Urteil des LG Stuttgart vom 25.08.2014

deckung, anfang, überweisung, rate

LG Stuttgart Urteil vom 25.8.2014, 27 O 152/14
Insolvenzanfechtung: Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz
des Insolvenzschuldners bei Lastschriftrückgabe
Leitsätze
Die Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 InsO
kann im Einzelfall angenommen werden, wenn im Abstand von einem Monat zwei
Lastschriften wegen fehlender Deckung des Geschäftskontos zurückgegeben
wurden.
Berufung eingelegt zum OLG Stuttgart (Az. 6 U 145/14)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.942,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2011 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 240,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2014 zu bezahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrags vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 5.942,40 Euro
Tatbestand
1 Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der R.-GmbH von
der Beklagten Zahlung nach erfolgter Insolvenzanfechtung.
2 Die Insolvenzschuldnerin hat ab dem 26.02.2008 bei der Beklagten einen Pkw zu
monatlichen Raten von 1.180,48 Euro geleast (Anlage B2). Ab August 2009
konnte die Insolvenzschuldnerin einen zunehmenden Teil ihrer Verbindlichkeiten
gegenüber verschiedenen Gläubigern nicht mehr bezahlen. Bis Mai 2010 liefen
Verbindlichkeiten in der Größenordnung von über 50.000,00 Euro auf, die später
zur Insolvenztabelle angemeldet wurden (vgl. die Auflistung in der Klageschrift,
Seite 3 unter den Nummern 1 bis 17).
3 Dessen ungeachtet verlief das Vertragsverhältnis mit der Beklagten bis Mai 2010
störungsfrei. Die monatlichen Leasingraten wurden bis zu dieser Zeit
vertragsgemäß abgebucht. Auf diese Weise wurden 27 Raten beglichen.
4 Ab Juni 2010 wies das Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin keine
ausreichende Deckung mehr auf, so dass nicht mehr alle ihren Geschäftsbetrieb
betreffenden Lastschriften ausgeführt werden konnten. Aus diesem Grund
scheiterte die Lastschrift der Beklagten am 01.06.2010; wenige Tage später wurde
die Lastschrift sodann jedoch ausgeführt.
5 Am 01.07.2010 scheiterte die Lastschrift für die Juli-Rate, am 02.08.2010
scheiterte eine weitere Lastschrift für die Juli- und August-Rate - wie für die
Beklagte erkennbar war - an einer mangelnden Deckung des Kontos. Die Beklagte
hat sich nicht mit der Insolvenzschuldnerin wegen der offenen Raten in Verbindung
gesetzt. Am 12.08.2010 überwies die Insolvenzschuldnerin diese beiden Raten
zusammen mit der Bearbeitungsgebühr für die Rücklastschrift, insgesamt 2.380,96
Euro. Die Insolvenzschuldnerin hatte zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten keine
offenen Rückstände mehr.
6 Am 01.09.2010 wurde vertragsgemäß die Leasingrate für den Monat September
abgebucht. Die Lastschriften der Monate Oktober (04.10.2010) und November
2010 (03.11.2010) wurden wieder zurückgebucht. Die Beklagte hat sich wegen der
offenen Raten nicht mit der Insolvenzschuldnerin in Verbindung gesetzt. Am
19.11.2010 überwies die Insolvenzschuldnerin diese beiden Raten zzgl. der
Rücklastschriftgebühren, insgesamt 2.380,96 Euro.
7 Am 12.08.2011 hat ein Gläubiger einen Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 07.10.2011
eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
8 Der Kläger ficht die Zahlungen bzw. Lastschriften vom 12.08.2010 (2.380,96 Euro),
01.09.2010 (1.180,48 Euro) und 19.11.2010 (2.380,96) Euro an.
9 Der Kläger beantragt
10 wie erkannt.
11 Die Beklagte beantragt
12 Klagabweisung.
13 Die Beklagte behauptet,
14 sie habe von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin
keine Kenntnis gehabt.
15 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
16 Die zulässige Klage ist begründet.
I.
17 Gemäß § 143 Absatz 1 Satz 1 InsO ist das, was durch die anfechtbare Handlung
aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist,
zur Insolvenzmasse zurück zu gewähren. Dabei sind nur Rechtshandlungen, die
zu einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger geführt haben, geeignet, eine
Insolvenzanfechtung zu begründen (§ 129 InsO). Darüber hinaus muss ein
Anfechtungsgrund im Sinne der §§ 130 ff. InsO vorliegen. Als Anfechtungsgrund
kommt aufgrund der zeitlichen Fristen lediglich ein solcher nach § 133 InsO in
Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der
Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger
zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung
den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird gesetzlich vermutet,
wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte
und dass die Handlung die gläubiger benachteiligte (§ 133 Satz 2 InsO).
