Urteil des LG Stuttgart vom 16.06.2016

befangenheit, unparteilichkeit, zusammenarbeit, abhängigkeit

LG Stuttgart Beschluß vom 16.6.2016, 27 O 73/13
Ablehnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen: Befangenheitsbesorgnis bei losem
Kontakt mit einem Privatsachverständigen
Leitsätze
Die Sorge der Befangheit ist nicht begründet, wenn ein gerichtlicher Sachverständiger im Rahmen eines
Kompetenzzirkels einen allgemeinen fachlichen Austausch mit einem Privatsachverständigen pflegt.
Tenor
Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen X wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Ausfalls eines defekten LKWs. Im Kern
streiten sich die Parteien darüber, ob ein aufgetretener Motorschaden auf einen mangelhaften Motor
zurückzuführen sei - was die Beklagte zu verantworten hätte - oder ob der Schaden durch einen
fehlerhaften Einbau des Motors verursacht worden sei, den die Klägerin vorgenommen hatte.
1.
2 Dem Rechtsstreit ging ein selbständiges Beweisverfahren unter dem Az. 27 OH 6/12 voraus. Das vom
Sachverständigen R. erstattete Gutachten ist jedoch wegen eines groben Fehlers unverwertbar (vgl. den
Beschluss vom 15.08.2014, Bl. 161 der Beiakten 27 OH 6/12). Mit Beschluss vom 08.09.2014 (Bl. 69 der
Akten) wurde im vorliegenden Verfahren der Sachverständige X aus D. mit der Erstattung eines neuen
Gutachtens zu der Frage beauftragt, ob der Schadensvorfall auf eine fehlerhafte Instandsetzung durch die
Beklagte zurückzuführen sei. In dem Beschluss wurde der Sachverständige angewiesen, auch den Inhalt der
Akten des selbständigen Beweisverfahrens zu berücksichtigen (Bl. 70). Darin finden sich Stellungnahmen
von Dipl.-Ing. Y aus H., in denen sich jener im Auftrag der Beklagten kritisch mit den gutachterlichen
Äußerungen von Herrn R. auseinandersetzt, so mit Schreiben vom 28.02.2012 (Bl. 41 der Beiakten),
25.01.2013 (nach Bl. 69 der Beiakten) und vom 04.05.2013 (n. Bl. 80 der Beiakten). Im Juli 2015 erstattete
der Sachverständige X sein Gutachten mit dem Ergebnis, dass keine Hinweise auf eine nicht fachgerechte
Instandsetzung vorhanden seien.
2.
3 Mit ihrem Schriftsatz vom 17.03.2016 rügte die Klägerin die Besorgnis der Befangenheit des
Sachverständigen X (Bl. 218). Ausweislich seines im Internet veröffentlichten Lebenslaufs gehöre er einem
gemeinsamen Kompetenzzirkel von vier Sachverständigen, u.a. mit Herrn Y, an (vgl. Bl. 220). Aufgrund
dieser Mitgliedschaft bestehe die Sorge, dass der gerichtliche Sachverständige zu dem für die Beklagte
tätigen Privatgutachter in einem engen Kontakt stehe.
4 Der Sachverständige hat angegeben, dass der Kompetenzzirkel vor ca. 2 1/2 Jahren gegründet worden sei
und der Gedanke führend gewesen sei, dass bei signifikanten Motorschäden Gerichte einen Überblick
bekommen sollten, welche Sachverständigen sich auf dieses Gebiet spezialisiert hätten. Ein fachlicher
Austausch über aktuelle Gerichtsfälle erfolge nicht. Eine Beeinflussung durch die in den Akten befindlichen
Stellungnahmen des Herrn Y habe nicht stattgefunden.
II.
5 Das zulässige Befangenheitsgesuch ist unbegründet.
1.
6 Die Ablehnung eines Sachverständigen ist begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen
gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 406 Absatz 1, § 42 Absatz 2 ZPO). Für die Besorgnis der
Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder
ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden
Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wenn vom
Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorhanden sind, die in den Augen einer
verständigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen (BGH,
Beschluss vom 13. Januar 1987 – X ZR 29/86, juris Rn. 1).
2.
