Urteil des LG Ulm vom 03.09.2008

LG Ulm (wiederaufnahme des verfahrens, nulla poena sine lege, beschränkung, konstitutive wirkung, neue tatsache, beschwerdeführer, aug, strafbefehl, asylbewerber, zweck)

LG Ulm Beschluß vom 3.9.2008, 2 Qs 2024/08
Asylverfahren: Strafbarkeit der wiederholten Zuwiderhandlung gegen die räumliche Beschränkung des
Aufenthalts nach Ablehnung des Asylantrags
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ulm vom 26. März 2008 (Az.: 6 Cs 16 Js
7974/07) wird kostenpflichtig
v e r w o r f e n .
Gründe
1
Gegen den Beschwerdeführer erging durch das Amtsgericht Göppingen am 31.05.2007 ein Strafbefehl. Weil er
sich am 18.03.2007 außerhalb des Landkreises Göppingen, dem er zugewiesen war, in Karlsruhe aufgehalten
hatte, wurde er wegen eines wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach dem
Asylverfahrensgesetz nach §§ 56, 85 Nr. 2 AslyVfG zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10 Euro
verurteilt. Der Strafbefehl ist rechtskräftig seit dem 19.06.2007, da der Beschwerdeführer keinen Einspruch
eingelegt hatte.
2
Durch Schriftsatz vom 11.07.2007 beantragte der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger die
Wiederaufnahme des Verfahrens. Er trägt als neue Tatsache vor, dass im Tatzeitpunkt die
Aufenthaltsgestattung nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG erloschen war, nachdem der Asylantrag des
Angeklagten durch Bescheid vom 13.07.2006 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war und das VG
Karlsruhe am 23.01.2007 einen Eilantrag gegen die Abschiebungsandrohung abgelehnt hatte. Nach Ansicht
des Beschwerdeführers habe er danach lediglich einer räumlichen Beschränkung nach § 56 Abs. 3 AsylVfG
unterlegen; da § 85 AsylVfG nicht ausdrücklich auf diesen Absatz des § 56 AsylVfG verweise, sei nach dem
Grundsatz „nulla poena sine lege“ ein Verstoß nicht mit Strafe bewehrt.
3
Das Amtsgericht Ulm hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig
abgelehnt. Hiergegen legte der Angeklagte fristgerecht sofortige Beschwerde ein.
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Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist unzulässig,
da die neuen Tatsachen nicht geeignet sind, eine der Rechtsfolgen nach § 359 Nr. 5 StPO herbeizuführen.
Auch unter Zugrundelegung des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers wäre der Strafbefehl des
Amtsgericht Göppingen nämlich zu Recht ergangen.
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Nach § 85 Nr. 2 AsylVfG macht sich strafbar, wer wiederholt einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 1
oder 2 AsylVfG zuwiderhandelt. Nach Ansicht der Kammer hat der Beschwerdeführer auch unter
Zugrundelegung des im Wiederaufnahmeverfahren vorgetragenen Sachverhalts diesen Tatbestand erfüllt.
6
Anders als der Beschwerdeführer geht die Kammer davon aus, dass § 56 Abs. 3 AsylVfG keine eigenständige
Beschränkung des Aufenthaltsrechts enthält, sondern lediglich die Grenzen der Beschränkung nach § 56 Abs.
1 AsylVfG konkretisiert .
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Die Entscheidung des OLG Stuttgart aus dem Jahr 1998 (NStZ-RR 1999, 315 = StV 1999, 97), auf die sich der
Beschwerdeführer beruft, steht dem nicht entgegen. Die genannte Entscheidung führte anhand der damals
geltenden Gesetzeslage dogmatisch aus, dass die Beschränkung nach § 56 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AsylVfG eine
Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG bedeute; bestehe die Aufenthaltsgestattung nach
§ 55 AsylVfG nicht mehr, sei auch ihre Beschränkung bereits begrifflich nicht denkbar. Dieser Rechtsprechung
(die früher auch vom LG Ulm vertreten wurde) wurde durch die Einfügung des § 56 Abs. 3 AsylVfG mittlerweile
die Grundlage entzogen.
