Urteil des LG Ulm vom 31.05.2006

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LG Ulm Urteil vom 31.5.2006, 1 S 16/06
Verkehrssicherungspflicht: Haftung für abgehende Dachlawinen und Pflicht zur Anbringung von
Schneefanggittern
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Geislingen vom 31.01.2006 (Az. 3 C 868/05)
wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für die 2. Instanz: 803,00 Euro
Gründe
I.
1
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Geislingen vom
31.01.2006, Az. 3 C 868/05 wird Bezug genommen.
II.
2
Die Berufung ist zulässig, insbesondere nach § 514 Abs. 2 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht
eingelegt. Sie hat in der Sache allerdings keinen Erfolg.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz wegen
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für das Dach des Gebäudes ... in ... sowie den unterhalb des
Daches befindlichen öffentlichen Parkplatz nach Abgang einer Dachlawine in der Nacht vom 08.03. auf den
09.03.2005 zu. In dieser Nacht wurde das auf dem öffentlichen Parkplatz unterhalb des Daches abgestellte
Fahrzeug des Klägers durch eine Dachlawine beschädigt. Zur Überzeugung der Kammer hat die Beklagte
eine ihr obliegende, dem Schutz der Parkplatzbesucher vor Dachlawinen obliegende
Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der Schadensersatzanspruch besteht unter Berücksichtigung eines
hälftigen Mitverschuldens des Klägers gem. § 254 Abs. 1 BGB dem klägerischen Begehren entsprechend in
Höhe von 803,42 Euro.
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Maßgeblich für die Entscheidung der Frage, ob den Hauseigentümer besondere Sicherungspflichten zum
Schutz vor Dachlawinen treffen, sind stets die Umstände des Einzelfalls. Nach der Rechtssprechung des
Bundesgerichtshofs (Versicherungsrecht 1955, Seite 300) muss sich grundsätzlich jedermann selbst vor
Dachlawinen schützen. Sicherungspflichten des Eigentümers kommen nur in Betracht, wenn sie nach den
örtlichen Gepflogenheiten, der allgemeinen Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des
Gebäudes und der Art und des Umfangs des gefährdeten Verkehrs erforderlich waren (vgl. OLG Dresden,
Recht und Schaden 1997, Seite 369; vgl. auch OLG Celle, Versicherungsrecht 1982, Seite 979; OLG
Düsseldorf, OLG-Report 1993, Seite 119; OLG Hamm, NJW-RR 1987, Seite 412). Erheblich ist insoweit
nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe, NJW 1983, Seite 2946 eine etwa entstandene und beachtete
örtliche Übung, soweit sie nicht Ausdruck einer unvertretbaren Nachlässigkeit ist. Als Schutzmaßnahmen
vor abgehenden Dachlawinen werden in der Rechtssprechung die Anbringung von Schneefanggittern sowie
Warnhinweise abhängig von den Umständen des Einzelfalls diskutiert. Hier argumentiert die
Rechtssprechung für schneereiche Gebiete damit, dass die Verkehrsbeteiligten die ohnehin mit der Gefahr
des Abgleitens niedergehender Schneemassen von Dachschrägen vertraut seien, keiner besonderen
Warnung bedürften (BGH Versicherungsrecht 1955, Seite 82; OLG Stuttgart, DAR 1964, Seite 214).
Umgekehrt wird von den Bewohnern schneeärmerer Gebiete nicht ohne weiteres verlangt, dass die für die
Verkehrssicherheit des Gebäudes Verantwortlichen bei jedem Niederschlag, der geeignet sein kann, zur
Bildung und Ablösung von Dachlawinen zu führen, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Schließlich wird
darauf abgestellt, ob Schneefanggitter für das Dach eines Hauses baupolizeilich vorgeschrieben sind (OLG
Zweibrücken, 1 U 181/98, Urteil vom 09.07.1999, in: OLGR Zweibrücken 2000, Seite 7 bis 8). Das
Landgericht Rottweil kam in einer Entscheidung vom 29.09.1992 zu dem Ergebnis, dass die Anbringung von
Schneefanggittern zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, wenn dies bauordnungsrechtlich
vorgeschrieben ist oder das Vorhandensein dieser Gitter ortsüblich ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe
stellte in einer Entscheidung vom 03.05.1983, 1 U 305/82 fest, dass Schneefanggitter in Baden-
Württemberg ab einer Dachneigung von 45 Grad anzubringen sind. Das OLG Frankfurt entschied schließlich
am 27.04.2000 (Versicherungsrecht 2000, Seite 1514 ff.), dass ein Hotelbetreiber, der einen Parkplatz für
Gäste unterhalb eines Daches anlegte, hierdurch einen Verkehr eröffnete, der zu besonderen
Sicherungsmaßnahmen verpflichtete. Es kam zu dem Ergebnis, dass der Hotelbetreiber und
Parkplatzeigentümer die Parkplätze hätte absperren, mindestens aber mit einem Warnhinweis versehen
müssen.
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Zur Überzeugung der Kammer sind im vorliegenden Fall besondere Umstände gegeben, die die Beklagte
verpflichteten, Maßnahmen zum Schutz der Parkplatzbenutzer vor Dachlawinen zu ergreifen. Diese sieht
die Kammer darin, dass das Krüppelwalmdach des Hauses ..., von welchem die Dachlawine abging, eine
Dachneigung von unstreitig mindestens 60 Grad aufwies und damit besonders steil war. Weiter sind zu
berücksichtigen die besondere Höhe des Gebäudes und die Tatsache, dass sich unterhalb des damals nicht
durch Schneefanggitter gesicherten Daches ein öffentlicher Parkplatz befindet, auf welchem der Pkw des
Klägers zu Schaden kam. Der die Sicherungspflichten begründende Verkehr wurde unterhalb des steilen
Krüppelwalmdaches in einem zumindest nicht schneearmen Gebiet wie ... eröffnet. Um die
Parkplatzbenutzer vor Dachlawinen zu schützen, wäre es erforderlich gewesen, auch auf dem dem
Parkplatz zugewandten Krüppelwalmdach Schneefanggitter anzubringen; im Zweifel hätte die Beklagte bei
Tauwetter wie in der Nacht zum 09.03.2005 den Parkplatz sperren lassen müssen. Die Anbringung von
Schneefanggittern ist gem. § 25 Abs. 3 Landesbauordnung Baden-Württemberg notwendig, "soweit es die
Verkehrssicherheit erfordert". Eine solche Gefährdung kommt insbesondere bei Dächern mit großer Höhe
und einer Neigung von mehr als 45 Grad, in schneereichen Gebieten bereits bei einer Neigung von Mehr als
35 Grad in Betracht (vgl. Sauter, Kommentar zur Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Auflage
2002, Rn. 21 zu § 27 LBO Baden-Württemberg). Solche Gitter wurden bald nach dem Vorfall auch auf dem
Krüppelwalmdach des Hauses ... angebracht und befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf beiden
Seiten des Satteldaches des Gebäudes, waren also nicht ortsunüblich.
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Der Kläger muss sich ein Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB in Höhe von 50 % anrechnen
lassen. In schneereichen Wintern sind die Bürger im März eines Jahres gewöhnlich in besonderem Maße für
die Gefahr von Dachlawinen sensibilisiert. Hier ist der Kläger zudem ortskundig.
III.
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Der Zinsanspruch hat seine Grundlage in §§ 286, 288 BGB.
8
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Streitwert bemisst sich nach § 3 ZPO in Verbindung mit §§ 39, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.