7 Solche Umstände können sich unter anderem daraus ergeben, dass der Sachverständige in näheren
Beziehungen zu einer der Parteien steht, etwa weil ein über berufliche Kontakte hinausgehendes
Näheverhältnis besteht (BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 – X ZR 124/06, juris Rn. 2 f.; BGH, Beschluss
vom 23. Oktober 2007 – X ZR 100/05, juris Rn. 11). Insbesondere liegt ein Ablehnungsgrund vor, wenn der
gerichtliche Sachverständige in derselben Angelegenheit bereits für eine Partei ein Gutachten erstattet hat
(BGH, Entscheidung vom 01. Februar 1972 – VI ZR 134/70, juris Rn. 12). Erfahrungsgemäß kann nicht
ausgeschlossen werden, dass ein Privatgutachter dazu neigt, die Erwartungen seines Auftraggebers zu
bestätigen (OLG Oldenburg, Beschluss vom 12. Juli 2012 – 2 W 38/12, juris Rn. 4). Sollte er später als
gerichtlich bestellter Sachverständiger zu einem anderen Ergebnis kommen, müsste er einräumen, dass er
bei seiner vorangegangenen Begutachtung unzutreffend entschieden hat. Deshalb ist die Tendenz zu
erwarten, dass in beiden Gutachten ein identisches Ergebnis herauskommen wird (OLG Frankfurt, Beschluss
vom 21. Februar 2005 – 2 W 8/05, juris Rn. 6). Die entsprechende Sorge ist begründet, wenn das Gutachten
von einem Gutachter aus derselben Bürogemeinschaft erstattet wurde. Maßgeblich ist dabei, ob die Partei
den Eindruck haben kann, dass der gerichtliche Sachverständige das Privatgutachten mitbeeinflusst oder
jedenfalls gebilligt hat (OLG München, Beschluss vom 05. Mai 1970 - 5 W 875/70, VersR 1971, 258, ebenso
OLG Hamm, Beschluss vom 26.03.2014 - 32 W 06/14, BeckRS 2014, 08099).
3.
8 Im vorliegenden Fall bestehen hierfür keine zureichenden Anhaltspunkte.
a)
9 Zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen X und dem Privatsachverständigen Y besteht keine
Bürogemeinschaft, sondern ein lockerer Zusammenschluss. Die schriftlichen Stellungnahmen von Herrn Y
wurden sogar noch vor der Gründung des „Kompetenzzirkels“ - etwa Herbst 2013 - abgegeben. Schon
daraus ergeben sich keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige X die fachliche
Äußerung von Herrn Y gebilligt oder gar beeinflusst haben könnte und deshalb dazu tendiert, an dieser
früheren Stellungnahme festzuhalten.
b)
10 Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für eine enge berufliche Zusammenarbeit. Der Kompetenzzirkel
ist überregional. Die weite Entfernung zwischen D. und H. erschwert einen engen fachlichen Austausch
über konkrete Fälle. Es ist vielmehr, wie vom Sachverständigen X dargestellt, von einem losen
Zusammenschluss auszugehen.
c)
11 Dass der Sachverständige X durch die in den Akten befindlichen schriftlichen Stellungnahmen von Herrn Y in
konkreter Weise beeinflusst worden sein soll, legt die Klägerin nicht dar. Alleine der Umstand, dass der
gerichtliche Sachverständige den Privatsachverständigen fachlich schätzt, begründet nicht die Sorge, dass er
sich von dessen Stellungnahme in sachwidriger Weise beeinflussen lässt. Andernfalls wäre die Einholung
eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens schon dann erschwert, wenn eine Partei eine fachlich
anerkannte Persönlichkeit mit einer Stellungnahme beauftragt hat. Es darf ohne Vorliegen besonderer
Umstände davon ausgegangen werden, dass ein gerichtlicher Sachverständiger die Stellungnahme einer von
ihm geschätzten Persönlichkeit objektiv bewerten und kritisch hinterfragen kann.
4.
12 Auch soweit innerhalb des Kompetenzzirkels ein allgemeiner fachlicher Austausch - losgelöst von dem hier
vorliegenden Fall - zwischen Herrn X und Herrn Y erfolgt, begründet dies alleine nicht die Besorgnis der
Befangenheit. Ein allgemeiner wissenschaftlicher Austausch zwischen Sachverständigen ist allgemein üblich
(BGH, Beschluss vom 01. Februar 2005 – X ZR 26/04, juris Rn. 6). Erst weiter hinzutretende Umstände wie
eine freundschaftliche Beziehung, eine enge berufliche Zusammenarbeit oder eine wirtschaftliche
Abhängigkeit können die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen (OLG München, Beschluss vom 27.
Oktober 2006 – 1 W 2277/06, Rn. 9). Solche Umstände sind von der Klägerin ebenfalls nicht glaubhaft
gemacht worden.