Urteil des LG Stuttgart vom 11.01.2016

zustellung, gütliche erledigung, zwangsvollstreckung, auflage

LG Stuttgart Beschluß vom 11.1.2016, 10 T 593/15
Leitsätze
Der Gerichtsvollzieher kann für die Zustellung der Eintragungsanordnung nach § 882c
ZPO nicht eine Gebühr nach GvKostG KV 101 verlangen, da diese nur für
Zustellungen auf Betreiben der Partei erhoben werden kann.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Amtsgerichts
Ludwigsburg vom 20.11.2015, Az. 7 M 6087/15, abgeändert und die
Eintragungsanordnung vom 13.10.15 der Obergerichtsvollzieherin F. am Amtsgericht
Ludwigsburg, Aktenzeichen DR II 1759/15, aufgehoben.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Mit Vollstreckungsversuchen vom 01.06.15 beauftragte der Gläubiger die
zuständige Gerichtsvollzieherin mit der Beitreibung rückständiger
Rundfunkgebühren von insgesamt 255,76 EUR, vorrangig mit einer gütlichen
Erledigung nach § 802b ZPO, bei erfolgloser gütlicher Erledigung durch
Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft.
2 Mit Schreiben vom 16.06.15 forderte die Gerichtsvollzieherin den Schuldner zur
Zahlung des zu diesem Zeitpunkt offenen Betrages von 283,10 EUR auf.
Nachdem der Schuldner keine Zahlungen leistete, forderte die Gerichtsvollzieherin
den Schuldner mit Schreiben vom 09.07.15, dem Schuldner durch die
Gerichtsvollzieherin zugestellt am 10.07.15, zur Zahlung des zu diesem Zeitpunkt
offenen Betrages von 316,50 EUR binnen 2 Wochen auf und bestimmte zugleich
einen Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft für den 27.07.15. Nachdem
der Schuldner zu diesem Termin nicht erschienen war, ordnete die
Gerichtsvollzieherin mit Schreiben vom 17.08.15, dem Schuldner zugestellt am
19.08.15, die Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis an.
3 Mit Schreiben vom 21.09.15 forderte die Gerichtsvollzieherin den Schuldner zur
Zahlung von 331,96 EUR mit einer Frist von 2 Wochen auf und lud den Schuldner
zugleich zu einem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am 12.10.15. Das
Schreiben wurde dem Schuldner am 24.09.15 zugestellt. Zum Termin am 12.10.15
ist der Schuldner nicht erschienen. Mit Schreiben vom 13.10.15 teilte der
Schuldner mit, dass er sich zwischen dem 18.09.15 und dem 12.10.15 im Urlaub
befunden habe und deshalb die Ladung nicht habe lesen können. Er werde am
nächsten Tag die Überweisung von 331,96 EUR veranlassen. Am 13.10.15
ordnete die Gerichtsvollzieherin die Eintragung des Schuldners in das
Schuldnerverzeichnis an. Mit Schreiben vom 22.10.15, beim Amtsgericht
eingegangen am 23.10.15, legte der Schuldner Widerspruch ein, da der offene
Betrag an die Gerichtsvollzieherin überwiesen worden sei.
4 Den Widerspruch des Schuldners vom 22.10.15 und 12.11.15 gegen die
Eintragungsanordnung vom 13.10.15 wies das Vollstreckungsgericht mit
Beschluss vom 20.11.15 zurück, da immer noch eine offene Restforderung
bestehe.
5 Ausweislich einer Aufstellung der Gerichtsvollzieherin vom 02.11.15 besteht noch
eine Restforderung von 4,65 EUR:
