Urteil des LG Stuttgart vom 26.01.2017

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LG Stuttgart Urteil vom 26.1.2017, 5 S 239/16
Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach fiktiver Abrechnung eines
Verkehrsunfalls
Leitsätze
Der Geschädigte kann nach fikiver Abrechnung eines Verkehrsunfalls die Kosten für eine von einem
Sachverständigen erstellte Reparaturkostenbestätigung - auch im Hinblick auf die von den Versicherern
geführte HIS Datei - grundsätzlich nicht erstattet verlangen.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Böblingen vom 19.04.2016 (4 C 2180/15) wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Das in Ziff. 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Böblingen ist
ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Berufungsstreitwert: 55,00 EUR.
Tatbestand
I.
1 Mit der Klage macht der Kläger Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend. Die Haftung der
Beklagten ist unstreitig. Die Parteien streiten über die Erstattungsfähigkeit von Kosten für eine
Reparaturbestätigung durch einen Sachverständigen.
2 Der Kläger beantragte erstinstanzlich, die Beklagte zu verurteilen, ihn von dem Gebührenanspruch des
Ingenieurbüros S. und Kollegen in Höhe von 55,00 EUR freizustellen.
3 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hält die Kosten für eine Reparaturbestätigung für nicht
erstattungsfähig, da sie allein auf der Entscheidung des Klägers beruhe, sein Fahrzeug nicht in einer
Werkstatt reparieren zu lassen, sondern fiktiv abzurechnen.
4 Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
5 Der Kläger beantragt,
6
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Böblingen vom 09.04.2016, die Beklagte dazu zu
verurteilen, den Kläger von dem Gebührenanspruch des Ingenieurbüros S. in Höhe von 55,00 EUR
freizustellen.
7 Die Beklagte beantragt,
8
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
9 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz und der
tatsächlichen Feststellung wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
10 Im Übrigen wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
11 Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene
Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
12 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von dem Anspruch des Ingenieurbüros S. in Höhe von 55,00
EUR.
13 Die Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Reparaturbestätigung durch einen Sachverständigen nach den §§
249 ff. BGB im Falle einer fiktiven Abrechnung durch den Geschädigten ist sowohl in der Rechtsprechung als
auch in der Literatur höchst umstritten, so dass eine Vielzahl von divergierenden Entscheidungen besteht.
14 Vielfach werden diese Kosten bei der fiktiven Schadensabrechnung als erstattungsfähig angesehen (vgl. nur
u.a. Urteile des LG Hannover vom 26.06.2014 - 8 S 62/13, LG Heidelberg vom 23.08.2013 - 2 O 75/12, LG
Düsseldorf vom 31.08.2011 - 2b O 25/11).
15 Dies wird damit begründet, dass der Geschädigte seinen Anspruch auf Nutzungsausfallsentschädigung auch
dann nachweisen können möchte, wenn er das Fahrzeug eigenständig repariert hat und ihm keine
entsprechenden Reparaturrechnungen zur Verfügung stehen. Die Kosten für eine Reparaturbestätigung
seien aber auch deshalb als erforderlich anzusehen, weil der Geschädigte durch eine Eintragung der
Unfalldaten in das Hinweis- und Informationssystem der Versicherungswirtschaft (HIS) der Gefahr
ausgesetzt sei, dass ihm bei einem erneuten Schaden an der zuvor geschädigten Stelle von der Versicherung
entgegengehalten wird, dass dieses Fahrzeug einen nicht reparierten Vorschaden habe.
16 Da er also durch das Unfallereignis beweisrechtlich gegenüber den Haftpflichtversicherern schlechter gestellt
sei, sei die Reparaturbestätigung erforderlich zur Herstellung des Zustandes vor dem schädigenden Ereignis.
17 Zum Teil wird ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB angenommen, wenn
die Reparaturbestätigung keine Aussage zur Qualität und Dauer der Reparatur enthält und nur in wenigen
Lichtbildern besteht, da der Geschädigte auch eigene Lichtbilder hätte fertigen können (AG Düsseldorf vom
29.02.2016 - 41 C 2598/14).
18 Nach der Gegenauffassung wird ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der Reparaturbestätigung jedoch
verneint (vgl. u.a. Urteile OLG Hamm vom 06.09.2015 - 9 U 118/15, OLG Saarbrücken vom 16.04.2014 - 4
U 154/13, OLG München vom 13.09.2013 - 10 U 859/13, OLG Frankfurt vom 18.02.2010 - 10 U 60/09, LG
Bielefeld vom 25.02.2003 - 20 S 165/02).