II.
18 Angefochtene Rechtshandlung ist die Überweisung vom 12.08.2010 bzw. im
Übrigen die Genehmigung der durch die Beklagte veranlasste Lastschriftbuchung
(vgl. BGH, Urteil vom 04.11.2004 - IX ZR 22/03, juris Rn. 13).
III.
19 Die Insolvenzschuldnerin hat die Zahlungen mit dem Vorsatz vorgenommen bzw.
die Lastschriften genehmigt, ihre Gläubiger im Allgemeinen zu benachteiligen.
20 Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, war die Insolvenzschuldnerin
zahlungsunfähig, weil im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden
haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind (BGH,
Urteil vom 12.10. 2006 - IX ZR 228/03, juris Rn. 28). Die Insolvenzschuldnerin hatte
auch das für § 133 InsO erforderliche Bewusstsein, dass ihre Handlung ihre
Gläubiger im Allgemeinen benachteiligen. Hiervon ist auszugehen, wenn der
Schuldner entweder weiß, dass er neben dem Anfechtungsgegner nicht alle
Gläubiger in angemessener Zeit befriedigen kann oder wenn er sich diese Folge
zumindest als möglich vorstellt, aber sie in Kauf nimmt, ohne sich durch die
Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen (BGH,
Urteil vom 24.05.2007 - IX ZR 37/06, juris Rn. 8). Da die Insolvenzschuldnerin die
offenen Rückstände kannte, war ihr auch bekannt, dass sie nicht alle Gläubiger in
absehbarer Zeit würde bedienen können.
IV.
21 Schließlich kannte die Beklagte auch den Benachteiligungsvorsatz. Diese
Kenntnis wird nach § 133 Absatz 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn der
Anfechtungsgegner wusste, dass Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und
dass die jeweilige Handlung den Gläubiger benachteiligte. Die subjektiven
Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können - weil es sich um innere,
dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen handelt - meist nur
mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden.
1.
22 Der Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht auch im Rahmen des
§ 133 Absatz 1 InsO die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine
drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen (BGH, Urteil
vom 24.05.2007 - IX ZR 97/06, juris Rn. 25). Es genügt daher, dass der
Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender
rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH,
Urteil vom 19.02.2009 - IX ZR 62/08, juris Rn. 13 m. w. N.).
23 Gemäß § 17 Absatz 2 Satz 2 InsO ist die Zahlungsunfähigkeit in der Regel
anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Eine
Zahlungseinstellung ist zu bejahen, sobald aus dem nach außen hervorgetretenen
Verhalten des Schuldners für die beteiligten Verkehrskreise sichtbar wird, dass er
nicht in der Lage ist, seine fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen im
Wesentlichen zu erfüllen (BGH, Urteil vom 22.01.2004 - IX ZR 39/03, juris Rn. 20;
BGH, Urteil vom 17.05.2001 - IX ZR 188/98, juris Rn. 9).
24 Allerdings gilt eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer
Zeit beheben lässt, lediglich als Zahlungsstockung und stellt keinen Grund für eine
Insolvenzeröffnung dar. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu
beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen
Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es
sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 %
erreichen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen
Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 24.05.2005 - IX ZR
123/04).
2.
25 Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung hat der Tatrichter gemäß
§ 286 ZPO unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls auf der
Grundlage des Gesamtergebnisses der Verhandlungen und einer etwaigen
Beweisaufnahme zu prüfen (BGH, Urteil vom 13.08.2009 - IX ZR 159/06, juris Rn.
8).
a)
26 Die Beklagte hatte jedenfalls keinen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse
der Insolvenzschuldnerin. Bis Mai 2010 verlief das Schuldverhältnis mehr als zwei
Jahre lang störungsfrei. Auch im Anschluss hat sich die Beklagte nicht veranlasst
gesehen, ausstehende Forderungen anzumahnen oder gar die Kündigung des
Vertragsverhältnisses anzudrohen.
b)
27 Was die angefochtene Überweisung vom 12.08.2010 anging, so ging ihr eine
zurückgegebene Lastschrift von Anfang Juni voraus, die sodann aber wenige
Tage später ausgeführt worden ist. Im Juni musste die Beklagte demnach
jedenfalls nur von einer Zahlungsstockung ausgehen. Im Juli scheiterte die
Lastschrift abermals und wurde auch nicht innerhalb kurzer Zeit, also innerhalb von
drei Wochen, nachgeholt.