8
Ursprünglich umfasste § 56 AsylVfG lediglich zwei Absätze; in dessen Absatz 1 ist die Aufenthaltsgestattung
nach § 55 AsylVfG auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des
Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Durch das Aufenthaltsgesetz wurde mit Wirkung vom
01.01.2005 an den bestehenden § 56 AsylVfG dessen neuer Absatz 3 angefügt. Dieser regelt, dass räumliche
Beschränkungen auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung in Kraft bleiben bis sie aufgehoben werden.
Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs ist Zweck der Neuregelung u.a., „Unsicherheiten über die [...]
Fortgeltung asylverfahrensrechtlicher räumlicher Beschränkungen“ zu vermeiden (vgl. BTDrs 15/955 S. 34).
Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 3 AsylVfG i.V.m. der amtlichen Begründung folgt nach Ansicht
der Kammer, dass nach der Neuregelung dieselbe räumliche Beschränkung unabhängig von der
Aufenthaltsgestattung in Kraft bleibt: sie wird gerade nicht durch eine andere, neue Beschränkung ersetzt (im
Ergebnis ebenso: VGH Kassel, Beschl. vom 25.08.2006, Az.: 8 TG 1617/06 - zitiert nach Beck-online; OVG
Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.05.2007, Az.: 3 S 23.07 - zitiert nach juris). § 56 Abs. 3 AsylVfG hat also
keine konstitutive Wirkung. Verstößt danach ein abgelehnter Asylbewerber gegen die (fortgeltende)
Aufenthaltsbeschränkung, begeht er einen Verstoß gegen § 56 Abs. 1 AsylVfG, nicht aber gegen § 56 Abs. 3
AsylVfG. Ein solcher Verstoß ist aber nach § 85 Nr. 2 AsylVfG im Fall seiner Wiederholung ausdrücklich unter
Strafe gestellt.
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Angesichts der eindeutigen Formulierung von § 85 Nr. 2 AsylVfG bedurfte es einer Änderung dieser Norm nach
Einführung des § 56 Abs. 3 AsylVfG nicht. Die Änderung außerstrafrechtlicher Ausfüllungsnormen von
Blankettgesetzen zieht eine Änderung der Strafbarkeit jedenfalls dann nach sich, wenn, wie hier, der Schutz
des Blanketttatbestandes im Wesentlichen unberührt bleibt und lediglich Tatumstände ausgewechselt oder
ergänzt werden (vgl. Eser in: Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl., § 2 Rdnr. 26; BVerfG NJW 1995, 315, 316).
Bei fortgeltenden Aufenthaltsbeschränkung entspricht die Sanktionsbewehrung in § 85 Nr. 2 (bzw. § 86 Abs. 1)
AsylVfG auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Diese soll die ordnungsgemäße und zügige Durchführung
des Asylverfahrens dadurch gewährleisten, dass der Asylbewerber für Behörden und Gerichte zuverlässig
erreichbar bleibt. Aber auch über den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens bis zum
Zeitpunkt einer etwaigen Abschiebung muss die Erreichbarkeit sichergestellt sein. Denn der abgelehnte
Asylbewerber muss auch nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung leicht erreichbar sein,
falls - etwa aufgrund des Fehlens eines Passes - eine Abschiebung nicht sofort erfolgen kann (so OLG
Stuttgart, a.a.O. S. 316). Gründe, weshalb ein Ausreisepflichtiger gegenüber Asylbewerbern privilegiert werden
sollte, sind nicht ersichtlich.
10 Der Beschwerdeführer hat nach der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags keinen Folgeantrag gestellt.
Die spezielle Problematik, die sich für das Merkmal der Wiederholung in diesen Fällen stellt (vgl. OLG
Stuttgart, Beschl. v. 16.08.1999, 3 Ss 256/99 - zitiert nach juris), hat danach im vorliegenden Fall keine
Bedeutung.
11 Der Kostenausspruch folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.