würdigung aller
erhobenen Beweise und unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der
Verhandlungen nichts anderes als den Versuch der Beklagten zu 1), ihrer
Einstandspflicht für ein vorangegangenes schädigendes Verhalten nachträglich
wieder zu entgehen. Dieser Versuch der Beklagten zu 1) kann mit Rücksicht auf
Vorstehendes zur Überzeugung der Kammer als gescheitert gelten, ohne daß es
daneben entscheidungserheblich darauf ankäme, ob die von dem Zeugen S. H.
tatsächlich oder vermeintlich wahrgenommene Unterhaltung der Beklagten zu 1)
mit dem Zeugen D. L. und einem weiteren Mann stattgefunden hat oder nicht.
Da die Schadenshöhe sowohl in der ersten als auch zweiten Instanz außer Streit
stand, war der Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils
uneingeschränkt stattzugeben. Zinsen stehen der Klägerin als Prozeßzinsen seit
dem Eintritt der Rechtshängigkeit zu (§§ 286, 288, 291 BGB). Der von den
Beklagten geschuldete Schadensersatz umfaßt auch die Kosten der
vorgerichtlichen Tätigkeit der klägerischen Prozeßbevollmächtigten (§ 249 BGB),
deren Grund und Höhe ebenfalls in beiden Instanzen außer Streit standen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den Vorschriften
der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche
Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§
543 ZPO).
27 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 995,07 EUR festgesetzt. Die
vorgerichtlich angefallenen und nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren
waren als Nebenforderung im Sinne von § 4 ZPO bei der Streitwertfestsetzung
nicht zu berücksichtigen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.