Urteil des LG Stuttgart vom 14.09.2004

LG Stuttgart: beurkundung, steuerpflicht, grundstück, kaufpreis, vollzug, beteiligter, kaufvertrag, gefahr, anschaffungskosten, entstehung

LG Stuttgart Urteil vom 14.9.2004, 15 O 191/04
Notarhaftung: Belehrungspflicht des Urkundsnotars hinsichtlich der Versteuerung des "Spekulationsgewinns" aus einem
Grundstückskaufvertrag
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 16.766,96 Euro.
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt vom ... Schadensersatz, weil ein Notarvertreter des ... sie im Zusammenhang mit der Beurkundung eines
Grundstücksverkaufs nicht in zureichender Weise über steuerrechtliche Konsequenzen aufgeklärt habe.
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Die Klägerin war Eigentümerin des Grundstücks mit der Flurstücknummer ... der Gemarkung ... Hinsichtlich dieses Grundstücks, das die Klägerin
verkaufen wollte, unterbreitete ihr ... ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages, welches am 12.12.2000 durch den beauftragten
Notarvertreter des ... ist, beurkundet wurde. Dem Notarvertreter ... lag hierbei eine unbeglaubigte Grundbuchabschrift vor. Das Grundbuch hat er
nicht eingesehen. Die Klägerin, die bei der Beurkundung des Angebots nicht anwesend war, nahm dieses Angebot an. Die Beurkundung ihrer
Annahmeerklärung erfolgte durch den Streitverkündeten ... in Z am 19.12.2000.
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Die beurkundete Annahmeerklärung wurde dem Notarvertreter ... übersandt, der im Kaufvertrag mit dem Vollzug desselben beauftragt worden
war. Vor der Übersendung gab es keinerlei Kontakte zwischen der Klägerin und dem Notarvertreter ....
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Die Klägerin selbst hatte das Grundstück mit Kaufvertrag vom 26.06.1991 zu einem niedrigeren Kaufpreis als demjenigen, der im Kaufvertrag mit
... vereinbart wurde, gekauft. Nachdem durch eine Gesetzesänderung vom 24.03.1999 mit Wirkung vom 01.01.1999 die Frist für die Versteuerung
aus privaten Veräußerungsgeschäften von 2 auf 10 Jahre verlängert worden war und der Verkauf des Grundstücks durch die Klägerin nunmehr
innerhalb dieser Frist lag, wurde die Klägerin mit Einkommensteuerbescheid des Finanzamts ... vom 10.05.2002 zur Versteuerung des
"Spekulationsgewinns" herangezogen. Für das Jahr 2001 wurde die Einkommensteuerschuld der Klägerin auf 28.989,74 Euro festgesetzt.
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Die Klägerin ist der Auffassung, der Notarvertreter ... habe sie, wenn schon nicht konkret, so doch in allgemeiner Weise auf die Möglichkeit der
Entstehung einer besonderen Steuerschuld hinweisen müssen. Aus der Grundbuchabschrift, die diesem vorgelegen habe, gehe hervor, dass die
Klägerin das Anwesen 1991 erworben habe. Wäre sie entsprechend aufgeklärt worden, hätte sie mit dem Verkauf des Grundstücks bis zum
Ablauf der 10-Jahresfrist abgewartet. In diesem Falle wäre die Einkommenssteuerschuld im Bescheid vom 10.05.2002 um 16.766,96 Euro
niedriger festgesetzt worden. Diesen Betrag verlangt die Klägerin nunmehr als Schadensersatz von dem ....
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Die Klägerin beantragt,
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das ... zu verurteilen, an die Klägerin 16.766,96 Euro nebst Zinsen hieraus in gesetzlicher Höhe seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Das ... beantragt,
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die Klage abzuweisen.
10 Das ... trägt vor, es habe keine Verpflichtung des Notarvertreters ... bestanden, die nicht an der Beurkundung des Angebots des Herrn ... beteiligte
Klägerin auf die Gefahr einer besonderen Steuerschuld hinzuweisen. Aus der Grundbuchabschrift, die dem Notarvertreter ... vorgelegen habe,
gehe das Erwerbsdatum und der Kaufpreis nicht hervor. Damit sei für diesen die Gefahr des Anfalls einer besonderen Steuerschuld nicht
erkennbar gewesen. Das ... bestreitet im Übrigen den von der Klägerin behaupteten Schaden. Die Klägerin müsse zudem primär den Notar ... als
anderweitige vorrangige Ersatzmöglichkeit in Anspruch nehmen.
11 Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Klage ist nicht begründet.
13 Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen das ... aus § 839 BGB, Art. 34 GG. Dies wäre nur der Fall, wenn der Notarvertreter ... als Beamter des ...
für den das ... gemäß Art. 34 GG haftet, der Klägerin gegenüber bei der Beurkundung des Angebots von Herrn ... auf Abschluss eines
Kaufvertrages am 12.12.2000 eine Amtspflichtverletzung begangen hätte.
14 Dies ist jedoch nicht der Fall. Den Notarvertreter ... trafen schon allgemein keine Belehrungspflichten gegenüber der Klägerin (I.). Ihn traf
insbesondere keine Belehrungspflicht bezüglich des möglichen Anfalls der "Spekulationssteuer" (II.).
I.
15 Den Notarvertreter ... trafen keine Belehrungspflichten gegenüber der Klägerin aus § 17 Abs. 1 Beurkundungsgesetz. Die dort aufgeführten
Pflichten obliegen den Notaren entsprechend dem Gesetzeswortlaut nur gegenüber den "Beteiligten". An der Beurkundung unmittelbar beteiligt
sind gemäß § 6 Abs. 2 Beurkundungsgesetz die Erschienenen, deren im eigenen oder fremden Namen abgegebene Erklärungen beurkundet
werden sollen. Zu diesem Personenkreis gehörte die Klägerin jedenfalls nicht. Weder sollten am 12.12.2000 ihre Erklärungen beurkundet
werden – beurkundet werden sollten nur diejenigen des Herrn ... – noch war sie bei der Beurkundung anwesend.
16 Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 1981, 2705; BGH NJW 2004, 1865) können ausnahmsweise jedoch auch gegenüber
anderen Personen die nicht unmittelbar, wohl aber mittelbar Beteiligte sind, Belehrungspflichten nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Beurkundungsgesetz
und § 14 Abs. 1 Satz 2 Bundesnotarordnung bestehen. Mittelbar Beteiligter ist nach dieser Rechtsprechung insbesondere, wer im eigenen
Interesse bei der Beurkundung anwesend ist, weil er aus dem beurkundeten Rechtsgeschäft verpflichtet werden oder Rechte erwerben soll; wer
von den unmittelbar Beteiligten zu der Beurkundung hinzugezogen wird, um ihn "faktisch einzubinden"; ferner, wer sich aus Anlass der
Beurkundung an den Notar gewandt und ihm eigene Belange anvertraut hat.
17 Die Klägerin kann zum Zeitpunkt der Beurkundung des Angebots des Herrn ... keiner dieser Fallgruppen zugerechnet werden.
18 Sie war weder bei der Beurkundung anwesend, noch wurde sie von den unmittelbar Beteiligten hinzugezogen, noch hatte sie sich vor
Übersendung ihrer beurkundeten Annahmeerklärung an den Notarvertreter ... an diesen gewandt und ihm eigene Belange anvertraut. Bis zur
Übersendung der beurkundeten Annahmeerklärung an den Notarvertreter ... und damit vor Abschluss des Kaufvertrags gab es, wie die
Klägervertreterin im Termin am 31.08.2004 klar stellte, keinerlei Kontakte der Klägerin oder des Notars ... zum Notarvertreter ... Erst mit der
Übersendung der Annahmeerklärung an den Notarvertreter Schmid, mit welcher die Klägerin diesen mit dem Vollzug des Kaufvertrages
beauftragt hatte, wurde sie zur mittelbar Beteiligten. Zu diesem Zeitpunkt war die Angebotserklärung des Herrn ... jedoch bereits beurkundet. Der
Vertrag zwischen der Klägerin und Herrn ... war bereits abgeschlossen und damit die Spekulationssteuer angefallen.
19 Allein die Tatsache, dass es in dem am 12.12.2000 beurkundeten Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages unter Ziffer IX, 4 heißt, dass die
Vertragsteile den Notarvertreter damit beauftragen, den Vollzug dieses Vertrages zu betreiben und hierzu alle erforderlichen oder
zweckdienlichen Erklärungen einzuholen und entgegenzunehmen, führt nicht dazu, dass den Notarvertreter ... bereits zum Zeitpunkt der
Beurkundung dieses Angebots Belehrungspflichten gegenüber der Klägerin getroffen hätten. Es handelt sich hierbei ausschließlich um ein
Angebot des Herrn ... an die Klägerin, eine entsprechende Erklärung zur Erteilung eines Auftrags an den Notarvertreter ... abzugeben. Die
Erklärung der Klägerin selbst wurde erst bei Beurkundung der Annahmeerklärung am 19.12.2000 abgegeben. Ein Notar, der nur ein Angebot
zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrages beurkundet, ist aber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Adressaten des Angebots über Risiken
der Vertragsgestaltung zu belehren. Diese Pflichten obliegen vielmehr dem Notar, der die Annahme beurkundet. (BGH NJW 1981, 2705).
II.
20 Selbst wenn den Notarvertreter ... generell Belehrungspflichten im Verhältnis zur Klägerin getroffen hätten, wäre er jedenfalls nicht verpflichtet
gewesen, die Klägerin auf den möglichen Anfall der "Spekulationssteuer" hinzuweisen.
21 Der Notar der einen Grundstückskaufvertrag beurkundet, ist regelmäßig nicht nach § 17 Abs. 1 Beurkundungsgesetz gehalten, auf
steuerrechtliche Folgen des beurkundeten Geschäfts hinzuweisen. Denn diese gehören typischerweise nicht zum Inhalt eines
Grundstückskaufvertrages selbst, sondern ergeben sich kraft Gesetzes als Folgen daraus (BGH MDR 1995, 1170). Von sich aus muss ein Notar
auf die Möglichkeit der Entstehung einer Steuerpflicht nur in den Fällen hinweisen, in denen gesetzliche Regelungen dies vorschreiben, was
beim Anfall der "Spekulationssteuer" nicht der Fall ist.
22 Ausnahmsweise ist der Notar jedoch im Rahmen seiner allgemeinen Betreuungspflicht (§ 14 Abs. 1 Bundesnotarordnung) gehalten, auch auf
steuerliche Gefahren aufmerksam zu machen, wenn er aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls Anlass zu der Vermutung haben muss,
einem Beteiligten drohe ein Schaden, weil er sich der Gefahr des Entstehens einer besonderen Steuerpflicht nicht bewusst ist. Dies gilt
insbesondere für das Entstehen der sogenannten "Spekulationssteuer" (BGH a.a.O.). Auf die Möglichkeit der Versteuerung eines
"Spekulationsgewinns" muss der Notar grundsätzlich dann hinweisen, wenn ein Beteiligter selbst die Frage nach der Steuerpflicht erhoben hätte
– was die Klägerin unstreitig nicht getan hat – oder wenn er vor oder während der Beurkundung des Kaufvertrages davon Kenntnis erhält, dass
der Verkäufer das Grundstück innerhalb der "Spekulationsfrist" erworben hat und die Anschaffungskosten unter dem Verkaufspreis liegen (BGH
MDR 1985, 577; NJW 1989, 586; MDR 1995, 1170; OLG Koblenz, OLGR Koblenz 2002, 400 und 2003, 91).
23 Selbst wenn der Notarvertreter ... aufgrund der Grundbuchabschrift, die ihm vorlag, tatsächlich Kenntnis vom Zeitpunkt des Erwerbs des
Grundstücks durch die Klägerin gehabt haben sollte, hätte er auf die Möglichkeit des Anfalls der "Spekulationssteuer" nicht hinweisen müssen.
Denn unstreitig wusste der Notarvertreter ... nicht, dass die Klägerin das Grundstück selbst zu einem niedrigeren Kaufpreis gekauft hatte. Nur aus
einem Vergleich zwischen den früheren Anschaffungskosten und dem jetzt vorgesehenen Verkaufspreis könnte sich aber ein Gewinn errechnen,
der möglicherweise zu versteuern wäre. Zur Ermittlung von Tatsachen, die für das evtl. Eingreifen von Steuertatbeständen von Bedeutung sein
können, ist der Notar bei der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages jedoch nicht verpflichtet (BGH MDR 1995, 1170). Allein anhand des
Datums des Erwerbs des Grundstücks durch die Klägerin konnte der Notarvertreter ... jedenfalls nicht ersehen, ob eine besondere Steuerpflicht
entstehen würde. Eine Verpflichtung des Notars, bei bloßer Kenntnis des Nichtablaufs der Spekulationsfrist ohne Kenntnis von den sonstigen die
Steuerpflicht auslösenden Umständen in allgemeiner Weise auf die Möglichkeit des etwaigen Entstehens einer solchen Steuerschuld
hinzuweisen, besteht nicht. Dies würde die an die Belehrungspflichten eines Notars in bezug auf steuerrechtliche Folgen des beurkundeten
Vertrags zu stellenden Anforderungen überspannen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Notarvertreter ... tatsächlich Kenntnis vom
Datum des Erwerbs des Grundstücks durch die Klägerin hatte oder sich diese jedenfalls unschwer aus den ihm vorliegenden Unterlagen hätte
beschaffen können.
III.
24 Die Entscheidung des BGH vom 27.05.2004, Az.: III ZR 302/03, auf die die Klägerin mit nach Schluss der mündlichen Verhandlung
eingegangenem Schriftsatz vom 09.09.2004 hingewiesen hat, betrifft entgegen ihrer Meinung keinen gleichgelagerten Sachverhalt. In dem vom
BGH entschiedenen Fall wurden Angebot und Annahme des Kaufvertrags nicht von verschiedenen Notaren beurkundet und der dortige Kläger
war unproblematisch "Beteiligter" der Beurkundung. Das Urteil enthält daher keinerlei Ausführungen zu der oben unter II. behandelten
Kernproblematik des vorliegenden Falles. Es betrifft auch nicht den Fall der Belehrung über steuerrechtliche Auswirkungen eines Kaufvertrags.
IV.
25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.