6
Hauptforderung
255,76 EUR
Kosten
76,85 EUR
Summe
332,61 EUR
Hebegebühr KV430
4,00 EUR
Zahlung des Schuldners vom 02.11.15
331,96 EUR
abzgl. berechnete Gerichtsvollzieher-Kosten - 4,00 EUR
Auszahlung an den Gläubiger
327,96 EUR
Zahlungsverrechnung
Forderung des Gläubigers
332,61 EUR
abzgl. an Gläubiger ausbezahlter Betrag
- 327,96 EUR
Restforderung
4,65 EUR
7 Die Gerichtsvollzieherkosten von 76,85 EUR setzen sich wie folgt zusammen (vgl.
Kostenansatz der Gerichtsvollzieherin im Schreiben vom 25.08.15 und vom
21.10.15):
8
Zustellung KV 100, 101
13,00 EUR
nicht erledigte Vermögensauskunft KV 604, 260 15,00 EUR
Gütliche Erledigung
16,00 EUR
Wegegeld bis 10 km KV 207
6,50 EUR
Entgelte für Zustellung KV 701
3,45 EUR
Auslagenpauschale KV 716
8,80 EUR
Zwischensumme
62,75 EUR
Zustellung KV 100, 101
6,00 EUR
Entgelte für Zustellung KV701 (2x)
6,90 EUR
Auslagenpauschale KV 716
1,20 EUR
Zwischensumme
14,10 EUR
Summe
76,85 EUR
9 Mit Schreiben vom 27.11.15, beim Vollstreckungsgericht eingegangen am
02.12.15, legte der Schuldner gegen den Beschluss vom 20.11.15 Beschwerde
ein: Die Gerichtsvollzieherin habe angegeben, dass eine offene Forderung von
331,96 EUR zu bezahlen sei. Eine weitere Forderung habe er weder von der
Gerichtsvollzieherin noch von jemand anderem erhalten.
10 Der sofortigen Beschwerde des Schuldners half das Vollstreckungsgericht mit
Beschluss vom 14.12.15 nicht ab.
II.
11 Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 793 ZPO zulässig und auch in der Sache
begründet.
12 1) Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10069, S. 39) ist im
Rahmen der Entscheidung nach § 882d ZPO auf den Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung abzustellen, sodass beispielsweise der nachträglich
vom Schuldner erbrachte Nachweis der vollständigen Befriedigung des Gläubigers
des Abschlusses einer Ratenzahlungsvereinbarung den Eintragungsgrund
entfallen lassen soll (ebenso LG Detmold, Beschluss vom 11. November 2014 - 3
T 217/14 -, juris; LG Berlin, DGVZ 2013, S. 213; LG Darmstadt, Beschluss vom
30.10.2013 - 5 T 352/13 -; AG Bonn, Beschluss vom 16.04.2014 - 24 M 579/14,
BeckRS 2014, 13653 BeckOK ZPO/Utermark, § 882d Rdnr. 6; Musielak-Voit, ZPO,
11. Auflage, § 882d Rdnr. 3; Zöller-Stöber, ZPO, 30. Auflage, § 882d Rdnr. 4;
Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 882d Rn. 2 und 6).
13 Dies bedeutet, dass - auch wenn die Gerichtsvollzieherin die Eintragung des
Schuldners in das Schuldnerverzeichnis zunächst zu Recht angeordnet hat, weil
der Schuldner pflichtwidrig die Vermögensauskunft nicht abgegeben hat, die
Eintragungsanordnung aufzuheben ist, wenn der Schuldner im
Widerspruchsverfahren bzw., falls Beschwerde gegen die
Widerspruchsentscheidung eingelegt wurde, im Beschwerdeverfahren den
Gläubiger vollständig befriedigt.
14 2a) Im konkreten Fall ist von einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers
auszugehen. Zwar hat der Schuldner im Vollstreckungsverfahren nicht nur die
Hauptforderung - hier die rückständigen Rundfunkbeiträge - zu bezahlen, sondern
auch gemäß § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO die notwendigen Kosten der
Zwangsvollstreckung. Zu Letzteren gehören insbesondere auch die
Gerichtsvollzieherkosten.
