Urteil des LG Stuttgart vom 21.12.2016

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LG Stuttgart Urteil vom 21.12.2016, 4 S 82/16
Leitsätze
Eine Riester-Rente kann, wenn sie nicht unkündbar ist, vom Insolvenzverwalter gekündigt werden.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 17.02.2016, Az. 7 C 2306/15,
teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 172,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.1.2015 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 72%, die Beklagte trägt 28 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, es sei denn, der jeweils andere leistet Sicherheit in Höhe
von 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 601,96 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1.
1 Der Berufungskläger/Kläger (zukünftig nur Kläger), der mit Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom
15.04.2014 im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frau … (im Folgenden Insolvenzschuldnerin) zum
Insolvenzverwalter bestellt wurde, macht einen Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufwerts eines von ihm
gekündigten Rentenversicherungsvertrages geltend. Die Insolvenzschuldnerin hat im Jahre 2010 bei der
Berufungsbeklagten/Beklagten (zukünftig nur Beklagten) einen nach § 1 Abs. 1 und 3, 5 Altersvorsorge-
Zertifizierungsgesetz zertifizierten Vertrag, „Zukunftsrente Klassik, Riester Rente, E 80“, abgeschlossen. Auf
diesen Vertrag hat sie im Jahre 2010 120 EUR und in 2011 213 EUR eingezahlt. Danach wurde der Vertrag
beitragsfrei gestellt. Im Berufungsverfahren haben die Parteien zuletzt unstreitig gestellt, dass sich die Höhe
des Rückkaufswerts - nach Abzug erhaltener staatlicher Zulagen - auf 172,90 EUR beläuft.
2 Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung wendet sich der Kläger dagegen, dass das Amtsgericht
seine Klage auf Auszahlung des Rückkaufwerts deshalb abgewiesen hat, weil es die Auffassung vertreten hat,
er habe diesen Vertrag nicht kündigen können. Er vertritt die Auffassung, das Amtsgericht habe verkannt,
dass der Rentenversicherungsvertrag der Schuldnerin in die Insolvenzmasse gefallen sei, und dass seine am
14.01.2015 gegenüber der Beklagten ausgesprochene Kündigung wirksam gewesen sei. Bei dem von der
Schuldnerin mit der Beklagten geschlossenen Altersvorsorgevertrag handele es sich um einen kündbaren
Rentenversicherungsvertrag, welcher nicht die Voraussetzungen des § 851 c Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfülle und
deshalb keinen Pfändungsschutz genieße. Die vom Amtsgericht vertretene Auffassung, der Pfändungsschutz
folge aus § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 97 EStG, verkenne die Tatsache, dass § 851 c ZPO lex specialis zu § 851
ZPO ist.
3 Der Kläger beantragt,
4 das Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 601,96 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.01.2015 zu bezahlen.
5 Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als richtig und beantragt die Berufung zurückzuweisen.
6 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils,
auf dessen Entscheidungsgründe und auf den Vortrag der Parteien im Berufungsverfahren sowie auf die
Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 01.06.2016 und 30.11.2016 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
2.
7 Die Berufung ist zulässig und in Höhe von 172, 90 EUR einschließlich Zinsen seit dem 26.1.2015 begründet,
im Übrigen ist sie zurückzuweisen. Denn die Klage ist (nur) in Höhe des zuletzt unstreitigen Rückkaufwerts
nebst der geforderten Zinsen (erst) ab 26.1.2015 begründet.
2.1.
8 Die vom Kläger gegenüber der Beklagten am 14.01.2015 ausgesprochene Kündigung des
Versicherungsvertrages war wirksam, weil das dort angesparte Altersvorsorgevermögen dem
Insolvenzbeschlag gem. §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO i.V.m. § 851 c Abs. 1 ZPO unterliegt.
2.1.1.
9 Für das vorliegende Verfahren kann letztlich dahingestellt bleiben, ob bzw. inwieweit das von der
Insolvenzschuldnerin angesparte Altersvorsorgevermögen überhaupt als nicht übertragbar, weil "gefördertes
Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge" im Sinne des § 97 EStG anzusehen ist (vergl. dazu
AG München, 12.12.2011 273 C 8790/11 zit. nach juris). Nicht übertragbar ist grundsätzlich nur derjenige
Altersvorsorgevermögensanteil, der die Kriterien für eine Altersvorsorgezulage gem. §§ 79 ff EStG erfüllt.
Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die Beklagte durch die von ihr mit Schriftsatz vom 27.7.2016
vorgelegten Anlagen B6 und B7 nachgewiesen hat, dass der streitgegenständliche Vertrag für das Jahr 2011
mit einer in 2014 gezahlten Zulage gefördert wurde, welche in 2015 zwar teilweise, aber jedenfalls nicht
vollständig zurückgezahlt wurde. Darauf kommt es aber deshalb nicht an, weil auch dann, wenn das
gesamte von der Schuldnerin in diesem Vertrag angesparte Altersvorsorgevermögen als „nicht übertragbar“
im Sinne des § 97 EStG zu qualifizieren wäre, daraus noch nicht eine Unpfändbarkeit im Sinne des § 851
ZPO folgt bzw., dass die Rückzahlungsforderung nicht Bestandteil der Insolvenzmasse ist.
2.1.2.
10 Die Regelung des § 851 ZPO, wonach eine Forderung der Pfändung nur insoweit unterworfen ist, als sie
übertragbar ist, gilt nur subsidiär, nämlich "in Ermangelung besonderer Vorschriften". Besondere
Vorschriften für den Pfändungsschutz von vertraglich begründeten Altersrenten enthalten aber die §§ 851 c
ZPO und 851 d ZPO. § 851 d ZPO betrifft monatliche Leistungen in Form einer lebenslangen Rente oder
monatliche Ratenzahlungen, die im Rahmen eines Auszahlungsplans nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des
Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes aus steuerlich geförderten Altersvorsorgevermögen gezahlt
werden, also sog. "Rürup-Renten". Für alle anderen Altersrenten-Versicherungsverträge ergibt sich die
Regelung der Pfändbarkeit aus § 851 c ZPO (Elster, ZVI 2013, 369 ff, 370; anderer Ansicht Stöber, NJW
2007, 1242; Bengelsdorf, FA 2012, 34; Schmitt, Einkommenssteuer, Kommentar, 35. Aufl. 2016, § 97, Rn. 1;
Riedel-Beckscher Onlinekommentar, ZPO, 20. Aufl., § 851, Rn. 4). Nach § 851c Absatz 1 ZPO dürfen
laufende Rentenzahlungen aus einem solchen Rentenversicherungsvertrag dann nur wie Arbeitseinkommen
gepfändet werden, wenn sie die in Absatz 1 Ziff. 1-4 aufgezählten Voraussetzungen kumulativ erfüllen;
Absatz 2 regelt den Pfändungsschutz des (schon) angesammelten Altersvorsorge-Vermögens und bestimmt,
dass dafür erforderlich ist, dass ein den Voraussetzungen des Absatz 1 entsprechender Vertrag vorliegt, also
einer, der sämtliche der in Absatz 1 Nr.1-4 aufgezählten Kriterien erfüllt.
2.2.
11 Soweit das Amtsgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen hat, der Pfändungsschutz ergebe sich aus
§ 851 ZPO i.V.m. § 97 EStG und deshalb sei die Kündigung unwirksam gewesen, überzeugt dies nicht: Zwar
verweist das Amtsgericht zutreffend darauf, dass im Zusammenhang mit der Neueinführung des § 851 c
ZPO mit Wirkung zum 31.03.2007 die Bundesregierung in der Begründung zu dem Gesetzentwurf
ausdrücklich dieselbe Auffassung vertreten und ausgeführt hat: "Das nach § 10 a EStG und Abschnitt XI
EStG geförderte Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge, ... sind gem. § 97 EStG nicht
übertragbar und damit auch nicht pfändbar". Dies stellt jedoch eine reine Meinungsäußerung der
Bundesregierung dar; maßgeblich ist aber der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers
(Elster, ZVI, 2013, 370) Aus dem Gesetzeswortlaut der Vorschrift des § 851c ZPO lässt sich ein Ausschluss
der sog. Riester-Rente von den nach Abs. 1 Ziff. 1-4 einzuhaltenden Voraussetzungen nicht entnehmen (vgl.
Elster aaO, 372).
12 Dass § 97 EStG das steuerlich geförderte Altersvorsorgevermögen für nicht übertragbar erklärt, ist Folge
davon, dass die Zahlung von Zulagen an individuell zu erfüllende Kriterien anknüpft und sich deshalb eine
Übertragbarkeit dieses Vermögens auf andere Personen, die diese Kriterien nicht erfüllen, verbietet. Das
allein aus Gründen der individuellen steuerlichen Förderung gesetzlich statuierte Übertragungsverbot
rechtfertigt jedoch keinen Pfändungsschutz bzw. keine Gläubigerbenachteiligung im Insolvenzfall.
13 Auch die Tatsache, dass die steuerliche Förderung durch Zahlung einer Zulage für Riester Renten Ausdruck
des gesetzgeberischen Willens zur Stärkung von privater Altersvorsorge ist, führt zu keinem anderen
Ergebnis. Denn solange, wegen der jederzeitigen Möglichkeit einer Kündigung und Kapitalauszahlung, es
dem Versicherungsnehmer selbst noch frei steht, sich sein eingezahltes Kapital wieder auszahlen zu lassen,
ist die Durchsetzung des gesetzgeberischen Ziels nicht gesichert, und es ist daher nicht gerechtfertigt,
Pfändungs- bzw. Insolvenzgläubigern den Zugriff auf dieses Vermögen zu verweigern. Zu berücksichtigen ist
dabei vor allem auch, dass dieser Zugriff sich ja auf das vom Schuldner angesparte Vermögen beschränkt und
nicht auch die Altersvorsorgezulage betrifft. Diese ist, da die vorzeitige Kündigung ein Fall der "schädlichen
Verwendung" im Sinne des § 93 EStG darstellt, vorab zurückzuerstatten und kommt nicht den Gläubigern
zugute.
14 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es jedem Versicherungsnehmer, gem. § 167 VVG, freigestellt ist, auf
sein Kündigungsrecht bei Einhaltung der dort geregelten Fristen zu verzichten. Erfolgt ein derartiger
Verzicht, ist gesichert, dass über das angesparte Altersvorsorgevermögen bis zum Erreichen der
vorgeschriebenen Altersgrenze nicht verfügt werden kann, und es also für die gesetzgeberisch intendierte
Zusatzabsicherung im Alter tatsächlich zur Verfügung steht. In diesem Fall ist dann auch, wie es sich aus §
851c ZPO ergibt, der Pfändungsschutz zugunsten des Schuldners gesichert und die Unmöglichkeit des
Zugriffs seiner Gläubiger bzw. des Insolvenzverwalters darauf gerechtfertigt.
2.3.
15 Bei dem zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag handelt es sich um
einen nach § 1 Abs. 1 und 3, 5 Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz zertifizierten Vertrag (sog. Riester-
Rente). Anders als ein sog. Rürup-Rentenvertrag, bei welchem eine Kündigung und Kapitalauszahlung nach
dem Zertifizierungsgesetz ausgeschlossen ist, kann der vorliegende Vertrag gemäß seines § 14 der
Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Zukunftsrente Klassik (Riester-Rente) E 80 ( vgl. Blatt 77 d. Akte),
jederzeit gekündigt werden. Damit erfüllt dieser Vertrag nicht die Voraussetzung nach § 851c Abs. 1 Nr. 2
ZPO, wonach über die Ansprüche aus dem Vertrag nicht verfügt werden darf. Dies bedeutet, dass auch das
angesparte Altersvorsorgevermögen nicht demselben Pfändungsschutz wie Arbeitseinkommen unterliegt.
2.4.
16 Das im Vertrag angesammelte Vermögen ist daher mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der Insolvenzschuldnerin in die Insolvenzmasse gefallen mit der Folge, dass die vom Kläger
ausgesprochene Kündigung wirksam war und die Beklagte zur Leistung des der Höhe nach unstreitigen
Rückkaufswerts an die Masse verpflichtet ist. Soweit der Kläger mehr als den unstreitigen Rückkaufwert
verlangt, ist seine Klage unbegründet. Der Anspruch auf die Zinsen folgt aus § 286 Absatz 2 Nr.3 BGB.
3.
17 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§
708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO.
4.
18 Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die sich aus der großen Zahl von gleichgelagerten
Fällen ergibt, und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Entscheidung des
Landgerichts Dortmund v. 21.4.2016, 2 S 32/15 ( zit. nach juris) zuzulassen.