Urteil des LG Stuttgart vom 05.08.2015

notwendige streitgenossenschaft, versammlung, rechtsschutzinteresse, passivlegitimation

LG Stuttgart Urteil vom 5.8.2015, 10 S 10/15
Wohnungseigentümergemeinschaft: Rechtsschutzinteresse für einen
Protokollberichtigungsanspruch; Passivlegitimation des Verwalters; gerichtliche
Geltendmachung gegen mehrere Passivlegitimierte
Leitsätze
1. Das Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs
auf Berichtigung des Protokolls einer Wohnungseigentümerversammlung ist nur
gegeben, wenn sich die Rechtsposition des Anspruchstellers durch die begehrte
Änderung verbessern oder zumindest rechtlich erheblich verändern würde.
2. Ein Verwalter, der an der Versammlung nicht teilgenommen, sondern einen Dritten
mit der Versammlungsleitung und der Protokollierung beauftragt hat, ist hinsichtlich
des Protokollberichtigungsanspruchs nicht passivlegitimiert.
3. Der Anspruch auf Protokollberichtigung kann gegen verschiedene
Passivlegitimierte in getrennten Verfahren gerichtlich geltend gemacht werden.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Böblingen vom
29.01.2015, Az. 11 C 1242/14 WEG, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, das mit Schreiben vom 3.6.2014 an die
Miteigentümer der WEG S-Straße in B. versandte Protokoll der
Eigentümerversammlung vom 7.5.2014 im Beschlusstext zu TOP 1 dahin zu
berichtigen, dass der protokollierte Beschlusstext „Die Fa. K. GmbH erhält
hiermit die Folgebestellung und Vertragsverlängerung im Amt des Verwalters
zu den bisherigen Bedingungen für weitere drei Jahre, bis zum 31.12.2017“
durch den Beschlusstext „Die Fa. K. GmbH wird für weitere drei Jahre zur
Verwalterin bestellt“ ersetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte zu 2 ein
Sechstel der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers, sowie
ein Drittel ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten. Die übrigen Kosten des
Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO
I.
2 Der Kläger begehrt von der die WEG S-Straße in B. verwaltenden Beklagten zu 1
und von der Beklagten zu 2, welche die Wohnungseigentümerversammlung vom
7.5.2014 leitete, die Berichtigung des von der Beklagten zu 2 zu dieser
Versammlung gefassten und von einem weiteren Wohnungseigentümer
unterschriebenen Protokolls hinsichtlich des Beschlusstextes zu TOP 1, unter
welchem die Verlängerung der Verwalterbestellung behandelt wurde, hinsichtlich
des Vorspanns im Protokoll, wonach die Geschäfts- und Protokollordnung per
Abstimmung bestätigt worden sei, und hinsichtlich eines angeblich gestellten
Antrags seines bevollmächtigten Rechtsanwalts, ihm anstelle der Beklagten zu 2
für die Dauer der Verwalterwahl die Versammlungsleitung zu übertragen. Das
Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender Passivlegitimation der Beklagten
abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Berichtigungsanspruch richte
sich gegen die Personen, die mit ihrer Unterschrift für die Richtigkeit der
Niederschrift einzustehen hätten, und daher jedenfalls nicht gegen die Beklagte zu
1. Da die Beklagte zu 2 nicht allein passivlegitimiert sei, sei die Klage auch gegen
sie unbegründet; es sei von notwendiger Streitgenossenschaft mit der Folge der
Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung auszugehen. Mit der form- und
fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches
Begehren gegen beide Beklagten weiter.
II.
3 Die Berufung ist zulässig. Das Landgericht Stuttgart ist gemäß § 72 Abs. 2 GVG
zuständig, es handelt sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Abs. 1 Nr. 3
WEG. Auch wenn die Beklagte zu 2 nicht Verwalterin ist, streiten die Parteien doch
über die Pflichten des Verwalters, die diesen im Zusammenhang mit der
Versammlungsleitung und Protokollführung treffen. Die Beauftragung der
Beklagten zu 2 mit der Leitung der Wohnungseigentümerversammlung am
7.5.2014 ändert hieran nichts.
4 Die Berufung ist auch teilweise begründet.
5 Die der Berufungsverhandlung zu Grunde zu legenden Tatsachen führen aus
Rechtsgründen insoweit zu einer anderen Entscheidung als das Amtsgericht die
Klage auf Berichtigung des Beschlusstextes zu TOP 1 der
Eigentümerversammlung vom 7.5.2014 gegen die Beklagte zu 2 abgewiesen hat.
Insoweit ist die Klage zulässig und begründet.