15 Der Vollstreckungsakte lässt sich aber entnehmen, dass die Gerichtsvollzieherin
Kosten angesetzt hat, welche nach dem GvKostG nicht hätten erhoben werden
dürfen und die daher nicht als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung
anzusehen sind. Dies betrifft namentlich die Kosten für die Zustellung der
Eintragungsanordnungen nach § 882c ZPO in Höhe von 2x3EUR. Den
Kostenrechnungen der Gerichtsvollzieherin lässt sich entnehmen, dass sie Kosten
für insgesamt 4 Zustellungen angesetzt hat, nämlich (zurecht) für die 2
Zustellungen zur Ladung zur Abgabe zum Termin zur Abgabe der
Vermögensauskunft sowie (zu Unrecht) für die 2 Zustellungen der
Eintragungsanordnungen.
16 Die Gerichtsvollzieherin kann für die Zustellung der Eintragungsanordnung nach §
882c ZPO eine Gebühr nach KV 101 des GvKostG von 3 EUR nicht verlangen.
Dies hat zur Folge, dass dem Schuldner kein ausstehender Betrag von 4,65 EUR
entgegengehalten werden kann.
17 b) Die Gebühr nach KV 100, 101 kann, wie sich aus der amtlichen Überschrift des
Abschnitts 1 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz
ergibt, nur für Zustellungen erhoben werden, die auf Betreiben der Parteien - also
nicht von Amts wegen - erfolgen.
18 Ob die in § 882c Absatz 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebene Zustellung der
Eintragungsanordnung auf Betreiben der Parteien oder von Amts wegen erfolgt,
wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt (für Zustellung im
Parteibetrieb etwa: AG Lichtenberg, Beschluss vom 16. August 2015 - 35D M
8005/15, 35 D M 8005/15 -, juris; AG Dillenburg, Beschluss vom 24. März 2015 -
74 M 2831/14 -, juris; LG Verden, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - 6 T 124/14
-, juris; LG Stuttgart, Beschluss vom 26. März 2015 - 2 T 109/15; Theis/Rutz DGVZ
2014, 154; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 36. Auflage, § 882c, Rn. 5; für
Amtszustellung etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. August 2015 - 11 W 3/15
-, Rn. 22, juris; OLG Düsseldorf DGVZ 2015, 91; AG Mannheim, Beschluss vom
21. März 2014 - 7 M 6/14 -, juris AG Pinneberg; Beschluss vom 29. Oktober 2014 -
77 M 798/14 -, juris AG Offenbach; Beschluss vom 13. April 2015 - 61 M 10124/14
-, juris; LG Meiningen, Beschluss vom 07. Oktober 2015 - (35) 5 T 116/15, 5 T
116/15 -, juris; LG Lüneburg, Beschluss vom 14. April 2015 - 5 T 15/15 -, juris; AG
Marbach, Beschluss vom 07. April 2015 - 3 M 1038/14 -, juris; Musielak/Voit, ZPO,
12. Auflage, § 882c Rn. 6; Stöber in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, §
882c ZPO, Rn. 7 (anders noch die Vorauflage).
19 Die Kammer schließt sich derjenigen Auffassung an, die von einer von Amts
wegen zu veranlassenden Zustellung ausgeht.
20 Der Gläubiger gibt zwar, indem er den Vollstreckungsauftrag erteilt, Anlass zu dem
Vorgehen nach § 882c ZPO. Zudem kommt die Eintragung in das
Schuldnerverzeichnis mittelbar auch dem Gläubiger zugute, da die Eintragung
gemäß § 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO zu löschen ist, wenn die vollständige Befriedigung
des Gläubigers nachgewiesen wird. Die Eintragung in das Schuldnerregister dient
aber nicht in erster Linie der Zwangsvollstreckung des Gläubigers, sondern dem
Schutz des Rechtsverkehrs, der vor einem Schuldner gewarnt werden soll, der
einen titulierten Anspruch nicht zu erfüllen vermag. Das kommt auch in der
Gesetzesbegründung zu § 882c ZPO zum Ausdruck, in der es heißt, die
Eintragung erfolge, um den „Wirtschaftsverkehr vor einem illiquiden Schuldner zu
warnen“ (BT-Drs. 16/10069, S. 38, zu Nr. 3, erster Absatz). Deswegen erfolgt die
Eintragungsanordnung ausdrücklich gemäß § 882c Abs. 1 ZPO von Amts wegen.
