Urteil des LG Stuttgart vom 23.06.2003

LG Stuttgart: vorzeitige auflösung, fortsetzung des mietverhältnisses, treu und glauben, fristlose kündigung, vollstreckungsverfahren, mietvertrag, gleichwertigkeit, zerrüttung, vollstreckbarkeit

LG Stuttgart Urteil vom 23.6.2003, 27 O 160/03
Vorzeitige Auflösung eines Mietvertrages
Leitsätze
Der Mieter kann einen auf eine bestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrag nicht wegen eigener finanzieller Schwierigkeiten kündigen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.500,-- abwenden, wenn nicht
die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert der Klage: EUR 18.953,04
Tatbestand
1 Der Kläger, von Beruf Rechtsanwalt, nimmt die Beklagte, Rechtsnachfolgerin aus einem mit einer Fa. Gö-Bau am 9./14. 9. 1994 auf 10 Jahre, bis 1.
10. 2004, abgeschlossenen Mietvertrag (Anl. Bl. 12 ff d. A.) über die Vermietung gewerblicher Räume in der Rotebühlstraße 104 in Stuttgart zum
Zwecke einer Anwaltspraxis, auf Feststellung in Anspruch, das Mietverhältnis sei durch Kündigung vom 17. 2. 2003 aufgelöst.
2 Unstreitig hatte der Kläger seine Kanzlei schon im August 1999, zu diesem Zeitpunkt war Gö-Bau noch Vermieter, in die W... straße 1 in Stuttgart
verlegt. Verhandlungen mit Gö-Bau über eine vorzeitige Auflösung des Mietverhältnisses waren gescheitert. Der Kläger untervermietete die
Räumlichkeiten. Der Untermieter hat das Untermietverhältnis zum 30. 6. 2003 gekündigt. Nach Übernahme des Objekts durch die Beklagte lehnte
diese persönliche Verhandlungen mit dem Kläger ab und verwies den Kläger an ihren Rechtsanwalt.
3 Der Kläger, der in seinem Schreiben vom 17. 2. 2003 eine Kündigung des Mietverhältnisses sieht, behauptet, den Mietzins aus finanziellen
Gründen nicht mehr tragen zu können. Treuwidrig sei er von der Beklagten hingehalten worden.
4 Der Kläger beantragt (vgl. Bl. 1 d. A. u. Prot. vom 20. 6. 2003),
5 festzustellen, dass das Mietverhältnis betreffend die Räumlichkeiten in der Rotebühlstraße 104, 70178 Stuttgart, 1. Obergeschoss rechts durch die
Kündigung vom 17. 2. 2003 zum 1. 3. 2003 aufgelöst worden ist.
6 Die Beklagte beantragt,
7 die Klage abzuweisen.
8 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die von ihnen
vorgelegten Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
9
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
10 Das aufgrund des abgeschlossenen Mietvertrags bestehende Mietverhältnis ist nicht beendet. Dem Kläger steht – abgesehen davon, dass
seinem Schreiben keine Kündigung zu entnehmen ist – kein Recht zur Kündigung zu.
11 Ein Kündigungsrecht ist im auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Mietvertrag für den Mieter nicht vorgesehen.
12 Dem Kläger steht auch kein Recht auf fristlose Kündigung aus wichtigem Grund oder ein Anspruch auf vorzeitige Aufhebung des Mietvertrages
zu. Ein solches Recht könnte sich ergeben wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage – das macht der Kläger zu Recht nicht geltend –,
Äquivalenzstörung bzw. Existenzgefährdung.
13 Für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund wäre erforderlich, dass Tatsachen vorliegen, die es dem kündigenden Teil unter
Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unzumutbar machen, das
Vertragsverhältnis bis zur vereinbarten Beendigung fortzusetzen (BGH NJW 99, 1177, 1178 II. 2. a). Von einer Zerrüttung der Vertragsgrundlagen
kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Vielmehr geht es hier um die Zerrüttung der finanziellen Verhältnisse des Klägers.
