Urteil des LG Stuttgart vom 16.07.2014

verjährungsfrist, gegenleistung, bereicherungsanspruch, darlehensvertrag

LG Stuttgart Urteil vom 16.7.2014, 13 S 14/14
Verjährungsbeginn für einen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch
wegen der Bezahlung eines in einem Darlehensvertrag unwirksam vereinbarten
Bearbeitungsentgelts
Leitsätze
Der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruchs wegen eines unwirksam
vereinbarten Bearbeitungsentgelt in einem Darlehensvertrag von 2009 war 2013 noch
nicht verjährt.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom
20.12.2013 (Az.: 50 C 5571/13) wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung
der Kläger abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
vollstreckbaren Betrages, es sei denn, dass die Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten. Das Urteil des Amtsgerichts
ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Berufungsstreitwert: 455,00 Euro
Gründe
I.
1 Die Kläger begehren von der beklagten Bank die Rückzahlung von 455,00 EUR
nebst Verzugszinsen. Der von den Klägern bezahlte Betrag ist Bestandteil eines
Darlehensvertrages aus dem Jahr 2009, in welchem er als „Bearbeitungsentgelt“
bezeichnet ist.
2 Die Kläger sind der Meinung, dass es sich bei dem Bearbeitungsentgelt um eine
Preisnebenabsprache und damit um eine sie benachteiligende, unzulässige
allgemeine Geschäftsbedingung handele. Die Beklagte geht von einer nicht
gerichtlich überprüfbaren Hauptpreisabsprache aus und steht daneben auf dem
Rechtsstandpunkt, dass die Kläger für das Bearbeitungsentgelt eine gleichwertige
Gegenleistung erhalten haben, weswegen die Vereinbarung auch der
Inhaltskontrolle einer allgemeinen Geschäftsbedingung standhalten würde.
3 Die Kläger haben im ersten Rechtszug beantragt,
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die Beklagte zur Zahlung von 455,00 EUR nebst Zinsen an sie zu verurteilen.
5 Die Beklagte hat im ersten Rechtszug Klagabweisung beantragt.
6 Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage stattgegeben. Das
Urteil ist im Wesentlichen auf die Begründung gestützt, dass es sich um eine
unwirksame Preisnebenabsprache handele.
7 Die Beklagte wendet sich aus Rechtsgründen gegen das Urteil des Amtsgerichtes
mit der fortgesetzten Argumentation, dass bezüglich des Bearbeitungsentgelts
eine wirksame vertragliche Vereinbarung vorliege. Außerdem erhebt sie die
Einrede der Verjährung.
8 Deswegen beantragt die Beklagte,
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das Urteil des Amtsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
10 Die Kläger beantragen,
11 die Berufung zurückzuweisen.
12 Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540
Abs. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des
Berufungsvorbringens wird auf die vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen sowie
auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
13 Der zugelassenen, form- und fristgerecht eingelegten und mit einer Begründung
versehenen Berufung der Beklagten bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Das
Amtsgericht hat zu Recht festgestellt, dass den Klägern der geltend gemachte
Bereicherungsanspruch aus § 812 BGB zusteht.
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1.
Die Kläger haben das sogenannte Bearbeitungsentgelt ohne Rechtsgrund an
die Beklagte geleistet. Der Darlehensvertrag ist bezüglich des
Bearbeitungsentgelts gemäß § 307 BGB unwirksam. Die Parteien haben einen
Verbraucherkreditvertrag abgeschlossen, die Vereinbarung des
Bearbeitungsentgelts ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305
BGB, weil es sich um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte
Bedingung handelt, welche die Beklagte den Klägern vorgegeben hat.
15 Daran ändert nichts die Tatsache, dass hier das Bearbeitungsentgelt nicht
prozentual in den Vertragsbedingungen, in einem Preisverzeichnis oder einem
Aushang vorgesehen ist, wie dies in den einschlägigen obergerichtlichen
Entscheidungen der Fall war, sondern das Bearbeitungsentgelt in Höhe von
455,00 EUR im Darlehensvertrag als Betrag ausgerechnet enthalten ist. Denn
auch in diesem Fall ist das Bearbeitungsentgelt eine vorformulierte, von der
Beklagten vorgegebene Klausel. Die Beklagte verwendet derartige Klauseln
regelmäßig. Entscheidend ist dabei, dass die Beklagte üblicherweise einen
anteiligen Betrag von der Darlehenssumme als Bearbeitungsentgelt vorschreibt.
Dass dieser Betrag und auch der Anteil nicht in allen Verträgen gleich ist, steht
einer vorgegebenen Vertragsbedingung nicht entgegen, weil über das
Bearbeitungsentgelt zwischen den Parteien weder dem Grunde noch der Höhe
nach verhandelt wurde. Die Beklagte hat jenes einseitig vorgegeben.
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2.
