Urteil des LG Trier vom 23.09.2004

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Privatversicherungsrecht
LG
Trier
23.09.2004
6 0 174/04
6 O 174/04
Es ist keine schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers einer
Vollkaskoversicherung, wenn dieser nach mehr als 20 Minuten nachts die außerhalb geschlossener
Ortschaften liegende Unfallstelle verläßt, wenn nicht davon auszugehen ist, dass der Geschädigte die
Unfallstelle von sich aus aufsucht.
Landgericht Trier
Verkündet am
Aktenz.: 6 0 174/04 14.Oktober 2004
gez.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
URTEIL
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
Kläger,
Prozessbevollm.: Rechtsanwalt
gegen
Versicherung
Beklagte,
Prozessbevollm.: Rechtsanwälte
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2004
durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Ehmann-Schultze,
den Richter am Landgericht Hardt
und den Richter Becker
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für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.118,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 30. Juli 2004 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,2-fachen des jeweils zu vollstreckenden
Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten, bei der er für sein Fahrzeug Toyota Corolla mit dem amtlichen
Kennzeichen TR- eine Kaskoversicherung abgeschlossen hat, Leistung aus dieser Versicherung wegen
eines Schadens am Fahrzeug, der durch einen Unfall vom 28.12.2003 entstanden ist.
Am Unfalltag befuhr der Kläger gegen 23.00 Uhr mit seinem Fahrzeug die Bundesstraße B aus Richtung
kommend in Richtung . In Höhe von Kilometer 4,5 geriet der Kläger zunächst nach links von der
Fahrbahn ab und kollidierte mit der Schutzplanke. Anschließend schleuderte der Kläger mit seinem
Fahrzeug und geriet nach rechts von der Fahrbahn ab. Nachdem das Fahrzeug des Klägers zum Stehen
gekommen war, sicherte der Fahrer eines hinzukommenden Fahrzeuges die UnfallsteIle durch Aufstellen
des Warnblinkdreiecks ab. Der Kläger verbrachte sein Fahrzeug sodann zu einem Parkplatz auf einem
Firmengelände. Die Entfernung zwischen Unfallstelie und diesem Parkplatz ist streitig. Der Kläger
behauptet, dieser Parkplatz sei 100 bis 150 entfernt, die Beklagte behauptet, 500 m.
Der Beifahrer des Klägers ließ sich dann von dem Fahrer des hinzugekommenen Fahrzeuges nach
Hause fahren und holte mit seinem Fahrzeug den Kläger von der UnfallsteIle ab.
Noch in der Nacht wurde der Kläger von 2 Polizeibeamten aufgesucht, denen gegenüber er einräumte,
einen Unfall gehabt zu haben. Umstritten ist, ob er zu den Polizeibeamten sagte, er wisse nichts von
einem Schaden an der Leitplanke.
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Der dem Kläger bekannte Leiter der Straßenmeisterei in Hermeskeil fand an seiner Tür gegen 06.00 Uhr
eine schriftliche Nachricht des Klägers, mit der er ihm mitteilte, dass er einen Schaden an der Leitplanke
verursacht hatte. Dies teilte der Kläger ihm auch noch mündlich mit. Den Schaden an der Leitplanke
meldete der Kläger der Beklagten, bei der er auch seine Haftpflichtversicherung unterhält. Die Beklagte
hat den Schaden reguliert.
Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Verkehrsunfall flucht wurde
gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 300,-- Euro gern. § 153 a StPO eingestellt.
Der Kläger bestreitet, Obliegenheitspflichten verletzt zu haben und verweist darauf, dass er die
Straßenmeisterei über den Zeugen zeitnah vom Schaden unterrichtet hat.
Er beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
Sie hält sich für leistungsfrei, weil der Kläger sich nach § 142 StGB schuldig gemacht habe, indem er
seiner Wartepflicht nicht genügt und den Polizeibeamten gegenüber den verursachten Schaden in Abrede
gestellt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer
Schriftsätze und der mit diesen vorgelegten Urkunden Bezug genommen. Die Kammer hat Beweis
erhoben durch Vernehmung des gern. § 273 ZPO geladenen Zeugen Blatt. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 23.09.2004 (BI. 31 ff d.A.) verwiesen. Die Akten des
Verfahrens - 8014 Js 1829/04 - der Staatsanwaltschaft Trier waren beigezogen und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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I
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Entscheidungsqründe:
Die Klage ist begründet.
Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger aus dem zwischen den Parteien bestehenden
Kaskoversicherungsvertrag vertragsgemäße und der Höhe nach nicht bestrittene Leistung zu erbringen.
Die Beklagte ist nicht leistungsfrei gemäß § 6 Abs. 1 VVG i.V. mit § 7 Abs. 1 (2) Satz 3, V (1) Satz 1 (2) und
(4) AKB.
Die Beklagte stützt ihre Berufung auf Leistungsfreiheit darauf, dass der Kläger eine strafbare Unfallflucht
gem. § 142 StGB begangen habe.
§ 142 StGB setzt voraus, dass ein Unfallbeteiligter sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort
entfernt, bevor er
1. zu Gunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines
Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an
dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder
2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war,
Feststellungen zu treffen.