28 Zwar ist der Rückschluss nicht zwingend, dass ein Schuldner außer Stande sei,
größere Beträge zu zahlen, wenn er noch nicht einmal geringe Forderungen
ausgleichen könne (BGH Urteil vom 24.05.2005 - IX ZR 123/04, juris Rn. 22). Im
vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass die Zahlungsweise der
Lastschrift vereinbart war. Bei einer zurückgegebenen Lastschrift weiß der
Gläubiger, dass in diesem Augenblick keine ausreichende Deckung des Kontos
bestand. Dies unterscheidet die Beklagte von einem Gläubiger, der den Schuldner
durch Beitreibungsmaßnahmen wie etwa Mahnungen zur Zahlung der
Verbindlichkeiten anhalten muss. Die Rückgabe von Lastschriften stellt ein
erhebliches Beweisanzeichen für eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit dar (BGH,
Urteil vom 01.07.2010 - IX ZR 70/08, juris Rn. 9).
c)
29 Aus einer mangels Kontodeckung zurückgegebenen Lastschrift hatte die Beklagte
zu folgern, dass die Insolvenzschuldnerin Anfang Juli 2010 nicht in der Lage war,
alle laufenden Verbindlichkeiten zu erfüllen. Nachdem auch Anfang August 2010
keine ausreichende Deckung vorhanden war, war für die Beklagte hieraus die
weitere Schlussfolgerung zu ziehen, dass es der Insolvenzschuldnerin nicht
gelungen war, innerhalb kurzer Zeit für eine ausreichende Deckung ihres
Geschäftskontos zu sorgen, etwa durch Umschichtungen ihres Vermögens oder
die Aufnahme von Krediten. Damit hatte die Beklagte Kenntnis von Umständen,
die den sicheren Rückschluss zuließen, dass es einen nicht geschlossenen
Liquiditätsengpass gab und damit zumindest die Zahlungsunfähigkeit drohte. Da
die Insolvenzschuldnerin ein Gewerbe betrieb, musste die Beklagte auch damit
rechnen, dass weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen vorhanden waren.
Derjenige, der weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist oder voraussichtlich
nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der
Fälligkeit im Wesentlichen zu erfüllen, weiß in der Regel auch, dass dessen
Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligt (BGH, Urteil vom 20. November 2008 -
IX ZR 188/07 -, juris Rn. 10).
d)
30 Dieser Feststellung steht auch nicht entgegen, dass nach dem unbestrittenen
Vortrag der Beklagten bei der Durchführung anderer Leasingverträge Lastschriften
zurückgegeben werden, ohne dass später die Vertragspartner in Insolvenz
gefallen sind. Es ist nicht erforderlich, dass die Beklagte den Rückschluss einer
sicheren Zahlungsunfähigkeit ziehen musste. Es genügte, dass sie sich der
Kenntnis nicht verschließen konnte, eine Zahlungsunfähigkeit drohe einzutreten.
Dass andere Unternehmen die Krise überwinden, ändert daher nichts an dem
deutlichen Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise.
4.
31 Die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit bezieht sich auch auf die
weiteren angefochtenen Zahlungen vom 01.09.2010 und 19.11.2010.
32 Eine einmal nach außen hin in Erscheinung getretene Zahlungseinstellung wirkt
grundsätzlich fort. Sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die
Zahlungen im allgemeinen wieder aufgenommen werden (BGH, Urteil vom
25.10.2001 - IX ZR 17/01, juris Rn. 25). Kennt der Gläubiger die einmal
eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und ist aufgrund der Umstände
zu vermuten, dass dessen Benachteiligungsvorsatz dem Gläubiger bekannt ist, so
obliegt es diesem, darzulegen und zu beweisen, dass er später gleichwohl davon
ausgehen durfte, der Schuldner habe seine Zahlungen wieder aufgenommen
(BGH, Urteil vom 20.11.2008 - IX ZR 188/07, juris Rn. 12). Das gilt
uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn zwischen den angefochtenen Zahlungen
und dem Eingang des Eröffnungsantrags nur ein kurzer Zeitraum liegt (BGH, Urteil
vom 20.11.2001 - IX ZR 48/01, juris Rn. 35). Ein entsprechender Vortrag ist nicht
gehalten worden.
33 Zudem hatte die Beklagte Kenntnis davon, dass auch am 04.10.2010 und am
03.11.2010 Lastschriften wegen unzureichender Deckung nicht eingelöst wurden
und es der Insolvenzschuldnerin auch in diesem Zeitraum nicht gelungen war, den
Liquiditätsengpass zu schließen.
B.
34 Der Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten folgt aus § 286 BGB. Die
Beklagte hat die Forderung am 15.11.2013 abgelehnt, woraufhin der Kläger einen
Prozessbevollmächtigten beauftragt hat, die Ansprüche außergerichtlich zu
verfolgen. Sie berechnen sich aus einer 0,65 fachen Geschäftsgebühr bei einem
Gegenstandswert in Höhe der Klageforderung zzgl. der Postgebührenpauschale.
35 Der Zinsanspruch ergibt sich ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil
vom 01.02.2007 - IX ZR 96/04). Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der
Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.