6 Dabei kann dahinstehen, ob sich der Protokollberichtigungsanspruch - wie das
Amtsgericht meint - gegen alle Personen richtet, die mit ihrer Unterschrift für die
Richtigkeit der Niederschrift einzustehen haben und im Nachhinein die
Berichtigung verweigern (so BayObLG ZMR 2002, 951; Elzer in Jennißen, WEG, §
24, Rn. 140; Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 43, Rn. 179) oder ob allein der
verantwortliche Versammlungsleiter passivlegitimiert ist (so Müller, Praktische
Fragen des Wohnungseigentums, 6. Aufl., 8. Teil, Rn. 203). Auch wenn man davon
ausgeht, dass eine Protokollberichtigung nur dann wirksam durchgeführt werden
kann, wenn sie auch von dem Wohnungseigentümer, der das Protokoll nach
Maßgabe des § 24 Abs. 6 Satz 2 WEG unterschrieben hat, mit getragen wird, hätte
dies nicht zur Folge, dass die allein gegen den Versammlungsleiter gerichtete
Klage abzuweisen wäre. Dies folgt insbesondere nicht daraus, dass die in einem
Verfahren verklagten Passivlegitimierten eines Protokollberichtigungsanspruchs
notwendige Streitgenossen wären. Eine notwendige Streitgenossenschaft besteht
bei ihnen aus prozessualen Gründen (§ 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO), denn ein allein
gegen die Beklagte zu 2 ergehendes Urteil wirkt gemäß § 48 Abs. 3 WEG auch
gegen die übrigen wirksam beigeladenen Wohnungseigentümer und damit auch
gegen den nicht verklagten Eigentümer, der das Protokoll mit unterzeichnet hatte.
Dies schließt die Führung getrennter Verfahren nicht aus, es würde bei getrennter
Prozessführung nur die in dem einen Verfahren ergehende Entscheidung
Rechtskraftwirkung im anderen Verfahren hervorrufen; nur ein Nebeneinander der
Verfahren führt zur notwendigen Streitgenossenschaft, doch bleibt ein
Nacheinander der Prozesse möglich (Schultes in Münchener Kommentar zur ZPO,
4. Aufl., § 62, Rn. 5). Sollte sich der Wohnungseigentümer, welcher das Protokoll
unterzeichnet hatte, weigern, die von der Beklagten zu 2 berichtigte Version des
Protokolls erneut zu unterschreiben, kann der Kläger seine Verurteilung in einem
getrennten Prozess betreiben. Das Urteil im vorliegenden Verfahren bindet gemäß
§ 48 Abs. 3 WEG die Entscheidung in jenem Verfahren.
7 Das Protokollberichtigungsbegehren ist hinsichtlich des Beschlusstextes zu TOP 1
der Eigentümerversammlung vom 7.5.2014 - soweit es sich gegen die Beklagte zu
2 richtet - auch begründet. Die Beklagte zu 2 hat nicht bestritten, dass nur die
weitere Bestellung der Beklagten zu 1 zur Verwalterin zur Abstimmung gebracht
wurde und nicht auch die Verlängerung des Verwaltervertrags zu den gleichen
Bedingungen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es rechtlich relevant, ob
die Wohnungseigentümer nur die Bestellung eines Verwalters beschließen oder ob
gleichzeitig der Abschluss bzw. die Verlängerung eines Verwaltervertrages
beschlossen wird. Daher kann dem dahingehenden Begehren des Klägers auch
nicht das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden.
8 Im Übrigen ist die Berufung des Klägers unbegründet.
9 Zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass dem Kläger kein Anspruch
gegen die Beklagte zu 1 auf Berichtigung des Protokolls vom 7.5.2014 zusteht.
Denn nach sämtlichen zur Passivlegitimation des Protokollberichtigungsanspruchs
vertretenen Auffassungen kann sich dieser jedenfalls nicht gegen den Verwalter
richten, der - wie vorliegend die Beklagte zu 1 - an der Versammlung gar nicht
teilgenommen und einen Dritten mit der Versammlungsleitung und der
Protokollierung beauftragt hat.
10 Ebenso zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass es dem klägerischen
Begehren am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt, soweit der Kläger die
Berichtigung des Vorspanns „zur Geschäftsordnung“ und die Berichtigung des von
seinem bevollmächtigten Rechtsanwalt angeblich zur Versammlungsleitung zu
TOP 1 der Versammlung vom 7.5.2014 gestellten Antrags begehrt. Das
Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Geltendmachung eines
Protokollberichtigungsanspruchs ist nur gegeben, wenn sich die Rechtsposition
des Klägers durch die begehrte Änderung verbessern oder zumindest rechtlich
erheblich verändern würde (LG Dresden ZWE 2014, 54; Müller a.a.O. 8. Teil, Rn.
199) und nicht - wie der Kläger meint - immer schon dann, wenn das Protokoll
unrichtige oder unvollständige Feststellungen enthält. Die von dem Kläger im
Rahmen des Vorspanns „zur Geschäftsordnung“ und im Rahmen des
Verfahrensantrags seines Bevollmächtigten zu TOP 1 begehrten Richtigstellungen
haben keine Auswirkung auf die Auslegung von Beschlüssen und sind auch sonst
nicht geeignet, die Rechtsposition des Klägers zu verbessern. Auf für die
Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine von dem Kläger parallel
betriebene Abberufung der Beklagten zu 1 gegeben sind, hat die Berichtigung
ebenfalls keinen Einfluss.
11 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
12 Gründe, die Revision gem. § 543 ZPO zuzulassen, liegen nicht vor, da die Sache
keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des
Revisionsgerichts erforderlich machen.