14 Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage (im engeren Sinne) kann ebenfalls nicht angenommen werden, weil der Kläger als Mieter das
Verwendungsrisiko übernommen hat, und diese Risikoübernahme schon die Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage ausschließt
(BGH NJW 2000, 1714, 1716 unter B II. 3. b), ganz abgesehen davon, dass es Maßnahmen des Klägers waren, nämlich der Umzug in andere
Kanzleiräume, die die „Geschäftsgrundlage“ entfallen ließen.
15 Einen Fall der Äquivalenzstörung macht der Kläger gar nicht geltend. Bei gegenseitigen Verträgen gehört die Gleichwertigkeit von Leistung und
Gegenleistung zur objektiven Geschäftsgrundlage. Wird diese Gleichwertigkeit nach Vertragsschluss durch unvorhergesehene Veränderungen
so schwer gestört, dass damit das von einer Partei normalerweise zu tragende Risiko in unzumutbarer Weise überschritten wird, ist der Vertrag
an die veränderten Umstände anzupassen. (BGH NJW 2002, 2384, 2385 unter 3. b). Der Kläger hat zwar auch beklagt, dass die Mieten
inzwischen niedriger seien. Er hat aber nicht dargelegt, dass die Störung so schwerwiegend sei, dass ihm allein schon aus diesem Grund die
Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne.
16 Vielmehr stützt der Kläger sich allein darauf, dass seine Existenz gefährdet sei.
17 Eine Verschlechterung in den wirtschaftlichen Verhältnissen einer Partei ist grundsätzlich allein deren Angelegenheit und berechtigt sie nicht, ihr
mit dem Vertrag eingegangenes Risiko auf die Gegenpartei abzuwälzen. Inwieweit in Extremfällen davon doch eine Ausnahme gemacht werden
kann, ist eine schwierige Frage (MK, 4. Aufl., Roth, § 242 Rn. 755). In der Rechtsprechung des Reichsgerichts scheint die als gewiss
anzusehende Existenzvernichtung oder die sehr erhebliche Beeinträchtigung der Existenzfähigkeit als Grund für eine Lösung vom Vertrag
anerkannt worden zu sein (vgl. Staudinger, 11. Aufl. § 242 Rn. 190, 191). Dem ist im Grundsatz zu folgen. Denn das Recht ist der Diener des
wirtschaftlichen Interesses der Parteien und soll nicht weiter gehen als dieses Interesse es gebietet. Wo schon im Erkenntnisverfahren ersichtlich
ist, dass eine Rechtsverfolgung wegen Existenzvernichtung zur Undurchsetzbarkeit im Vollstreckungsverfahren führen würde, erscheint ein
Rechtsverlust schon im Erkenntnisverfahren jedenfalls in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse zumutbar. An einem Dauerschuldverhältnis mit
einem Bankrotteur festzuhalten, liegt nicht im wohlverstandenen Interesse einer Partei. Allerdings muss die Situation evident sein. Denn der
Gläubiger hat das Recht, im Vollstreckungsverfahren durch die Vollstreckungsorgane nach verwertbaren Vermögensgütern suchen zu lassen.
Anders jedoch als im Falle einer Herausgabeklage, bei der eine Beweisaufnahme zur Frage, ob der Beklagte im Besitze der Sache sei, u. U. ins
Vollstreckungsverfahren verlagert werden durfte (Arg. aus § 283 BGB a. F.), mag in Fällen drohender Existenzvernichtung eine Beweisaufnahme
durchzuführen sein.
18 Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus diesen Überlegungen indes nichts zugunsten des Beklagten. Er hat zu der behaupteten
Existenzgefährdung rein nichts vorgetragen, weder sein Einkommen, noch seine Vermögenslage offengelegt, so dass nicht ermittelt werden
kann, ob und gegebenenfalls wie lange dem Beklagten die Zahlung der Miete noch zumutbar ist.
19 Kostenentscheidung: § 91 ZPO.
20 Vorl. Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO.