Urteil des LG Stuttgart vom 15.11.2016

agio, widerrufsrecht, erlöschen, agb

LG Stuttgart Beschluß vom 15.11.2016, 4 S 254/16
Leitsätze
Bei einem "Einrichtungsauftrag", der zwischen einem Versicherungsvertreter und einer Versicherungsnehmerin
zeitgleich mit dem Abschluss einer als Nettopolice ausgestalteten fondgebundenen Rentenversicherung
abgeschlossen wird, handelt es sich um einen zusammenhängenden Vertrag im Sinne des § 9 Absatz 2 VVG
(i.d.F.v.1.5.2013).
Die Berufung wurde auf den Hinweis zurückgenommen.
Tenor
1. Die Berufungsklägerin wird darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, ihre Berufung ohne mündliche
Verhandlung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Sie erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis bis zum 5.12.2016.
Gründe
1.
1 Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung wendet sich die Berufungsklägerin/Klägerin (zukünftig
nur Klägerin) gegen das angegriffene Urteil, mit welchem ihre Klage, gerichtet auf Zahlung eines restlichen
Betrages in Höhe von 3.528,80 Euro aus einem sog. Einrichtungsauftrag als sog. Agio abgewiesen wurde.
Sie vertritt die Auffassung, das amtsgerichtliche Urteil leide unter Rechtsfehlern, weil es von der
Wirksamkeit der Widerrufserklärung bezüglich des Einrichtungsauftrags ausgegangen sei. Selbst wenn der
Widerruf wirksam gewesen wäre, stünde ihr der geltend gemachte Zahlungsanspruch jedenfalls als
Wertersatz aus § 346 II BGB zu. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Ziel in vollem
Umfang weiter.
2 Die Beklagte/Berufungsbeklagte (zukünftig nur Beklagte) beantragt Zurückweisung der Berufung. Sie
verteidigt das erstinstanzliche Urteil als richtig. Im Übrigen wiederholt sie ihren bereits erstinstanzlich
gehaltenen Vortrag dazu, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch schon deshalb nicht zustehe,
weil sie auch den mit dem Einrichtungsauftrag im Zusammenhang stehenden fondsgebundenen
Lebensversicherungsvertrag wirksam widerrufen habe, weshalb nach § 2 Abs. 3 der "Allgemeinen
Bedingungen für den Einrichtungsauftrag" der Anspruch jedenfalls rückwirkend erloschen sei.
3 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils
sowie auf den Vortrag der Parteien in beiden Instanzen Bezug genommen.
2.
4 Die Berufung ist zwar zulässig, sie hat jedoch nach übereinstimmender Auffassung der Kammer
offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und da auch die weiteren Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 ZPO
vorliegen, insbesondere die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist, ist beabsichtigt,
die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen.
5 Es kann dahingestellt bleiben, ob der von der Beklagten erklärte Widerruf ihrer im Zusammenhang mit dem
Einrichtungsauftrag erteilten Vertragserklärung wirksam war und sie deshalb nicht zur Zahlung der geltend
gemachten Beträge verpflichtet ist. Darauf kommt es deshalb nicht an, weil das Amtsgericht jedenfalls im
Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen hat.
6 2.1. Die Klägerin, die nach eigenen Angaben Versicherungsvertreterin ist, hat der Beklagten mit Vertrag
vom 26.02.14 eine fondsgebundene Rentenversicherung, ausgestaltet als sog. Nettopolice, vermittelt. Am
selben Tag hat sie sich mit der Beklagten bezüglich eines Einrichtungsauftrags geeinigt; darin heißt es "
Der
Kunde bezahlt für die Vermittlung des oben stehenden Versicherungsvertrages ein einmaliges Agio, das für
die eigentliche Vermittlung, die Prüfung des Antrags und die Einrichtung des Versicherungsvertrages anfällt".
In den "Allgemeinen Bedingungen für den Einrichtungsauftrag", dort § 2 III, heißt es: Der Anspruch auf das
Agio entsteht nicht bzw. erlischt rückwirkend, wenn der vermittelte Versicherungsvertrag rechtmäßig
widerrufen ...wird.
7 Die Beklagte hat sich bezüglich der Gesamtagiokosten in Höhe von 4.536,00 Euro zur Zahlung von 60
monatlichen Raten á 75,60 Euro verpflichtet. Entsprechend ihrem Antrag auf Abschluss der
Rentenversicherung erhielt sie am 25.03.2014 eine Versicherungspolice. In der Widerrufsbelehrung zum
Rentenversicherungsvertrag findet sich bezüglich der Widerrufsfolgen kein Hinweis auf das rückwirkende
Erlöschen der Zahlungspflicht aus dem Einrichtungsauftrag. Die Beklagte hat die monatlichen Raten von
April 2014 bis März 2015 bezahlt. Mit Schreiben vom 24.04.2015 hat sie bezüglich der abgeschlossenen
Rentenversicherung der P... AG schriftlich mitgeteilt: "Hiermit mache ich von meinem Widerspruchsrecht
nach § 5 a VVG Gebrauch".
8 2.2. Nach Auffassung der Kammer ist die Klage unbegründet, weil der Widerruf der Erklärung bezüglich der
Rentenversicherung wirksam ist und damit entsprechend § 2 III der AGB des Einrichtungsauftrags die
Zahlungspflicht der Beklagten aus diesem Auftrag erloschen ist.
9 Der Widerruf war nicht verfristet, weil die Beklagte entgegen §§ 8, 9 VVG nicht ordnungsgemäß über ihr
Widerrufsrecht belehrt worden war, so dass die Widerrufsfrist gem. §§ 8, 152 Abs. 1 VVG zum Zeitpunkt des
Widerrufs am 24.04.2015 noch nicht abgelaufen war. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG setzt der Beginn des Laufs
der Widerrufsfrist den Zugang einer deutlich gestalteten Belehrung über das Widerrufsrecht und über die
Rechtsfolgen des Widerrufs, die dem Versicherungsnehmer seine Rechte deutlich machen, voraus.
10 Zu den Rechtsfolgen des Widerrufs eines Versicherungsvertrages, der als Nettopolice ausgestaltet ist, zählen
auch die Auswirkungen auf die mit diesem Vertrag zusammenhängenden Verträge. Dies folgt aus § 9 Abs. 2
VVG i.d.F.v.1.5.2013 (BGH vom 12.03.2014 IV ZR 295/13) , der auf den vorliegenden, erst in 2014
geschlossenen, Rentenversicherungsvertrag Anwendung findet. Bei dem zwischen der Klägerin als
Versicherungsvertreter und der Beklagten geschlossenen Einrichtungsauftrag handelt es sich um einen
zusammenhängenden Vertrag im Sinne des § 9 Abs. 2 VVG. Ein solcher liegt vor, wenn er einen Bezug zu
dem widerrufenen Vertrag aufweist und eine Dienstleistung des Versicherers oder eines Dritten auf der
Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Versicherer betrifft.
11 Von einem zusammenhängenden Vertrag im Sinne des § 9 Abs. 2 VVG (bzw. des wortgleichen § 360 BGB)
wird ausgegangen, wenn die Vertragsinhalte so miteinander kausal verknüpft sind, dass jeweils der eine
Vertrag den anderen bedingt (u.a. Palandt/Grüneberg, BGB-Kommentar, 75. Aufl. 2016, § 360, Rn. 2) bzw.
wenn ein tatsächlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen beiden Verträgen besteht (Rixecker
in Römer/ Langheid VVG 4. Aufl. 2014 § 9 Rn.25) oder wenn ein konkreter Verweis in den Verträgen den
erforderlichen Bezug zueinander herstellt (Wendt/Lorscheid-Kratz Betriebsberater 2013, 2434, 2436). Dies
wird insbesondere dann bejaht, wenn nach den Vertragsbestimmungen die Auflösung des einen Vertrages
auch zur Beendigung des anderen führt (Wendt/Lorscheid-Kratz a.a.O., 2437). Vorliegend besteht ein
kausaler Zusammenhang zwischen dem Rentenversicherungsvertrag und dem Einrichtungsauftrag, denn
eine Vergütungspflicht aus dem Letzteren konnte nur entstehen, wenn der Erstere zustande gekommen
war. Zwischen beiden Verträgen besteht auch ein zeitlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang. Schließlich
ergibt sich daraus, dass mit der Vergütung aus dem Einrichtungsauftrag nicht nur die Vermittlung, sondern
auch die „Prüfung des Antrags und die Einrichtung des Versicherungsvertrages“ abgegolten wird sowie
daraus, dass laut § 2 III der AGB zum Einrichtungsvertrag der Anspruch auf das Agio vom Bestand des
Versicherungsvertrages abhängig ist, dass es sich bei beiden Verträgen um zusammenhängende im Sinne
des § 9 Abs. 2 VVG handelt (vgl. dazu auch Reiff Versicherungsrecht 2016, 757 ff, 761; Rixecker, a.a.O., § 9
Rn. 29).
12 Da die Beklagte nicht darüber belehrt wurde, dass Folge eines rechtzeitigen Widerrufs des
Versicherungsvertrages auch das rückwirkende Erlöschen des Agioanspruchs war, sie also unvollständig über
ihr Widerrufsrecht bezüglich des Versicherungsvertrages belehrt worden war, konnte sie diesen auch noch
am 24.4.2015 wirksam widerrufen.
13 2.3. Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Wertersatz zu. Dies folgt unmittelbar aus
der Regelung in § 2 III der Einrichtungsauftrag AGBs (vergl. auch BGH IIIZR 440/13 v.25.9.2014,
Randnummer 26: ...
besteht ein Wertersatzanspruch ... nur dann, wenn der vermittelte
Versicherungsvertrag unter Berücksichtigung von § 5a VVG aF wirksam zustande gekommen ist.).