19 Die Kosten einer Reparaturbestätigung dienten nicht der Wiederherstellung des Zustands vor dem
schädigenden Ereignis und seien daher nicht erstattungsfähig.
20 Zum Teil wird vertreten, dass die Kosten einer Reparaturbestätigung dann ausnahmsweise erstattungsfähig
sind, wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung den Geschädigten zur Vorlage einer solchen Bestätigung
aufgefordert hat (u.a. Urteile AG Gelsenkirchen vom 26.1.2015 - 204 C 82/14; AG Schwabach vom
22.11.2012 - 2 C 999/12).
21 Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass die Kosten einer Reparaturbestätigung grundsätzlich nicht
vom Schädiger zu ersetzen sind.
22 Vorliegend wurde der Kläger zu keinem Zeitpunkt von der gegnerischen Haftpflichtversicherung
aufgefordert, eine Reparaturbestätigung vorzulegen.
23 Losgelöst von einer etwaigen Schadensminderungspflicht gehören die Reparaturbestätigungskosten bereits
nicht zu dem nach § 249 Abs. 2 BGB erforderlichen Wiederherstellungsaufwand des Geschädigten.
24 Ein Geschädigter, der sich entscheidet, die Reparatur nicht in einer Fachwerkstatt durchführen zu lassen
und stattdessen fiktiv abzurechnen, tut dies, weil er einen Vorteil daraus zieht, die Reparaturkosten auf
Abrechnungsbasis einerseits ersetzt zu erhalten, den Betrag aber andererseits nicht in dieser Höhe zu
verwenden, entweder weil der Schaden gar nicht, selbst oder kostengünstiger repariert wird. Damit hat sich
der Geschädigte bewusst für einen Weg entschieden, der ihm regelmäßig einen finanziellen Vorteil bringt.
Diesem Vorteil steht allerdings der Nachteil gegenüber, dass er in den meisten Fällen keine
Reparaturrechnung oder Bestätigung erhält, die nachweist, in welchem Umfang und ob tatsächlich
fachmännisch repariert wurde. Da dies aber die zwingende Folge der Entscheidung des Geschädigten, fiktiv
abzurechnen, ist, muss er sich auch in dieser Hinsicht an seiner Entscheidung festhalten lassen und die
Folgen tragen, dass ihn - im Hinblick auf die HIS-Datei - ggf. eine Nachweispflicht einer fachgerechten
Reparatur - auf seine Kosten - trifft.
25 Je nachdem, wie umfangreich und kostenintensiv er die Reparatur hat durchführen lassen, kann er
gegebenenfalls eine Rechnung über den Ersatzteilkauf oder die vorgenommenen Arbeiten vorlegen, so dass
eine zusätzliche Reparaturbestätigung durch einen Sachverständigen gar nicht erforderlich ist.
26 Im Sinne einer Nichterstattung der Reparaturbestätigungskosten bei fiktiver Abrechnung könnte auch die
Entscheidung des BGH vom 13.09.2016 (VI ZR 654/15) verstanden werden, die eine Kombination von
fiktiver (Kfz-Schaden und Folgen) und konkreter (Reparaturbestätigung) Schadensabrechnung als unzulässig
ansieht.
27 Hinzu kommt, dass vorliegend auch Bedenken gegen den Aussagewert der Reparaturbestätigung bestehen.
Die vorliegende Reparaturbestätigung erschöpft sich in drei mit großem Abstand aufgenommenen und
aussagearmen Lichtbildern und der Aussage, dass das Fahrzeug besichtigt wurde und die Reparatur sach-
und fachgerecht durchgeführt wurde. Es sind keinerlei Aussagen über die Qualität, den Umfang noch über
einen nachvollziehbaren Reparaturweg mit den einzelnen Arbeitsschritten zu verzeichnen, was bei einer
Rechnungshöhe für die Reparaturbestätigung in Höhe von 55,00 EUR auch nicht zu verwundern vermag.
Eine Reparaturbestätigung in dieser Form erscheint als nicht geeignet, eine Vorschadensfreiheit durch eine
sach- und fachgerechte Reparatur nachzuweisen.
III.
28 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt
sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
29 Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 ZPO vorliegen.
30 Die Frage, ob der Schadensersatzanspruch eines Geschädigten nach einem Verkehrsunfall auch die Kosten
einer Reparaturbestätigung bei fiktiver Schadensabrechnung - vor dem Hintergrund der Eintragung in die
HIS-Datei - umfasst, hat angesichts der Vielzahl der divergierenden Urteile grundlegende Bedeutung. Sie ist
- soweit ersichtlich - bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden worden.