Im zu entscheidenden Fall hat die dafür beweispflichtige Beklagte (OLG Hamm NJW RR 1992, 925) nicht
bewiesen, dass der Kläger den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand des § l42 StGB ver- wirklicht
hat. Die Beklagte stützt ihre Leistungsverweigerung darauf, dass der Kläger nach dem Unfall seine
Wartepflicht nicht erfüllt habe. Dies ist jedoch nicht bewiesen.
Fraglich ist schon, wie lange der Zeitraum für die Wartepflicht bei einem Unfall zur Nachtzeit außerhalb
einer Ortschaft zu bemessen ist, wenn mitwirkendes Verschulden des Geschädigten nicht in Betracht
kommt. Das OLG Zweibrücken 1. Strafsenat (DAR 1992, 30) hat eine Wartezeit von 20 Minuten für
ausreichend gehalten. Allerdings hatte bei eindeutiger Unfallsituation in diesem Fall der Schädiger an der
UnfallsteIle Papiere hinterlassen, die auf seine Identität hinwiesen. Das OLG Stuttgart (VRS 73,191) hat
eine Wartezeit von 20 Minuten nach einem Unfall mit Sachschaden zur Nachtzeit innerhalb eines Ortes für
ausreichend gehalten und dies selbst dann, wenn der Schädiger sich am
anderen Morgen um 07.00 Uhr noch nicht gemeldet hatte. Dagegen hat das OLG Hamm (RuS 1978, 100)
entschieden, dass ein PKW-Fahrer, der nach einem leichten Unfall mit Sachschaden auf einer
vielbefahrenen Bundesstraße gegen 19.00 Uhr nach nur 10-minütiger Wartezeit davonfährt, seiner
Wartepflicht nicht genügt hat. Ähnlich hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht entschieden
(RuS 1978, 75)
Im zu entscheidenden Fall hält die Kammer nicht für bewiesen, dass der Kläger seiner Wartepflicht nicht
genügt hat. Zu berücksichtigen ist, dass die Wartepflicht des § 142 StGB, die im Rahmen der dem
Versicherten obliegenden Aufklärungsobliegenheit gem. §§ 6 VVG, 7 AKB relevant ist, den Zweck hat,
dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzung seiner Leistungspflicht zu ermöglichen und
ferner, dem Geschädigten die Durchsetzung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Es liegt auf der Hand,
dass der Geschädigte - hier vertreten durch den Leiter der Straßenmeisterei - an der UnfallsteIle auch bei
sehr langer Wartezeit nicht informiert werden kann, weil nicht davon auszugehen ist, dass ein für ihn
Handelnder die UnfallsteIle von sich aus aufsucht. Die Wartepflicht ist damit bei einem Unfall zur Nachtzeit
außerorts nicht zu lang zu bemessen.
Die Kammer geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass der Kläger in diesem
Rahmen seiner Wartepflicht genügt hat, weil er nach der Aussage des Zeugen Blatt einige Zeit sicherlich
mehr als die 10 Minuten in den oben angeführten Entscheidungen - an der Unfallstelle zugebracht hat.
Dies ergibt sich schon daraus, dass nach dem Unfall zunächst ein anderer Fahrzeugführer kam und bei
der Absicherung half, dass dann der Aussage des Zeugen Blatt zufolge darüber Rat gehalten wurde, was
jetzt zu unternehmen sei und dass anschließend das Fahrzeug des Klägers zu dem Abstellplatz, dessen
örtliche Nähe zur UnfallsteIle umstritten ist, gebracht worden ist. Die Kammer geht davon aus, dass all dies
sicherlich 20 bis 30 Minuten gedauert hat und schon dadurch dem zeitlichen Umfang nach der
Wartepflicht genügt wurde. Unerheblich ist es deshalb, ob der Kläger - wie umstritten ist - vom abgestellten
Fahrzeug aus bis zum Wiedereintreffen seines Mitfahrers die UnfallsteIle noch sehen und damit von
diesem Abstellplatz aus weiter Wartepflicht im Sinne des § 142 Abs. 2 ZPO erfüllen konnte.
Auch durch längeres als das von der Kammer angenommene Warten im Umfang von 20 bis 30 Minuten
war der Unfall nicht weiter aufklärbar. Eine Verpflichtung des Klägers, die Polizei zur Unfallstelle zu rufen,
bestand nicht.
Die Kammer hält es für unerheblich, ob der Kläger den Polizeibeamten gegenüber in Abrede gestellt hat,
einen Schaden an der Leitplanke verursacht zu haben. Selbst wenn dies der Fall war, hat der Kläger den
Tatbestand des § 142 StGB nicht verwirklicht. Auch das Aufklärungsinteresse der Beklagten und das
Interesse des Geschädigten sind nicht verletzt worden.
Wesentlich ist, dass der Kläger unstreitig den Geschädigten zeitnah vom Schaden und der Verursachung
durch ihn, den Kläger unterrichtet hat.
Da dem Kläger somit keine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Aufklärungspflichten
nachzuweisen ist, ist die Beklagte zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet. Sie war daher
antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §
709 ZPO.
gez. Ehmann-Schultze gez. Hardt gez. Becker