Das von der Beklagten vorgegebene Bearbeitungsentgelt ist eine sogenannte
Preisnebenabsprache, die der Inhaltskontrolle des § 307 Abs.1 S.1, Abs.2 Nr.1
BGB nicht Stand hält. Dies hat der Bundesgerichtshof erst kürzlich in
vergleichbaren Fällen entschieden (vgl. BGH Urteile vom 13.05.2014 - XI ZR
405/12 und XI ZR 170/13). Den zutreffenden Ausführungen, die sich ohne
Weiteres auf den hier zu entscheidenden Rechtsstreit übertragen lassen, schließt
sich die Kammer an. Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass die
Beklagte hier vorträgt, das Bearbeitungsentgelt sei eine angemessene
Gegenleistung für die von ihr vorgenommene Bonitätsprüfung der Kläger. Dabei
handelt es sich nämlich um eine eigene Aufgabe der Beklagten, welche sie
jedenfalls überwiegend im eigenen Interesse erbringt. Die Beklagte will sich mit
dem Bearbeitungsentgelt nicht die Hingabe des Darlehens als Hauptleistung
vergüten lassen, sondern ihre als eigene Nebenleistung „angebotene“
Bonitätsprüfung. Schon deswegen kann die Gegenleistung nicht als
Hauptpreisabrede qualifiziert werden. Die Beklagte hätte auch direkt einen
höheren Nominalzinssatz in Ansatz bringen können und die
Bearbeitungsgebühren einpreisen. Eben das wollte aber die Beklagte nicht. Sie hat
ihre Gegenleistung in zwei Teile gespalten, in einen niedrigeren (für die Kunden ins
Auge springenden) Zinssatz und daneben das Bearbeitungsentgelt. Das
erkennende Gericht vermag darin nicht deswegen eine Hauptpreisabsprache
sehen, weil das Bearbeitungsentgelt von der Beklagten der früheren
Rechtsprechung folgend nicht mehr prozentual, sondern als ausgerechneter
Betrag ausgewiesen ist. Eine Aufspaltung des Preises durch die Bank ist nicht
unzulässig, sie darf neben den Zinsen grundsätzlich auch „Kosten“ als
Gegenleistung ersetzt verlangen. Sie muss nach dem Willen des Gesetzgebers
aber hinnehmen, dass diese daneben verlangte und nicht ausgehandelte
Zahlungsverpflichtung des Kunden der AGB-Kontrolle unterliegt.
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3.
Der Anspruch der Kläger ist nicht gem. §§ 195, 199 BGB verjährt.
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a)
Zu Recht gehen die Parteien von einer dreijährigen Verjährungsfrist ab Ende
des Jahres aus, in welchem der Anspruch entstanden ist und zusätzlich die
Voraussetzungen des § 199 Abs.1 Nr.2 BGB vorlagen. Richtigerweise ist das
Amtsgericht, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, davon
ausgegangen, dass die Verjährungsfrist nicht vor 2011 zu laufen begann und die
2013 erhobene Klage die Verjährung gem. § 204 Abs.1 Nr.1 BGB hemmte.
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b)
Da die Verpflichtung des Kreditnehmers zur Zahlung des Bearbeitungsentgelts
im Zeitpunkt der Kreditauszahlung sofort fällig und sogleich im Verrechnungswege
erfüllt wird, ist auch der Bereicherungsanspruch der Kläger zu diesem Zeitpunkt in
vollem Umfang entstanden. Ein Gläubiger, der einen Bereicherungsanspruch aus
§ 812 Abs.1 S.1 Alt.1 BGB verfolgt, hat aber nur dann Kenntnis von den
anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den
Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt. Der
Verjährungsbeginn setzt zwar grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch
begründenden Tatsachen voraus. Nicht erforderlich ist deswegen in der Regel,
dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen
Schlüsse zieht. Die Rechtsunkenntnis des Gläubigers kann aber den
Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte
Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig
einzuschätzen vermag. In diesem Fall fehlt es an der Zumutbarkeit der
Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (vgl.
BGH Urteile vom 15.06.2010, XI ZR 309/09 und 07.12.2010, XI ZR 348/09 jeweils
m.w.N.).
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c)
Im hier zu entscheidenden Rechtsstreit wussten die Kläger zwar, dass ihnen
das Bearbeitungsentgelt von der Beklagten einseitig und ohne konkrete
Gegenleistung vorgegeben war. Für die Kläger und auch einen spezialisierten, sie
beratenden Rechtsanwalt war aber damals in der unsicheren und zweifelhaften,
von divergierenden Meinungen und Entscheidungen geprägten Rechtlage nicht
erkennbar, dass sich im Laufe der Jahre 2010 und 2011 eine obergerichtliche
Rechtsprechung herauskristallisieren würde, welche das Bearbeitungsentgelt -
anders als das Disagio - als eine unwirksame Preisnebenabsprache einordnen
würde. Erst die Veröffentlichungen im Jahr 2011 gaben im Sinne von § 199 Abs.1
Nr.2 BGB Anlass, von einer unwirksamen Vereinbarung und damit von einem
Bereicherungsanspruch auszugehen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der
Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren immer wieder Bankklauseln für
unwirksam erklärt hat. Diese unwirksamen Bankklauseln betreffen nicht das hier
streitige Bearbeitungsentgelt und sie stehen mit jenem auch nicht in einem engen
Zusammenhang. Eine dahingehende Entwicklung, dass die das
Bearbeitungsentgelt betreffende Klausel für unwirksam erklärt werden würde, war
bis zum Jahr 2010 nicht zu erkennen.