Die durch das Verfahren nach § 882c ZPO anfallenden Kosten sind daher keine
sachnotwendigen Folgen einer bestimmten Zwangsvollstreckung, sondern
entstehen in einem eigenständigen, im öffentlichen Interesse liegenden Verfahren.
Damit unterscheidet sich Zustellung der Eintragungsanordnung von den in der
Vorbemerkung 1 (2) zu Gebührenziffern 100ff. des GvKostG erwähnten Fällen,
wonach die Gebühren für die Zustellung auch dann zu erheben seien, wenn der
Gerichtsvollzieher die Ladung zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft
(§ 802f ZPO) oder den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss an den Schuldner
(§ 829 Abs. 2 Satz 2, auch i.V.m. § 835 Abs. 3 Satz 1 ZPO) zustelle.
21 Das Argument des Amtsgerichts Darmstadt (DGVZ 2014, 73, juris-Rn. 14), es
könne nicht hingenommen werden, dass die Kosten der Zustellung der
Eintragungsanordnung entweder vom Steuerzahler oder vom Gerichtsvollzieher
persönlich zu tragen seien, vermag nicht zu überzeugen. Die Anordnung der
Eintragung dient - wie ausgeführt - öffentlichen Zwecken; es ist daher ohne
weiteres nachvollziehbar, dass die mit ihr verbundenen Kosten nicht von dem
Gläubiger zu tragen sind, der sie durch seinen Vollstreckungsauftrag ausgelöst
hat, sondern von der Allgemeinheit. Dass der Gläubiger die Kosten - wenn man
dieser Auffassung folgte - als Kosten der Zwangsvollstreckung beim Schuldner
beitreiben lassen könnte (§ 788 Abs. 1 S. 1 ZPO), ändert daran schon wegen der
Unsicherheit nichts, ob die Vollstreckung Aussicht auf Erfolg hat.
22 Die Entstehungsgeschichte der Norm spricht ebenfalls dafür, nicht von einer
Zustellung auf Veranlassung des Gläubigers auszugehen. Nach der Begründung
des Gesetzentwurfs zu § 882c ZPO (vgl. BT-Drucks. 16/10069, S. 39) nimmt der
Gerichtsvollzieher die Datenerhebungen nach § 882c Absatz 3 Satz 2 ZPO-E nicht
auf Antrag des Gläubigers, sondern von Amts wegen vor, weshalb dem Gläubiger
hierfür keine Gebühr abverlangt werden könne. Diese Überlegung ist auf das
Verfahren nach § 882c ZPO insgesamt - und damit auch auf die Kosten der
Zustellung übertragbar.
23 Im Übrigen soll nach einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 18.12.15
durch eine Änderung von § 882c Abs. 2 S.2 klargestellt werden, dass es sich bei
der Zustellung der Eintragungsanordnung nicht um eine Parteizustellung, sondern
um eine Zustellung „von Amts wegen“ handele. Das Eintragungsverfahren diene
nicht in erster Linie dem Interesse des einzelnen Gläubigers, sondern der Warn-
und Informationsfunktion des Schuldnerverzeichnisses und somit dem
allgemeinen Interesse des Rechtsverkehrs. Das Eintragungsverfahren solle daher
nicht zur Disposition des Gläubigers stehen (vgl. BR-Drucksache 633/15, S. 40).
24 Dementsprechend wäre auch die gebührenabhängig berechnete
Auslagenpauschale (KV 716) mit Rücksicht auf die Verminderung des Ansatzes
des Gerichtsvollziehers anteilig zu kürzen. Auf die - ebenfalls umstrittene - Frage,
ob der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger Auslagen für eine nicht persönlich
vorgenommene, sondern über ein Postunternehmen bewirkte Zustellung
weiterberechnen kann (bejahend OLG Stuttgart BeckRS 2015, 07368; OLG
Nürnberg BeckRS 2015, 02651), weil Ziffer 701 des Kostenverzeichnisses eine
Beschränkung auf Parteizustellungen nicht vorsehe, kommt es nach Lage des
Falls nicht an.
25 3) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts und die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.