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d)
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den immer wieder zitierten, nicht
rechtskräftigen Entscheidungen des Landgerichts Mönchengladbach. Auch das
dortige Urteil vom 20.11.2013, 2 S 77/13 erkennt grundsätzlich an, dass im
Einzelfall ausnahmsweise die unklare Rechtslage der Verjährung entgegenstehen
kann (aaO juris Rn.32). Nur wurde dort die Ausnahme aus tatsächlichen Gründen
nicht angenommen, dies aber bei abweichendem Sachverhalt. Das zitierte Urteil
des Landgerichts Mönchengladbach stellt ganz wesentlich auf die
Rechtsprechungslage zum Bearbeitungsentgelt im Jahr 2004 ab. Hier wurde der
Vertrag aber erst im April 2009 geschlossen, so dass der Verjährungszeitraum und
damit die relevante Rechtsprechungslage eine ganz andere ist. Die
Berufungskammer ist sich mit derjenigen des Landgerichts Mönchengladbach
(aaO juris Rn.36) einig, dass dann, wenn ein Anspruch verjährt ist, weil die
Rechtsprechungslage während der gesamten Verjährungsfrist gefestigt war, eine
spätere Änderung in der Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit nicht
zum Wiederaufleben der Durchsetzbarkeit der Forderung führen kann. Anders
sieht die Kammer jedoch die Situation, wenn während der Verjährungsfrist die
Unsicherheit der Rechtslage begründende oder beendende
Gerichtsentscheidungen ergehen, weil es dem Anspruchsinhaber grundsätzlich
unbenommen bleiben muss, die Klage zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der
gesamten Verjährungsfrist zu erheben. Die vom Landgericht Mönchengladbach
(vgl. Urteil vom 04.09.2013 - 2 S 48/13) erkannte Ungerechtigkeit der
möglicherweise abweichenden Urteile von verschiedenen Anspruchsberechtigten,
je nach Zeitpunkt der Klageerhebung, ist nämlich vor allem dem Umstand
geschuldet, dass die Fortbildung des Rechts durch Gerichtentscheidungen
grundsätzlich nicht die Rechtskraft bereits ergangener Entscheidungen
durchbricht. Das Risiko für einen Anspruchsteller, zur „falschen“ Zeit zu klagen,
indem er einer für ihn positiven Rechtsprechungsänderung zuvorkommt oder eine
für ihn nachteilige Rechtsfortbildung der endgültigen Entscheidung seiner
Rechtssache zuvorkommt, besteht immer. Nicht zu verkennen ist, dass dieses
Risiko im Allgemeinen durch eine längere Verjährungsfrist größer wird und im
Besonderen zusätzlich durch das von der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs begründete Hinausschieben der Verjährung bei unklarer
Rechtslage. Die Kammer sieht jedoch keinen Anlass, deswegen von der
gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH Urteile vom 15.06.2010, XI
ZR 309/09 und 07.12.2010, XI ZR 348/09) abzuweichen, wenn deren tatsächliche
Voraussetzungen, wie hier, vorliegen. Die Kammer sieht in der bisherigen
Rechtsprechung des 11. Senats des Bundesgerichtshof auch keine
tatbestandliche Einschränkung des Hinausschiebens der Verjährung auf Fälle aus
dem Bereich der Amts- und Notarhaftung, sondern vielmehr einen allgemeinen
Rechtsgedanken.
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4.
Die Kläger haben neben der Hauptforderung gem. §§ 288, 291 BGB Anspruch
auf Ersatz der geltend gemachten Zinsen als Verzugsschaden.
III.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO; der Ausspruch
über die Vollstreckbarkeit des amtsgerichtlichen Urteils ergibt sich aus § 708 Nr.10
Satz 2 ZPO. Weil die Parteien diesen Rechtsstreit - im Gegensatz zu anderen -
nicht bis zur angekündigten Entscheidung des Bundesgerichtshofs ruhen lassen
wollten, es sich bei der entscheidungserheblichen Rechtsfrage der Verjährung um
eine solche von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die angesichts einer Vielzahl
ähnlicher Rechtsstreitigkeiten eine Fortbildung des Rechts durch einheitliche
Rechtsprechung erfordert, und weil eine divergierende Rechtsprechung des
Landgerichts Mönchgladbach besteht, wird gem. § 543 ZPO die Revision
zugelassen.